Oblomow
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Über dieses Buch

In Gontscharows bedeutendstem Roman wird dieser Typus durch den Titelhelden Ilja Iljitsch Oblomow verkörpert. Durch die materielle Sicherheit seines Standes in die Lage versetzt, seine Introvertiertheit und Untätigkeit zu pflegen, findet Oblomow keinen Ausweg aus der erstickenden Ruhe, Trägheit und Schläfrigkeit, welche die Darstellung seines Lebens leitmotivisch durchziehen. Er verliert sich in den Traum eines geborgenen, sicheren, von aller Verantwortung freien Lebens, in dem der Mittagsschlaf Zentrum und Schwerpunkt der täglichen Verrichtungen ist. Pläne, das väterliche Gut Oblomowka zu pflegen, werden von einem auf den nächsten Tag verschoben, weshalb es mehr und mehr in Verfall gerät.

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Information

ISBN
9789635264056

Teil 1

Kapitel 1

In der Gorochowaja-Straße[1], in einem der großen Häuser, dessen Bewohnerschaft für eine ganze Kreisstadt ausgereicht hätte, lag Ilja Iljitsch Oblomow eines Morgens in seiner Wohnung im Bette.
Er war ein Mann von zwei- oder dreiunddreißig Jahren, von mittlerer Statur und angenehmen Äußern, mit dunkelgrauen Augen; aber seine Gesichtszüge zeigten einen Mangel an jeder bestimmten Idee und an jedem regen Interesse. Ein Gedanke flog wie ein freier Vogel über sein Gesicht, flatterte in den Augen umher, setzte sich auf die halbgeöffneten Lippen, versteckte sich in den Falten der Stirn, ging darauf ganz verloren, und dann verbreitete sich über sein ganzes Gesicht die warme, gleichmäßige Helle der Sorglosigkeit. Von dem Gesichte ging diese Sorglosigkeit auf die Haltung des ganzen Körpers über, sogar auf die Falten des Schlafrocks.
Manchmal verdunkelte sich sein Blick durch einen Ausdruck von Müdigkeit oder Langerweile; aber weder die Müdigkeit noch die Langeweile vermochten auch nur für einen Augenblick von seinem Gesichte die Weichheit zu verscheuchen, die der herrschende Zug, der Grundzug nicht nur seines Gesichtes, sondern auch seiner ganzen Seele war; seine Seele aber leuchtete hell und offen in seinen Augen, in seinem Lächeln, in jeder Bewegung des Kopfes und der Hände. Auch ein kühler, flüchtiger Beobachter würde, wenn er Oblomow im Vorbeigehen angeblickt hätte, gesagt haben: »Das muß ein guter Kerl, eine treue Seele sein!« Ein Mensch mit tieferem Blicke und wärmerem Herzen würde ihm lange ins Gesicht geschaut haben und, in angenehmes Sinnen versunken, mit einem Lächeln auf den Lippen weitergegangen sein.
Ilja Iljitschs Gesichtsfarbe war weder frisch und rot, noch auch gebräunt, noch auch geradezu blaß, sondern von unbestimmtem Charakter, oder wenigstens machte sie diesen Eindruck, vielleicht weil Oblomow in einer seinen Jahren gar nicht entsprechenden Weise aufgedunsen war: sei es infolge des Mangels an Bewegung, sei es infolge des Mangels an frischer Luft, vielleicht auch aus beiden Gründen. Überhaupt schien sein Körper, nach der matten, übermäßig weißen Farbe des Halses, den kleinen fleischigen Händen und den weichen Schultern zu urteilen, für eine Mannsperson gar zu sehr verzärtelt zu sein.
Seine Bewegungen wurden, selbst wenn er erregt war, durch eine gewisse Weichheit und durch eine einer eigenartigen Anmut nicht entbehrende Lässigkeit gemäßigt. Wenn eine Sorgenwolke aus seiner Seele über sein Gesicht dahinlief, so umflorte sich sein Blick; auf der Stirn erschienen Falten; Zweifel, Trauer und Besorgnis spielten auf seinem Gesichte; aber nur selten verdichtete sich diese Unruhe in Form einer bestimmten Idee, noch seltener verwandelte sie sich in einen Vorsatz. Die ganze Unruhe endete mit einem Seufzer und erstarb in Apathie oder in einem Zustande des Halbschlafs.
Oblomows häusliche Tracht stimmte vollkommen zu seinen ruhigen Gesichtszügen und zu seinem verzärtelten Körper. Er trug einen Schlafrock von persischem Stoffe, einen echt orientalischen Schlafrock, ohne die geringste Anlehnung an die europäische Mode, ohne Troddeln, ohne Samt, ohne Taille, von gewaltiger Weite, so daß Oblomow sich zweimal in ihn einwickeln konnte. Die Ärmel wurden nach der unveränderlichen asiatischen Mode von den Fingern bis zu den Schultern immer weiter. Obgleich dieser Schlafrock seine ursprüngliche Frische eingebüßt und stellenweise seinen anfänglichennatürlichen Glanz mit einem andern, ehrlich erworbenen vertauscht hatte, so bewahrte er doch noch die Lebhaftigkeit der orientalischen Farbe, und das dauerhafte Gewebe war noch unversehrt.
Dieser Schlafrock besaß in Oblomows Augen eine Unmenge unschätzbarer Vorzüge: er war weich und schmiegsam; der Körper fühlte ihn nicht an sich; er fügte sich wie ein gehorsamer Sklave der geringsten Bewegung des Körpers.
Oblomow ging zu Hause immer ohne Krawatte und ohne Weste; denn er liebte Bequemlichkeit und Behaglichkeit. Seine Pantoffeln waren lang, weich und weit; wenn er, ohne hinzusehen, die Beine vom Bette herunternahm und auf den Fußboden setzte, so fuhr er mit Sicherheit in beide Pantoffeln gleichzeitig hinein.
Das Liegen war bei Ilja Iljitsch weder etwas Notwendiges wie bei einem Kranken oder bei jemand, der schlafen will, noch auch etwas Zufälliges wie bei jemand, der müde geworden ist, noch auch etwas Genußreiches wie bei einem Faulpelz; sondern es war dies sein normaler Zustand. Wenn er zu Hause war (und er war fast immer zu Hause), so lag er stets; und zwar lag er beständig in ein und demselben Zimmer, in dem wir ihn gefunden haben, und das ihm als Schlafzimmer, Wohnzimmer und Salon diente. Er hatte noch drei andre Zimmer; aber in diese warf er nur selten einen Blick, höchstens des Morgens, und auch das nicht alle Tage, sondern nur, wenn sein Diener das Wohnzimmer ausfegte, was nicht täglich geschah. In jenen Zimmern steckten die Möbel in Überzügen, und die Rouleaus waren herabgelassen.
Das Zimmer, in dem Ilja Iljitsch lag, konnte auf den ersten Blick schön eingerichtet scheinen. Es standen dort ein Mahagoni-Schreibtisch, zwei mit Seidenstoff bezogene Sofas und ein hübscher Bettschirm mit gestickten, in der Natur nicht vorkommenden Vögeln und Früchten. Es waren dort seidene Vorhänge, Teppiche, einige Bilder, Bronzen, Porzellanfiguren und eine Menge netter Nippsachen.
Aber das erfahrene Auge eines Menschen mit reinem Geschmack hätte schon bei einem einzigen flüchtigen Blicke auf alles, was da war, erkannt, daß lediglich der Wunsch zugrunde lag, einigermaßen das Dekorum des unvermeidlichen Anstandes zu bewahren, sich irgendwie mit ihm abzufinden. Nur darauf war sicherlich Oblomows Tätigkeit gerichtet gewesen, als er sein Wohnzimmer einrichtete. Ein verfeinerter Geschmack hätte sich nicht mit diesen schweren, plumpen Mahagonistühlen und mit diesen wackeligen Etageren begnügt. An dem einen Sofa hatte sich die Rückenlehne gesenkt und das aufgeleimte Holz hatte sich stellenweise losgelöst. Ganz denselben Charakter trugen auch die Bilder und die Vasen und die Nippsachen.
Der Eigentümer selbst jedoch blickte auf die Einrichtung seines Wohnzimmers so kühl und zerstreut, als ob er mit den Augen fragen wollte: »Wer hat denn das alles hierher geschleppt und aufgestellt?« Infolge dieses kühlen Verhaltens Oblomows zu seinem Eigentume und vielleicht auch infolge des noch kühleren Verhaltens seines Dieners Sachar zu diesen selben Gegenständen befremdete denn auch der Anblick des Wohnzimmers einen jeden, der es genauer betrachtete, durch die darin herrschende Unordnung und Verwahrlosung.
An den Wänden und um die Bilder hingen, nach Art von Festons, ganz mit Staub bedeckte Spinnweben; statt die Gegenstände zu reflektieren, hätten die Spiegel eher als Tafeln dienen können, um auf ihnen im Staube Notizen zur Unterstützung des Gedächtnisses niederzuschreiben. Die Teppiche wiesen zahlreiche Flecke auf. Auf dem einen Sofa lag ein vergessenes Handtuch; es war eine Seltenheit, wenn morgens das Abendessen des vorhergehenden Tages vom Tischeordentlich abgeräumt war und nicht noch ein Teller mit einem Salzfäßchen und einem abgenagten Knochen darauf stand und Brotkrumen umherlagen.
Wäre nicht dieser Teller dagewesen und die am Bette lehnende soeben ausgerauchte Pfeife und der im Bette liegende Hausherr selbst, so hätte man denken können, daß hier niemand wohne – so verstaubt, verblichen und überhaupt so ohne jede Spur der Anwesenheit eines menschlichen Wesens sah alles aus. Auf den Etageren lagen allerdings zwei oder drei aufgeschlagene Bücher, auch trieb sich da eine Zeitung umher, und auf dem Schreibtisch stand ein Tintenfaß mit Federn; aber die Seiten, bei denen die Bücher aufgeschlagen waren, waren mit Staub bedeckt und vergilbt; die betreffende Zeitungsnummer stammte aus dem vorigen Jahre, und aus dem Tintenfaß wäre, wenn man eine Feder hineingesteckt hätte, höchstens eine erschrockene Fliege herausgesummt.
Ilja Iljitsch war gegen seine Gewohnheit sehr früh aufgewacht, um acht Uhr. Es war da etwas, was ihn stark beunruhigte. Auf seinem Gesichte prägte sich abwechselnd bald Furcht, bald Verdruß und Ärger aus. Es war deutlich, daß in seinem Innern ein Kampf stattfand, und daß der Verstand dabei noch nicht zu Hilfe gekommen war.
Die Sache war die, daß Oblomow am vorhergehenden Tage von seinem Gute einen Brief seines Dorfschulzen erhalten hatte, einen Brief mit recht unangenehmem Inhalt. Man weiß ja, was das für Unannehmlichkeiten sind, von denen so ein Dorfschulze schreiben kann: Mißernte, rückständige Zahlungen, Verringerung der Einnahme und so weiter. Obgleich der Dorfschulze auch im vorigen und im vorvorigen Jahre seinem Herrn genau ebensolche Briefe geschrieben hatte, wirkte doch auch dieser letzte Brief so stark, wie eben jede unangenehme Überraschung wirkt.
Und es war ja auch eine schwere Aufgabe: er mußte über die Mittel zur Ergreifung irgendwelcher Maßregeln nachdenken. Übrigens muß man der Sorgfalt, die Ilja Iljitsch seinen geschäftlichen Angelegenheiten widmete, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er hatte schon aus Anlaß des ersten unangenehmen Briefes, den er von dem Dorfschulzen vor einigen Jahren erhalten hatte, angefangen, im Geiste einen Plan zu verschiedenen Veränderungen und Verbesserungen in der Verwaltung seines Gutes zu entwerfen.
Bei diesem Plane hatte er die Einführung verschiedener neuer wirtschaftlicher, polizeilicher und anderer Maßregeln ins Auge gefaßt. Aber der Plan war noch lange nicht ganz durchdacht; die unangenehmen Briefe des Dorfschulzen aber wiederholten sich alljährlich, trieben ihn zur Tätigkeit an und störten folglich seine Ruhe. Oblomow war sich der Notwendigkeit bewußt, noch vor der abschließenden Ausarbeitung seines Planes etwas Entscheidendes ins Werk zu setzen.
Er hatte sich gleich nach dem Aufwachen vorgenommen aufzustehen, sich zu waschen und nach dem Teetrinken ordentlich nachzudenken, dies und das zu erwägen, sich Notizen zu machen und sich überhaupt mit dieser Angelegenheit so zu beschäftigen, wie es sich gehörte.
Etwa eine halbe Stunde lang lag er da und quälte sich mit diesem Vorsatze ab; dann aber sagte er sich, daß er auch noch nach dem Tee Zeit haben werde, dies zu tun, und daß er den Tee seiner Gewohnheit nach im Bette trinken könne, um so mehr, da die Denktätigkeit durch das Liegen nicht behindert werde.
So machte er es denn auch. Nach dem Tee hatte er sich schon halb von seinem Lager erhoben und war schon im Begriffe aufzustehen; er hatte sogar, mit einem Blicke nach seinen Pantoffeln, bereits angefangen, das eine Bein vom Bette zu ihnen herabsinken zu lassen; aber er zog es sofort wieder zurück.
Es schlug halb zehn; Ilja Iljitsch fuhr zusammen.
»Wahrhaftig, wie benehme ich mich denn?« sagte er laut und ärgerlich. »Ich muß mich ja schämen: es ist Zeit, daß ich mich an die Arbeit mache! Wenn man sich nur ein bißchen die Zügel läßt, so … «
»Sachar!« rief er.
In einem Zimmer, das von Ilja Iljitschs Zimmer nur durch einen kleinen Flur getrennt war, ließ sich zuerst etwas wie das Knurren eines Kettenhundes vernehmen und dann das Gepolter von Beinen, die von irgend etwas hinabsprangen. Das war Sachar, der von der Ofenbank hinabsprang, auf der er gewöhnlich seine Zeit verbrachte, indem er in Halbschlummer versunken dasaß.
In das Zimmer trat ein bejahrter Mann in einem grauen Rocke mit einem Loche unter der Achsel, aus dem ein Stück Hemd heraushing, in einer ebenfalls grauen Weste mit kupfernen Knöpfen; sein Schädel war kahl wie ein Knie, und sein blonder, graumelierter Backenbart so außerordentlich breit und dicht, daß jede Hälfte desselben für drei Bärte ausgereicht hätte.
Sachar gab sich keine Mühe, an der ihm von Gott gegebenen Gestalt oder an seinem Kostüm, das er auf dem Lande getragen hatte, irgendwelche Veränderungen vorzunehmen. Seine Kleider ließ er sich nach dem Muster anfertigen, das er vom Lande mitgebracht hatte. Der graue Rock und die graue Weste gefielen ihm auch deshalb, weil er in diesem halb uniformartigen Anzuge eine schwache Erinnerung an die Livree sah, die er ehemals getragen hatte, wenn er seine verstorbene Herrschaft zur Kirche oder zu Visiten begleitete; die Livree aber war in seinen Erinnerungen das einzige, wodurch die Würde der Familie Oblomow repräsentiert wurde.
Weiter erinnerte den alten Mann nichts an das behagliche, ruhige Leben auf dem Herrensitze in dem abgelegenen Dorfe. Die alte Herrschaft war gestorben; die Familienporträts waren zu Hause geblieben und lagen wohl irgendwo auf dem Dachboden umher; die Überlieferungen von der alten Lebensweise und Vornehmheit der Familie waren ganz erstorben oder lebten nur noch im Gedächtnisse weniger auf dem Lande gebliebener alter Leute. Darum war der graue Rock dem alten Sachar so teuer: in ihm und dann noch in einigen Merkmalen, die sich in dem Gesichte und in dem Benehmen seines Herrn erhalten hatten und ihn an dessen Eltern erinnerten, sowie in den Launen seines Herrn, über die er zwar im stillen und auch laut brummte, die er aber innerlich als eine Bekundung des Herrenwillens und des Herrenrechtes respektierte, sah er schwache Überreste der dahingeschwundenen Größe.
Wären diese Launen nicht gewesen, so hätte er keinen Herrn über sich gefühlt; wären diese Launen nicht gewesen, so hätte nichts seine Jugend und das Dorf, das sie schon lange verlassen hatten, und die Traditionen von dieser alten Familie vor seinem geistigen Blicke wieder erstehen lassen; diese Traditionen aber waren die einzige Chronik, die von alten Dienern, Kinderfrauen und Ammen geführt und von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurde.
Die Familie Oblomow war ehemals reich und in ihrer Gegend angesehen gewesen; später aber war sie, Gott weiß woher, ganz verarmt und verkümmert und hatte sich zuletzt unmerklich unter den jüngeren adligen Familien verloren. Nur die ergrauten Diener bewahrten und überlieferten einer dem andern eine treue Erinnerung an das Vergangene und hielten diese Erinnerung wie ein Heiligtum in Ehren.
Dies war der Grund, weshalb Sachar seinen grauen Rock so sehr liebte. Vielleicht schätzte er auch seinen Backenbartdeswegen, weil er in seiner Kindheit viele alte Diener mit dieser altertümlichen aristokratischen Zierde gesehen hatte.
In Nachdenken versunken, bemerkte Ilja Iljitsch seinen Diener längere Zeit nicht. Sachar stand schweigend vor ihm. Endlich hustete er.
»Was willst du?« fragte Ilja Iljitsch.
»Sie haben mich doch gerufen.«
»Habe ich dich gerufen? Warum habe ich dich denn gerufen? Ich erinnere mich nicht!« antwortete er, sich reckend. »Geh vorläufig wieder auf dein Zimmer; ich werde mich besinnen.« Sachar ging hinaus; Ilja Iljitsch aber blieb weiter liegen und dachte weiter an den verdammten Brief.
So verging ungefähr eine Viertelstunde.
»Na, aber nun will ich nicht mehr liegen!« sagte er. »Ich muß aufstehen … Übrigens möchte ich doch den Brief des Dorfschulzen noch einmal aufmerksam durchlesen, und dann will ich aufstehen. – Sachar!«
Es erfolgte wieder dasselbe Springen und ein stärkeres Knurren. Sachar kam herein; Oblomow aber war wieder in seine Gedanken versunken. Sachar stand ein paar Minuten lang da und blickte seinen Herrn mißvergnügt etwas von der Seite her an; endlich ging er wieder zur Tür.
»Wo willst du hin?« fragte Oblomow auf einmal.
»Sie sagen nichts; also warum soll ich hier unnütze stehen?« erwiderte Sachar mit heiserer Stimme; eine andere Stimme hatte er nämlich ni...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Teil 1
  3. Teil 2
  4. Teil 3
  5. Teil 4
  6. Fußnotes