Covid-19: Sinn in der Krise
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Covid-19: Sinn in der Krise

Kulturwissenschaftliche Analysen der Corona-Pandemie

  1. 409 Seiten
  2. German
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Covid-19: Sinn in der Krise

Kulturwissenschaftliche Analysen der Corona-Pandemie

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Über dieses Buch

Die Covid-19-Pandemie stellt Gewohnheiten und Sinnzusammenhänge der alltäglichen Lebenswelt vielfältig in Frage. Ordnungen von Solidarität und Vulnerabilität, Körper und Raum, Alltag und Ausnahme, Wissen und Wahrheit, Geschichte und Erinnerung sowie das Verständnis von Krise selbst werden neu verhandelt. Das Buch versammelt Beiträge aus dem gesamten Spektrum der Kultur- und Sozialwissenschaften, um diese Krise zu deuten: ihre Besonderheit und Vergleichbarkeit, ihre Widersprüchlichkeit und Strukturiertheit.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110735505

Körper und Raum

Ansteckende Berührungen: Körper-Ordnungen in der Krise

Gabriele Klein
Katharina Liebsch
Seit März 2020 befindet sich die Welt in einem Ausnahmezustand. Es ist eine krisenhafte Situation, die sich verstetigt hat. Steigende Infektionszahlen, überforderte Gesundheitsämter, regional überlastete Krankenhäuser provozieren in Krisen-Zyklen – vor allem in den Ländern des globalen Nordens – weitere Lockdowns, die den Alltag der Menschen verändern und gesellschaftliche Abläufe ins Wanken bringen. Die pandemische Gegenwart wird in der medialen Öffentlichkeit und in wissenschaftlicher Forschung festgehalten, beschrieben, reflektiert und interpretiert. Dabei beschreiben die gesellschafts- und kulturtheoretischen Diskurse die Veränderungen und Auswirkungen des anhaltenden Ausnahmezustands als Wendepunkt, der nicht nur die gegenwärtige Normalität aussetzt, sondern auch Zukünftiges neu und anders ausrichten wird (Kortmann und Schulze 2020). Ein „Zurück zur alten Normalität“, so das Credo, werde es nicht mehr geben. Die Coronakrise wird demnach die global vernetzte Welt nachhaltig verändern.
Es ist ein zentraler Aspekt des sozialwissenschaftlichen Krisenbegriffs, dass einer gesellschaftlichen Krise ein radikales Veränderungspotenzial innewohnt (Habermas 1976). Soziologie, Sozialökonomie und Politische Wissenschaft verstehen Krisen in modernen Gesellschaften als wiederkehrende Phänomene und machen dafür die strukturelle und systemimmanente Krisenhaftigkeit kapitalistischer Gesellschaften verantwortlich. Für das 20. Jahrhundert tauchen – der zunehmenden globalen Vernetzung und der Verflechtung von Gesellschaft und Natur entsprechend – Krisen häufiger, beschleunigter, vehementer und auch global verbreitet auf: Natur- und Hungerkatastrophen, Legitimationskrisen politischer und gesellschaftlicher Institutionen in demokratischen und nicht-demokratischen Ländern, Arbeitsmarkt- und Finanzkrisen, Kulturkrisen, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Seuchen, Lebens- und Sinnkrisen wechseln sich in schneller Folge ab. Dementsprechend bezeichnet der sozialwissenschaftliche Begriff der Krise einerseits eine Phase der Gefährdung (von z. B. gesellschaftlichen Strukturen, Ordnungen, Funktionsgefügen oder Gemeinschaften), andererseits einen sich wiederholenden Prozess mit einer strukturell bedingten und z. T. vorhersehbaren Entwicklungsdynamik. Insofern findet Krise sowohl als diagnostischer als auch als prognostischer Begriff Verwendung. Krisen lassen sich „als Zäsur mit offenem Ausgang“ (Steg 2020, 431) fassen, als Resultat vorangegangener Ereignisse wie auch als Vorstadium zukünftiger Entwicklungen, als ein Interregnum, in dem „das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann“ (Gramsci 1991, 354).
In dieser Perspektive erscheint die Coronakrise als eine weitere Phase der Zuspitzung widersprüchlicher Strukturen sowie politischer und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse mit offenem Ausgang. Zugleich besteht die Besonderheit der Coronakrise in ihrer Tiefe und Breite. Sie ist global und betrifft alle Länder und Menschen. Sie lässt keinen gesellschaftlichen Bereich unberührt, verändert die Relevanz der einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme und richtet deren Verhältnis zueinander neu aus: Politik und Medizin treten in der Pandemiebekämpfung hervor, Sport, Kultur und Religion treten zurück. So vermutete der Soziologie Rudolf Stichweh bereits im April 2020, dass die Covid-19-Pandemie die Bedeutung der gesellschaftlichen Teilsysteme verändern wird und dass Politik und Gesundheit Gewinner, Sport und Religion hingegen Verlierer der Krise sein werden (Stichweh 2020a, 2020b). Zugleich bringen die Mechanismen der politischen Steuerung der Pandemie neue Erfahrungen mit sich. So haben beispielsweise Lockdown und Reiseeinschränkungen offenbart, wie Städte ohne überbordenden Straßen- und Luftverkehr aussehen und sich anfühlen oder wie irritierend die Bevölkerungsdichte im Stadtraum werden kann, wenn alle öffentlichen Einrichtungen, wie Kultur, Freizeit und Konsum, die einen urbanen Lebensstil garantieren, geschlossen sind. Auch ist die Coronakrise alltäglich und immer wieder neu spürbar, sie setzt Lebensstil- und Kommunikationsmuster aus bzw. unterbindet sie.
Bislang – und das vollzog sich bereits mit dem Durchbruch der Social Media zu Beginn des 21. Jahrhunderts – galt es als selbstverständlich, dass sich Nähe über anwesende Körper herstellt, dass Körpererfahrungen, ob in Alltag, Sport oder Tanz, für die Bildung von Identität und für das Entstehen von Vertrauen grundlegend sind, dass Versammlungen an einem realen Ort – bei Demonstrationen, Prozessionen, Volksfesten, Sportveranstaltungen oder privaten Feiern – wichtig sind, weil sie kollektive Verbundenheit erzeugen, und dass Kulturveranstaltungen, ob in Theatern, Opern, Kinos oder Konzertsälen, den Menschen helfen, ihr Dasein zu reflektieren und Sinn zu finden. In der Coronakrise aber erhalten die Körper einen neuen Status. Sie sind gefährdend und gefährdet. Sie sind Ausgangs- und Mittelpunkt der Krise und zugleich der Zielpunkt ihrer Bekämpfung: In Zeiten der Pandemie sind Körper Orte und Transmitter von sowohl Ansteckung als auch Bekämpfungspolitiken. Denn einerseits zeigt sich die Pandemie in den Körpern, die als Träger, Akteure und Objekte von Infektion in Erscheinung treten. Dabei werden sie weniger als Akteure mit einer Eigenlogik, einem Eigensinn gesehen, sondern vielmehr als Träger von Ansteckung. Als solche werden sie instrumentalisiert und objektiviert. Andererseits stehen die Körper im Mittelpunkt politischer Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie und das Social Distancing ist im Kern ein Physical Distancing (Klein und Liebsch 2020). Der Rückzug in den privaten Raum durch Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, häusliche Quarantäne und digitale Kommunikation, Mund-und-Nasen-Schutz, Hygienebestimmungen, räumlicher Abstand und Verzicht auf öffentliche Gesten der Berührung dämonisieren, marginalisieren und isolieren die Körper als Kommunikationsmedien. Mit dem Verlust der präsentischen körperlichen Kommunikation, dem zwischenleiblichen Interaktionsgeschehen gerät auch ein wesentlicher Aspekt der Interaktionsordnung, die Berührungsordnung, ins Wanken (Lindemann 2020). Sie ist es, über die Vertrauen, Sicherheit, Scham und Peinlichkeit, Trost und Zuwendung, aber auch Ekel und Hass hergestellt und beglaubigt werden.
Wie sich im Zuge der Coronakrise der für das Soziale konstitutive Sinn körperlicher Interaktionen verändert, will dieser Beitrag beschreiben. Wir zeigen, wie die Verstetigung von Maßnahmen des Social Distancing körperliche Routinen und habitualisierte Interaktionsformen außer Kraft setzt, die Körper und mit ihnen leibliche Erfahrungen in eine anhaltende Krise versetzt und die Berührungsordnung erodiert. Im Zuge der Verstetigung der Coronakrise etabliert sich, so die erste These des Beitrages, eine veränderte Interaktionsordnung und mit ihr eine neue körperliche Normalität. Es ist eine Normalität, die sich mit der Genese der digitalen Gesellschaft bereits angedeutet hat, nun aber für alle als Distanzierung(-sgebot) spürbar ist und die, so die zweite These, die Prozesse der Vergesellschaftung – die Art und Weise von Individualisierung und Kollektivierung – verändert.
Um zu zeigen, wie sich mit der Verstetigung dieser Körper-Krise die gesellschaftliche Bedeutung der Körper transformiert, entfalten wir unsere Thesen auf drei Ebenen: zunächst skizzieren wir körperphänomenologisch Veränderungen der Berührungsordnung auf der Mikroebene des Alltagshandelns (1), um dann deren Auswirkungen auf die Modi der Vergesellschaftung von Subjekten und ihren Körpern sozialtheoretisch zu reflektieren (2). Daran anknüpfend diskutieren wir abschließend sozial- und kulturwissenschaftliche Erklärungsansätze dieser krisenhaften Körper-Ordnung (3).

1 Berührungsordnung in der Krise

Die Coronakrise ist verbunden mit einer Engführung von sozialem Interaktionsgeschehen auf notwendige, kontrollierte und distanzierte Handlungsvollzüge, die dem Schutz dienen. Gesichtsverhüllung, Abstandsgebot und Quarantäne, eine radikale Form des Social Distancing, schaffen nicht nur körperliche Distanz. Sie verändern auch die interaktiven Praktiken des Berührens, Berührt-Werdens und des Berührt-Seins, wie sie in Mimik, Gestik, Körperhaltung und -bewegung zum Ausdruck kommen. Wenn Körper auf Distanz gehalten, Berührungen zur Bedrohung und gesundheitsgefährdende Ansteckungen zur möglichen Folge von Berührung werden, geraten Strukturen ins Wanken, die für Subjektivität von großer Bedeutung sind. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist Berührung fundamental für die Konstitution des Selbst, denn es ist der Körperkontakt, der den Kern von Erfahrungen ausmacht, die sich in die habituellen Dispositionen des Subjekts einschreiben und deren Grundlage bilden. Es sind, so formuliert es Carl-Eduard Scheidt,
letztlich die frühen Körpererfahrungen, die uns helfen, den Klang einer Stimme, den Rhythmus der Sprache, die Kontur einer Bewegung, einen Geruch oder einen Blick in Sekundenbruchteilen im Hinblick auf deren emotionale Bedeutung zu beurteilen.
(Scheidt 2020, 48)
Aus sinnesphysiologischer Sicht erfolgt Berührung über den dem Sehsinn kulturgeschichtlich untergeordneten, ja kolonisierten Tastsinn (Böhme 1996, 205). In der Berührung, so zeigt es der Phänomenologe Bernhard Waldenfels (2002, 64), verbinden sich das Taktile, das Haptische und das Gefühl. Berühren ist motorisch, sensori...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Covid-19‐Pandemie: Eine Einleitung
  5. Die Krise denken
  6. Solidarität und Vulnerabilität
  7. Körper und Raum
  8. Ideologie und Weltanschauung
  9. Alltag und Ausnahme
  10. Krise erinnern
  11. Register