Übernahmeaufsichtsstatut
Für Übernahmeangebote auf börsenkotierte Unternehmen kommt der ganze Regelungskomplex des Übernahmeaufsichtsrechts hinzu. Das auf eine Übernahme anwendbare Aufsichtsrecht kann als Übernahmeaufsichtsstatut, Übernahmestatut im engeren Sinne oder Übernahmeangebotsstatut bezeichnet werden. Es umfasst alle kapitalmarktaufsichtsrechtlichen Momente der Übernahme und somit grossteils Normen mit öffentlich-rechtlichem Charakter.
Wie vorne dargelegt, stellen die Regelungen zu den öffentlichen Übernahmen keine einheitliche Materie dar, sondern umfassen sowohl Normen öffentlich-rechtlicher Natur als teilweise auch Doppelnormen sowie Normen privatrechtlicher Natur. Diese hybride Natur des Übernahmeaufsichtsrechts äussert sich schon in der doppelten Zielsetzung des Individual- und Funktionenschutzes, zeigt sich in der gemischten Rechtsnatur und hat in der Konsequenz auch Auswirkungen in der kollisionsrechtlichen Betrachtung.
Das Übernahmeaufsichtsrecht unterscheidet sich aus kollisionsrechtlicher Sicht schon in seinen Grundlagen und seiner Methodik vom Übernahmeprivatrecht. Da es sich – wie gesehen – hierbei um ein Teilgebiet des Wirtschaftskollisionsrechts handelt, folgt es den dort vorherrschenden, gänzlich eigenen Grundsätzen. Wie im Grundlagenteil dargestellt, wird im Wirtschaftskollisionsrecht statutisch angeknüpft, wobei die international zwingende Durchsetzung im Vordergrund steht, einseitige Kollisionsnormen dominieren und ein Gleichlauf von Zuständigkeit und Recht auszumachen ist.
Wenn das Übernahmeaufsichtsstatut nicht durch das System des IPRG berufen wird, sondern sich sachrechtsabhängig aus dem Übernahmeaufsichtsrecht selbst – d. h. primär dem FinfraG – ergibt, so sind die übernahmeaufsichtsrechtlichen Normen vertieft auf ihre kollisionsrechtlichen Bezüge bzw. Aspekte hin zu untersuchen.
Als Ausfluss des zwingenden Charakters übernahmeaufsichtsrechtlicher Bestimmungen bildet das Spannungsverhältnis von Aufsichtsrecht und Privatrecht eine wichtige Problematik des Übernahmeaufsichtsstatuts. Schon bei Binnensachverhalten kann das Eingreifen des Aufsichtsrechts ins Privatrecht zu Interferenzen führen. Auf internationaler Ebene – wenn es um das Verhältnis von Aufsichts- und Privatrecht verschiedener Rechtsordnungen geht – gestaltet sich dies noch verworrener, da sich die Frage stellt, ob bzw. wie weitgehend zwingende ausländische Bestimmungen lokales Privatrecht verdrängen (können).
Aufgrund des einseitigen Anknüpfungssystems im Wirtschaftskollisionsrecht können sich – anders als beim Vertrags- und Gesellschaftsrecht unter dem System des IPRG – mehrere Aufsichtsrechte parallel für anwendbar erklären. Da – wie kapitalmarktrechtliche Vorschriften allgemein – übernahmerechtliche Erlasse regelmässig weite Anwendungsbereiche haben, ist die kumulative Anwendung mehrerer Rechtsordnungen – als typisches Phänomen des internationalen Kapitalmarktrechts – eine im Bereich des Übernahmeaufsichtsrechts anzutreffende Erscheinung. Da deshalb u. U. nicht nur ein (einzelnes) Übernahmeaufsichtsstatut auf eine Transaktion anwendbar ist, muss ein Augenmerk auf die Vermeidung von (positiven) Normenkonflikte gerichtet werden. Gleichlauf von forum und ius und Einseitigkeit der Anknüpfung bedeuten im Bereich des Übernahmerechts namentlich, dass die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden und der Anwendungsbereich der aufsichtsrechtlichen Normen sehr eng miteinander verknüpft sein werden. Konkret heisst dies, die UEK wird – sofern sie zuständig ist – nur das eigene Recht anwenden. Dieser Grundsatz muss jedoch insofern teilweise aufgegeben werden, als im Grundlagenteil erarbeitet wurde, dass die Anwendung des eigenen Rechts nie isoliert ohne eine Berücksichtigung des fremden Rechts erfolgen kann.
Eine kollisionsrechtliche Darstellung kann nicht ohne die Abgrenzung des Umfangs des Übernahmeaufsichtsstatuts erfolgen. Mit den übernahmeaufsichtsrechtlichen Regelungen tritt bei öffentlichen Übernahmen ein Regelungskomplex hinzu, welcher dem Privatrecht und der dort prägenden Parteiautonomie einerseits in gewisser Sicht geradezu diametral entgegenläuft: Einzelne übernahmerechtliche Pflichten und Verfahrensvorgaben sind ganz dem Kapitalmarktrecht eigen, namentlich die Angebotspflicht, die Preisregeln sowie die Normen zum Angebotsverfahren. Andererseits finden sich auch Pflichten mit Entsprechungen im Privatrecht, indem bspw. die Verhaltenspflichten des Verwaltungsrats stark mit den gesellschaftsrechtlichen Pflichten verwoben sind. Schon die übernahmeaufsichtsrechtlichen Zielprinzipien – namentlich Transparenz, Lauterkeit sowie Gleichbehandlung – finden teilweise Entsprechungen im Privatrecht. Das Übernahmeaufsichtsstatut umfasst somit teils Normen, welche relativ unabhängig vom Übernahmeprivatrechtsstatut zur Anwendung kommen, während andere Normen Verflechtungen mit dem Privatrecht zeigen und nicht ohne Weiteres isoliert herausgetrennt werden können. Deshalb gilt es darzulegen, welche aufsichtsrechtlichen Normen über das Übernahmeaufsichtsstatut berufen werden und wo die Grenze zum Privatrechtsstatut zu ziehen ist.
Anknüpfungsprinzipien im Übernahmeaufsichtsrecht
Vorab sollen grundlegende Überlegungen dazu angestellt werden, welche Prinzipien einem Übernahmeaufsichtskollisionsrecht zugrunde liegen und welche Anknüpfungen es prägen (sollen). Aufgrund der hybriden Natur des Übernahmerechts ist es denkbar, die Anknüpfungsprinzipien sowohl dem Gesellschaftsrecht als auch dem Kapitalmarktrecht zu entnehmen:
In Anbetracht der gesellschaftsrechtlichen Aspekte der Bestimmungen zu den Übernahmeangeboten und der Zielsetzung des Schutzes der Aktionäre der Zielgesellschaft kommt eine Anknüpfung an die Zielgesellschaft bzw. eine Anwendung des Gesellschaftsstatuts in Frage. Aufgrund des engen Bezugs zum Finanzmarkt sind für die Frage nach möglichen Anknüpfungsprinzipien aber ebenfalls Marktanknüpfungen ins Spiel zu bringen. Die Lokalisierung des Marktortes bei Übernahmen ist ein in der Literatur ausführlich diskutiertes Thema. Die Abgabe eines Übernahmeangebots hat zweifellos erhebliche Auswirkungen auf den Börsenmarkt, naheliegender Marktort ist deshalb der Börsenplatz bzw. der Kotierungsort. Eng verbunden mit der Marktanknüpfung ist das Auswirkungsprinzip (da bei Marktanknüpfungen primär die Auswirkungen auf den jeweiligen Markt betrachtet werden). Das Auswirkungsprinzip hat sich im Bereich des Übernahmerechts insbesondere in den USA sowie einigen weiteren Staaten durchgesetzt, es führt jedoch in der Tendenz zu extensiver extraterritorialer Anwendung. Abwandlungen bzw. Konkretisierungen des Auswirkungsprinzips, welche im Zusammenhang mit dem Übernahmerecht diskutiert werden, existieren diverse.
In der Literatur wurden zur Frage, welcher Anknüpfungsansatz bei öffentlichen Übernahmen am sinnvollsten ist, verschiedentlich vertiefte wirtschaftskollisionsrechtliche Überlegungen vorgenommen. Die nachfolgende allgemeine Darstellung soll sich primär auf kurze Verweise auf die wichtigsten Lehrmeinungen beschränken, eine vertiefte Auseinandersetzung soll anhand der konkreten Darstellung des aktuellen schweizerischen Rechts erfolgen.
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