Eugénie Grandet
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Das Buch handelt von der Familie Grandet, die in Saumur an der Loire lebt. Vater Grandet ist einer der reichsten Männer der Umgebung und dabei unmenschlich geizig; sein ganzes Trachten und Streben gilt allein der Wahrung und Mehrung seines Vermögens. Die Mutter, seine Tochter Eugénie und das Hausmädchen führen in seinem Schatten ein stilles, freudloses Dasein.

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Information

ISBN
9789635263370

Eugénie Grandet

Für Maria
Du, deren Bild die schönste Zierde dieses Werkes ist, dein Name sei hier wie im Hause ein geweihter Buchsbaumzweig. Man kennt nicht den Baum, von dem er stammt, aber der Glaube hat ihn geheiligt, und fromme Hände ersetzen den welkenden durch neues Grün – zu Schutz und Segen des Hauses.
De Balzac
In kleinen Städten findet man gar häufig Häuser, deren Anblick melancholisch stimmt, melancholisch wie das düsterste Kloster, wie die ödeste Heide oder die traurigste Ruine. Tatsächlich herrscht wohl auch in diesen Häusern das Schweigen des Klosters, die Unfruchtbarkeit der Heide und der Zerfall der Ruinen. Leben und Treiben vollziehen sich in ihnen so sacht, daß ein Fremder sie für unbewohnt halten könnte, würde er nicht plötzlich dem kalten Blick eines bleichen, starren Antlitzes begegnen, das die unbekannten Schritte ans Fenster gelockt haben.
Eine derartige Melancholie beherrscht auch die Physiognomie eines Hauses in Saumur, das am Ende der Hügelstraße liegt, die zum Schloß hinaufführt. Diese jetzt wenig begangene Straße, die im Sommer drückend heiß, im Winter schneidend kalt und stellenweise sehr düster ist, hat viel Bemerkenswertes. Sie ist mit Kieselsteinen gepflastert und immer sauber und trocken; lang und schmal windet sie sich zwischen stillen friedsamen Häusern hin, die zur Altstadt gehören und vom Stadtwall überragt werden. Es gibt hier Häuser, Fachwerkbauten, die schon drei Jahrhunderte gesehen haben und noch nicht baufällig sind. Ihr malerischer Anblick erhöht den eigenartigen Reiz dieses Stadtviertels, das für Historiker wie für Künstler gleich interessant ist.
Es ist schwer, an den Häusern hier vorüberzugehen, ohne die mächtigen Eichenbohlen zu bewundern, deren Enden meist bizarre Schnitzereien tragen und so das Erdgeschoß mit schwarzen Basreliefs krönen. Hier zeichnen schräge, mit Schieferplatten gedeckte Balken blaue Linien in gebrechliche Wände, und morsche Holzsäulen stützen ein Dach, dessen Schindeln von Sonne und Regen verdehnt und verbogen sind; dort grüßen verwitterte, geschwärzte Blumenbretter, deren zierliches Schnitzwerk kaum mehr erkennbar ist. Sie brechen fast zusammen unter der Last des Nelken- oder Rosenstöckchens, das irgendeine kleine Näherin ihnen anvertraute. Etwas weiter finden sich mit riesigen Nägeln beschlagene Haustore, auf denen das Genie unserer Vorfahren ein Stück Familiengeschichte in Hieroglyphen festgehalten hat, deren Sinn nie mehr entziffert werden kann. Da hat vielleicht ein Hugenotte sein Glaubensbekenntnis niedergelegt und ein Mitglied der Liga eine Verwünschung auf Heinrich IV. angebracht. Ein anderer Bürger suchte durch Insignien den Glanz seines Schöffenamtes festzuhalten. Die ganze Geschichte Frankreichs ist zu sehen. Neben dem Hause dort im bröckelnden Kalkbewurf erhebt sich der Palast eines Edelmanns. Der steinerne Torbogen zeigt noch die Spuren eines Wappens, das von den Revolutionen, die seit 1789 getobt haben, zerstört worden ist.
In dieser Straße sind die Handelsräume des Erdgeschosses weder Kaufläden noch Warenlager. Der Freund des Mittelalters wird hier die Werkstätten unserer Väter in all ihrer naiven Schlichtheit wiederfinden. Die niedrigen Hallen, die weder Schaufenster noch Aushängekasten haben, sind tief und dunkel und innen wie außen ohne jeden Schmuck. Ihre massiven, eisenbeschlagenen Türen bestehen aus zwei Teilen, deren oberer nach innen geöffnet wird und deren unterer, mit einer Glocke versehen, ununterbrochen in Bewegung ist. Luft und Tageslicht dringen in diese feuchtdumpfe Grotte teils oben durch die Türe ein, teils durch den Zwischenraum zwischen der Gewölbedecke und der in Brusthöhe abschließenden Mauerwand. Hier sind kräftige Holzverschläge eingefügt, die des Morgens geöffnet und des Abends geschlossen und mittels eiserner Bolzen verriegelt werden. Auf dieser Mauer werden die Waren des Händlers ausgebreitet. Da gibt es keinen marktschreierischen Betrug. Die Warenproben bestehen in zwei oder drei Säcken Salz oder Stockfisch, in einigen Rollen Segeltuch, in Seiler- und Messingwaren, die von den Deckenbalken herabhängen, in Faßreifen, die an die Mauer gelehnt sind, oder in einigen in Fächern aufgestapelten Ballen Tuch.
Tretet ein. Ein sauberes, nettes junges Mädchen im weißen Brusttuch mit runden roten Armen legt ihr Strickzeug beiseite und begrüßt euch freundlich. Dann ruft sie den Vater oder die Mutter, die bedächtig eintreten und euch je nach ihrem Charakter oder Temperament bedienen: heiter oder phlegmatisch oder herablassend – mag es sich nun um einen Gegenstand von zwei Sous oder zwanzigtausend Francs handeln.
Dort drüben seht ihr einen Holzhändler vor seiner Türe sitzen. Er schwatzt mit dem Nachbar und dreht dabei gemächlich die Daumen. Er hat anscheinend nur einige schlechte Flaschenbretter und zwei oder drei Bündel Latten anzubieten; aber sein Holzlager am Hafen versorgt alle Böttcher in ganz Anjou. Er weiß bis auf ein Brett genau, wieviel Fässer gebaut werden, wenn die Ernte gut ist. Ein Sonnenwetter macht ihn reich, eine Regenzeit ruiniert ihn. An einem einzigen Vormittag steigen die Ohmfässer auf elf Francs oder fallen auf sechs. Denn hierzulande – wie in der Touraine – beherrscht der Witterungswechsel das Handelsleben. Weinbauern, Gutsbesitzer, Holzhändler, Böttcher, Gastwirte, Schiffer – alle liegen auf der Lauer nach einem Sonnenstrahl. Wenn sie sich abends schlafen legen, zittern sie davor, am andern Morgen zu bemerken, daß es in der Nacht gefroren hat. Sie fürchten den Regen, den Wind, die Dürre und verlangen, daß Wasser, Bewölkung und Hitze sich nach ihren Wünschen richten. Ein fortwährender Zwiespalt herrscht zwischen dem Himmel und den irdischen Interessen. Das Barometer schafft betrübte oder heitere oder zufriedene Gesichter. Hier in der alten Straße, der einstigen Hauptstraße von Saumur, wandert der Ausruf ›Ein goldenes Wetter!‹ von Haus zu Haus. Und jedermann erwidert seinem Nachbar: ›Es regnet Goldstücke!‹ im vollen Bewußtsein, was ein Sonnenstrahl, was ein rechtzeitiger Regenguß ihm bedeutet.
In der schönen Jahreszeit gegen Samstagmittag werdet ihr jedoch bei diesen braven Händlern nicht für einen Sou mehr Ware bekommen. Ein jeder hat seinen Weingarten, seinen Landsitz, und ist für zwei Tage hinausgepilgert. Dort ist alles, Einkauf wie Verkauf und Gewinn vorhersehbar, und so sehen sich die Kaufherren in der angenehmen Lage, zehn Stunden von zwölf in behaglichem Spiel, beschaulicher Betrachtung, Klatsch und dauerndem Herumspionieren verbringen zu können. Keine Hausfrau kann ein Rebhuhn kaufen, ohne daß die Nachbarn den Eheherrn nachher fragen, ob es auch gut zubereitet worden sei. Kein junges Mädchen kann aus dem Fenster blicken, ohne von all den müßigen Gruppen gesehen zu werden. Und wie diese schwarzen und schweigsamen Häuser keine Geheimnisse bergen, so liegen hier Seele und Gewissen offen zutage. Das Leben spielt sich fast ganz im Freien ab. Jede Familie sitzt vor ihrer Türe; hier nimmt man die Mahlzeiten ein, hier unterhält und zankt man sich. Niemand kann auch nur unbemerkt über die Straße gehen. Es war wohl schon immer so: wenn ein Fremder in ein Provinzstädtchen kam, so wurde über ihn von Tür zu Tür geklatscht. Daher stammen so manche nette Geschichtchen, daher auch der Spitzname ›die Alleswisser‹, den man den Einwohnern Angers' anhängte, die Meister waren im Stadtklatsch.
Die alten Paläste der Altstadt liegen an der Höhe der Straße und wurden einst vom Adel des Landes bewohnt. Auch das sehr melancholisch aussehende Haus, das der Schauplatz vorliegender Erzählung ist, war der ehrwürdige Rest eines Jahrhunderts, da Menschen und Dinge noch den Charakter der Einfachheit trugen, den die französischen Sitten von Tag zu Tag mehr verlieren.
Folgt ihr den Windungen dieser malerischen Straße, wo jedes noch so unbedeutende Geschehnis ein Erinnern wachruft an längst entschwundene Zeiten, dieser Straße, die uns zum Träumen verleitet, so werdet ihr schließlich an eine dunkle Tornische gelangen; hier, tief im Torbogen verborgen, befindet sich die Tür zum ›Hause Grandet‹. Es ist nicht möglich, die volle Bedeutung dieser kleinstädtischen Bezeichnung zu verstehen, ohne die Lebensgeschichte von Monsieur Grandet zu erzählen.
Monsieur Grandet genoß in Saumur ein Ansehen, das nur der begreifen wird, der vertraut ist mit dem Leben in der Provinz. Monsieur Grandet – einige Greise, deren Anzahl sich jedoch spürbar verringerte, nannten ihn sogar noch ›Vater Grandet‹ – war im Jahre 1789 ein wohlhabender Böttchermeister, der lesen, schreiben und rechnen konnte. Als die Französische Republik im Bezirk von Saumur die Besitzungen der Geistlichkeit zu Verkauf brachte, hatte der damals vierzigjährige Böttcher soeben die Tochter eines reichen Holzhändlers geheiratet. Versehen mit seinen flüssigen Geldern und dem Heiratsgut, versehen mit rund zweitausend Louisdors, begab sich Grandet in diesen Distrikt. Hier gelang es ihm dank der zweihundert Doppellouis, womit sein Schwiegervater das Wohlwollen des rohen Republikaners gewann, der den Verkauf des Nationalgrundbesitzes überwachte, für ein Butterbrot und gesetzmäßig – wenn auch nicht rechtlich – in den Besitz der schönsten Weingärten des Bezirks, einer alten Abtei und einiger Meierhöfe zu kommen.
Die Bewohner von Saumur waren wenig revolutionär gesinnt, daher erschien ihnen der Vater Grandet als ein kühner Mann, ein Republikaner, ein Patriot – als ein Geist, der den neuen Anschauungen huldigte, wohingegen der Böttchermeister nur mit den Weinbergen liebäugelte. Er wurde in die Distriktverwaltung gewählt, und sein beruhigender Einfluß machte sich bald in Politik wie Handel bemerkbar. In der Politik beschützte er den alten Adel und verhinderte mit aller Macht den Verkauf der Besitzungen der Emigranten. Im Handel lieferte er den republikanischen Armeen ein- oder zweitausend Faß Weißwein und ließ sich in herrlichen Wiesen bezahlen, die ehemals einem Nonnenkloster gehörten und die man bis zuletzt für einen günstigen Verkauf aufgespart hatte.
Unter dem Konsulat wurde der Biedermann Grandet Bürgermeister, regierte weise – kelterte aber noch besser. Unter dem Kaiserreich wurde er wieder Monsieur Grandet. Napoleon liebte die Republikaner nicht: er ersetzte Monsieur Grandet, von dem es hieß, daß er zuzeiten die Jakobinermütze getragen habe, durch einen Großgrundbesitzer, einen ›Monsieur de‹, einen späteren Baron des Kaiserreichs.
Grandet verließ den ehrenvollen Amtsdienst ohne Bedauern. Er hatte, im Interesse der Stadt natürlich, dafür gesorgt, daß ausgezeichnete Wege gebaut wurden, die nun die Stadt mit seinen Landsitzen verbanden. Seine vorteilhaft in den Grundbüchern eingetragenen Liegenschaften waren mit geringen Steuern belastet. Dank der fortgesetzten Fürsorge, die er seinen Weingütern widmete, waren sie bald ›die Krone der Gegend‹ geworden – ein terminus technicus für diejenigen Weingüter, die den hervorragendsten Wein lieferten. Er hätte das Kreuz der Ehrenlegion beanspruchen können, das er auch später, im Jahre 1806, erhielt. Damals zählte Grandet siebenundfünfzig Jahre und seine Frau etwa sechsunddreißig. Eine einzige Tochter, die Frucht ihrer legitimen Liebe, war zehn Jahre alt.
Die Vorsehung wollte zweifellos Grandet für den Verlust seines Amtes trösten: er beerbte nacheinander Madame de la Gaudinière, geborene de la Bertellière, Mutter von Madame Grandet, dann den alten Monsieur de la Bertellière, Vater der Verstorbenen, und ferner Madame Gentillet, die Großmutter mütterlicherseits – drei Erbschaften, deren Umfang niemand bekannt war. Der Geiz jener drei greisen Leute war so leidenschaftlich gewesen, daß sie ihr Geld aufgehäuft hatten, nur um sich im geheimen an seinem Anblick zu erbauen. Der alte Monsieur de la Bertellière nannte eine Kapitalsanlage ›Verschwendung‹ und fand eine weit größere Befriedigung im Anblick des Goldes als in den Segnungen des Wuchers. Die Stadt Saumur berechnete also die Höhe von Grandets Vermögen nach den Einkünften seines Grundbesitzes.
Grandet erhielt nun das neue Adelsprädikat, das unser Gleichheitssystem niemals auslöschen kann: er wurde der höchstbesteuerte Bürger des Bezirks. Er besaß etwa hundert Morgen Weinland, die ihm in fruchtbaren Jahren sieben- bis achthundert Ohmfaß Wein brachten. Er besaß dreizehn Meiereien und eine alte Abtei, an der er Fenster- und Torbogen vorsichtshalber hatte ausmauern lassen, damit sie nicht einstürzten, und er besaß etwa einhundertsiebenundzwanzig Morgen Wiesenland, auf dem dreitausend im Jahre 1793 gepflanzte Pappeln wuchsen und gediehen. Außerdem war das Haus, das er bewohnte, sein Eigentum.
So hatte man sein sichtbares Vermögen eingeschätzt. Was sein Kapital anbetraf, so gab es nur zwei Personen, die dessen Umfang einigermaßen abschätzen konnten. Der eine war Monsieur Cruchot, der Notar, der beauftragt war, das Geld Grandets zu verwalten; der andere war Monsieur des Grassins, der reichste Bankier von Saumur, an dessen Unternehmungen sich der Weinbauer nach Gefallen und insgeheim beteiligte. Sowohl der alte Cruchot wie Monsieur des Grassins besaßen die tiefe Diskretion, die eine Folge ist von Reichtum und Selbstvertrauen; aber sie erzeigten Monsieur Grandet öffentlich so hohen Respekt, daß es nicht schwerfiel, das Kapital des ehemaligen Bürgermeisters nach der übertriebenen Unterwürfigkeit, mit der man ihm begegnete, einzustufen. Es gab niemanden in Saumur, der nicht überzeugt war, daß Grandet einen geheimen Schatz besitze – ein Versteck voller Louisdors – und sich nächtlicherweile der unvergleichlichen Entzückung hingebe, die der Anblick einer großen Menge Goldes zu bereiten vermag. Die Geizhälse waren dessen sogar gewiß: sie brauchten nur dem Biedermann in die Augen zu blicken, denen das gelbe Metall seinen eigenartigen Glanz mitgeteilt zu haben schien. Der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, aus seinen Kapitalien enormen Nutzen zu ziehen, bekommt notwendigerweise, gleich dem Blick des Lüstlings, des Spielers, des Diplomaten, einen charakteristischen Ausdruck, eine verstohlene Habgier, die den Gleichgesinnten kaum entgeht. Diese Geheimsprache der Augen bildet gewissermaßen die Freimaurerei der Leidenschaften.
Monsieur Grandet flößte also die ergebene Hochachtung ein, die ein Mann, der niemals irgendwem etwas schuldete, beanspruchen konnte. Der alte Böttcher und Weinbauer berechnete mit der Genauigkeit des Astronomen, ob es für die Unterbringung seiner Ernte tausend Ohmfässer oder nur fünfhundert herzustellen galt. Er versäumte niemals eine Spekulation, hatte stets Fässer zu verkaufen, wenn der Wert des Fasses den Wert seiner eigenen Ernte überstieg; er konnte seine Weinernte in seinen weiten Kellern einlagern und geduldig den Zeitpunkt abwarten, an dem er sein Ohmfaß für zweihundert Francs verkaufen konnte, während die kleinen Weinbauern ihres für fünf Louis abgeben mußten. Seine berühmte Ernte von 1811, weise gekeltert und vorsichtig verkauft, hatte ihm mehr als zweihundertvierzigtausend Francs eingebracht. Er hatte als Finanzmann viel vom Tiger und der Boa: er wußte sich hinzulegen, zu ducken, wußte sein Opfer zu belauern, zu überfallen; dann öffnete er den Rachen seiner Börse, ließ sie eine Summe Taler verschlingen – und legte sich befriedigt zur Ruhe, gleich der Schlange, die kaltblütig und planmäßig verdaut. Niemand, der ihm auf der Straße begegnete, konnte vermeiden, von Bewunderung, Ehrfurcht und Grauen erfaßt zu werden. Hatte denn nicht ein jeder in Saumur den zerreißenden Griff seiner stählernen Klauen zu fühlen bekommen? Diesem hatte Meister Cruchot das nötige Geld zum Ankauf einer Domäne verschafft, aber zu elf Prozent; jenem hatte Monsieur des Grassins Wechsel diskontiert, aber mit einem ungeheuren Vorabzug der Zinsen. Es vergingen wenige Tage, ohne daß der Name Grandets genannt wurde, sei es nun auf dem Markt oder während des abendlichen Stadtklatsches. Manchem Bürger von Saumur war das Vermögen des alten Weinbauers Gegenstand patriotischen Ehrgeizes, und mehr als ein Kaufmann, mehr als ein Gastwirt sagte zu einem gelegentlich Durchreisenden mit großer Befriedigung: ›Monsieur, wir haben hier so zwei bis drei Millionärshäuser; was aber Monsieur Grandet anbetrifft, so kennt er selber nicht einmal den Umfang seines Vermögens‹.
Im Jahre 1816 schätzten die gewiegtesten Kalkulatoren Saumurs den Grundbesitz des Biedermanns auf etwa vier Millionen. Da er nun von 1793 bis 1817 als Durchschnittssumme jährlich hunderttausend Francs Bargewinn aus seinen Besitzungen ziehen mußte, so war es wahrscheinlich, daß er an Kapital eine fast ebenso große Summe besaß, wie seine Liegenschaften sie repräsentierten. Und wenn man beim Bostonspiel oder bei einem Gespräch über die Weingüter auf Monsieur Grandet zu sprechen kam, so sagten die würdigen Leute: ›Vater Grandet?… Ja, Vater Grandet dürfte gegen fünf bis sechs Millionen haben.‹ ›Da sind Sie klüger, als ich es bin; ich habe niemals das Gesamtkapital überblicken können‹, erwiderte Monsieur Cruchot oder Monsieur des Grassins, wenn sie diese Äußerung vernahmen.
Sprach gelegentlich ein Pariser von Rothschild oder von Laffite, so fragten die Leute von Saumur, ob diese ebenso reich seien wie Monsieur Grandet. Versicherte ihnen dann geringschätzig lächelnd der Pariser, daß dem wohl so sein dürfte, so blickten sie einander mit ungläubigem Kopfschütteln an.
Sein großes Vermögen bedeckte alle Handlungen dieses Mannes mit einem goldenen Mantel. Hatten früher gewisse Eigenheiten in seiner Lebensführung Gelächter und Spott erweckt, so waren Gelächter und Spott versiegt. Bei allem, selbst dem nebensächlichsten Tun, hatte Grandet die Autorität für sich. Sein Wort, seine Kleidung, seine Gesten, sein Augenblinzeln war Gesetz im Lande – in diesem Städtchen, wo ein jeder, nachdem er ihn studiert hatte, wie der Naturforscher die Äußerungen des Instinkts bei den Tieren studiert, die tiefgründige und stumme Weisheit selbst seiner primitivsten Handlungen zu erkennen Gelegenheit gehabt hatte.
›Der Winter wird rauh werden‹, sagte man, ›Vater Grandet hat seine Pelzhandschuhe angezogen; man muß Weinlese halten.‹ ›Der Vater G...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Einleitung von Hugo von Hofmannsthal
  3. Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie
  4. Eugénie Grandet