Literale Lebenswelten
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Literale Lebenswelten

Eine Fallstudie zu Sozialisationsprozessen in einer kurdischen Migrantenfamilie

  1. 238 Seiten
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Literale Lebenswelten

Eine Fallstudie zu Sozialisationsprozessen in einer kurdischen Migrantenfamilie

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Dieses Buch beschäftigt sich mit den sprachlichen Sozialisationsprozessen in kurdischen Migrantenfamilien in Österreich. Die kurdischen Familien bringen Staats- und Minderheitensprachen und deren Varietäten mit, zudem geschriebene und ungeschriebene Sprachen sowie Sprachen, die nur rezeptiv gebraucht, also gelesen, werden. Die Analyse umfasst die literalen Praktiken der Herkunftsgesellschaft und deren Integration in die Aufnahmegesellschaft.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110517439

1Voraussetzungen

1.1Die Zielgruppe

Die Beschäftigung mit der Zielgruppe dieser Studie (kurdische Familien, die aus der Türkei nach Österreich migriert sind) hat ihren Ursprung in Beobachtungen im Rahmen meiner Tätigkeiten als Sozial- und Lernbetreuerin sowie als Trainerin für Deutsch als Zweitsprache. Das Handlungsfeld der Sozial- und Lernbetreuer wird vom Pflegeelternverein Steiermark folgendermaßen umrissen:
Die Tätigkeit als Sozial- und Lernbetreuer besteht in der stundenweisen Betreuung Minderjähriger mit dem Ziel der psychosozialen bzw. kognitiven Förderung. Die Minderjährigen leben in Familien, die durch ein subsidiäres Angebot der öffentlichen Jugendwohlfahrt unterstützt werden. Ursachen dafür können psychosoziale Mangelzustände im Familiensystem sein, krisenhafte Zuspitzung der Eltern-Kind-Interaktion oder ein spezieller häuslicher Förderbedarf aufgrund von Problemen im Bereich wesentlicher Grundfertigkeiten der schulischen Sozialisation sein. (Pflegeelternverein Steiermark)
Die häufige Inanspruchnahme dieser Form der Betreuung durch kurdische Familien (Pflegeelternverein Steiermark) ist kein Hinweis auf spezifische Bedürfnisse dieser Minderheit und muss nicht unbedingt auf die Häufung „psychosozialer Mangelzustände in ihren Familiensystemen“ hinweisen, sondern kann auf die gute Vernetzung und Informationsweiterleitungssysteme innerhalb der kurdischen Community zurückzuführen sein.1 Auf jeden Fall eröffneten sich mir in diesem Tätigkeitsbereich erste Einsichten in Handlungsstrategien der kurdischen Gruppe in der Migration, im Speziellen im Umgang mit dem österreichischen Bildungssystem, mit sie spätestens bei Schuleintritt ihrer Kinder in Kontakt kommen. Die kurdischen Eltern schienen bei schulischen Terminen (wie Sprechtagen, Schulfeiern usf.) unterrepräsentiert zu sein und die kurdischen Kinder schienen sich durch Misserfolge frustriert zurückzuziehen, um sich letztendlich dem Bildungsapparat zu verweigern. Die Ansprüche der Familien an die Ausbildungen ihrer Kinder konnten nicht in einen mit diesen Ansprüchen korrelierenden Bildungserfolg und damit erhofften sozialen Aufstieg umgesetzt werden2.
Aber auch die Lehrer äußerten sich frustriert und fühlten sich angesichts der Probleme, die in erster Linie im Bereich mangelnder Deutschkenntnisse verortet wurden, nicht ausreichend unterstützt. Mangelhafte Kommunikation zwischen Schule und Elternhäusern führte zu einem Gefühl gegenseitigen Nichtverstehens: die Lehrenden waren der Meinung, dass sich die Eltern zu wenig in die Lernprozesse der Kinder einbrachten, für Familien aus der Türkei war es wiederum ganz üblich, die Verantwortung für die (Aus-)bildung der Kinder gänzlich in die Hände der Institutionen zu legen (z. B. Wagner 1993; Maas/Mehlem 2003b).
Ähnliches kann auch im Bereich der (sprachlichen) Erwachsenenbildung beobachtet werden. Auch hier scheint die Gruppe der Immigranten aus der Türkei größere Schwierigkeiten zu haben, Kursziele zu erreichen oder mit bestimmten Übungsformaten angemessen umzugehen als andere Gruppen, beispielsweise die bosnisch/kroatisch/serbische Gruppe (z.B. Fritz/Ritter 2006; Brizić 2007; Grond 2013).
Die zahlenmäßig große Gruppe3 der Immigranten aus der Türkei gilt in Österreich aber nicht nur in sprachlicher Hinsicht als problematisch. In der Wahrnehmung der österreichischen Mehrheitsbevölkerung steht ‚türkisch‘ für ‚muslimisch‘4, was die türkische Gruppe als Ganze in die Ecke fundamentalistischer islamisch-terroristischer Aktivitäten rückt. Ebenso stark im öffentlichen Bewusstsein verankert und mit irrealen Ängsten belastet5 ist die Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei. Das für Integrationsagenden zuständige Innenministerium unterstellt muslimischen Einwanderern ‚Integrationsunwilligkeit‘6, die Bildungsinstitutionen (Sprachkurse für Erwachsene, Schulungsmaßnahmen des Arbeitsmarktservices oder der schulische Regelunterricht) konstatieren Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich, der wiederum als Indikator für erfolgreiche Integration herangezogen wird (Grond 2012 und 2013; siehe auch Kap. 2.1.3).
Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur zu Migration Zweitspracherwerb im Allgemeinen und Lese- und Schreibkompetenzen im Besonderen zeigt, dass sich diese negative Wahrnehmung einer ganzen ethnischen Gruppe von den Beobachtungen einzelner Organisationen aus dem Bereich der Migration über die öffentliche Meinung bis in die wissenschaftlichen Studien hineinzieht. Eine Vielzahl von Studien7 mit ähnlichen Ergebnissen im österreichischen und internationalen Kontext stützt die Einschätzung von Katharina Brizić (2007, z.B. 35), dass das schlechte Abschneiden der türkischen Gruppe nicht Einzelergebnis ist, sondern dass es sich hier um empirisch erhärtete Fakten handelt, deren ausreichende Begründung und vollständige Interpretation jedoch noch aussteht.
Die Ergebnisse aus dem Forschungsbereich Migration und Zweitspracherwerb finden in Studien zu bilingualer und biliteraler Erziehung ihre Fortsetzung. Das schlechte Abschneiden der Schüler aus der Türkei wird in vielen dieser Studien reproduziert, die Kernaussagen der Studien sind jedoch widersprüchlich. Sie lauten:
Zweisprachige Erziehung führt zu einem hohen funktionalen Bilingualismus. Insbesondere in kanadisch-französischen Immersionsprogrammen wurden die positiven Auswirkungen festgestellt. Im St. Lambert-Projekt (Lambert/Tucker 1972) wurde die Lesefähigkeit in der Erstsprache Englisch getestet. Am Ende des siebenten Schuljahres lag sie höher als in der monolingualen Kontrollgruppe. Kendall et al. (1987) stellten fest, dass eine Immersion in der Zweitsprache in den ersten beiden Unterrichtsjahren mit einem allmählichen Übergang zu bilingualem Unterricht zu einem hohen Ni-Niveau in der Zweitliteralität führt. Auch Cummins (1979, 1991) konstatiert nach sechsjähriger Schulzeit Literalität in beiden Sprachen ohne Verlust muttersprachlicher Kompetenzen.
Bilinguale Erziehungsprogramme führen zu einem Sprachverlust von Erst- und Zweitsprache. Hier ist insbesondere die Studie von Skutnabb-Kangas/Toukomaa (1976) zu nennen. Bei Kindern, die der finnischen Minderheit in Schweden angehören, war nach sechs Jahren Schulbesuch die Erstsprache unterentwickelt, was sich vor allem am Umfang verfügbarer Begriffe zeigte. Unterricht in Submersionssituationen führt häufig zu Schulabbruch (Baker/De Kantner 1983) und/oder zu retardierten Lese- und Schreibfähigkeiten. Die negativen Ergebnisse von Lesetests von wiederum türkischen Schülern in der BRD dokumentieren das Scheitern von Programmen, in denen die Förderung von türkischen Minderheitenkindern in der Mehrheitssprache Deutsch erfolgt. In der 8. Klasse lag das Leseverständnis von türkischen Schülern im untersten Leistungsbereich (Lehmann et al. 1995). Weitere Studien stellten fest, dass Leseleistungen rückständig sind, wenn der Schriftspracherwerb nicht in der Erstsprache erfolgt (z.B. Verhoeven 2003).
Positive Ergebnisse scheint bilinguale und biliterale Erziehung also meist dann zu erbringen, wenn die Sprachen von Majoritätskindern gelernt werden, bzw. sich das Lernen in Immersion vollzieht, wie es in den kanadischen Untersuchungen der Fall war. In Kanada sind die sprachlichen Minderheiten einander außerdem durch das Schulsystem stark angeglichen, während das Schulsystem im deutschsprachigen Bereich auf starke familiäre Beteiligung baut und soziale Unterscheide daher kaum ausgleichen kann. Die negativen Effekte von Bilingualismus scheinen vor allem bei Minderheiten aufzutreten, die eine Zweitsprache in einer unterrichtlichen Submersionssituation erwerben müssen.
Charakteristisch für Kinder aus ethnischen Minderheiten scheint die Tatsache zu sein, dass die Entwicklung der Erstsprache mit reichem Input aus der familiären Umgebung und der Nachbarschaft beginnt, um dann mit dem Schuleintritt relativ jäh abzubrechen (Schmölzer-Eibinger 2008). Die Erstsprache scheint im Curriculum meist nicht auf, und wenn das doch der Fall sein sollte, an sehr marginaler Stelle (vgl. 4.2.). Eine Studie aus den Niederlanden (Verhoeven 1997), die die literalen Kompetenzen von Einwandererkindern testet, stellte fest, dass bei den türkischen Kinder im Vergleich zu marokkanischen Kindern sowie Kindern von den Antillen, die Erstsprache bei den Kinder aus der Türkei die dominante ist, im Gegensatz zu der marokkanischen Vergleichsgruppe, bei denen Erst- und Zweitsprache zwar nicht ausbalanciert waren, die Erstsprache aber nicht in einem derart deutlichen Ausmaß dominierte wie in der türkischen Gruppe. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Muster zweisprachiger Entwicklung für die verschiedenen ethnischen Gruppen sehr unterschiedlich sein können. Was die frühe Entwicklung von schriftsprachlichen Kompetenzen betrifft, konnte festgestellt werden, dass Kinder aus ethnischen Minderheiten im Vergleich zu holländischen Kindern zwar sowohl im Hinblick auf den Wortschatz als auch auf narrative Kompetenzen benachteiligt waren, im narrativen Bereich aber im Lauf der Zeit aufholen konnten (vgl. Verhoeven 1997, 226).
Die türkischen Migranten in Europa weisen einen im Vergleich zu anderen Ethnien insgesamt geringen Bildungsstand auf (Cakır 1990; Brizić 2007; Seifert 2008; Boos-Nünning/Granato 2008; Boos-Nünning 2011; Sürig/Wilmes 2011), der mit dem geringen Bildungsstand marokkanischer Immigranten korreliert (Maas/Mehlem 2003a; Mehlem 2010). Auch die Erstsprachkompetenz der Eltern wird in der Literatur negativ bewertet, es ist sogar die Rede von „defizitärer Sprache“ türkischer Gastarbeiter (Öktem/Öktem 1985, 85, vgl. auch Dönmez 1998). Problematisch an Untersuchungen zur Türkischkompetenz von Kindern aus der Türkei und deren Eltern ist, dass in den Studien die Mehrheit der Autoren von rein türkischsprachigen Gruppen ausgeht wie beispielsweise Gürbüz (1993), Bayrak (1995), Sarı (1995), Abalı (1998), Dönmez (1998), Toprak (2000). Uçar (1996) macht in seiner Habilitation die Tatsache zum Thema, dass die Erstsprache türkischer Eltern oftmals gar nicht türkisch ist. Weitere Untersuchungen, die ihre Samples auf eventuell gesprochene Minderheitensprachen der Türkei überprüften, sind Thommé (1987), Preibusch (1992), Pokorny (1993), Extra/Yağmur (2004). Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist in den meisten Studien jedoch eine rein terminologische: eventuelle Minderheitensprachen im Sample werden genannt, in der Analyse jedoch bleibt die Gruppe (nunmehr zum Beispiel Türkisch/Kurdisch statt Türkisch genannt) als analytische Einheit erhalten (z.B. Wurnig 2002; Peltzer-Karpf et al. 20068).
Die Bildungsferne und der sprachliche Rückstand von Immigranten aus der Türkei können auch von der nachfolgenden Generation nicht aufgeholt werden. Gerade Kinder mit türkischem familiären Hintergrund sind im österreichischen Schulsystem in besonderer Weise benachteiligt: sie sind öfter als andere Gruppen von Sonderschuleinweisungen betroffen (Khan-Svik 1999) und weisen eine besonders hohe Zahl an Schulabbrechern auf (z.B.: Kızılhan 1994, Herzog-Punzenberger 2003). Das Schulsystem scheint somit die gesamtgesellschaftliche Trennlinie zwischen den einzelnen Bevölkerungsteilen zu spiegeln. Auch hier liegen die Ergebnisse der türkischen Kinder in Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz im gesamten deutschen Sprachraum (Brizić 2007 und Olechowski et al. 2002 für Österreich, Müller 1997 für die Schweiz, Stanat 2003 und Sürig/Wilmes 2011 für Deutschland und Österreich) unter denjenigen der anderen Gruppen – beispielsweise der bosnisch/kroatisch/serbischen (Peltzer-Karpf et al. 2006) – sowie der monolingualen österreichischen Kontrollgruppe.
Es liegt daher nahe, sich der türkisch/kurdischen Immigrantengruppe zuzuwenden, deren sprachliche Lebenswelt sich von anderen Immigrantengruppen zu unterscheiden scheint, und deren Erforschung von zwei Phänomenen besonders gekennzeichnet zu sein scheint:
einem eklatanten Mangel an empirischen Daten, der die sprachliche Situation im Herkunftsland (z.B.: Boeschoten 1997; Nestmann 1989; Haig 2004; Öpengin 2012; Zeydanlıoğlu 2012; Öpengin/Haig 2014) betrifft und sich in der Migration fortzusetzen scheint (Garnitschnig 2013; Haig/Öpengin 2014), sowie
Mythenbildungen im Unterrichtsgeschehen und wissenschaftlichen Studien in diesem Bereich, der eben auf den Mangel an gesicherten Daten zurückzuführen ist.
Für die Konzeption der vorliegenden Untersuchung, die eine Anamnese der sprachlichen Lebenswelt mit einem besonderen Fokus auf die schriftsprachlichen Kompetenzen von kurdischen Immigranten aus der Türkei zum Ziel hat, waren folgende Überlegungen besonders ausschlaggebend:
Zum einen werden die Ursachen für den Verlauf kindlicher Schulkarrieren vor allem in den Familien vermutet. Eine umfangreiche Literatur stützt diese Zusammenhänge (z. B. Gogolin 2008; Maas 2008a und b; Behrensen/Westphal 2009; Boss-Nünning 2011). Kinder aus bildungsnahen Familien bringen für eine erfolgreiche Schullaufbahn die erforderlichen (sprachlichen) Voraussetzungen mit, im Gegensatz zu Kindern aus bildungsfernen Familien. Das Bildungssystem in Deutschland und Österreich ist derart strukturiert, dass diese in den Familien gründenden Ungleichheiten von der Schule nicht ausgeglichen, sondern fortgeschrieben werden. Die Forschung jedoch konzentriert sich auf die Bildungsinstitutionen, ebenso werden Interventionen – beispielsweise im sprachlichen oder kognitiven Bereich – meist in diesen Institutionen implementiert. Die Gründe mögen in der relativ leichten Zugänglichkeit der Kindergärten und Schulen für die Forschung liegen und auch daran, dass dort leichter größere Stichproben erfasst werden können. Das immer wiederkehrende Ergebnis, dass Unterschiede zwischen den Kindern in großem Umfang auf die Elternhäuser zurückzuführen ist, zeigt, dass die Wirkmechanismen der familiären Umgebung, in denen gerade jüngere Kinder einen großen Teil ihrer Zeit verbringen, eine wesentliche Forschungsaufgabe darstellen (vgl. Leyendecker 2008, 93). Auch die tatsächliche Sprachverwendung in Familien mit anderen Familiensprachen als der Amtssprache liegt weitgehend im Dunkeln.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das sprachliche Gefüge in der Herkunftsgesellschaft relativ stabil ist, während es sich bei der Mehrsprachigkeit in der Migrationssituation eher um ein labiles Übergangsgebilde handelt. Eine Langzeituntersuchung in Hamburger Grundschulen (Reich 2005) zu Schülern mit türkischem Migrationshintergrund dokumentiert die Entwicklung ihrer sprachlichen Verhältnisse. Während Türkisch bei vielen Schülern bei Schuleintritt die Erstsprache darstellt und altersgemäß entwickelt ist, gleichen sich bereits im dritten Schuljahr die Kenntnisse der Schüler in Deutsch und Türkisch aus. Es ist anzunehmen – allerdings liegen hierzu noch kaum aussagekräftige Untersuchungen vor – dass sich mit zunehmenden Deutschkenntnissen auch die Kommunikationsverhältnisse in den Familien ändern: dass innerhalb der Familien auch Deutsch gesprochen wird, insbesondere unter Geschwistern.
Zum anderen wirft das schlechte Abschneiden der türkischen Gruppe in zahlreichen Studien die Frage nach gruppenspezifischen Integrations- und Bildungsverläufen auf. Das schlechte Abschneiden gerade der türkischen Bevölkerung im Vergleich zu anderen Zuwanderergruppen in den unterschiedlichen Teilbereichen sprachlicher Kompetenz – von muttersprachlicher Kompetenz (z.B. Gürbüz 1993) über Defizite in der Alltagskommunikation (Berber 1985) bis zur schriftsprachlichen Kompetenz (z.B. Lehmann et al. 1995) – ist Katharina Brizić in ihrer Dissertation (Brizić 2007) in eindrucksvol...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Danksagung
  6. Inhalts
  7. Vorwort
  8. 1 Voraussetzungen
  9. 2 Das sprachliche Lebensumfeld in Herkunfts- und Einwanderungsgesellschaft
  10. 3 Empirischer Teil
  11. 4 Die sprachlichen Ressourcen im Spannungsfeld des Bildungsangebots in Österreich
  12. Literaturverzeichnis
  13. Index