Was geschah auf der Zeven Provincien?
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Was geschah auf der Zeven Provincien?

Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge

  1. 169 Seiten
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Was geschah auf der Zeven Provincien?

Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge

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Über dieses Buch

Februar 1933 …Unablässig kreisen die Flugzeuge über der "Zeven Provincien". "Sie werden es nicht wagen", flüstert Halim neben mir, "sie würden ja auch ihre Offiziere treffen." Ich bemerke, dass er am ganzen Leibe zittert.Mir selbst schlägt das Herz bis zum Halse, ich frage: "Vielleicht sollten wir doch aufgeben?" Halim misst mich mit einem verächtlichen Blick, löst sich wortlos von der Reling und läuft zur Brücke zurück. In diesem Augenblick klinkt das vordere Flugzeug direkt über der Brücke eine Bombe aus.Ich sehe sie fallen, eine Ewigkeit lang. Ich will Halim hinterherlaufen, ihn zurückreißen, aber ich stehe wie angewurzelt da. Eine gewaltige Druckwelle schleudert mich mehrere Meter weit über das Deck.Benommen rapple ich mich auf und taumle nach vorn.Ein fürchterlicher Anblick bietet sich mir …Erstmalig in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung verbündeten sich Angehörige einer unterdrückenden Nation mit Arbeitern einer unterdrückten Nation. Gemeinsam wandten sie ihre Gewehre gegen den gemeinsamen Feind — die holländischen Pfeffersäcke.Erst zwölf Jahre später, im August 1945, verkündeten Kanonenrohre das Ende der kolonialen Unterdrückung. Nachrichtenagenturen trugen die Botschaft über den Erdball: "Wir, das indonesische Volk, erklären hiermit die Unabhängigkeit Indonesiens." Nicht alle, die 1933 am Aufstand auf der "Zeven Provincien" teilgenommen hatten, konnten diesen historischen Augenblick miterleben.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783965216693

1. Kapitel

Samandjaja öffnete die Augen. Von der Veranda drangen Stimmen und das Klappern von Geschirr ins Zimmer. Eine helle Männerstimme rief: „Macht doch nicht solch einen Lärm, der Bapak schläft.“ – Samandjaja lächelte. Er fühlte sich heute Morgen viel besser. Das Fieber schien geschwunden, die Malariaanfälle der letzten Tage würden sich nicht wiederholen. Mit raschen Griffen rollte der junge Mann die Bastmatte zusammen, stellte sie in eine Ecke und stieß die Tür auf.
Farid sah ihm erstaunt entgegen. „Wie geht es, Bapak?“
„Gut, mein Junge.“ Samandjaja lachte fröhlich. „Ein wunderschöner Morgen ist das. Also, Schluss mit der Faulenzerei!“
Er frühstückte hastig, während Farid die letzten Neuigkeiten aus Surabaja berichtete. Samandjajas Gesicht verfinsterte sich. Plünderungen, Kämpfe mit den Japanern, Gerüchte, dass die Engländer bald landen würden …
Im August 1945 hatten die Japaner kapituliert. Inzwischen waren zweieinhalb Monate vergangen, aber die Japaner saßen nach wie vor in Indonesien. Wie es hieß, auf Anweisung von Admiral Mountbatten, dem Oberbefehlshaber der Alliierten im Südwestpazifik. Zu den Alliierten gehörten auch die Holländer. Die Ausrufung der indonesischen Republik am 17. August 1945 hatte sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie bangten um ihr Kolonialreich, das sie im Frühjahr 1942 den Japanern nahezu kampflos überlassen hatten. Jetzt wollten sie es unter allen Umständen zurückgewinnen, mit Hilfe der Engländer. Der Fuchs Mountbatten, der vorläufig all seine Truppen brauchte, hatte ein Geschäft mit dem ehemaligen Gegner Japan gemacht. Er sollte in Indonesien die Stellung für die Alliierten halten, bis sie selbst in Indonesien landen konnten. Aber die Praxis entsprach nicht immer den Überlegungen am grünen Tisch. Manche japanischen Kommandeure wollten Indonesien eher unabhängig sehen, als es den Engländern und danach wieder den Holländern überlassen. Ihre Soldaten, demoralisiert von der schmählichen Kapitulation, pausenlos bedrängt von den indonesischen Widerstandskämpfern, träumten nur noch davon, endlich nach Hause zu kommen.
Armes Indonesien, dachte Samandjaja, seit dreihundert Jahren sind ausländische Mächte darüber hergefallen wie die Geier über ein verendendes Tier. Portugiesen, Holländer, Engländer und Japaner haben miteinander gewetteifert, das Land auszuplündern. Das Maß ist nun voll …
„Gestern hat es im Chinesenviertel gebrannt. Die Chinesen kamen wie die Ratten aus ihren Schlupflöchern. Viele Tote soll es gegeben haben.“
Samandjaja blickte erstaunt auf. Der triumphierende Ton in Farids Stimme gefiel ihm nicht. Chinesenpogrome waren nicht neu. Schon immer hatte das Volk seine Wut über die Fremdherrschaft an den geschäftstüchtigen, aber wehrlosen Chinesen ausgelassen. Die Holländer sahen das nicht ungern. Aber was sollte das jetzt? Wem nützte jetzt das Gemetzel? Samandjaja wusste, wer hinter diesen Pogromen stand: verantwortungslose Moslemführer, die von einem Darul Islam, einem islamischen Staat Indonesien, träumten. Den Darul-Islam-Anhängern ging es nicht in erster Linie um die Religion, sondern um die Macht der feudalen Grundbesitzer in der Republik Indonesien. Deshalb begannen sie den Krieg im Krieg. Dschihad nannten sie das, Kampf gegen die Ungläubigen. Ungläubig waren für sie alle, die ihre Macht hätten bedrohen können: Kommunisten, Chinesen, Europäer. Moslembanden durchstreiften in großer Zahl das Land, hetzten die Bevölkerung zu Plünderungen und Pogromen auf und setzten damit die Existenz der jungen Republik aufs Spiel, die eben keine islamische war, sondern in ihrer Verfassung Kirche und Staat voneinander trennte. Die Kräfte der regulären indonesischen Armee und der organisierten Guerillaverbände reichten nicht aus, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Samandjaja seufzte. Japaner, Engländer, Holländer und jetzt noch die Moslembanden – das Leben der Republik Indonesia hing an einem seidenen Faden. „Die Darul-Islam-Geschichte wird uns noch viel Ärger machen“, prophezeite er düster.
Farid lächelte. Sein glattes, rundes Gesicht gab keinen seiner Gedanken preis.
Samandjaja hatte schon seit geraumer Zeit bemerkt, dass Farid politischen Gesprächen stets auswich. Bei solchen Gelegenheiten lächelte er und schwieg. Verdrossen drückte Samandjaja seine Zigarette aus und fragte, schon im Hinausgehen: „Hat Hartini angerufen?“ Im selben Augenblick bereute er, gefragt zu haben. Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Ohne Farids Antwort abzuwarten, verließ er den Raum.
Auf den Plätzen rund um die ehemaligen holländischen Wochenendvillen herrschte reges Treiben. Samandjaja ging von Gruppe zu Gruppe und sah den Jungen beim Schießen und Exerzieren zu. Manche waren noch halbe Kinder, kaum älter als fünfzehn, sechzehn Jahre. Einige trugen Leinenschuhe an den Füßen, die meisten liefen barfuß. Sie wandten sich kaum nach ihrem Kommandeur um, so eifrig waren sie bei der Sache. Alle dachten nur daran, so schnell wie möglich ihre Ausbildung hier zu beenden und für die Unabhängigkeit ihres Landes zu kämpfen. Während Samandjaja ihnen zusah, stieg ein bitteres Gefühl in ihm auf. Viele von diesen Jungen würden sterben müssen, damit die anderen das Ziel erreichten. Er dachte an die Toten an seinem Wege, und ihn schauderte plötzlich bei dem Gedanken, wie viele es noch sein würden. Diese verdammte Malaria, dachte er, schwächt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Wir führen Krieg, damit der Krieg endlich ein Ende hat. Schluss! Er zündete sich eine Zigarette an und dachte wieder an Hartini. Mehr als eine Woche hatte er sie nicht gesehen, es erschien ihm wie eine Ewigkeit.
„Bapak!“, hörte er hinter sich eine keuchende Stimme. Subronto kam mit großen Sätzen auf ihn zugelaufen. Es fiel ihm offensichtlich schwer, seine Neuigkeit nicht sofort herauszusprudeln, sondern erst Haltung anzunehmen und vorschriftsmäßig zu melden. „Farid schickt mich. Sie sollen zum Quartier kommen. Ein Jeep vom Stab ist da.“
Samandjaja legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und ging mit ihm zurück. Er kannte ihn erst seit drei Wochen und hatte ihn gern in seiner Nähe. Subronto erinnerte ihn an Halim. Damals, vor mehr als zwölf Jahren, war sein Freund Halim so alt gewesen wie jetzt der Junge neben ihm – siebzehn Jahre.
In dem Raum, in dem Samandjaja geschlafen hatte, erwarteten ihn sein Stellvertreter Farid und ein junger Soldat.
Der Kommandeur überflog das Schreiben vom Stab, reichte es an Farid weiter und sagte: „Wollen wir uns diese Mijnheers, die uns der Stab da zur Aufbewahrung geschickt hat, erst mal ansehen. Den Gefangenen bekommt wahrscheinlich die Luft in Surabaja nicht. Bringen Sie die Männer herein.“
Farid murrte. „Das hat uns gerade noch gefehlt, Gefangene zu bewachen. Schließlich sind wir eine Ausbildungseinheit und kein Gefängnis.“
Samandjaja winkte ab und las das Papier noch einmal. Kapitänleutnant Huyer, dieser Name sagte ihm nichts. Aber der zweite der Gefangenen, ein gewisser Vastenhouw … Ihm war, als drücke ihm jemand die Kehle zu. Ach was, beruhigte er sich dann, wie viele Holländer mochten Vastenhouw heißen!
Zwei Männer traten ein, begleitet von drei bewaffneten indonesischen Soldaten. Der eine Holländer war schlank und hochgewachsen. Der andere reichte ihm nur bis an die Schulter. Was ihm an Größe fehlte, glich er in der Breite aus. In einem schwammigen Gesicht saß eine blaurote Nase, die kleinen rot geäderten Augen blickten unruhig umher.
Samandjaja starrte den Mann an. Das Blut schoss ihm ins Gesicht und hämmerte schmerzhaft in den Schläfen und im Hinterkopf. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Ein Malariaanfall, dachte er, oder ich träume wieder. Das war das Gesicht, das ihn seit zwölf Jahren verfolgte. Tag für Tag, Nacht für Nacht: diese boshaften kleinen Augen, der widerlich breite Mund, auf dem ein höhnisches Grinsen lag …
Unruhig sah Farid auf seinen Kommandeur. Warum sagte er nichts? Das Schweigen wurde unheimlich.
Die Tür öffnete sich, Subrontos lustige Augen spähten herein. „Bapak, eine Meldung …“
Samandjaja blickte ihn entgeistert an und stöhnte: „Halim.“ Dann sprang er mit einem Satz auf den kleinen dicken Holländer zu, seiner Kehle entrang sich ein heiserer Schrei: „Vastenhouw!“ Dann noch einmal: „Vastenhouw!“ Er hob die Arme, der Holländer wich zurück. Doch ehe Farid oder einer der Soldaten dazwischenspringen konnte, ließ Samandjaja die Hände sinken. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Ekels. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Brechreiz würgte ihn. Er stürzte nach draußen und übergab sich.
Die Gefangenen und ihre Bewacher wechselten fragende, verständnislose Blicke. Auf einen Wink Farids brachten die Soldaten die Holländer weg.
Samandjaja hockte auf dem Boden der Veranda, den Kopf zwischen den Armen vergraben.
Farid trat zu ihm, rüttelte ihn behutsam an der Schulter und fragte: „Kennst du den Mann?“
Samandjaja blickte auf, in seinen Augen stand wilder Hass. „Ich bringe ihn um. Hörst du? Lass ihn gut bewachen, ich bringe ihn sonst um.“
So außer sich hatte Farid seinen Kommandeur noch nie gesehen. Aber wie sehr er auch in ihn drang, er bekam nichts anderes zu hören, als „Ich bringe ihn um“.
Plötzlich erhob sich Samandjaja, sein Gesicht verwandelte sich in eine leblose Maske. „Nein, ich habe kein Fieber. Es geht mir gut. Ich werde mit dem Jeep in die Stadt zurückfahren. Du kommst heute auch ohne mich zurecht.“
Farid zuckte mit den Schultern. Samandjaja musste wissen, was er tat. „Wirst du auch Hartini sehen?“, fragte er vorsichtig. Er atmete erleichtert auf, als sein Freund nickte. Hartini war eine kluge Frau. Sie würde Samandjaja sicherlich wieder zur Vernunft bringen.
In schneller Fahrt raste der Jeep die Straße zur Stadt hinunter. Die Soldaten schwiegen. Ab und zu warfen sie einen scheuen Blick auf den Kommandeur, der eine Zigarette nach der anderen rauchte. Als der Wagen die Stadtgrenze erreichte, fuhr er langsamer. Der Straßenbelag war von Geschossen aufgerissen. Die Betjakfahrer mussten auf der holprigen Straße kräftig in die Pedalen treten. Die dreirädrigen Karren hatten viel von ihrem bunten Glanz der Vorkriegszeit verloren. Wo sich einst chinesische Geschäftsleute oder holländische Kolonialbeamte gerekelt hatten, saßen jetzt auf zerschlissenen Sitzen müde Soldaten und ängstlich dreinblickende Frauen. Überfüllte Straßenbahnen fuhren quietschend auf verrosteten Gleisen. Menschenansammlungen verstopften die Straßen. Am Juliana-Boulevard stieg Samandjaja aus und ging wie ein Traumwandler auf ein großes altersgraues Gebäude zu, in dem früher die Redaktion der holländischen Zeitung „De Indische Courant“ untergebracht war. Jetzt diente es als Krankenhaus.
Samandjaja schritt durch lange Gänge. Überall lagen Menschen auf Tragen, auf Bambusmatten oder auf dem nackten Fußboden. Ein ekelerregender Geruch von schwitzenden Leibern, schwärenden Wunden und Desinfektionsmitteln erschwerte das Atmen.
Hartini war gerade dabei, einem Jungen von etwa zehn Jahren handtellergroße Brandwunden an den Schenkeln zu verbinden. Sein Wimmern und Schreien zerrte an Samandjajas Nerven. Er sagte Hartini, dass er auf der Straße auf sie warten wolle. Der verzweifelte Ton in seiner Stimme ließ die Frau aufhorchen. Bei der Begrüßung hatte sie ihm nur flüchtig zugenickt. Ihre müden Augen unterschieden keine Gesichter mehr. Sie wandte sich ihm zu und erschrak bei seinem Anblick. „Ich bin gleich fertig“, sagte sie, „geh schon in mein Zimmer und warte dort auf mich.“
Samandjaja wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Hartini endlich in das Zimmer trat.
„Was ist geschehen?“, fragte sie unruhig.
Er sah sie wortlos an. Der rasende Schmerz in den Schläfen ließ nach. Schon die Nähe dieser Frau beruhigte ihn. Immer wieder staunte er, wie sie es fertigbrachte, Tag für Tag in einer Hölle von Angst, Schmerz und Tod zu leben und ihr Lächeln und ihren leichten Schritt nicht zu verlieren. In dieser zarten Frau wohnte eine Kraft, um die sie viele Männer beneiden konnten. War sie stärker als er?
„Nun, was ist?“, wiederholte Hartini und setzte sich neben Samandjaja auf die schmale Pritsche.
Ihre körperliche Nähe verwirrte ihn. Er sprang auf und lief wie ein gefangenes Tier durch den Raum. „Vastenhouw ist da“, stieß er hervor.
Hartini sah ihn verständnislos an, dachte angestrengt nach. „Vastenhouw“, murmelte sie, „Vastenhouw, war das nicht euer Ausbilder auf dem Schiff?“
Samandjaja nickte grimmig. „Derselbe. Zwölf Jahre hat mich sein Bild verfolgt – im Gefängnis, auf der Kautschukplantage, im Bergwerk, wo ich auch immer war. Wenn das Grauen des Tages schwand, begann das Grauen der Nacht. Ich wachte auf, schreiend und in Schweiß gebadet. Tausendmal und mehr schwor ich mir, diesen Mann mit bloßen Händen zu erwürgen, wenn er mir einmal begegnen sollte. Und heute …“ Samandjaja versagte die Stimme, er setzte sich wieder und schluckte krampfig.
Hartini strich ihm beruhigend über das kurz geschnittene Haar und sagte: „Sprich weiter. Was war heute?“
Die Stimme des Mannes war nur noch ein heiseres Flüstern. „Dieser Mann ist in meiner Gewalt, seit heute. Und ich bin für seine Sicherheit verantwortlich. Als ich ihn sah, wollte ich ihn erwürgen. Dass ich dazu nicht fähig gewesen bin, macht mich wahnsinnig. Zwölf Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet, um Halim zu rächen und mich von meinen Albträumen zu befreien. Und da verließ mich plötzlich alle Kraft. In mir war nur noch Ekel, grenzenloser Ekel vor diesem Kerl und vor mir selbst. Ich hätte ihn töten müssen. Ein Feigling bin ich, ein jämmerlicher Feigling!“, stieß Samandjaja hervor und schlug die Hände vors Gesicht.
Von draußen drang der monotone Gesang eines Sterbenden ins Zimmer. Es klang wie das Weinen eines Kindes, das seinen Kummer mit in den Schlaf hinübernimmt.
Hartini erhob sich und sah nachdenklich auf Samandjaja herab. „Du hast mir nicht viel erzählt von jenen Tagen auf dem Schiff. Jetzt ist die beste Gelegenheit, davon zu sprechen. Du schleppst eine Last mit dir herum, die du nicht länger allein tragen kannst. Sie wird dich erdrücken. Die anderen haben ein Recht zu erfahren, was damals geschehen ist. Und du wirst dich besser begreifen und wieder leben können.“
Samandjaja schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, Tini. Es sind zwölf Jahre her, aber ich erlebe alles immer wieder, als wäre es erst gestern gewesen. Das Entsetzen macht mich sprachlos. Seit ich diesen Vastenhouw gesehen habe, denke ich nur noch an den Tod. Und ich fühle mich sterbensmatt.“
„Hör auf!“, sagte die Frau hart. „Was soll das Geschwätz? Du musst an das Leben denken wie wir alle, die wir vom Tod umgeben und ständig von ihm bedroht sind. Du hast überlebt, du bist den Toten schuldig, dass man von ihnen erfährt, und den Lebenden, dass sie wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. Denk an die Jungen, für die du verantwortlich bist. Ihnen beizubringen, wie man Menschen erschlägt, ersticht oder erschießt, reicht nicht aus. Ihnen zu sagen, das alles diene der Unabhängigkeit, genügt auch nicht. Was ist das schon? Ein Wort, nichts als ein Wort, ein Schlachtruf, herausgebrüllt in jugendlicher Begeisterung. Sie werden töten und sterben, und wehe uns, wenn sie sich in ihrer Todesstunde fragen: Wozu das alles? Diese Schuld wird bedrückender sein als dein Entsetzen. Was wissen deine Jungen von den Träumen und Hoffnungen, dem Schrecken und der Verzweiflung unserer Vergangenheit? Woher sollen sie es wissen, wenn du es ihnen nicht sagst? Sprich zu ihnen. Das wird dir und ihnen helfen.“
Hartini war in Erregung geraten, ihre Wangen brannten. Samandjaja schaute sie selbstvergessen an. Wie sie so dastand, den Kopf mit dem dicken Haarknoten leicht gesenkt, die Augen fordernd auf ihn gerichtet, umstrahlt von den Lichtbündeln, die durch die Jalousien in den dämmrigen Raum fielen, war sie so unwirklich schön, dass Samandjaja aufstöhnte. Er erhob sich, griff nach ihren Händen und sagte beschämt: „Du hast recht, Hartini.“
Josef, sein Kampfgefährte in Blitar, kam ihm in den Sinn. Er war katholisch gewesen, ein heiterer, immer ausgeglichener Junge. Als ihm eine japanische Kugel den Bauch aufriss und er qualvoll starb, verließ ihn sein Lächeln bis zum Ende nicht. Nicht weinen, hatte er gesagt, ich sterbe reinen Gewissens und mit ruhigem Herzen. Durch ihn wusste Samandjaja von dem seltsamen religiösen Brauch der Beichte. Jeder Mensch braucht jemanden, zu dem er sprechen kann und der ihm zuhört, ob er sich Katholik, Mohammedaner oder Atheist nennt, hatte Josef ihm erklärt. Hartini meinte etwas Ähnliches. „Eine Bitte noch, Tini“, sagte Samandjaja und gab ihre Hände frei. „Ich werde es versuchen, wenn du unter den Zuhörern bist, sonst halte ich den Jungen nur eine patriotische Rede. Du wirst mir helfen, die ganze Wahrheit zu sagen.“
„Gut.“ Hartini lächelte. „In dieser Woche habe ich nachts frei. Ich werde heute zu euch kommen, sobald ich mit dem Dienst fertig bin.“
Samandjaja sah sie dankbar an. Mit einer ungestümen Bewegung zog er die Frau an sich, für den Bruchteil einer Sekunde waren sich ihre Augen ganz nah. Er spürte ihren weichen, biegsamen Körper, ihren schnellen Atem. Eine Woge von Lust stieg in ihm auf.
Hartini schob ihn sanft von sich. „Nicht jetzt und nicht heute.“ Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn leicht auf den Mund.
Samandjaja taumelte in die Hitze des Nachmittags hinaus. Nicht jetzt und nicht heute, hatte sie gesagt. Das hieß soviel wie: Es wird sein. Unfassbar, Hartini! Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, liebte er sie. Aber sie war Halims Freundin gewesen und Halim sein bester Freund. Ihm blieb nur die Rolle des treuen Bruders Lakshmana. All die Jahre an Bord der „Zeven Provi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Impressum
  2. 1. Kapitel
  3. 2. Kapitel
  4. 3. Kapitel
  5. 4. Kapitel
  6. 5. Kapitel
  7. 6. Kapitel
  8. 7. Kapitel
  9. 8. Kapitel
  10. 9. Kapitel
  11. 10. Kapitel
  12. 11. Kapitel
  13. 12. Kapitel
  14. 13. Kapitel
  15. Nachwort
  16. Sigrid Grabner
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