Glanz und Elend der Kurtisanen
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Glanz und Elend der Kurtisanen

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Glanz und Elend der Kurtisanen

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Die Fortsetzung der 'Verlorenen Illusionen'. Dichter Lucien de Rubempré und Bankier de Nucingen rivalisieren um Kurtisane Esther. Damit er nicht ganz auf verlorenem Posten steht, schließt Lucien einen Pakt mit einem falschen Priester.

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Information

ISBN
9789635238095

Teil 1

Von der Liebe der Dirnen

Beim letzten Opernball des Jahres 1824 fiel mehreren Masken die Schönheit eines jungen Mannes auf, der in den Gängen und im Foyer auf und ab ging; und zwar in der Haltung eines Menschen, der eine durch unvorhergesehene Umstände in ihrem Hause zurückgehaltene Frau sucht. Das Geheimnis dieses bald eiligen, bald lässigen Schritts ist nur alten Frauen und einigen ausgedienten Pflastertretern bekannt. Bei jenem ungeheuren Stelldichein beobachtet die Masse die Masse nur wenig; die Interessen sind leidenschaftlich, der Müßiggang selbst ist mit sich beschäftigt. Der junge Dandy wurde von seiner unruhigen Suche so sehr in Anspruch genommen, daß er seinen Erfolg gar nicht bemerkte: die spöttisch bewundernden Rufe gewisser Masken, das ernsthafte Erstaunen, die beißenden ›lazzi‹, die süßesten Worte hörte und sah er nicht. Obgleich seine Schönheit ihn unter die Ausnahmepersonen einreihte, die den Opernball besuchen, um dort ein Abenteuer zu verfolgen, und die es erwarteten, wie man zu Lebzeiten Frascatis einen Glücksfall beim Roulette erwartete, so schien er doch seines Abends sicher wie ein Bürger; er mußte der Held eines jener Mysterien sein, die sich unter drei Personen abspielen, jener Mysterien, aus denen der ganze Opernball besteht und die nur denen bekannt sind, die eine Rolle darin haben; denn für junge Frauen, die hingehen, um sagen zu können: ›Ich habe es gesehen‹, für Provinzialen, für unerfahrene junge Leute und Fremde muß die Oper an diesen Abenden der Palast der Ermüdung und der Langweile sein. Für sie ist diese schwarze, langsame und gedrängte Masse, die kommt und geht, sich schlängelt und wendet und wieder wendet, hinauf und hinab steigt und sich mit nichts vergleichen läßt als mit Ameisen auf ihrem Haufen, ebensowenig verständlich, wie die Börse einem bretonischen Bauern, der nichts vom Dasein der Staatspapiere weiß, verständlich ist. Mit in allen Zonen von Paris ein Auftreten gibt, das offenbart, wer man ist, was man tut, woher man kommt und was man will?
»Was für ein hübscher junger Mann! Hier kann man sich umdrehen und ihn ansehen,« sagte eine Maske, in der die Stammgäste des Balls eine anständige Frau erkannten. »Sie entsinnen sich seiner nicht?« antwortete der Herr, der ihr den Arm reichte. »Und doch hat Frau du Châtelet ihn Ihnen vorgestellt … « »Wie! Das ist der Apothekerssohn, in den sie sich vernarrt hatte und der Journalist wurde, der Liebhaber des Fräulein Coralie?« »Ich glaubte, er wäre zu tief gefallen, um je wieder in die Höhe zu kommen, und ich verstehe nicht, wie er in der Pariser Gesellschaft wieder auftreten kann?« sagte der Graf Sixtus du Châtelet. »Er sieht aus wie ein Prinz,« sagte die Maske, »und nicht die Schauspielerin, mit der er lebte, wird ihn so verwandelt haben; meine Cousine, die ihn entdeckt hatte, hat ihn nicht herauszuputzen verstanden; ich möchte wohl die Geliebte dieses Sargino kennen. Sagen Sie mir etwas aus seinem Leben, was mich instand setzt, ihn zu beunruhigen.«
Dieses Paar, das dem jungen Manne flüsternd folgte, wurde eben jetzt von der breitschultrigen Maske scharf beobachtet.
»Lieber Herr Chardon,« sagte der Präfekt der Charente, indem er den Dandy am Arm nahm, »erlauben Sie mir, Ihnen jemanden vorzustellen, der seine Bekanntschaft mit Ihnen wieder anknüpfen möchte … « »Lieber Graf Châtelet,« erwiderte der junge Mann, »ebendiese Dame hat mich gelehrt, wie lächerlich der Name war, den Sie mir geben. Eine Ordonnanz des Königs hat mir den meiner Vorfahren mütterlicherseits, der Rubemprés, verliehen. Wenn auch die Zeitungen diese Tatsache gemeldet haben, so geht sie doch nur eine so dürftige Persönlichkeit an, daß ich nicht erröte, sie meinen Freunden, meinen Feinden und den Gleichgültigen ins Gedächtnis zurückzurufen: Sie werden sich rechnen, worunter Sie wollen, aber ich bin überzeugt, Sie werden nicht eine Maßregel mißbilligen, die Ihre Frau mir anriet, als sie nur erst eine Frau von Bargeton war.«
Dieses hübsche Epigramm, über das die Marquise lächeln mußte, jagte dem Präfekten ein nervöses Zittern durch den Körper.
»Sie werden ihr sagen,« fügte Lucien hinzu, »daß ich jetzt den roten Schild mit dem wütenden Silberstier im grünen Felde führe.« »Dem Silberstier … « wiederholte Châtelet. »Die Frau Marquise wird Ihnen erklären, weshalb dieses alte Wappenschild etwas Besseres ist als der Kammerherrnschlüssel und die goldenen Bienen des Kaiserreichs, die sich in dem Ihren befinden, und zwar zur großen Verzweiflung der Frau Châtelet, gebornen Nègrepelisse d'Espard … « sagte Lucien lebhaft. »Da Sie mich erkannt haben, kann ich Sie nicht mehr beunruhigen; und ich könnte Ihnen nicht erklären, wie sehr Sie mich beunruhigen,« sagte die Marquise d'Espard mit leiser Stimme zu ihm; sie war erstaunt über die Unverschämtheit und Sicherheit, die dieser einst von ihr verachtete Mann sich erworben hatte. »Erlauben Sie also, gnädige Frau, daß ich mich nicht der einzigen Möglichkeit beraube, Ihre Gedanken zu beschäftigen; lassen Sie mich in diesem geheimnisvollen Halbschatten,« sagte er mit dem Lächeln des Mannes, der nicht ein sicheres Glück gefährden will. Die Marquise konnte eine kurze, harte Bewegung nicht unterdrücken, als sie sich, nach einem englischen Ausdruck, von Luciens Schärfe so ›geschnitten‹ sah. »Ich mache Ihnen mein Kompliment zu Ihrem Standeswechsel,« sagte der Graf du Châtelet zu Lucien. »Ich nehme es an, wie Sie es geben,« erwiderte Lucien, indem er die Marquise mit unendlicher Anmut grüßte. »Der Geck!« sagte der Graf leise zu Frau d'Espard, »endlich hat er seine Vorfahren erobert!« »Bei jungen Leuten deutet die Geckerei, wenn sie sich gegen uns wendet, fast immer auf ein sehr hoch stehendes Glück; denn unter Ihnen deutet sie auf Unglück. Deshalb möchte ich diejenige unserer Freundinnen kennen, die diesen schönen Vogel in ihren Schutz aufgenommen hat; vielleicht sähe ich dann eine Möglichkeit, mich heute abend zu amüsieren. Mein anonymer Brief ist zweifellos eine von einer Rivalin vorbereitete Bosheit, denn es ist von diesem jungen Mann darin die Rede; seine Unverschämtheit wird ihm diktiert worden sein: spionieren Sie ihm nach. Ich will den Arm des Herzogs von Navarreins nehmen; Sie werden mich schon wiederfinden können.«
In dem Augenblick, als Frau d'Espard ihren Verwandten anreden wollte, trat die geheimnisvolle Maske zwischen sie und den Herzog, um ihr ins Ohr zu sagen: »Lucien liebt Sie; er hat den Brief geschrieben; Ihr Präfekt ist sein größter Feind; konnte er sich vor ihm erklären?«
Der Unbekannte ging und ließ Frau d'Espard in doppelter Überraschung zurück. Die Marquise kannte keinen Menschen auf der Welt, der imstande gewesen wäre, die Rolle dieser Maske zu spielen; sie fürchtete eine Falle, setzte und versteckte sich.
Der Graf Sixtus du Châtelet, dessen ehrgeiziges ›du‹ Lucien mit einer Absichtlichkeit unterdrückt hatte, die nach lange erträumter Rache roch, folgte dem wunderbaren Dandy aus einiger Ferne; bald traf er auf einen jungen Mann, dem er sein Herz ausschütten zu können vermeinte. »Nun, Rastignac, haben Sie Lucien gesehen? Er hat sich gehäutet.« »Wenn ich ein ebenso hübscher Junge wäre wie er, wäre ich noch reicher als er,« erwiderte der junge Lebemann in leichtem, aber feinem Ton, der eine attische Spötterei verriet. »Nein,« sagte ihm die dicke Maske ins Ohr; und durch den Ton, mit dem sie das eine Wort aussprach, gab sie ihm tausend Spöttereien für seine eine zurück. Rastignac, der nicht der Mann dazu war, eine Beleidigung hinunterzuschlucken, stand da wie vom Blitz getroffen und ließ sich von einer Eisenhand, die abzuschütteln ihm unmöglich war, in die Nische eines Fensters führen. »Sie junger Hahn aus Mama Vauquers Hühnerstall, Sie, dem es an Herz fehlte, die Millionen des Papa Taillefer zu packen, als der größte Teil der Arbeit schon getan war, erfahren Sie zu Ihrer persönlichen Sicherheit dies: wenn Sie sich gegen Lucien nicht wie gegen einen Bruder verhalten, den Sie lieben, so sind Sie in unserer Hand, ohne daß wir in Ihrer wären. Schweigen und Ergebenheit! Sonst mische ich mich in Ihr Spiel ein und stoße Ihnen die Kegel um. Lucien von Rubempré steht im Schutz der größten Macht von heute, der Kirche. Wählen Sie zwischen Leben und Tod. Ihre Antwort?«
Rastignac schwindelte es wie einen Menschen, der im Walde eingeschlafen ist und an der Seite einer ausgehungerten Löwin erwacht. Er fürchtete sich, und er hatte keine Zeugen: in solchen Fällen überlassen sich die mutigsten Männer der Furcht. »Nur er kann wissen … und wagen … « sagte er halblaut vor sich hin. Die Maske drückte ihm die Hand, um ihn zu verhindern, daß er seinen Satz aussprach. »Handeln Sie, als wäre er es,« sagte sie. Rastignac tat, was ein Millionär auf der Landstraße täte, wenn er einen Räuber auf sich anschlagen sähe: er kapitulierte.
»Mein lieber Graf,« sagte er zu du Châtelet, als er zu ihm zurückkehrte, »wenn Ihnen an Ihrer Stellung liegt, so behandeln Sie Lucien von Rubempré wie einen Menschen, den Sie eines Tages viel höher gestellt sehen werden, als Sie es sind.«
Die Maske ließ sich eine unmerkliche Geste der Befriedigung entschlüpfen und nahm die Spur Luciens wieder auf.
»Mein Lieber, Sie haben Ihre Meinung über ihn gar schnell geändert,« erwiderte der mit Recht erstaunte Präfekt. »Gibt es heute noch Meinungen? Es gibt nur noch Interessen,« fiel Des Lupeaulx, der sie hörte, ein; »um was handelt es sich?« »Um den Herrn von Rubempré, den Rastignac als eine Persönlichkeit ausgeben will,« sagte der Deputierte zu dem Generalsekretär. »Mein lieber Graf,« erwiderte Des Lupeaulx mit ernsthafter Miene, »Herr von Rubempré ist ein junger Mann von höchstem Verdienst; und er hat so gute Stützen, daß ich mich glücklich schätzen würde, wenn ich meine Bekanntschaft mit ihm wieder anknüpfen könnte.« »Da wird er gleich in das Wespennest der Wüstlinge unserer Zeit hineingeraten,« sagte Rastignac.
Die drei Teilnehmer des Gesprächs wandten sich einem Winkel zu, in dem ein paar Schöngeister, mehr oder minder berühmte Leute, und einige elegante Männer standen. Diese Herren teilten sich ihre Beobachtungen, ihre Witze und ihre Bosheiten mit, indem sie versuchten, sich zu amüsieren, oder indem sie ein Vergnügen erwarteten. In dieser so wunderlich zusammengesetzten Gruppe befanden sich auch Leute, zu denen Lucien Beziehungen gehabt hatte, und unter deren scheinbar gutem Verhältnis zu ihm sich schlimme Dienste verbargen.
»Nun, Lucien, mein Kind, mein Liebchen, da sind Sie ja wieder ausgestopft und ausstaffiert. Woher kommen wir? Sind wir endlich mit Hilfe der Geschenke aus Florines Boudoir wieder in den Sattel gekommen? Bravo, mein Bürschchen!« sagte Blondet, indem er Finots Arm losließ, um Lucien vertraulich um die Hüften zu fassen und ans Herz zu drücken.
Andoche Finot war der Besitzer einer Zeitschrift, an der Lucien fast unentgeltlich mitgearbeitet hatte und die er nicht wie Finot daran, sich das für den Bejahrten nötige Vermögen zu erwerben.
Es gehörte für Lucien vielleicht der schwierigste Mut dazu, um in diesem Augenblick Blondet zu ›schneiden‹, wie er soeben Frau d'Espard und Châtelet geschnitten hatte. Zu seinem Unglück hemmte bei ihm die Genußsucht der Eitelkeit die Entfaltung des Ehrgeizes, der sicherlich der Ausgangspunkt vieler großen Dinge ist. Seine Eitelkeit hatte in jenem ersten Waffengang triumphiert; er hatte sich vor zwei Leuten, die ihn einst in seiner Armut und seinem Elend verachtet hatten, reich, glücklich und geringschätzig gezeigt; aber konnte ein Dichter gleich einem ergrauten Diplomaten zwei sogenannten Freunden die Spitze bieten, die ihn in seinem Elend aufgenommen, die während der Tage seiner Not ihr Bett mit ihm geteilt hatten? Finot, Blondet und er hatten sich gemeinsam weggeworfen; sie hatten sich in Orgien gewälzt, die nicht nur das Geld ihrer Gläubiger auffraßen. Gleich jenen Soldaten, die ihren Mut nicht am rechten Ort anzubringen wissen, tat Lucien jetzt das, was sehr viele Leute in Paris tun: er kompromittierte sich von neuem, indem er Finots Händedruck annahm und sich gegen Blondets Liebkosung nicht wehrte. Wer sich je mit dem Journalismus befaßt hat oder noch befaßt, sieht sich in der grausamen Notwendigkeit, Leute, die er verachtet, begrüßen, seinen besten Feinden zulächeln, mit den übelriechendsten Gemeinheiten paktieren und, wenn er seine Angreifer mit ihrer eigenen Münze bezahlen will, sich die Finger beschmutzen zu müssen. Man gewöhnt sich daran, zuzusehen; wenn Schlimmes geschieht, es geschehen zu lassen; man billigt es erst, man tut es schließlich selbst. Auf die Dauer wird die Seele, die durch schmähliche und dauernde Kompromisse unablässig befleckt wird, kleiner, die Schnellfeder edler Gedanken verrostet, die Angeln der Banalität nutzen sich ab und drehen sich von selber. Alzesten werden zu Philinten; Charaktere erschlaffen, Talente werden zu Bastardbegabungen, der Glaube an schöne Werke entfliegt. Wer einst auf die beschriebenen Blätter stolz sein wollte, verschwendet seine Kraft auf traurige Artikel, die sein Gewissen ihm früher oder später als ebenso viel schlimme Handlungen vorwirft. Man war gekommen, wie es bei Lousteau, bei Vernou ging, um ein großer Schriftsteller zu werden; man erkennt in sich selbst den ohnmächtigen Libellisten. Deshalb kann man jene, bei denen der Charakter auf der Höhe ihres Talents steht, niemals genug loben: die d'Arthez, die sichern Fußes durch die Klippen des literarischen Lebens zuschreiten wissen. Lucien wußte auf Blondets Schmeicheleien nichts zu erwidern, denn dessen Geist übte auf ihn eine unwiderstehliche Verführung aus, er bewahrte noch immer die Gewalt des Wüstlings über seinen Schüler, und außerdem nahm er durch seine Liaison mit der Gräfin von Montcornet in der Gesellschaft eine gute Stellung ein.
»Haben Sie einen Onkel beerbt?« fragte Finot mit spöttischer Miene. »Ich habe wie Sie begonnen, die Dummen systematisch zu schröpfen,« erwiderte Lucien im gleichen Ton. »Hätte der Herr eine Zeitschrift, irgendein Journal?« fragte Andoche Finot mit der unverschämten Selbstzufriedenheit, die der Ausbeutende dem Ausgebeuteten gegenüber entfaltet. »Ich habe Besseres,« versetzte Lucien, dessen durch die gespielte Überlegenheit des Chefredakteurs verwundete Eitelkeit ihm den Geist seiner neuen Stellung zurückgab. »Und was haben Sie, mein Lieber? … « »Ich habe eine Partei.« »Es gibt eine Partei Lucien?« fragte Vernou lächelnd. »Finot, da hat dich dieser Bursche in Schatten gestellt, ich habe es dir vorhergesagt, Lucien hat Talent, du hast ihn nicht richtig behandelt, du hast ihn gerädert. Bereue, grober Tölpel!« rief Blondet.
schönste Zierde du gewesen bist, und wir werden dich stützen. Finot, ein paar Zeilen im Leitartikel! Blondet, ein verfängliches Artikelchen auf der vierten Seite deines Blattes! Wir wollen das Erscheinen des schönsten Buches der Zeit, des ›Bogenschützen Karls IX.‹ melden. Wir wollen Dauriat anflehen, uns bald die ›Margueriten‹ zu bescheren, jene göttlichen Sonette des französischen Petrarca! Erheben wir unsern Freund auf den Schild des Stempelpapiers, das einen Ruf schafft oder vernichtet!« »Wenn du ein Souper willst,« sagte Lucien zu Blondet, um diese Truppe, die immer größer zu werden drohte, abzuschütteln, »so scheint mir, hattest du es einem alten Freund gegenüber nicht nötig, Hyperbeln und Parabeln anzuwenden, als wäre er ein Tropf. Auf morgen Abend, bei Lointier!« sagte er lebhaft, als er eine Frau kommen sah, auf die er zueilte. »Oh! oh! oh!« sagte Bixiou in dreimal wechselndem Ton und mit spöttischer Miene, während es schien, als erkennte er die Maske, der Lucien entgegenging; »das verdient eine Bestätigung.« Und er folgte dem hübschen Paar, ging an ihm vorbei, prüfte es mit scharfblickendem Auge und kehrte zur großen Befriedigung all dieser Neider zurück, die nur zu gern wissen wollten, woher der Wechsel in Luciens Vermögensumständen kam. »Meine Freunde, ihr kennt seit langem das Glück des Herrn von Rubempré,« sagte Bixiou zu ihnen: »es ist die alte Ratte Des Lupeaulx'.«
Eine der jetzt vergessenen Verderbtheiten, die jedoch im Anfang dieses Jahrhunderts sehr verbreitet war, bestand in dem Luxus der ›Ratten‹. Eine Ratte – das Wort ist schon veraltet – nannte man ein Kind von zehn bis elf Jahren, eine Statistin an irgendeinem Theater, vor allem an der Oper, die irgendein Wüstling für das Laster und die Gemeinheit erzog. Eine Ratte war eine Art Höllenpage, ein weiblicher Gassenbube, dem man gute Streiche verzieh. Die Ratte konnte alles nehmen, man mußte ihr mißtrauen wie einem gefährlichen Tier; sie führte ein Element der Lustigkeit in das Leben ein, wie es in der alten Komödie die Scapins, die Sganarelles und die Frontins taten. Die Ratte war zu teuer: sie trug weder Ehre noch Nutzen noch Vergnügen ein; die Mode der Ratten verschwand so vollständig, daß heute nur wenige Menschen dieses intime Detail des eleganten Lebens vor der Restauration noch kannten, bis ein paar Schriftsteller sich der Ratte als eines neuen Themas bemächtigten.
»Wie, sollte uns Lucien, nachdem ihm Coralie unter dem Leibe getötet wurde, die Torpille entführen?« fragte Blondet. Als die Maske mit den athletischen Formen diesen Namen hörte, entschlüpfte ihr eine Bewegung, die Rastignac sah, obwohl sie verhalten war. »Das ist nicht möglich!« erwiderte Finot; »die Torpille hat keinen Heller zu geben: sie hat sich, wie mir Nathan sagte, von Florine tausend Franken geborgt.« »O meine Herren, meine Herren! … « sagte Rastignac, indem er Lucien gegen so gehässige Beschuldigungen zu verteidigen suchte. »Nun,« rief Vernou, »ist denn der ausgehaltene Geliebte Coralies so tugendhaft geworden? … « »O, gerade diese tausend Franken«, sagte Bixiou, »beweisen mir, daß unser Freund Lucien mit der Torpille zusammenlebt … « »Welchen unersetzlichen Verlust erlebt die Elite der Wissenschaft, der Kunst und der Politik!« rief Blondet. »Die Torpille ist das einzige Freudenmädchen, in dem man das Zeug zu einer schönen Kurtisane fand; kein Unterricht hatte sie verdorben, sie konnte weder lesen noch schreiben: sie hätte uns verstanden. Wir hätten unserer Zeit eine jener prachtvollen Aspasiafiguren geschenkt, ohne die es kein großes fügte er hinzu, indem er Blondet, Finot und Lousteau ansah. »Ja, der Bursche ist dazu geschaffen, um es weit zu bringen,« sagte Lousteau, der vor Eifersucht barst, »um so mehr, als er das hat, was wir ›Unabhängigkeit in den Ideen‹ nennen … « »Du hast ihn zu dem gemacht, was er ist,« sagte Vernou. »Nun,« versetzte Bixiou, indem er Des Lupeaulx ansah, »ich appelliere an die Erinnerungen des Herrn Generalsekretärs und Berichterstatters über die Bittschriften; diese Maske ist die Torpille, ich wette ein Souper … « »Ich halte die Wette,« sagte du Châtelet, der gern die Wahrheit wissen wollte. »Auf! Des Lupeaulx,« sagte Finot, »sehen Sie zu, daß Sie die Ohren Ihrer alten Ratte wiedererkennen.« »Es ist nicht nötig, einen Verstoß gegen die Maskenfreiheit zu begehen,« erwiderte Bixiou; »die Torpille und Lucien werden bis zu uns herkommen, wenn sie das Foyer wieder heraufgehn; ich mache mich anheischig, euch dann zu beweisen, daß sie es ist.« »Er ist also wieder übers Wasser gekommen, unser Freund Lucien?« sagte Nathan, der sich der Gruppe anschloß; »ich glaubte, er wäre für den Rest seiner Tage nach Angoulême zurückgekehrt. Hat er irgendein Geheimnis wider die Manichäer entdeckt?« »Er hat getan, was du so bald nicht tun wirst,« erwiderte Rastignac, »er hat alles bezahlt.« Die dicke Maske nickte beistimmend mit dem Kopf. »Wenn ein Mann in seinem Alter ein ordentlicher Mensch wird, gerät er auf Abwege; er hat keine Kühnheit mehr, er wird Rentier,« versetzte Nathan. »Oh, der wird stets ein großer Herr bleiben, und er wird innerlich stets eine Höhe der Gedanken besitzen, die ihn über viele sogenannte überlegene Menschen erhebt,« gab Rastignac zurück.
In diesem Augenblick sahen die Journalisten, Dandys und Müßiggänger, wie sich etwa Pferdehändler ein Pferd ansehen, das verkauft werden soll, prüfend den reizenden Gegenstand ihrer Wette an. Diese in der Kenntnis der Woher kommt diese Flamme, die eine liebende Frau umstrahlt und sie unter allen anderen auszeichnet? Woher kommt jene Leichtigkeit eines Luftgeistes, die die Gesetze der Schwere zu verwandeln scheint? Ist es die nach außen tretende Seele? Hat das Glück physische Kräfte? Die Harmlosigkeit einer Jungfrau, die Anmut der Kindheit verrieten sich unter dem Domino. Obgleich sie getrennt einhergingen, glichen diese beiden Wesen jenen Gruppen Floras und Zephyrs, die von den geschicktesten Bildhauern kunstvoll verschlungen sind; aber es war mehr als Skulptur, als die größte der Künste; Lucien und sein hübscher Domino erinnerten an jene mit Blumen oder Vögeln beschäftigten Engel, die der Pinsel Giovanni Bellinis unter die Bilder der Jungfrau-Mutter setzte; Lucien und diese Frau gehörten der Phantasie an, die über der Kunst steht, wie die Ursache über der Wirkung steht.
Als diese Frau, die alles vergaß, nur noch einen Schritt von der Gruppe entfernt war, rief Bixiou: »Esther!« Die Unglückliche wandte sich lebhaft um, wie jemand, der sich rufen hört, erkannte den boshaften Menschen und senkte den Kopf gleich einem Sterbenden, der den letzten Seufzer ausgestoßen hat. Ein gellendes Gelächter brach aus, und die Gruppe zerstob in der Menge wie ein Trupp erschreckter Feldmäuse, die am Rande des Weges in ihre Löcher schießen. Nur Rastignac entfernte sich nicht weiter, als er mußte, damit es nicht aussah, als flöhe er vor den funkelnden Blicken Luciens; er konnte einen zwiefachen, gleich tiefen, wenn auch verschleierten Schmerz bewundern: zunächst die Torpille, die wie vom Blitz getroffen war; dann die unverständliche Maske, den einzigen Menschen der Gruppe, der geblieben war. Esther flüsterte Lucien in dem Moment, in dem ihr die Knie brachen, etwas ins Ohr, und Lucien verschwand mit ihr, indem er sie stützte. Rastignac folgte dem hübschen Paar mit dem Blick, versunken in seine Gedanken.
»Woher hat sie diesen Namen der Torpille?« fragte ihn eine düstere Stimme, die ihn bis ins Innerste traf, denn sie war nicht mehr verstellt. »Er ist es, und er ist wieder entkommen … « sagte Rastignac vor sich hin. »Schweig, oder ich bringe dich um,« erwiderte die Maske, indem sie eine andere Stimme annahm. »Ich bin mit dir zufrieden; du hast dein Wort gehalten, und also hast du mehr als einen Arm zu deinem Dienst. Bleibe hinfort stumm wie das Grab; aber ehe du verstummst, antworte auf meine Frage.« »Nun, dieses Mädchen ist so reizvoll, daß sie dem Kaiser Napoleon den Kopf benommen hätte und daß sie selbst einem, der noch schwerer zu verführen ist, den Kopf benehmen würde: dir!« erwiderte Rastignac, indem er fortging. »Einen Augenblick!« sagte die Maske. »Ich will dir zeigen, daß du mich niemals irgendwo gesehen zu haben brauchst.«
Der Fremde nahm die Maske ab; Rastignac zögerte einen Augenblick, da er nichts von der scheußlichen Persönlichkeit erblick...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Teil 1
  3. Teil 2