Der häusliche Herd
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Der häusliche Herd

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Der häusliche Herd

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Über dieses Buch

Zola beschreibt das heuchlerische, verlogene, zum Schein sittsame, dabei durch und durch verdorbene und lasterhafte Bürgertum. Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht Octave Mouret, ein junger Mann, der aus Plassans nach Paris zieht, um dort sein Glück zu machen.

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Information

ISBN
9789635263707

Kapitel 1

In der Neuen Augustin-Straße waren die Wagen ins Stocken geraten, wodurch auch die mit drei Koffern bepackte Droschke aufgehalten ward, die Octave vom Lyoner Bahnhof brachte. Trotz des kühlen, unfreundlichen Novemberabends ließ der junge Mann ein Wagenfenster herab. Er war überrascht, wie dunkel es plötzlich ward in diesem Stadtviertel mit den engen, von Menschen wimmelnden Straßen. Das Fluchen der Kutscher, die auf ihre sich bäumenden Rosse einhieben, das drängende Gewühl auf den Fußsteigen, die lange Reihe der hart nebeneinander befindlichen Kaufläden mit den vielen Angestellten und Kunden: all das betäubte ihn schier. Er hatte sich Paris sauberer gedacht und war keineswegs auf einen so regen Handel gefaßt, der sozusagen zur Befriedigung der weitestgehenden Wünsche gerüstet schien.
Der Kutscher neigte sich zurück und fragte:
Es ist wohl in der Choiseulpassage?
Nein, in der Choiseulstraße! Ich glaube, ein neues Haus.
Die Droschke hatte nur um die Ecke zu biegen; es war das zweite Haus in der Gasse, ein großer, vierstöckiger Bau, dessen steinerne Vorderseite inmitten des verwitternden Mörtels der alten Nachbarhäuser eine kaum gerötete Blässe bewahrte. Octave, der den Wagen verlassen hatte, musterte unwillkürlich dieses Haus, von der Seidenwarenniederlage angefangen, die das Erdgeschoß und das Zwischengeschoß einnahm, bis zu den zurückweichenden Fenstern des vierten Stockwerkes, die sich auf eine schmale Terrasse öffneten. Der mit einem Gitter aus prächtig gearbeitetem Gußeisen versehene Balkon im ersten Stock ruhte auf zwei Figuren, die Frauenköpfe darstellten. Die Einrahmungen der Fenster zeigten eine verwickelte durchbrochene Terracotta-Arbeit; oberhalb des mit Zieraten noch mehr überladenen Einfahrtstores waren zwei Liebesgötter angebracht, die eine Rolle hielten, auf der die Hausnummer – bei Nacht durch eine von innen angebrachte Gasflamme beleuchtet – zu lesen war.
In diesem Augenblick trat ein starker, blonder Herr aus dem Hause, der plötzlich stehen blieb, als er Octave sah.
Wie, Sie sind's? rief er aus. Ich habe Sie erst für morgen erwartet.
Ja, ich habe Plassans einen Tag früher verlassen. Ist vielleicht das Zimmer nicht bereit?
Doch; ich habe es vor zwei Wochen gemietet und auch sogleich möbliert, wie Sie es verlangten. Ich will Sie einführen.
Trotz der Einsprache Octaves kehrte er ins Haus zurück. Der Kutscher hatte inzwischen die drei Koffer vom Wagen geholt. In der Hausmeistersloge stand ein Mann von würdevollem Aussehen mit einem langen, rasierten Diplomatengesicht und las den »Moniteur«. Er geruhte indessen, sich im Lesen zu unterbrechen, als er sah, daß unter dem Haustore Koffer abgeladen wurden. Er trat näher und richtete an seine Wohnpartei, den »Architekten vom dritten Stock« – wie er ihn nannte – die Frage:
Ist das die Person, Herr Campardon?
Ja, Herr Gourd, das ist Herr Octave Mouret, für den ich das Zimmer im vierten Stock gemietet habe. Er wird dort schlafen und bei uns speisen. Herr Mouret ist ein Freund der Familie meiner Frau. Er sei Ihnen bestens empfohlen.
Octave blickte sich in der Toreinfahrt um. Die Wände waren mit unechtem Marmor verkleidet, das Deckengewölbe mit Rosetten geziert. Der gepflasterte Hof machte den Eindruck der Sauberkeit und kühlen Vornehmheit; vor der Stalltüre war ein Kutscher damit beschäftigt, mit einem Fell ein Pferdegebiß zu putzen. Offenbar verirrte sich niemals ein Sonnenstrahl in diesen Raum.
Mittlerweile hatte Herr Gourd die Koffer gemustert. Er hatte mit dem Fuße daran gestoßen und ihr Gewicht schien ihm Achtung einzuflößen. Er sagte, er wolle einen Dienstmann holen, der die Koffer über die Dienstbotentreppe hinaufschaffe.
Dann rief er in die Loge hinein:
Ich gehe fort, Frau Gourd.
Diese Loge bestand zunächst aus einem kleinen Salon mit hellen Spiegelscheiben; den Boden bedeckte ein Plüschteppich mit roten Blumen; die Möbel waren von Mahagoniholz. Durch eine halboffene Tür bemerkte man einen Teil des Schlafzimmers, wo ein Bett mit roten Ripsvorhängen stand. Frau Gourd, sehr dick, mit einer bändergezierten Haube auf dem Kopfe, lag in einem Sessel ausgestreckt, die Hände müßig über den Bauch gekreuzt.
Kommen Sie mit hinauf! sagte der Architekt.
Er öffnete die aus Mahagoniholz gezimmerte Türe des Vorraumes, und da er merkte, daß die schwarze Samtmütze und die hellblauen Pantoffel des Herrn Gourd auf den jungen Mann einen lebhaften Eindruck gemacht hatten, fügte er hinzu:
Ja, es ist der ehemalige Kammerdiener des Herzogs von Vaugelade.
Ah, sagte Octave einfach.
Jawohl, und er hat die Witwe eines kleinen Aufsehers von Mort-la-Ville geheiratet. Sie besitzen dort auch ein Haus; doch warten sie, bis sie 3000 Franken Rente erworben haben, dann werden sie sich dorthin zurückziehen … Sehr anständige Hausmeistersleute!
Stiegenhaus und Treppe waren von einem auffälligen Luxus. Am Treppenabsatze stand eine weibliche Figur, eine Art vergoldeter Neapolitanerin, die auf dem Kopfe einen Krug trug, aus dem drei mit mattgeschliffenen Gläsern versehene Gaslampenarme sich abhoben. Die rund aufsteigende Treppenwand war mit unechtem Marmor verkleidet und bis hinauf in regelmäßige Felder eingeteilt, weiß mit rosa Einfassung. Das aus Gußeisen hergestellte, mit Mahagoniholz belegte Treppengeländer glich altem Silber, geziert mit Knospen aus Goldblättern. Die Stufen waren mit einem durch Kupferringe festgehaltenen, roten Teppich belegt. Was Octave beim Eintritt in den Vorraum am meisten überraschte, war eine Treibhauswärme, ein lauer Hauch, der ihn anwehte.
Ist denn die Treppe geheizt?
Freilich, erwiderte Campardon. Heutzutage muß jeder Hausbesitzer, der auf seinen Namen etwas hält, sich zu solcher Ausgabe verstehen. Dieses Haus ist vornehm, sehr vornehm.
Er blickte rund umher, um gleichsam mit den Augen eines Baumeisters die Mauern zu prüfen.
Sie werden sehen, mein Lieber; durchaus vornehm … Auch die Bewohner sind durchwegs vornehme Leute …
Während sie langsam hinaufstiegen, zählte er ihm die Bewohner des Hauses auf. In jedem Stockwerke waren zwei Wohnungen; die eine ging auf die Straße, die andere auf den Hof; die lackierten Türen von Mahagoniholz lagen einander gegenüber. Zunächst gab er flüchtige Aufschlüsse über Herrn Louis Vabre. Es war der ältere Sohn des Hauseigentümers; er hatte im Frühjahr das Seidenwarengeschäft im Erdgeschoß eröffnet und nahm auch das ganze Zwischengeschoß ein. Im ersten Stockwerk bewohnte Herr Theophile Vabre, der andere Sohn des Hauseigentümers, mit seiner Gemahlin die Hofwohnung; die Vorderwohnung hatte der Hausbesitzer selbst inne, ein vormaliger Notar von Versailles, der übrigens bei seinem Schwiegersohn wohnte, Herrn Duverdy, Rat am Berufungshofe.
Jawohl, Berufungsgerichtsrat und noch nicht über 45 Jahre! sagte Campardon. Das ist hübsch, wie?
Er stieg zwei Stufen empor, dann wandte er sich plötzlich um und sagte:
Wasserleitung und Gasbeleuchtung ist in allen Stockwerken.
Auf jedem Treppenabsatz stand unter dem hohen Fenster, durch dessen matte Scheibe ein gedämpftes Licht eindrang, ein schmales Bänkchen von rotem Samt. Der Architekt erteilte die Aufklärung, daß betagte Leute, welche die Treppe emporsteigen, hier ausruhen könnten.
Als er über das zweite Stockwerk gehen wollte, ohne seine Bewohner zu nennen, fragte Octave, nach der Tür der großen Wohnung zeigend:
Und da?
Ach, da? Leute, die man nie sieht, die niemand kennt … Die übrigen Mieter würden gern auf diese Nachbarschaft verzichten … Mein Gott! Flecke sind überall zu finden …
Dann fügte er in verächtlichem Tone hinzu:
Der Herr macht Bücher, glaube ich.
Im dritten Stockwerk lächelte er wieder zufrieden. Die Hofwohnung war in zwei Teile abgesondert. Da wohnte Madame Juzeur, eine recht unglückliche kleine Frau, und daneben ein sehr vornehmer Herr, dessen Name nicht bekannt ist. Er hat ein Zimmer inne, wohin er nur einmal in der Woche Geschäfte halber kommt. Während dieser Aufklärungen hatte Campardon die Tür der andern Wohnung geöffnet.
Hier sind wir bei mir, sagte er. Warten Sie, bis ich Ihren Schlüssel hole. Wir wollen zuerst in Ihr Zimmer hinaufgehen, nachher will ich Sie mit meiner Frau bekannt machen.
Während der zwei Minuten, die er allein blieb, stand Octave unter dem Eindrucke der tiefen Stille, die auf der Treppe herrschte. Er neigte sich über das Geländer, angeweht von der Wärme, die von unten aufstieg; dann blickte er empor und horchte, ob keinerlei Geräusch von oben zu vernehmen sei. Es herrschte die tiefe Stille eines bürgerlichen Salons, der sorgfältig verschlossen ist, und wohin von außen kein Hauch zu dringen vermag. Es war, als ob hinter den schön lackierten Mahagonitüren unermeßliche Tiefen von Ehrenhaftigkeit lägen.
Sie werden vortreffliche Nachbarn haben, sagte Campardon, der jetzt mit dem Schlüssel kam. In der Vorderwohnung logiert die Familie Josserand; der Vater ist Kassier in der Glasfabrik Sankt-Joseph und hat zwei heiratsfähige Töchter; neben Ihnen wohnt eine kleine Beamtenfamilie, die Pichons. Die Leute sind nicht reich, aber gut erzogen… Man muß doch alle Wohnungen vermieten, selbst in einem Hause wie diesem.
Vom dritten Stockwerk angefangen verschwand der rote Teppich; an seine Stelle trat eine einfache graue Leinwand. Octave fühlte sich dadurch ein klein wenig in seiner Eigenliebe verletzt. Die Treppe hatte ihn allmählich mit Achtung erfüllt; er hatte sich darüber gefreut, in einem so »vornehmen« Hause zu wohnen, wie der Architekt es genannt hatte. Hinter diesem einhergehend, bemerkte er auf dem Gange, der zu seinem Zimmer führte, durch eine halboffene Türe eine junge Frau, die vor einer Wiege stand. Bei dem Geräusch der Tritte blickte sie auf. Sie war blond und hatte helle, ausdruckslose Augen; er erhaschte nur diesen Blick, denn die junge Frau stieß plötzlich errötend die Türe zu mit der verschämten Miene einer überraschten Person.
Campardon wandte sich um und wiederholte:
Wasserleitung und Gasbeleuchtung ist in allen Stockwerken, mein Lieber.
Dann zeigte er auf eine Türe, die nach der Dienstbotentreppe führte. Oben befanden sich die Zimmer des Dienstgesindes. Jetzt blieb er am Ende des Flures stehen und sagte:
Endlich sind wir bei Ihnen.
Das viereckige, ziemlich große Zimmer hatte eine graue Papiertapete mit blauen Blumen und Möbel aus Mahagoni. Neben dem Schlafzimmer war eine Art Toilettenkabinett eingerichtet, so groß, daß man sich daselbst die Hände waschen konnte. Octave ging geradeaus zum Fenster, durch das ein trübes, grünliches Licht hereinfiel. Traurig und sauber gähnte der Hof unter ihm mit seinem regelmäßigen Pflaster und seinem Brunnen, dessen kupferner Hahn bis herauf glänzte. Noch immer kein lebendes Wesen, kein Geräusch; nichts als die gleichförmigen Fenster ohne einen Vogelbauer, ohne einen Blumentopf, den eintönigen Anblick ihrer weißen Vorhänge darbietend. Um die große kahle Mauer des Nachbarhauses zur Linken zu verdecken, welche das Viereck des Hofes abschloß, hatte man daselbst die Fensterreihen wiederholt durch gemalte falsche Fenster mit ewig geschlossenen Läden, hinter denen das verschlossene Leben der benachbarten Wohnungen sich fortzusetzen schien.
Ich werde ja prächtig wohnen! rief Octave entzückt aus. Nicht wahr? sagte Campardon. Mein Gott! Ich habe alles so veranstaltet, als ob es für mich selbst geschehe, überdies bin ich den Weisungen nachgekommen, die Sie mir in Ihren Briefen gegeben haben … Also die Einrichtung gefällt Ihnen. Nun, Sie haben alles, was ein junger Mann braucht. Später werden Sie selbst das Nötige nachschaffen.
Octave drückte ihm unter Ausdrücken des Dankes und der Entschuldigungen für die verursachte Mühe sehr warm die Hände, worauf der Architekt mit ernster Miene sagte:
Hier, mein Lieber, müssen Sie sich geräuschlos bewegen, und vor allem keine Weiber … Wenn Sie einmal ein Frauenzimmer mitbrächten, auf Ehre! das würde das ganze Haus in Aufruhr versetzen.
Seien Sie beruhigt, murmelte der junge Mann etwas zerstreut.
Wahrhaftig, ich selbst wäre dadurch bloßgestellt. Sie haben das Haus gesehen. Durchwegs Bürgersleute und von einer Anständigkeit, die, unter uns gesagt, oft zu weit getrieben wird. Man hört niemals ein Wort, niemals das geringste Geräusch – ganz wie Sie es gesehen und gehört haben. Ei ja! Herr Gourd liefe sogleich zu Herrn Vabre, und dann säßen wir beide in der Tinte! … Ich bitte Sie daher noch einmal um meiner Ruhe willen: achten Sie das Haus!
Ergriffen von so großer Rechtschaffenheit, gelobte Octave hoch und teuer, das Haus zu achten. Campardon aber blickte vorsichtig umher und sagte dann mit gedämpfter Stimme:
Auswärts – hat sich niemand um Sie zu kümmern. Paris ist groß, man findet Platz genug … Was mich betrifft – ich bin Künstler und nehme es nicht so genau!
Jetzt wurden die Koffer durch einen Dienstmann heraufgeschafft. Als alles an Ort und Stelle war, half der Architekt in väterlicher Weise dem jungen Mann bei seiner Toilette. Als diese beendet war, erhob er sich und sagte:
Jetzt wollen wir hinabgehen, um meine Frau zu sehen.
Im dritten Stockwerk fanden sie die Zofe, ein schmächtiges, kokettes Mädchen mit brünetter Hautfarbe. Die Zofe erklärte, Madame sei beschäftigt. Weil er ohnehin schon in Erklärungen begriffen war und seinen jungen Freund rasch mit allem vertraut machen wollte, zeigte der Architekt dem Gaste die Wohnung. Vor allem den großen, in Weiß und Gold gehaltenen Salon, mit schön gegliederten Friesen reich verziert, zwischen einem kleinen grünen Salon gelegen, aus dem er ein Arbeitszimmer gemacht hatte, und dem Schlafzimmer, wohin sie jetzt nicht eintreten konnten, das aber – wie Campardon seinem jungen Freunde sagte – ziemlich schmal und mit einer malvenfarbenen Tapete bekleidet war. Dann kamen sie in den Speisesaal, der ganz mit unechtem Holzgetäfel geziert war und eine sehr verwickelte Ausschmückung von Feldern und Rosetten zeigte.
Das ist ja herrlich! rief Octave entzückt aus.
An der Decke durchschnitten zwei lange Risse die Rosetten; in einer Ecke der Decke war die Malerei abgesprungen, so daß der Mörtel sichtbar war.
Ja, es wirkt, sagte der Architekt langsam, wobei er nach der Decke schaute. Sie begreifen: diese Häuser sind für die Wirkung gebaut … aber es wäre nicht ratsam, die Mauern gar zu streng zu prüfen. Das Haus steht kaum zwölf Jahre und beginnt schon, die Haut abzuwerfen. Die Vorderseite wird aus schönen Steinen mit Bildhauerarbeiten hergestellt, das Stiegenhaus dreifach lackiert, die Wohnräume werden vergoldet und bemalt: Das zieht die Leute an und flößt ihnen Vertrauen ein. Unser Haus ist noch ziemlich fest und wird länger dauern als wir.
Sie kamen jetzt wieder durch das Vorzimmer, das durch ein Fenster mit matten Scheiben das Licht empfing. Links befand sich noch ein Hofzimmer, wo seine Tochter Angela schlief; das Zimmer war ganz weiß und glich in dem trüben Lichte dieses Novemberabends einer Gruft. Am Ende des Ganges lag die Küche, wohin der Baumeister seinen Gast durchaus führen wollte, damit er alles sehe.
Treten Sie nur ein! sagte er, die Türe aufstoßend.
Ein greulicher Lärm drang aus der Küche. Das Fenster stand trotz der Kälte weit offen. An dem Geländer des Fensters standen das brünette Stubenmädchen und eine dicke alte Köchin und neigten sich in den finstern Abgrund eines engen, innern Hofes hinaus, auf den Stockwerk für Stockwerk die Fenster sämtlicher Küchen des Hauses sich öffneten. Alle beide schrieen zu gleicher Zeit in den Abgrund hinab, aus dessen Tiefe übermütige Stimmen herauftönten, untermengt von Gelächter und Flüchen. Es war, als ob ein Ausguß seines Inhaltes entleert werde. Das Dienstgesinde des ganzen Hauses war versammelt, um sich gehen zu lassen. Octave gedachte augenblicklich der bürgerlichen Wohlanständigkeit, die auf der großen Treppe herrschte.
Jetzt wandten die beiden Frauenzimmer sich um, als ob eine Ahnung ihnen die Anwesenheit der beiden Herren verraten hätte. Sie waren überrascht, als sie ihren Gebieter in Gesellschaft eines fremden Herrn sahen. Die Fenster flogen zu, und es trat wieder tiefes Stillschweigen ein.
Was gibt's, Lisa? fragte Campardon.
Gnädiger Herr, sagte die Zofe in erregtem Tone, es ist wieder dieser Schmutzfink Adele. Sie hat die Eingeweide eines Kaninchens durch das Fenster hinuntergeworfen. Gnädiger Herr sollten mit Herrn Josserand darüber reden.
Campardon blieb ernst: er schien sich in die Sache nicht einmengen zu wollen. Er kehrte in sein Arbeitszimmer zurück und sagte zu Octave:
Sie haben jetzt alles gesehen. In all...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Kapitel 1
  3. Kapitel 2
  4. Kapitel 3
  5. Kapitel 4
  6. Kapitel 5
  7. Kapitel 6
  8. Kapitel 7
  9. Kapitel 8
  10. Kapitel 9
  11. Kapitel 10
  12. Kapitel 11
  13. Kapitel 12
  14. Kapitel 13
  15. Kapitel 14
  16. Kapitel 15
  17. Kapitel 16
  18. Kapitel 17
  19. Kapitel 18