Mensch und Tier in Reflexionen des Exils
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Mensch und Tier in Reflexionen des Exils

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Über dieses Buch

Im 20. Jahrhundert wird die Grenze zwischen Mensch und Tier, die Konzepte von Kultur und Gesellschaft wesentlich strukturiert, vielfach in Frage gestellt. Totalitäre Herrschaft, rassistische Ausgrenzung und Genozid ordnen Zugehörigkeiten neu. Die gewaltsame Neuordnung richtet sich nicht nur auf Völker und Nationen, sondern auch auf die Zugehörigkeit zur menschlichen Gemeinschaft. Die von den Akteuren verübte Gewalt wird daher als alle Grenzen des Humanen überschreitende wahrgenommen. Zugleich bilden viele Verfolgte auf der Flucht oder in der Fremde trostspendende Allianzen mit Tieren. Das komplexe Verhältnis fächert sich weiter auf und tendiert in die Extreme: Sowohl entschiedene Abgrenzung als auch grenzüberschreitende Solidarität kennzeichnen das multidimensionale Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Tier in Bedrohungssituationen. Der Band bringt erstmals Perspektiven der interdisziplinären Human-Animal-Studies in die Exilforschung ein. Die hier versammelten Beiträge gehen überwiegend auf Präsentationen bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung 2020 zurück. Sie reflektieren historische, filmische, literarische wie künstlerische Konstellationen von Mensch-Tier-Verhältnissen im Horizont von Verfolgung, Flucht und Exil.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110729801

IV Schauplatz Zoo: Perspektiven aus dem Exil

Versteckt im Affenfelsen: Untergetauchte im Amsterdamer Zoo

Katja B. Zaich

1 Der Zoo als lebensrettendes Versteck

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland waren die Niederlande für viele in Deutschland Verfolgte als Zufluchtsland attraktiv: Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Visumspflicht, die Menschen galten als tolerant und offen, die Sprache war leicht erlernbar. Zudem boten die Häfen gute Möglichkeiten einer weiteren Emigration in die USA. Ein anderer Aspekt war, dass die Niederlande im Ersten Weltkrieg neutral geblieben waren und ihre Neutralität damals auch vom Deutschen Reich respektiert worden war. Die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung und ihrer Regierung glaubte daran, dass man sich weiterhin auf diese Neutralität verlassen könne. Zwar wurde zu Kriegsbeginn 1939 mobilisiert, aber die militärische Ausrüstung war veraltet und hatte den einmarschierenden deutschen Truppen im Mai 1940 wenig entgegenzusetzen. Bereits nach fünf Tagen wurde kapituliert. Verzweifelte deutsche und österreichische Exilierte und niederländische Jüdinnen und Juden versuchten noch zu fliehen, aber der Weg über die Nordsee war durch versenkte Schiffe in den Häfen versperrt. Zahlreiche Selbstmorde in den ersten Tagen nach der Kapitulation waren die Folge. Da die niederländische Regierung samt Königin nach London geflohen war, installierte die deutsche Besatzung eine Zivilregierung. Flucht war jetzt kaum noch möglich, da Belgien und Frankreich gleichzeitig mit den Niederlanden angegriffen worden waren. Zugleich schien sich die Lage in den Niederlanden vorläufig zu stabilisieren, da antijüdische Maßnahmen erst nach und nach eingeführt wurden und der Anschein erweckt wurde, man laufe nicht unmittelbar Gefahr, so lange man sich an alle Vorschriften halte. Für Menschen, die sich direkter Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt sahen, blieb nur die Möglichkeit, sich zu verstecken oder eine andere Identität anzunehmen. Vor dem Beginn der systematischen Judendeportationen im Sommer 1942 betraf das vor allem Mitglieder des Widerstands.
Der Amsterdamer Zoo ist nicht der einzige, in dem sich während des Zweiten Weltkriegs Menschen versteckten. Bekannt ist die Geschichte vom Zoo in Warschau, der allerdings vorher bombardiert und geplündert worden war, sodass es kaum noch Tiere im Zoo gab. Hier waren der Zoodirektor Jan Żabiński und seine Frau Antonina die treibenden Kräfte, die sowohl in ihrer Villa als auch in den verlassenen Tiergehegen über 300 Jüdinnen und Juden versteckten, die zuvor aus dem Ghetto geschmuggelt worden waren. Die amerikanische Schriftstellerin Diane Ackerman hat diese Geschichte in ihrem Buch The Zookeeper's Wife dokumentiert; 2017 wurde er mit Jessica Chastain und Daniel Brühl verfilmt.1 Die Villa der Żabińskis im Warschauer Zoo kann seit 2015 als Gedenkstätte besichtigt werden.2 Auch im Zoo von Antwerpen soll es Untergetauchte gegeben haben, allerdings fehlt dafür bisher ein Beleg. Dieser Zoo wurde ebenfalls vom Krieg schwer getroffen – zuerst durch die präventive Tötung der Raubtiere und dann durch Bombardierungen. Der Zoo von Amsterdam blieb dagegen sowohl in den Kriegstagen 1940 als auch bei den späteren Angriffen der Alliierten beinahe vollständig intakt und funktionierte den ganzen Krieg über als Zoo mit täglichen Besucher*innen. Im Krieg bekomme, so der Literaturwissenschaftler Ewout van der Knaap in seinem Artikel über Robert Menasses Erzählung „Das Ende des Hungerwinters“,3 „die Diskongruenz zum friedlichen Alltag eine neue Dimension dadurch, dass ein besetztes Volk sich im Zoo zu erholen versucht, aber auch vor die Gitter hinstellen kann und, mit der eigenen Situation vor Augen, sich mit den Tieren identifizieren kann.“4 Das Leben und Überleben im Amsterdamer Zoo wurde 2013 von Maarten Th. Frankenhuis, selbst von 1990 bis 2003 Direktor des Zoos, in dem Buch Overleven in de dierentuin. De oorlogsjaren van Artis en andere parken5 (Überleben im Zoo. Die Kriegsjahre von Artis und anderen Parks) dokumentiert, auf das sich dieser Beitrag hauptsächlich stützt. Bereits 1980 schrieb Roel Twijnstra an der Katholischen Universität Nijmegen eine Magisterarbeit über Direktor Sunier und Artis, in der auf die Untergetauchten hingewiesen wird.6 Wie war es für die Menschen, ihre Zuflucht zwischen den Zootieren zu suchen, unter welchen Umständen haben sie dort gelebt und was weiß man über die Versteckten im Amsterdamer Zoo? Das soll Gegenstand dieses Aufsatzes sein.

2 Der Zoo Artis

Der Amsterdamer Zoo ist einer der ältesten Zoos Europas. 1838 wurde er von der zoologischen Gesellschaft mit dem Namen Natura Artis Magistra gegründet. Aus dem Namen ergab sich bald der Kurzname des Zoos: Artis. Das Gelände lag bei der Gründung am Stadtrand, aber schon schnell befand sich der Zoo mitten in der Stadt am Rande eines Viertels, in dem traditionell viele jüdische Familien wohnten und das von der deutschen Besatzung zum ‚Judenviertel‘ erklärt wurde. Das Theater Hollandsche Schouwburg, in dem 1941/1942 nach dem Vorbild des Jüdischen Kulturbunds Theatervorstellungen und Konzerte jüdischer Künstler*innen für ein jüdisches Publikum stattfanden und das 1942 zur zentralen Sammelstelle für die Deportationen umfunktioniert wurde, befindet sich schräg gegenüber dem Zoo und ist einst das Wohnhaus eines seiner Gründer gewesen.
Ende der 1930er Jahre stand es so schlecht um den Zoologischen Garten, dass nur ein Rettungskomitee und die Übernahme von Grund, Gebäuden und Inventar durch die Stadt und die Provinz Noord-Holland die Schließung verhindern konnte. Der Zoo war veraltet und lockte nicht genügend Besucher*innen. Mit dem Geld des Rettungskomitees konnte endlich in dringende Erneuerungen investiert werden; unter anderem sollte ein Streichelzoo eingerichtet werden und ein Affenfelsen dafür sorgen, dass Besucher*innen die Affen nicht nur durch Gitterstäbe betrachten konnten. Die Beteiligung der Stadt bedeutete, dass ein Teil der Gebäude von dieser genutzt wurde. So wurde das Einwohnermeldeamt dort untergebracht.
Abb. 1: Werbung für den Zoo mit dem Streichelzoo und dem neuen Affenfelsen, 1940.

3 Artis unter der deutschen Besatzung

Bevor im Mai 1940 der neue Affenfelsen feierlich eröffnet werden konnte, wurden die Niederlande von deutschen Truppen angegriffen.7 Während die Zoos im Osten schwer unter den Kämpfen zu leiden hatten und der Rotterdamer Zoo durch deutsche Bomben zu einem großen Teil zerstört wurde, kam der Amsterdamer Zoo glimpflich davon. Nur einige Giftschlangen wurden am zweiten Kriegstag präventiv getötet, denn wenn sie bei einer Bombardierung entkommen wären, hätte man sie nicht mehr auffinden können. Ansonsten notierten die Tierpfleger im täglichen Morgenrapport lediglich Stresssymptome bei einigen Tieren. Orang-Utan Piet „reagiert ängstlich auf Schüsse als auch auf Sirenengeheul, lässt dann das Futter stehen“,8 Hirsche reagierten mit Fluchtverhalten, dem Nilpferd Bibi brach der Angstschweiß aus. Dem Zoodirektor Armand Sunier war es zu verdanken, dass keines der Raubtiere vorsorglich getötet wurde. Außerdem hatte er vorausschauend für den Kriegsfall große Vorräte an Futter und Heizmaterial angelegt. Durch die Schweizer Herkunft seiner Eltern (selbst war er 1886 in Rotterdam geboren worden und nach damals geltendem Recht niederländischer Staatsbürger)9 sprach er perfekt Deutsch. Er beherrschte auch den richtigen militärischen Ton, der ihn zum vertrauenswürdigen Ansprechpartner für die neuen Machthaber machte. Zudem spielte er eine bedeutende Rolle im Zuchtprogramm des europäischen Wisents, einem...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Fährten lesen: Mensch und Tier in Reflexionen des Exils Eine Einleitung mit Bezug auf die Exilpresse
  6. I Heimat und Rückkehr: (Zwangs-)Migration in Tieren gedacht
  7. II Animalisierung und Ausgrenzung im NS-Diskurs
  8. III Tiere als Gefährten und Arbeitsgrundlage im Exil
  9. IV Schauplatz Zoo: Perspektiven aus dem Exil
  10. V Aus den Archiven: Tiererzählungen von Exilautor*innen
  11. VI Rezensionen
  12. VII Kurzbiografien