5.1Zielsetzung
Die vorliegende Untersuchung verfolgt das Ziel, mittels einer diskurslinguistischen Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs Aufschluss über die Bedeutung des Begriffs Sicherheit in der jüngeren Vergangenheit zu erhalten. Sie analysiert, wie und in welchen Kontexten über sie gesprochen wird, um die aktuelle Sprachgeschichte des Ausdrucks zu skizzieren. Verfolgt werden die mit dem Begriff Sicherheit im Zeitablauf verbundenen Vorstellungen und Konzepte der Sprachteilnehmer und dessen semantische Entwicklung in Abhängigkeit von sozialen und politischen Einflussfaktoren. Dabei liegt es im besonderen linguistischen Forschungsinteresse, mit welchen sprachlichen Strategien gesellschaftliche Gruppen Wirklichkeiten hinsichtlich Sicherheit versuchen zu konstituieren, wie eine entsprechende Perspektivierung erfolgt und wie der Begriff besetzt wird. Die sprachlichen Mittel, mittels derer die ,Versicherheitlichungʻ von Themen gelingt, sollen aufgedeckt und die dominierenden Denkfiguren des öffentlichen Diskurses um Sicherheit freigelegt werden. Es gilt aufzuzeigen, welches gesellschaftliche Wissen dabei konstituiert, aktualisiert und modifiziert wird und welche Wirkungen sich für die Semantik des Begriffs Sicherheit ergeben. Letztlich soll die Analyse des Sprachgebrauchs von Sicherheit einen Einblick in gesellschaftliche Tiefenstrukturen471 ermöglichen und Aufschluss über Weltsichten und Mentalitäten der Sprachgemeinschaft im betrachteten Zeitraum erzielen. Leitlinie der Untersuchung bildet die These, dass sich Sicherheit auf der Folie von weitreichend konstruierten Dekadenz- und Untergangsszenarien (d. h. Unsicherheitsszenarien) in unterschiedlichen gesellschaftlichen Aktionsfeldern zu einer führenden öffentlichen Legitimations- und Mobilisierungsvokabel entwickelt hat und damit nicht nur als wesentlicher Indikator einer historischen Entwicklung, sondern auch als ein prägender Faktor für die Mentalität der deutschen Gesellschaft in jüngerer Vergangenheit begriffen werden kann. Entsprechend müsste sich im Sprachgebrauch eine sicherheitssemantische Grundfigur nachweisen lassen, wie sie ähnlich bereits Kaufmann formuliert hat: ‚Vormals vorhandene Sicherheit ist verloren gegangen. Es ist ein Kampf mit bestimmten Mitteln notwendig, um Sicherheit wiederherzustellen‘.472 Dies wird anhand des Analysematerials zu überprüfen sein.
5.3Begriffsgeschichtliche Fundierung
Begriffsgeschichtlich lässt sich der Ausdruck Sicherheit bis in die Antike zurückverfolgen, wo sich seine sprachlichen Wurzeln im lateinischen securitas (se: ‚ohne‘; cura: ‚Sorge‘) finden. Ursprünglich bezeichnet er in philosophischpsychologischer Dimension einen glücklichen Seelenzustand der Freiheit von Schmerz und Unwohlsein, der sowohl bei Epikureern als auch bei Stoikern als Voraussetzung für ein glückliches Leben gilt. Seine Erweiterung ins Politische erfährt der Begriff im 1. Jahrhundert n. Chr. mit der Pax Romana, wo er seinerzeit die politische Stabilität des augusteischen Zeitalters benennt und in Frauengestalten personifiziert auf Kaisermünzen abgebildet wird. Pax, securitas und libertas, die in der römischen Reichsidee zum Ausdruck kommen, bilden die Grundlage für die Entwicklung von Sicherheit zum positiv konnotierten politischen Begriff im Verlauf der europäischen Geschichte. Im Rahmen der Konvergenz von Imperium Romanum und Imperium Christianum wird in der kirchlichen Liturgie die Vorstellung von Sicherheit und Ruhe aus erfolgreichen Kriegen und die damit verbundene Anrufung Gottes als oberstem Heerführer zur bis ins Mittelalter tradierten Formel. Securitas meint dort „Fernsein von Sorge aufgrund staatlicher Macht im großen Friedensraum des Reichs“478. Im Mittelalter wird der Begriff in vielerlei personen- und besitzbezogenen Schutzverträgen konkretisiert und als deren stets genanntes Ziel schließlich zum Topos. Zunehmend bezieht er sich nicht mehr nur auf Einzelpersonen, sondern immer mehr auf Kollektive. Spätestens mit der Entwicklung moderner Staaten und der Etablierung von Konzepten wie Rechtssicherheit und Wohlfahrt wird Sicherheit zum Grund- und Wertbegriff von Gesellschaften. Neben die damals allgemein verbreitete Bedeutung der ‚guten Herrschaft‘ oder ‚guten Polizey‘ tritt die bis heute gängige Unterscheidung in ‚äußere‘ und ‚innere Sicherheit‘.
Während noch Hobbes Sicherheit und Wohlfahrt als zusammengehörige Staatszwecke verstanden hat, für dessen Förderung der absolutistische Staat zuständig ist, setzt im Zuge der Aufklärung die liberale Idee den Einzelnen an die Stelle der Verantwortung für Wohlfahrt, deren freie Entfaltung der Staat garantieren soll. Sicherheit wird in diesem Zusammenhang zum „einzige[n] Staatszweck“479 und „bedeutet hier die Gewährleistung unparteiischer staatlicher Gesetzesanwendung, den Schutz der bürgerlichen Rechte im Inneren und die Verteidigung dieser Rechte gegenüber Angriffen von außen – und sonst nichts [Herv. im Original; A. S.].“480 Kaufmann weist allerdings darauf hin, dass in Deutschland einhergehend mit einer Dominanz der lutheranischen Staatsauffassung die Verantwortlichkeit der Gesellschaftsgestaltung weiterhin maßgeblich dem Staat zugeschrieben worden ist.
Der Begriff der äußeren Sicherheit wandelt sich im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zunehmend von der Vorstellung, sich ausschließlich militärisch gegen Angriffe von außen wappnen zu können, hin zu einer Idee der kollektiven Sicherung, die auf Verlässlichkeit von Beziehungen und gegenseitige Verhaltenstransparenz setzt. Im Rahmen dieser Entwicklung wird der Friedensbegriff indogermanischen Ursprungs durch den ‚neuen‘ Wertbegriff der Sicherheit abgelöst.481
Eine spannungsgeladene Bedeutung entwickelt sich indes mit der christlich-theologischen Rezeption des antiken philosophischen Sicherheitsbegriffs. Insbesondere in der reformatorischen Weltanschauung ist Sicherheit negativ konnotiert als fehlende Gottesfurcht. Wie Schrimm-Heins deutlich macht, drückt sich für Luther im Begriff securitas eine „falsch verstandene, auf eigene Kraft und Werke vertrauende Gewißheit“482 aus, die er für menschliche „Selbstüberschätzung und Überheblichkeit“483 hält: „[N]ihil est pestilentius securitate“484. Die „Versuchung der Starken, sich in der Welt sorglos sicher zu fühlen“485, wird als Unglauben verachtet, während die Armen und Schwachen in diesem Glaubensgebäude „unzerbrechliche Sicherheit im Vertrauen auf die Verheißung Christi“486 gewinnen, die sich im Begriff der certitudo, der Heilsgewissheit ausdrückt. Conze macht darauf aufmerksam, dass die christliche Umdeutung des weltlichen Sicherheitsbegriffs auch in dessen politischer Bedeutungsentwicklung stets mitzubedenken ist.
Einer beschleunigten Modernisierung seit dem letzten Drittel des 19. Jh. schließlich wird die Bedeutung von Sicherheit als ein „zum Handeln ausreichende[s] Wissen“487 zugeschrieben, die damit dem „Ideal zweifelsfreier Gewissheit“488 und seinem Begriff der Gewissheit (certitudo) im Sinne von ‚Glaubens- oder Heilsgewissheit‘ diametral gegenübersteht. Gewissheit, so Kaufmann, „setzt die Existenz einer unveränderlichen Wahrheit voraus.“489 Der Wegfall traditioneller Selbstverständlichkeiten und eine darauf zurückzuführende tiefe Verunsicherung von Gesellschaft und Individuum werden verantwortlich gezeichnet für die Aufwertung von Sicherheit zum „kategorial allgemeinsten Handlungsziel des Menschen in einer Welt voller Risiken.“490 Kaufmann beschreibt eine damit einhergehende zunehmende normative Aufladung des Begriffs im politisch-sozialen Kontext und macht eine für viele Diskurse um Sicherheit zentrale Denkfigur aus, die oben bereits eingeführt wurde: „Sicherheit gab es früher, sie ist verloren gegangen, und sie muss mit modernen Mitteln wieder hergestellt werden.“491 Im Zuge der Mündigsprechung des aufgeklärten Menschen entsteht die als „Ausdruck einer zunehmenden Diesseitsorientierung“492 geltende „Vorstellung, gesellschaftliche Verhältnisse seien mittels politischer Herrschaft gestaltbar“493. Im Begriff Sicherheit kondensiert sich damit ein „Leitbild beherrschbarer Komplexität“494. Auf seiner Folie werden dann die vielfältigsten politischen Forderungen erhoben und erzielen Zustimmung: Sicherheit verspricht die Gewährleistung von Werten in der Zukunft und fungiert, so Kaufmann, als „Legitimationsbegriff“495. Kaufmann weist auf die „emotionale Appellqualität“496 des Begriffs hin, der erst auf dem Boden der Unsicherheit im Sinne einer kollektiven und individuellen Verunsicherung im Gefolge der Moderne seinen „Verheißungscharakter“497 entfaltet. Im Jahr 2003 konstatiert Kaufmann nach einer weniger brisanten Phase des Sicherheitsdiskurses in den zurückliegenden Jahrzehnten eine beobachtbare Zunahme der Relevanz von Sicherheit als Leitbegriff in öffentlichen Diskursen.
Die vorliegenden begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zu Sicherheit vermitteln einen Eindruck von der historischen Bedeutungsvielfalt und arbeiten dessen wesentliche, bis in die Gegenwart und damit auch in der hier angestrebten Analyse mitzudenkenden semantischen Aspekte heraus, so dass sie einen äußerst brauchbaren Ausgangspunkt für das eigene Forschungsvorhaben liefern. Kaufmann liefert zudem mit seiner Aussage zur Wiederzunahme der Relevanz von Sicherheitsdiskursen in jüngerer Vergangenheit nicht nur eine Rechtfertigung, sondern auch einen zeitlichen Anknüpfungspunkt für das vorliegende Untersuchungsvorhaben.
Für das eingangs formulierte Untersuchungsziel sind jedoch die Nachteile der begriffsgeschichtlichen Verfahrensweise zu bedenken. Begriffsgeschichte als Methode vermag nicht die sprachlichen Mechanismen von Bedeutungskonstitution und -wandel bewusst zu machen. Des Weiteren zeichnen die Arbeiten eher die wesentlichen staatstheoretischen Meilensteine der Bedeutungsentwicklung nach, während Alltagstexte, mittels derer Aufschluss über gesellschaftliches Denken und Wollen gewonnen werden kann, außen vor bleiben. Die begriffsgeschichtliche Analyse bleibt damit, wie die genannten Arbeiten zeigen, stark auf einen Teilausschnitt der Realität eingeschränkt.
Von daher ist im Folgenden zu überlegen, wie eine Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs von Sicherheit konzipiert sein muss, um dem Untersuchungsziel gerecht zu werden. Hierfür bieten sich diskurslinguistische Ansätze an, die ihren Blick über einzelne Begriffe in der semantischen Analyse hinaus stärker auf für die Bedeutungskonstitution relevante kommunikative Kontextfaktoren lenken und insbesondere auch alltagssprachliche Dokumente einbeziehen. Sie zeichnen Bedeutungsentstehung und -wandel in der kommunikativen Interaktion nach und liefern Einsichten über die im Sprachgebrauch zum Ausdruck kommende Weltsicht, das gesellschaftliche Bewusstsein und die Mentalität historischer Gruppen.
5.4Quellen
Mit der linguistischen Diskursanalyse steht ein Verfahren zur Verfügung, das Bedeutungskonstitution im kommunikativen Handlungsvollzug auf der Folie gesellschaftlicher Strategien, Mechanismen und Intentionen nachvollziehen kann. Es ermöglicht, mit der Analyse diskursiver Zusammenhänge auch unbewusste epistemische Faktoren, d. h. Tiefenschichten gesellschaftlicher Erfahrung an die Oberfläche zu befördern, und erweist sich damit als geeignetes Konzept für das vorliegende Forschungsvorhaben. Verbunden mit dem Rückgriff auf ein diskurslinguistisches Verfahren als Untersuchungsmethode sind einige Klärungen zur Konzeption der empirischen Analyse vorzunehmen. Hierfür liefern Busse und Teubert wertvolle Anhaltspunkte.498
Wenn zunächst das Diskursverständnis zu spezifizieren ist, das der Untersuchung zugrunde gelegt wird, so wird für die vorliegende Untersuchung ein Diskurs mit Busse/Teubert als Textkorpus begriffen, das mittels interpretatorischer und nachvollziehbarer Vorgehensweise durch den Forschenden zu erstellen ist. Busse/Teubert formulieren für die Korpuskonstitution folgende Kriterien: Texte finden Eingang in das Untersuchungskorpus, wenn sie einen thematischen Bezug zum Forschungsgegenstand aufweisen. Des Weiteren sind Zeitraum, Areal und Textsorten zu benennen, auf die sich die Textauswahl konzentriert. Schließlich sollen die Texte explizit oder implizit aufeinander verweisen. Anhand dieser Kriterien ist der Frage der Eingrenzung eines allgemeinen gesellschaftlichen Sicherheitsdiskurses in der jüngeren Vergangenheit zu begegnen.
Hinsichtlich des Betrachtungszeitraums interessieren brisante Abschnitte des Sicherheitsdiskurses der deutschen Öffentlichkeit in neuerer Zeit. Als Ausgangspunkt der Untersuchung wird heuristisch der 11. September 2001 bestimmt. Die damit verbundenen Ereignisse in New York haben Eingang ins kollektive Gedächtnis gefunden. Es ist davon auszugehen, dass sie bis heute verschiedenste Diskurse in aller Welt prägen. In ihrer unmittelbaren Folge lässt sich eine besonders brisante Phase des Sicherheitsdiskurses in Deutschland erkennen. Als wünschenswert stellt sich eine daran anschließende Analyse weiterer Diskurse bis in die jüngste Vergangenheit dar, um Aussagen über zeitaktuelle Entwicklungen und Tendenzen des gesellschaftlichen Denkens und Wollens zu gewinnen und potenzielle Zusammenhänge über eine relativ gut überschaubare Zeitspanne nachzuzeichnen.
Die Reichweite der Untersuchung umfasst die öffentliche Diskussion innerhalb Deutschlands. Im Hinblick auf die Wahl einer demokratischen Gesellschaft als Betrachtungsraum soll Öffentlichkeit in der vorliegenden Arbeit verstanden werden „als Sphäre der gesamtgesellschaftlichen, diskursiven Willensbildung, an der alle beteiligt sind bzw. sein sollten.“499 Sie ist wesentliche „Möglichkeits-bedingung jeder gesamtgesellschaftlichen Kommunikation“500, denn „indem Öffentlichkeit einen Raum der Rede entfaltet[], entfaltet[] sie die Rede selbst“501, und ist damit unabdingbare Prämisse „gesellschaftlichen Wirksamwerdens semantischer Entwicklungen.“502 Böke, Jung und Wengeler weisen zudem hin auf die „prinzipielle Nicht-Überschaubarkeit der Rezipienten bzw. die Nicht-Abgeschlossenheit des Publikums, wie dies typischerweise in den Medien der Fall ist.“503 Dementsprechend soll im Fokus der vorliegenden Untersuchung die Medienöffentlichkeit stehen, da sie durch ihre leicht zugänglichen Texte gesellschaftliche Meinungen und Weltbilder zu einem erheblichen Teil mit konstituiert. Einbezogen in die Analyse wird darüber hinaus auch die politische Öffentlichkeit, die hier vorwiegend als parlamentarische Öffentlichkeit begriffen wird. Bei der ersten Sichtung von Medientexten haben sich erhebliche diskursive Beziehungen zu Bundestagsdebatten u. ä. gezeigt, so dass angenommen werden muss, dass die wechselseitige Beeinflussung von medialen und politischen Aussagen Diskurse und deren Semantik maßgeblich prägt und daher in der Untersuchung Berücksichtigung finden sollte.504 505
In thematischer Hinsicht erfolgt eine Betrachtung von Teildiskursen506, in denen Sicherheit explizit oder implizit zum Gegenstand wird. Für deren konkrete Auswahl wird gesamtgesellschaftliche Relevanz und breite öffentliche Rezeption in einem bestimmten Zeitabschnitt als maßgebliches Kriterium angelegt. Dabei erfolgt aus Praktikabilitätsgründen eine Beschränkung auf drei größere Diskursräume, aus denen jeweils einzelne Diskussionsthemen in ihren Brisanzphasen herausgegriffen werden. Gegenstand ...