Topisches Erzählen bei Adalbert Stifter
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Topisches Erzählen bei Adalbert Stifter

Untersuchungen zur Gestaltung von Bildungsgängen in ausgewählten Werkkomplexen

  1. 476 Seiten
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Topisches Erzählen bei Adalbert Stifter

Untersuchungen zur Gestaltung von Bildungsgängen in ausgewählten Werkkomplexen

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Über dieses Buch

Vorstellungsmuster, die von den Mitgliedern einer Kulturgemeinschaft geteilt, rezipiert und tradiert werden, lassen sich als Topoi beschreiben. Damit kommt ein Begriff ins Spiel, der bereits 1948 durch Ernst Robert Curtius in die Literaturwissenschaft eingeführt wurde. Dennoch liegt bis heute keine allgemein akzeptierte fachwissenschaftliche Definition vor. Diese Untersuchung entwirft auf der Grundlage rhetorischer und semiotischer Konzepte ein Toposmodell, das zwischen der abstrakten Definition von Topoi und deren Ausprägung in literarischen Texten unterscheidet, arbeitet zentrale Vorstellungsmuster im Erzählwerk Adalbert Stifters heraus und setzt diese ein, um die literarische Gestaltung von Bildungsgängen zu beschreiben.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110750836

1 Einleitung

1.1 Von Personen und Figuren

Literarische Texte erlauben es uns, die Figuren der erzählten Welt wie real existierende Personen wahrzunehmen. Glauben wir, sie zu kennen, haben wir jedoch lediglich die Textstrukturen verstanden, aus denen sie sich als Artefakte der individuellen Rezeption erheben, und wir haben Vorstellungsmuster nachvollzogen, die sich bei der Verschriftlichung im Text ausgeprägt haben.1
Adalbert Stifter, der Autor, um dessen Texte und Figuren es hier gehen soll,2 war sich des Unterschieds zwischen literarischen Figuren und realen Personen nur allzu bewusst. In einem Brief an seinen Verleger Gustav Heckenast, in dem es um die Entstehung des historischen Romans Witiko geht, äußert er sich dazu wie folgt:
Das Entwerfen das Finden das Zusammenrüken das Meinen, man werde nun das Vollendete aufbauen, hat sein Entzüken, es ist, als erschüfe man Menschen; aber wenn der Sak fertig ist, und die Wichte da stehen, erbarmen sie einem, und man muß das Menschenerschaffen doch dem lieben Gott überlassen, dem ein Schuhknecht mehr gelingt als uns ein Held. Er kann gehen stehen liegen laufen saufen und fluchen, während der unsere froh sein muß, wenn er in der irdischen Welt nur ein bischen Athem zu schöpfen vermag und nicht lediglich Papier ist.3
Es sei zunächst einmal dahingestellt, ob Stifter hier nun aufgesetzte Bescheidenheit an den Tag legt oder aufrichtige Selbstkritik übt. Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass die „Illusionsmächtigkeit literarischer Figuren“4 den eingangs beschriebenen Effekt immer wieder zuverlässig auslöst. Dies liegt zunächst einmal daran, dass „Personenvorstellungen, die bei der Rezeption literarischer Werke zustande kommen, [...] psychische Gebilde [sind]“5, die sich nicht grundlegend von den Vorstellungen unterscheiden, die entstehen, wenn man Menschen in der Realität kennenlernt oder durch die Medien wahrnimmt. Bildet man sich eine initiale Vorstellung von einer real existierenden Person – etwa beim ersten Kennenlernen –, so beruht dieser Vorgang auf dem Prinzip der Simultaneität, denn die Wahrnehmung der Person beruht auf ihren „‚gleichzeitig‘ vorhandenen Eigenschaften“6 und speist sich somit zunächst aus Sinneseindrücken, die parallel zueinander entstehen: Man schaut einem Menschen ins Gesicht, während man seinen Händedruck spürt, vielleicht einen Geruch wahrnimmt und seine Stimme hört. Diese Sinneseindrücke werden dann zu einem ersten, vorläufigen Urteil weiterverarbeitet. Auch wenn sich die Vorstellung, die in diesem Moment entsteht, im Laufe der Zeit weiter herausbilden und verändern wird, kann sie doch auf Anhieb als vollständig gelten, denn sie ließe sich für andere nachvollziehbar beschreiben.
Literarische Texte dagegen können aufgrund ihrer linearen Struktur nur sequentiell rezipiert werden. Deswegen lässt sich die Wahrnehmung literarischer Figuren als „Transformation von sukzessiven Textstrukturen in Personenvorstellungen“7 beschreiben. Ihre Wahrnehmung folgt paradoxerweise aber trotzdem dem Prinzip der Vollständigkeit und Gleichzeitigkeit.8 Schon nach der Bereitstellung von ersten Informationen konstruieren die Rezipienten eines literarischen Textes eine detaillierte Vorstellung der dargestellten Figur.9 Bei diesem Vorgang ergänzen sie die vom Text bereitgestellten, notwendigerweise zunächst lückenhaften Informationen vor dem Hintergrund von kulturellen, sozialen und literarischen Wissensbeständen und persönlichen Überzeugungen.10 Diese Faktoren spielen aber auch schon bei der Textproduktion eine Rolle, denn die Wissensbestände und Personenkonzepte des Autors haben sich auf die Gestaltung der Figuren ausgewirkt und im Text ausgeprägt. Um den Prozess der Vorstellungsbildung in Bezug auf literarische Figuren angemessen zu beschreiben, müssen also nicht nur die Vorstellungsmuster berücksichtigt werden, über die ein Leser zum Zeitpunkt der Textrezeption verfügt, sondern auch die „sozialen Stereotypen“11, die für die Entstehungszeit des Textes in Anschlag zu bringen sind.
Literarische Figuren lassen sich also als Konstrukte beschreiben, an die sich kulturell determinierte Vorstellungsmuster anlagern. Diese Muster tragen dazu bei, eine bestimmte Personenvorstellung im Bewusstsein des Rezipienten entstehen zu lassen. Bei der Interpretation der Texte, die ich für diese Untersuchung ausgewählt habe, soll es stets darum gehen, die dargestellten Figuren als solche Konstrukte zu begreifen und danach zu fragen, welche Vorstellungsmuster sich bei ihrer Gestaltung ausgeprägt haben. Dabei werde ich der literarischen Darstellung jener Transformationsprozesse, die als Bildungsgänge der Figuren bezeichnet werden können, besondere Aufmerksamkeit schenken. Gegen einen solchen Untersuchungsansatz könnte man allerdings mindestens zwei Einwände ins Feld führen.

1.2 Stifters Figuren

Der erste dieser beiden Einwände besteht in der kritischen Frage, warum gerade die Texte Adalbert Stifters einen geeigneten Untersuchungsgegenstand für ein Vorhaben darstellen, das eine eingehende Analyse literarischer Figuren zum Ziel hat. Schließlich haben schon Stifters Zeitgenossen den Vorwurf erhoben, dass es dem Autor bei der Gestaltung seiner erzählten Welt12 um ganz andere Dinge ging als um die Figuren, die diese Welt bevölkern.13 Stellvertretend für eine solche Auffassung steht Friedrich Hebbel, der als einer der schärfsten Kritiker Stifters auftrat und in einem 1858 veröffentlichten Aufsatz postulierte, dass in der Nachfolge Karl Immermanns eine perspektivische Verengung der literarischen Darstellungsformen eingesetzt habe, die bei Stifter ihren Höhe- und Endpunkt erreiche:
Sie [Immermanns Nachfolger; H. A.] hielten aber doch wenigstens noch den Menschen fest, wenn auch nur auf höchst untergeordneter Stufe, und der hervorragendste von ihnen, Jeremias Gotthelf, knüpfte immer, wenn auch nicht an Ideen, so doch an didaktische Gesichtspunkte an, um der Stagnation vorzubeugen. Erst dem Mann der ewigen Studien, dem behäbigen Adalbert Stifter, war es vorbehalten, den Menschen ganz aus dem Auge zu verlieren [...].14
Eine ähnliche Kritik hatte Hebbel bekanntlich auch schon neun Jahre früher formuliert, als er in einem an Stifter und andere „Naturdichter“15 gerichteten Epigramm fragte: „Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken?“16 und im nächsten Vers die Antwort gab: „Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht!“17 Die oben zitierte These jedoch stellte er auf, nachdem er Stifters Nachsommer gelesen hatte, ein Werk, in dem sich, so Hebbel, „die Selbstaufhebung der ganzen Richtung [vollzog]“18, nachdem sie in ihm „entschieden den letzten denkbaren Schritt getan“19 hatte. Bei aller Polemik, die Hebbels Einlassungen zu Stifter immer wieder bestimmt, ist eines sicher nicht von der Hand zu weisen: Gerade der Nachsommer unterläuft konsequent den eingangs beschriebenen Effekt, der es uns erlaubt, literarische Figuren als real existierende Personen zu imaginieren.20 Der auf beinahe 800 Seiten ausgedehnte autobiografische Bericht des Ich-Erzählers lässt – so viel kann wohl gefahrlos behauptet werden – keine Personenvorstellung von Heinrich Drendorf entstehen, die ihn im Hinblick auf den gerade erwähnten Effekt in eine Reihe mit so unterschiedlichen Figuren wie etwa Effi Briest aus dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane, Sherlock Holmes aus mehreren Romanen und Erzählungen Arthur Conan Doyles, Elizabeth Bennet aus Jane Austens Pride and Prejudice oder Mynheer Peeperkorn aus Thomas Manns Der Zauberberg stellen würde. Stifter hat sicher auch Figuren geschaffen, die Heinrich Drendorf in dieser Hinsicht übertreffen. Um den Kontext dieser Arbeit nicht zu verlassen, seien stellvertretend Jodok von Scharnast aus Die Narrenburg, der Obrist Casimir Uhldohm21 aus Die Mappe meines Urgroßvaters und das ‚wilde‘ Mädchen Juliana aus Der Waldbrunnen genannt. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Stifters Texte durch ihre prämoderne, den Dingen zugewandte „Deskriptionspoetik“22 immer wieder eine Distanz zwischen Figur und Leser errichten.23 Ein solcher Abstand kann dem Ansatz der vorliegenden Untersuchung aber nur dienlich sein, denn auch ein literaturwissenschaftlicher Leser ist nicht davor gefeit, sich von dem Effekt, der „aus Sätzen Personen werden“24 lässt, vereinnahmen zu lassen. In anderen Worten: Die literarischen Figuren, die Adalbert Stifters erzählte Welt bevölkern, geben sich besonders deutlich als Konstrukte zu erkennen, an die sich, wie eingangs beschrieben, kulturell determinierte Vorstellungsmuster angelagert haben. Deswegen sind seine Texte für das oben beschriebene Vorhaben sogar in besonderer Weise geeignet.

1.3 Pädagogisches Erzählen

Ein zweiter Einwand, der sich gegen mein Untersuchungsvorhaben anführen ließe, kann vor dem Hintergrund der Entwicklung der Stifter-Forschung formuliert werden.25 Schließlich scheint es sich angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen Jahrzehnten „so gut wie alle Paradigmen der literaturwissenschaftlichen Forschung“26 auf den „vermeintlich so biedere[n], fromme[n] und konservative[n] Dichter“27 abgebildet wurden, bei einer Auseinandersetzung mit der literarischen Gestaltung von Bildungsgängen um ein eher ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Topisches Denken als literarisches Grundprinzip
  7. 3 Erzählungen von ‚wilden‘ Mädchen und ihren Erzieherfiguren
  8. 4 Positionsbestimmung 1
  9. 5 Das ‚Lieblingskind‘ des Autors: Die Mappe meines Urgroßvaters
  10. 6 Positionsbestimmung 2
  11. 7 Wider die Leidenschaft: Der Nachsommer
  12. 8 Positionsbestimmung 3
  13. 9 Fazit
  14. 10 Anhang