Die Macht des Definierens
Eine diskurslinguistische Typologie am Beispiel des Burnout-PhÀnomens
- 614 Seiten
- German
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Die Macht des Definierens
Eine diskurslinguistische Typologie am Beispiel des Burnout-PhÀnomens
Ăber dieses Buch
Wo verlĂ€uft die Grenze zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit, und wie wird diese im öffentlichen und fachlichen Diskurs ausgehandelt und definiert? Die vorliegende Arbeit untersucht am Beispiel des Burnout-Diskurses, mit welchen Sprachgebrauchsformen und kommunikativen Praktiken in Fach-, Medien- und Vermittlungstexten ein spezifikationsbedĂŒrftiges PhĂ€nomen des Bereichs psychischer Gesundheit und Krankheit definiert wird. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Macht diskursiver Praktiken des Definierens und die These, dass sich diese Praktiken nicht nur punktuell in bewussten Definitionshandlungen einzelner Textautor/-innen zeigen, sondern dass Definieren in einem Diskurs auch als teilweise unbewusster, ĂŒberindividueller, transtextueller Prozess begriffen und analysiert werden muss. Die Exemplifizierung dieser These mĂŒndet in ein 11-Punkte-Modell der diskursiven Praxis des Definierens. Durch den diskurslinguistisch-praxeologischen Ansatz eröffnet die Arbeit neue Perspektiven fĂŒr die linguistische Terminologie- und Definitionsforschung.
HĂ€ufig gestellte Fragen
Information
1 EinfĂŒhrung
1.1 Problemaufriss
Es gilt, ĂŒber Dinge nachzudenken, die nicht nur den Arzt in seiner Berufsbildung und in seinen Berufsinteressen angehen, sondern die jeden mitbetreffen. Wer kennt nicht die ersten bestĂŒrzenden Erfahrungen im erwachenden Kindesalter? Da wird man plötzlich fĂŒr krank erklĂ€rt, unter der AutoritĂ€t der Eltern, und darf am Morgen nicht aufstehen. Im spĂ€teren Leben hĂ€ufen sich erst recht solche Erfahrungen, die deutlicher machen, daĂ das eigentlich Sonderbare nicht so sehr in der Krankheit liegt, als im Wunder der Gesundheit.
»Ich kann nicht mehr!«, sagt Bea, 14 Jahre alt. Sie kommt mit ihren Eltern in meine ÂSprechstunde und berichtet mit erstaunlich nĂŒchternen Worten, dass sie seit einem Jahr zunehmend mĂŒde ist. Sie fĂŒhlt sich bei der kleinsten Kleinigkeit angestrengt, erschöpft, ist danach niedergeschlagen und oft grundlos traurig. Seit Monaten hat sie keinen Appetit mehr, an Durchschlafen ist nicht zu denken. In der Schule kann sie nicht mehr aufpassen, von ihren Freundinnen hat sie sich zurĂŒckgezogen. Ihre Eltern sind hochgradig besorgt und ratlos.
- Mit welchen Sprachgebrauchsformen und Praktiken wird in Fach-, Medien- und Vermittlungstexten ein spezifikationsbedĂŒrftiges PhĂ€nomen im Bereich psychischer Gesundheit oder Krankheit nĂ€her bestimmt bzw. definiert? In welcher Weise unterscheiden oder Ă€hneln sich medizinische/psychologische und fachexterne AnsprĂŒche an die TĂ€tigkeit des Definierens und Mittel und Praktiken des Definierens?
- Mit welchen routinierten Sprachgebrauchsformen und Praktiken wird das zu spezifizierende PhĂ€nomen zwischen den Polen âșgesundâč und âșkrankâč verortet?
- In welcher Weise geben Formen an der SprachoberflĂ€che Aufschluss ĂŒber die âkulturellen, sozialen und familiĂ€ren Normen und Werte[n]â (Wittchen/Falkai/Stangier et al. 22018: 19), die bei der begrifflichen Fassung bzw. Definition von AuffĂ€lligkeiten im körperlichen oder psychischen Erleben und Verhalten eine Rolle spielen? Inwiefern könnten diese Erkenntnisse fĂŒr die psychologisch-psychiatrische Diagnostik interessant sein?
Psychische Störungen werden in enger Beziehung zu kulturellen, sozialen und familiĂ€ren Normen und Werten definiert. Kulturelle Aspekte bieten einen Interpretationsrahmen, der das Erleben und die AusprĂ€gung von Symptomen, Beschwerden und Verhaltensweisen formt, die wir als Kriterien fĂŒr Diagnosen verwenden. Kulturelle Aspekte werden innerhalb von Familien, aber auch innerhalb anderer sozialer Systeme und Institutionen weitergegeben, verĂ€ndert oder erschaffen. Eine diagnostische Beurteilung muss daher immer berĂŒcksichtigen, ob sich das Erleben, die Symptome und die Verhaltensweisen Betroffener von den jeweiligen soziokulturellen Normen unterscheiden und zu Schwierigkeiten fĂŒhren, sich an die herrschende Kultur anzupassen oder in einem spezifischen sozialen und familiĂ€ren Kontext zurechtzukommen. Kulturelle SchlĂŒsselaspekte wurden, sofern sie fĂŒr die diagnostische Klassifikation und Beurteilung relevant sind, im Entwicklungsprozess des DSM-5 berĂŒcksichtigt.7 [âŠ]
Die Grenze zwischen NormalitĂ€t und Pathologie variiert fĂŒr bestimmte Verhaltensweisen von Kultur zu Kultur. Es gibt ferner unterschiedliche Schwellen fĂŒr die Akzeptanz bzw. Toleranz spezifischer Symptome und Verhaltensweisen, die ebenfalls je nach Kultur, sozialer Bezugsgruppe oder familiĂ€rem Hintergrund variieren.(Wittchen/Falkai/Stangier et al. 22018: 19, Unterstreichungen T.S.)
Inhaltsverzeichnis
- Title Page
- Copyright
- Contents
- AbkĂŒrzungsverzeichnis
- 1âEinfĂŒhrung
- 2âErkenntnistheoretischer und sprachtheoretischer Rahmen
- 3âMedizinisch-psychologisches Wissen zwischen RealitĂ€t und (Sprach-)Zeichen
- 4âUntersuchungsmethode: Diskurs(macht) â Wissen â Definition
- 5âKorpora und Charakterisierung der Erscheinungsformen der Texte des Burnout-Diskurses
- 6âUntersuchung: Die Macht des Definierens im Bereich psychischer Gesundheit und Krankheit am Beispiel des Burnout-Diskurses
- 7âZusammenfassung der Ergebnisse: Analysemodell und Typologie der diskursiven Praxis des Definierens am Beispiel des Burnout-PhĂ€nomens
- 8âLiteratur und Korpora
- Anhang
- Sachregister