Glaube, Wissenschaft, Sprache
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Glaube, Wissenschaft, Sprache

Eine diachronische Studie zur protestantisch-theologischen Fachsprache im 20. Jahrhundert

  1. 369 Seiten
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Glaube, Wissenschaft, Sprache

Eine diachronische Studie zur protestantisch-theologischen Fachsprache im 20. Jahrhundert

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Über dieses Buch

Zur Fachsprache der protestantischen Theologie liegen nur wenige wissenschaftliche Studien vor. Diesem Mangel soll mit der vorliegenden Publikation begegnet werden, indem ein Überblick über Haupttendenzen der protestantisch-theologischen Fachsprache vom 19. bis 21. Jahrhundert aus germanistisch-linguistischer Perspektive präsentiert wird.

Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Rolle rein sprachliche Elemente bei der Vermittlung theologischer Diskurse spielen. Eine zentrale Rolle spielt das Phänomen einer über das Inhaltliche hinausgehenden sprachgestalterischen Komponente, die für die theologische Fachsprache wesentlich ist. Ermittelt wird in der Untersuchung, ob die protestantisch-theologische Wissenschaftssprache besonders anfällig für ideologische Entstellung und inhaltliche Vagheit ist und inwieweit die in politisch-historischen Kontexten variierenden fachbegrifflichen Konnotationen der Vereinnahmung durch externe Einflüsse ausgesetzt waren und sind.

Die Monografie leistet einen Beitrag zur germanistischen Fachsprachenforschung im Bereich der Humanwissenschaften, ist aber auch für Theologen im Hinblick auf die linguistische Seite ihrer Wissenschaftssprache von Interesse.

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Information

Jahr
2022
ISBN
9783110770322

1Einleitung

Die Fachsprachenforschung ist nicht nur in der germanistischen Linguistik eine mittlerweile weit gefächerte und relevante Disziplin. Es gibt zahllose wissenschaftliche Monographien und Artikel zu verschiedensten Themenstellungen dieses Forschungsbereiches. Insbesondere im Hinblick auf die Natur- und Technikwissenschaften spielen Erkenntnisse zu fachsprachlichen Strukturen und Terminologie, deren letztere mittlerweile einen eigenen Wissenschaftszweig darstellt, eine wesentliche Rolle für die Optimierung der jeweiligen Fachkommunikationen, nicht zuletzt auch im Bereich der Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaften. Auch im Bereich der Geisteswissenschaften ist die Analyse der Fachsprachen ein relevantes Forschungsgebiet, das sich zunehmender Aufmerksamkeit erfreut.
Die protestantische Theologie als institutionalisierte Universitätswissenschaft gehört keinem der Bereiche eindeutig an, lässt sich aber aufgrund ihrer Inhalte und Forschungsmethoden am ehesten den Humanwissenschaften im weitesten Sinne zuordnen, wo Grenzwissenschaften zu ihren Subdisziplinen angesiedelt sind, wie etwa die Geschichtswissenschaft, die mit der Kirchengeschichte eng verknüpft ist. Ebenso sind die exegetischen Wissenschaften (Altes und Neues Testament) mit den altsprachlichen Philologien verschwistert, und schließlich ist die systematische Theologie unmittelbar mit der Philosophie verbunden. Zur Fachsprache und wissenschaftlichen Terminologie der theologischen Disziplinen, insbesondere der Systematik und Dogmatik, liegen jedoch, abgesehen von einzelnen Artikeln, nur äußerst wenige wissenschaftliche Studien vor. Diesem Mangel soll mit dem vorliegenden Buch begegnet werden, indem ein gründlicher Überblick über Haupttendenzen der protestantisch-theologischen Fachsprache vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts präsentiert wird.
Das Phänomen einer über eine sachlich-neutrale Darstellung des Inhaltlichen hinausgehenden sprachgestalterischen Komponente spielt für die theologische Fachsprache eine entscheidende Rolle. Daher drängt sich die Frage auf, ob diese durch ihre spezifische Gestalt als eine Art Hybridsprache aus appellativen, deklarativen und auch spekulativen Elementen besonders anfällig für ideologische Entstellung und inhaltliche Vagheit ist und damit die in politisch-historischen Kontexten variierenden Konnotationen der Fachbegriffe leichter der Vereinnahmung durch außerfachliche Diskurse anheimfallen lässt. Dies soll anhand eines historischen Überblicks über sprachliche Besonderheiten bei repräsentativen theologischen Autoren und in vorherrschenden wissenschaftlichen Strömungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts untersucht werden. Es gilt, die Hypothese zu überprüfen, ob es nicht zuletzt auch sprachliche, d. h. lexikalische, semantische, stilistische und pragmatische Operationen sind, die bewusst oder unbewusst zu neuen Sichtweisen auf vermeintlich unumstößliche und über Jahrtausende überlieferte religiöse Botschaften führen. Zur Methodik sei angemerkt, dass es sich als ergiebig und zielführend erwiesen hat, die jeweiligen epochenspezifischen Charakteristika der theologischen Fachsprache anhand besonders bedeutender, Schule bildender oder zeittypischer Wissenschaftspersönlichkeiten zu exemplifizieren und zu veranschaulichen und auf dieser Grundlage Schlussfolgerungen im Hinblick auf allgemein vorherrschende Tendenzen zu ziehen.
In Kapitel 2 bildet zunächst eine Übersicht über Merkmale der protestantisch-theologischen Fachsprache im Allgemeinen und ihre Darstellung in der Fachsprachenforschung den Auftakt. Die acht Hauptkapitel (3‒10) befassen sich mit der Fachsprache einschlägiger, für die jeweilige Epoche prägender Theologen und theologischer Schulen.
Als prägende Gestalt der protestantischen Theologie der wilhelminischen Epoche und des ausgehenden Kaiserreiches wird zunächst in Kapitel 3 die Sprache des von Maximilian Harden als „Hofdogmenlehrer“ bezeichneten Adolf von Harnack untersucht (vgl. Bruch 2006: 89), der neben weiteren Theologen wie Adolf Schlatter oder Gustav Adolf Deissmann insofern nicht zufällig im Mittelpunkt des Interesses steht, als sein Schüler Karl Barth als Hauptrepräsentant der ‚Theologie der Krisis‘ sich später auch sprachlich radikal von Ersterem loszusagen bestrebt ist. Ausgehend von der liberalkonservativen Theologie des späten 19. Jahrhunderts und ihrer Sprache der bürgerlichen Selbstgenügsamkeit wird in Kapitel 4 ein Bogen zu eben dieser auch in linguistischer Hinsicht einschneidenden, durch den Schweizer Theologen Karl Barth ausgelösten Wende der ‚Theologie der Krisis‘ geschlagen. Neben Barths Sprachrevolution steht im Mittelpunkt des Kapitels ferner die Fachsprache weiterer Protagonisten der ‚Dialektischen Theologie‘ wie Emil Brunner und Eduard Thurneysen.
Anhand signifikanter Textauszüge soll im Anschluss daran in Kapitel 5 die Sprachentwicklung führender Theologen, die während der NS-Herrschaft forschten und lehrten, beleuchtet werden, darunter Gerhard Kittel, Paul Althaus, Emanuel Hirsch, Friedrich Gogarten und andere. Im Kontext der Totalisierung, Ideologisierung und Brutalisierung der Sprache durch die nationalsozialistische Propaganda und Sprachlenkung stellt zweifellos die protestantisch-theologische Fachsprache einen besonderen Fall dar. Im Bereich der akademisch-theologischen Wissenschaftssprache erscheint eine linguistische Analyse im Hinblick auf deren Aufnahmebereitschaft gegenüber der nationalsozialistischen Ideologiesprache aufschlussreich, zumal umgekehrt die Sprache der Religion und der Theologie in ihren unterschiedlichen theoretischen oder kirchenpraktischen Erscheinungsformen per se einen dogmatisch-missionarischen oder auch autoritativ-propagandistischen Charakter hat und somit in der Wahl der sprachlichen Mittel immer wieder als Vorbild für den Jargon totalitärer politischer Ideologien dient. Wenn die christlich-protestantische Verkündigung jedoch auf Werten wie Toleranz, Nächstenliebe, Brüderlichkeit, Menschlichkeit und dem Primat eines individuellen Gewissens beruht, drängt sich die Frage auf, wie sich der sprachliche Ausdruck solcher essenzieller Wertvorstellungen mit dem Vokabular der Unterordnung, der bedingungslosen Gefolgschaft und des Gehorsams vereinbaren lässt und wie sich die protestantische Predigtsprache und die theologische Fachsprache allgemein im Kontext autoritärer politisch-gesellschaftlicher Systeme und deren invasiven Sprachpolitik entwickeln.
Kapitel 6 widmet sich dagegen der Fachsprache des theologischen Widerstands zwischen 1933 und 1945; hier stehen insbesondere die Stimmen von Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller im Vordergrund. Im darauffolgenden Kapitel 7 werden sprachliche Kontinuitäten und Neuorientierungen in der Nachkriegstheologie in der Bundesrepublik Deutschland betrachtet, sowohl im Hinblick auf Publikationen bereits vor 1945 aktiver Theologen als auch auf Schriften jüngerer Theologen wie Gerhard Ebeling und Helmut Thielicke.
Kapitel 8 widmet sich der theologischen Fachsprache in der Bundesrepublik des Nachkriegswiederaufbaus und in der Zeit der sich in der protestantischen Theologie besonders vehement manifestierenden progressiv-reformistischen Tendenzen der 68er-Bewegung, in deren Umfeld auch die wissenschaftliche Theologie in den Sog einer gesellschaftspolitisch engagierten Aufbruchstimmung und eines auch in der Fachsprache sich manifestierenden Traditionsbruches gerät. Hier stehen u. a. die Namen Dorothee Sölle, Helmut Gollwitzer und Wolfhart Pannenberg im Mittelpunkt. Kapitel 9 wirft ein Licht auf die protestantisch-theologische Fachsprache in der offiziell atheistischen, kirchen- und religionsfeindlichen DDR, die die universitäre Theologie zu einem weitgehenden Nischendasein unter ideologischem Anpassungsdruck zwang. Das Schlusskapitel 10 widmet sich aktuellen Entwicklungen in der theologischen Fachsprache im wiedervereinigten Deutschland der 90er Jahre und des beginnenden 21. Jahrhunderts und beleuchtet Neuausrichtungen der protestantischen theologischen Wissenschaftslandschaft in einem gesamtdeutschen, politisch-ideologisch weniger akzentuierten, administrativ und personell professionell durchorganisierten akademischen Lehr- und Publikationsbetrieb.
Es handelt sich bei der vorliegenden Studie ausdrücklich um keine theologische Abhandlung, sondern um eine sprachwissenschaftliche Betrachtung der Fachsprache(n) der protestantischen, vorwiegend lutherischen, aber auch reformierten Theologie. Da Sprache und Inhalt nicht immer klar voneinander zu trennen sind, bleibt es nicht aus, dass hier und da Reflexionen zu theologischen Problemstellungen zur Sprache kommen, die jedoch grundsätzlich im Dienst einer linguistischen Fachsprachenanalyse stehen.

2 Die Fachsprache der protestantischen Theologie

In der germanistischen Fachsprachenforschung ist die Fachsprache der Theologie(n) bislang wenig erforscht worden. Allgemeine Einführungen in die Fachsprachenforschung wie die von Fluck (1996) oder Roelcke (1999) widmen sich ihr kaum. Einige Gemeinsamkeiten mit der theologischen Fachsprache lassen sich in einzelnen Aspekten der Ausführungen Hans-Rüdiger Flucks zur politischen Fachsprache erkennen:
[...] ein Redner [...] muß versuchen, seine Vorstellungen und Meinungen als die richtigen, einzig gültigen darzulegen. Dazu bedient er sich der Mittel der Rhetorik: er spielt mit verschiedenen Bedeutungen [...], benutzt Wörter, deren Bedeutung inhaltlich unbestimmt oder vage ist [...], gebraucht appellative Wendungen [...]. Die Information der einen Seite wird der anderen zur Propaganda [...]. In jedem Fall aber ist diese politische Sprache auf die Zustimmung der öffentlichen Meinung gerichtet; sie soll beeinflußt, soll für die eigenen Ansichten und Ziele erhalten oder neu gewonnen werden.
(Fluck 1996: 79)
Flucks Beschreibung trifft in Teilen auch auf den auf Persuasion abzielenden Charakter der theologischen Praxissprache zu, insbesondere auf den der Sprache der Predigt und Verkündigung. Gemeinsamkeiten mit der bei Fluck umrissenen Charakteristik der politischen (Fach)sprache beruhen in erster Linie auf der hervorgehobenen Rolle der Rhetorik, auf der appellativen und persuasiven Kommunikationsfunktion und schließlich auf der manipulativen Tendenz der Sprachverwendung. Dabei ist auch hier wie bei anderen Fachsprachen eine vertikale Schichtung vorauszusetzen, in der die Sprache der wissenschaftlichen Theologie auf der obersten Ebene angesiedelt ist, auf der mittleren, berufssprachlichen Ebene die Sprache der praktischen Berufsausübung, wie sie etwa in Predigerseminaren, Synoden, kirchenamtlichen Kontexten und insgesamt im Bereich der praktischen Theologie verwendet wird; auf der untersten Ebene, die etwa dem Arzt-Patienten-Diskurs in der medizinischen Fachsprache entspricht, ist schließlich der Bereich der Homiletik und Predigt, der individuellen Seelsorge, des Religionsunterrichts und der Mission zu verorten. Die wissenschaftliche Sprachebene ist Prinzipien wie Objektivität, Überprüfbarkeit, logischer Argumentation verpflichtet; die homiletische Fachsprachenebene dient in viel stärkerem Maße der auch mit rhetorischen Mitteln erzielten Beeinflussung, der Überzeugung, ‚Erhaltung‘ (Bestätigung der Glaubensgewissheit) und im günstigen Fall der ‚Gewinnung‘ (Bekehrung). Die theologische Predigtsprache unterscheidet sich aber insofern sehr deutlich von der politischen Rhetorik, als sie auf einer konstanten Bezugnahme einerseits auf religiöse Texte (Bibel, Kirchenväter, Katechismus u. a.), andererseits auf Erkenntnisse der wissenschaftlichen, universitären und institutionalisierten Theologie beruht, während die politisch-rhetorische Sprache sich vorwiegend von Wahlkampfdynamiken, parteipolitischen Taktiken und im besten Falle Parteiprogrammen leiten lassen muss. Die theologische Wissenschaftssprache steht allerdings ihrerseits in einem entscheidenden Aspekt zu anderen wissenschaftlichen Fachsprachen im Kontrast, insofern sie nicht hinter die Prämisse der christlichen Glaubenswahrheiten zurückgehen kann. Somit enthält sie, je nach theologischer Subdisziplin in unterschiedlichem Maße, jeweils einen spekulativen, nicht objektivierbaren Anteil.
In Stolzes Unterteilung der Fachwissenschaften in nomothetische Natur- und Technikwissenschaften und hermeneutische Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wird die theologische Wissenschaft nicht erwähnt, müsste aber eine Grenzstellung zwischen Sozial- und Geisteswissenschaften einnehmen, zumal sie religionswissenschaftliche, historische, sprachwissenschaftliche, philosophische, sozialwissenschaftliche, sozialtherapeutische und andere Bereiche umfasst (vgl. Stolze 2009). Die Hybridstellung der theologischen Wissenschaft ist insofern für die vorliegende Untersuchung bedeutsam, als sie sich in ihrer Fachsprache widerspiegelt. Roelcke geht in seinem Standardwerk zu Fachsprachen explizit auf die theologische Fachsprache ein und verweist in diesem Zusammenhang auf die immense Bedeutung Martin Luthers:
Im Bereich von Sprache in Religion und Theologie ist hier vor allem Martin Luther [...] zu nennen, dessen Bibelübersetzung die deutsche Kulturgeschichte bis in die Gegenwart hinein prägt und neben anderem als Grundlage der deutschen Literatursprache angesehen werden kann.
(Roelcke 1999: 174)
Hinsichtlich der heutigen theologischen Wissenschaft und Berufspraxis belässt Roelcke es beim Hinweis auf die kulturgeschichtliche Relevanz der Lutherschen Bibelübersetzung. Zweifelsohne ist die sprachschöpferische Wucht der Lutherbibel insbesondere für die protestantische theologische Fachsprache nicht ohne Bedeutung, da der Wortlaut der Lutherbibel als Primärquelle in Forschung und Predigt traditionell eine hervorgehobene Rolle spielt. Heute wird diese jedoch von Neubearbeitungen und moderneren Bibelübersetzungen zunehmend überlagert und abgelöst. Roelcke konstatiert in seinem historischen Überblick über die deutschen Fachsprachen zudem, dass sich die Säkularisierung der Wissenschaften bis ins 18. Jahrhundert „in der zunehmenden Unabhängigkeit akademischer Lehrbereiche von Theologie und Kirche“ gezeigt habe. Die Philosophie habe sich im 18. Jahrhundert durch Gründung eigener Fakultäten gegenüber der Theologie emanzipiert, und die naturkundlichen Fächer hätten „die Aufgabe einer allgemeinen Welterklärung“ übernommen (Roelcke 1999: 180). Die exakten Naturwissenschaften und die Philosophie trennen sich in der Epoche der Aufklärung von der Theologie und bilden Fachsprachen mit exakten Terminologien aus. Sobald die Naturwissenschaften den Part der empirischen Weltbeschreibung und kausal-deduktiven Welterklärung übernehmen, verliert die Theologie in ihrem Selbstverständnis jedoch sicher nicht ihren ‚Welterklärungsanspruch‘; sie schränkt lediglich ihren Kompetenzbereich auf die schriftliche religiöse Überlieferung ein, ohne die Welt der sinnlichen Wahrnehmung unmittelbar als theologische Kategorie heranzuziehen, wie es bis ins 18. Jahrhundert bis hin zu Gottesbeweisen noch durchaus üblich war.
Lediglich im Fachsprachenhandbuch von Hoffmann, Kalverkämper und Wiegand (1999) findet sich ein kurzes eigenständiges Kapitel von Norbert Müller zur Spezifik der theologischen Fachsprache, in dem er einige essenzielle Merkmale nennt, die den besonderen Charakter der theologischen Wissenschaftsfachsprache ausmachen. Zunächst weist Müller darauf hin, dass die Bezeichnung „Theologie“ im Grunde nicht mehr dem Selbstverständnis der modernen theologischen Wissenschaft entspreche, da diese sich nicht (mehr) als ‚Wissenschaft von Gott‘, sondern vielmehr als Glaubenswissenschaft definiere (Müller 1997: 1304‒1313).
In der vorliegenden Untersuchung liegt das Hauptaugenmerk auf der Fachsprache der systematischen Theologie, da diese als Kernbereich der theologischen Selbstverortung, auch in Auseinandersetzung mit der Philosophie, eine zentrale Rolle für die fachsprachliche Begrifflichkeit und Terminologie spielt. Dabei wird ebenfalls die exegetische, insbesondere die neutestamentliche Theologie berücksichtigt, insofern sie als Grundlagenwissenschaft für die dogmatische Reflexion anzusehen ist. Die historische Theologie und die praktische Theologie spielen für die Untersuchung der eigentlichen theologischen Fachsprache eine geringere Rolle, da die Begrifflichkeit der ersteren stark von den benachbarten Geschichtswissenschaften geprägt ist, während die praktische Theologie sich aus zahlreichen Teildisziplinen wie Homiletik, Liturgik, Poimenik, Religionspädagogik, Sozial- und Pastoralpsychologie und anderen Grenzwissenschaften zusammensetzt, so dass es hier schwer möglich ist, von einer übergreifenden Fachsprache zu sprechen.
Müller unterscheidet bei der theologischen Fachsprache, die er in der Nähe der „im Deutschen [...] jeweils aktuelle[n] hochsprachlichen Fassung der Umgangssprache“ ansiedelt, zwei Schichten: „die Sprache des Glaubens, wie sie sich im Deutschen besonders unter dem Einfluß der Reformation, d. h. seit dem 16. Jahrhundert ausgebildet hat“, und „die eigentliche Fachterminologie, die z. T. auch auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Ursprünge zurückgeführt werden kann [...]. Sie umfasst objekt-, wie auch metasprachliche Elemente“. Letztere unterteilt Müller wiederum in einen „Grundbestand traditioneller theologischer Begriffe oder Aussagen“ und „das dem wissenschaftsgeschichtlichen Wandel unterworfene Instrumentarium aktualisierender oder kritischer Theorien“ (1997: 1305). In Müllers Analyse der Schichten der theologischen Fachsprache klingt das Merkmal der lexikalischen und strukturellen Hybridität dieser Fachsprache deutlich an, in der sich sachbezogene Wissenschaftsterminologie mit Wortschatz, Syntax und Phraseologie historischer Quellen des christlichen Glaubens vermengen. Hinzu kommt eine in der theologischen Fachliteratur besonders zentrale Rolle der individuellen Subjektivität des jeweiligen Forschers: „Streng genommen entsteht so durch jeden theologischen Autor eine neue, individuelle Variante der Fachsprache“ (Müller 1997: 1308). Müllers Hypothese impliziert, dass der persönliche Stil der einzelnen theologischen Fachautoren einen generalisierbaren Fachsprachenstil dominiere, so dass die Werke theologischer Wissenschaftler in sprachlicher Hinsicht eher wie literarische Individualstile zu betrachten seien. Das trifft insofern zu, als, ähnlich den Geisteswissenschaften, keine normierte oder verbindliche Terminologie wie in den nomothetischen Wissenschaften existiert. Das heißt, dass Inhaltswörter, bis hin zu Schlüsselbegriffen und zentralen Glaubenskonzepten, perspektivisch immer neu definiert werden und der persönlichen Sicht des einzelnen Autors angepasst werden können. Umgekehrt werden, besonders i...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Open-Access-Transformation in der Linguistik
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Die Fachsprache der protestantischen Theologie
  7. 3 Verwahrer und Vermittler – die Sprache der protestantischen Theologie im ausgehenden Kaiserreich
  8. 4 Erbitterte und Ergriffene − die Fachsprache der protestantischen Theologie zwischen Erstem Weltkrieg und Machtergreifung
  9. 5 Höflinge und Hetzer − die Fachsprache der protestantischen Theologie unter der nationalsozialistischen Diktatur
  10. 6 Widerstand und Widerspruch ‒ die Sprache der protestantischen Theologie der Auflehnung und der Opposition
  11. 7 Belastete und Besorgte – die Sprache der protestantischen Theologie der Nachkriegszeit
  12. 8 Entrüstete und Ernüchterte − die Sprache der protestantischen Theologie in der BRD zwischen Traditionsbruch und Politisierung
  13. 9 Opportunismus, Opposition und Observierung ‒ die Sprache der protestantischen Theologie in der DDR
  14. 10 Apologeten und Apostaten ‒ die Sprache der protestantischen Theologie um die Jahrtausendwende
  15. 11 Schlussbetrachtung
  16. Register