Rufmord in der späten römischen Republik
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Rufmord in der späten römischen Republik

Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen

  1. 331 Seiten
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Rufmord in der späten römischen Republik

Charakterbezogene Diffamierungsstrategien in Ciceros Reden und Briefen

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Über dieses Buch

In der politischen Auseinandersetzung überzieht Cicero Mitglieder der Senatsaristokratie mit Schmähungen, um den Leumund, das Ansehen und damit auch den Rang seiner politischen Gegner nachhaltig zu erschüttern. Die rufschädigenden Vorwürfe werden von Cicero nach einem sich inhaltlich gleichenden Muster gestaltet, dessen Funktion und Ursprung die Arbeit erstmals mithilfe eines diskursanalytischen und erzähltheoretischen Ansatzes systematisiert. So können Lebensbereiche, auf die die Argumente Bezug nehmen, wie Kommensalität und Konsum, soziales Umfeld oder Sexualverhalten, als kulturspezifische Diskursfelder erfasst werden. Die Arbeit zeigt, wie die Diffamierungen generiert und – je nach dem sozialen Profil des zu schmähenden Gegners und nach Adressatenkreis – unterschiedlich komponiert werden. Einige implizieren sittliche Devianz, andere werden gar mit Vergehen oder Straftaten assoziiert. Anders als in der bisherigen Forschung wird neben den Reden im Senat, vor Gericht und in der Volksversammlung auch den Briefen Ciceros Bedeutung beigemessen, die weniger als authentische und alltagsnahe Selbstzeugnisse, denn als stilisierte Abhandlungen über Verhaltensstandards gelesen werden.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110599879

1Grundlagen

1.1Zugriff auf die Quellen

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen ciceronische Diffamierungen, welche mithilfe von Argumenten, die von der Person abgeleitet werden (loci a persona), politische Gegner angreifen. Eine historische Untersuchung solcher Diffamierungen muss zum einen über eine rein philologische Perspektive mit dem Selbstzweck einer Analyse rhetorischer Umsetzungen von Handbuchwissen hinausgreifen. Zum anderenaber darf sie aus historischer Perspektive nicht einer gewissen Leichtgläubigkeits- und Willfährigkeitstendenz anheimfallen, wenn die Frage nach den Zuschreibungsvoraussetzungen von bestimmten Argumenten zu Individuen ergründet werden soll. Die vorliegende Untersuchung fragt nach den konkreten Anwendungs- und Ausgestaltungsmöglichkeiten von Argumenten der Diffamierung und ihrer historischen bzw. kulturellen und gesellschaftlichen Bedingtheit. Zudem möchte sie sowohl eine rein rhetorische Analyse als auch eine historisch-psychologisierende Auswertung überwinden. Aus diesen Gründen adaptiert die Untersuchung methodische Zugriffe, die in den Disziplinen der Soziologie und der Literaturwissenschaft entwickelt wurden: Zum einen bedient sie sich verschiedener Annahmen aus dem Feld der historischen Diskursanalyse, zum anderen einiger Ansätze der Narratologie. Quellenkritische Herangehensweisen aus diesen beiden Disziplinen werden in der vorliegenden Arbeit verwendet, um die Form des Zugriffs auf die untersuchten Texte zu erläutern: Während zentrale Prämissen der Diskursanalyse den konzeptuellen Rahmen der Untersuchung bzw. die dispositive Haltung zu den Quellen und zu ‚historischer Wirklichkeit‘ vorgeben, werden Überlegungen, die sich an erzähltheoretische Theoreme anlehnen, den konkreten Quellenanalysen und ‐interpretationen zugrunde gelegt.
Grundsätzlich ist die Untersuchung von einem diskurstheoretisch ausgerichteten Blick auf die antike Geschichte geleitet. Dieser theoretische Ansatz geht davon aus, dass soziokulturelle Wirklichkeit stets ein Konstrukt ihrer Zeit ist.31 Besonders für die Kommunikation innerhalb einer stadtrömischen Gesellschaft, die den politischen vom privaten Raum nicht wie im modernen Verständnis trennt,32 ist eine hochgradig ritualisierte und auf gegenseitigem Verständnis basierende soziokulturelle Wirklichkeit vorauszusetzen. Was wir in den spätrepublikanischen Quellen fassen können, ist zunächst weder eine hinter dieser Konstruktion greifbare Wirklichkeit noch ein direktes Abbild von irgendeiner dahinter liegenden Wirklichkeit. Vielmehr handelt es sich um Diskurse, die zunächst einmal nur zeigen, dass es eben diese Diskurse offensichtlich gegeben hat.33 Begreift man Ciceros Diffamierungen nun als Diskurse bzw. als Teile bestimmter Diskurse, lässt sich in einem ersten Schritt die Aussage treffen, dass diese existiert (und funktioniert) haben, dass sie sich, um funktionieren zu können, im Rahmen des Sagbaren bewegt haben müssen und dass sie in eine von einer bestimmten Gruppe geführte stadtrömische Diskussion eingebunden waren.34
Vor diesem Hintergrund kann freilich nicht beabsichtigt werden, im Sinne einer klassischen Hermeneutik durch die Quelle zu einer ‚Realität‘ der Vergangenheit vorzudringen,35 da davon ausgegangen wird, dass die in den Texten repräsentierte Wirklichkeit stets eine diskursiv kommunizierte Wirklichkeit darstellt.36 Nur eine kommunizierte Wirklichkeit kann „Objekt historischer Erkenntnis“ sein.37 Vielmehr ist der Frage nachzugehen, welche politischen Umstände bestimmte Erscheinungen als Wirklichkeit hervorgebracht, welche gesellschaftlichen und biographischen Bedingungen und welche gattungskonventionellen Faktoren zu Ciceros Ausgestaltung stereotyper Diffamierungen geführt haben.38 Dazu gilt es z.B. zu klären, welche Praktiken der Diffamierung es in der Antike zur Zeit Ciceros und auch zuvor schon gegeben hat. Auf der Suche nach den Entstehungsumständen der Diffamierungen empfiehlt sich daher auch ein Blick auf Niederschläge dieser Diskursfelder in anderen Bereichen der Überlieferung, welche eben jene moralischen Werte und Tugenden erkennen lassen wie Ciceros Diffamierungen selbst. Denn die inhaltliche Ausgestaltung der Diffamierungen muss eine Inversion von wertbezogenen Vorstellungen bilden, die zumindest von einem Teil der Gesellschaft getragen wurden, um die gewünschte diffamierende Wirkung entfalten zu können. Inwiefern diese Vorstellungen in erster Linie Reminiszenzen an einen auf die Vergangenheit projizierten Idealzustand darstellen, wird im Verlauf dieser Untersuchung gezeigt.
Von besonderer Bedeutung für die Analyse ciceronischer Schriften und ihrer soziokulturellen ‚Entstehungsumstände‘ ist darüber hinaus die Relation, in der Diskurse und Macht zueinander stehen.39 Als Vehikel, also gleichsam als Instrument, das dem Diskurs zu Macht verhilft, fungiert die Sprache, da sie die Gesellschaft und ihre jeweilige Wirklichkeit formen bzw. dieser überhaupt erst ‚Ausdruck verleihen‘ kann.40 Sprache verleiht so gewissermaßen die Macht, etwas ‚explizit‘ und ‚öffentlich‘ zu machen41 sowie bestimmte Diskurse zu forcieren. Während für die späte römische Republik die Bedeutung des Heeres traditionell als exzeptioneller Machtfaktor hervorgehoben wird, ist im Falle Ciceros verschiedentlich darauf hingewiesen worden, welche bedeutsame Rolle die rednerischen Fähigkeiten für die Kompensation fehlender militärischer Erfolge gespielt haben.42 Häufig wird dabei seinen konkreten Erfolgen als Anwalt Tribut gezollt oder abgewogen, welches Ansehen ihm sein rhetorisches Talent eingebracht haben mag. Zweierlei ist jedoch in diesem Zusammenhang auch zu bedenken: Erstens ist zu untersuchen, wie Cicero – befähigt durch sein rhetorisches Talent, das wiederum wesentlich die breite Überlieferung seines Schaffens veranlasst hat – spätrepublikanische Diskurse zu moralisch richtigem oder verwerflichem Verhalten geprägt, wenn nicht gar dominiert hat. Zweitens muss berücksichtigt werden, dass ein Großteil unseres Wissens über moralische Urteile der späten Republik auf Cicero zurückgeht und daher außer den Schriften Sallusts entsprechende Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Moralisch negativ wertende Urteile liegen nun freilich häufig in Form von Diffamierungen vor. Besonders für Cicero stehen also Sprache und sprachliche Produkte, seine Reden und Briefe sowie das übrige literarische Schaffen, in engem Konnex mit seinem Anspruch auf politische Macht bzw. seinem Kampf um Macht.43 Geht man davon aus, dass Diskurse gesellschaftliche Macht haben, indem sie Wahrheiten definieren, ist die Einflussnahme auf die Ausgestaltung gesellschaftlicher Diskurse bzw. die Ausformung einer gesellschaftlich diskutierten ‚Wirklichkeit‘ ein besonders wirksames Machtmittel. Wie Cicero dieses Mittel gerade in Diffamierungen politischer Kontrahenten einsetzt, bildet ein zentrales Erkenntnisinteresse der vorliegenden Rede- und Briefanalysen.
Rhetorisch durchkomponierte Texte, wie sie in Ciceros Reden und Briefen gewiss vorliegen, lassen sich aufgrund leicht zu identifizierender Elemente besonders gut diskursanalytisch untersuchen. Die herauslösbaren Versatzstücke von Argumentationen sind dabei als topoi zu verstehen.44 Durch wiederkehrende topoi der Rhetorik können Relationen zwischen Argumenten und Schlussfolgerungen hergestellt werden, die nicht notwendigerweise miteinander in Zusammenhang stehen müssen. In diesem Sinne können topoi maßgeblich an der Konstruktion von Wirklichkeiten beteiligt sein. Das Herstellen und Perpetuieren von Relationen zwischen Argumenten und nicht zwangsläufig sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen ist in Ciceros Diffamierungen vielfach zu beobachten. Cicero fügt sich mit seinen Reden, die plausible Verbindungen zwischen Argument und Schlussfolgerung herstellen, in eine bestimmte Tradition ein. Diese Verbindungen funktionieren hauptsächlich deshalb, weil ähnliche Relationen schon von früheren Rednern angewandt worden waren. Solche Argumente bilden keine Sachverhalte oder Handlungen ab, die der historischen Realität entsprochen haben, sondern operieren primär im Rahmen rhetorischer Konventionen. Was dargestellt wird, ist also nicht zwangsläufig als so geschehen zu verstehen, muss sich aber sehr wohl in einem Rahmen bewegen, der potentiell vorstellbar gewesen ist.45 Durch die Anwendung und Forcierung bestimmter topoi ‒ bestimmter Argumente ‒ fügt Cicero seine Vorwürfe in eine diskursive Wirklichkeit ein, bildet aber nicht zwangsläufig Handlungsweisen und Verhaltensmuster ab, die bestimmten Individuen zuschreibbar wären. Welche diskursiven Wirklichkeiten und somit prinzipiell vorstellbaren Handlungsweisen und Verhaltensmuster in den ciceronischen Texten bedient werden, wird die Quellenanalyse zeigen.
Um das Verhältnis einer notwendigen Bezugnahme auf die Lebensrealität zu bestimmen und einen Spielraum für das ‚Fingieren‘ von Argumenten abzustecken, dienen im Folgenden Überlegungen der Erzähltheorie: Neben der Grundannahme, dass von Inhalten der Diffamierungen nicht auf konkrete Ereignisse geschlossen werden darf, versteht sich, dass Vorwürfe nicht ‚frei erfunden‘ sein können, um in gewünschter Weise Einfluss ausüben zu können. Um den Spielraum des Sagbaren ermessen zu können, der Cicero zur Komposition seiner Diffamierungen zur Verfügung gestanden hat, und um so die Ausgestaltungsmöglichkeiten und ‐voraussetzungen der Inhalte von Diffamierungen beurteilen zu können, sollen im Folgenden in der nötigen Kürze einige Überlegungen zum ‚Fingieren‘ von Diffamierungsinhalten angestellt werden. Die Nähe des Begriffes ‚fingieren‘ zu ‚Fiktion‘ oder ‚Fiktionalität‘ und zu ihrem Gegensatz, dem ‚Fakt‘ oder der ‚Faktualität‘, macht es notwendig, den vorliegenden Untersuchungsgegenstand unter Berücksichtigung von erzähltheoretischen Ansätzen einzuordnen. Die auf Ciceros Diffamierungen anzuwendende Begrifflichkeit von ‚Fingiertem‘ unterscheidet sich dabei von bereits unternommenen Versuchen, den Begriff Fiktion auf antike Texte wie beispielsweise Briefcorpora anderer antiker Autoren anzuwenden.46 Sie leitet sich im Wesentlichen aus Ciceros Werk her, insbesondere aus einer Passage seiner Rede Pro Fonteio, der Verteidigungsrede Ciceros im Repetundenprozess gegen Fonteius des Jahres 69 v.Chr.:
ecquis umquam reus () sic accusatus est, ut nullum probum, nullum facinus, nulla turpitudo, quae libidine aut a petulantia aut ab audacia nata esset, ab accusatore obiceretur, si non vera, at certe ficta sunt cum aliqua ratione ac suspicione?47
„Hat man je einen Angeklagten […] so beschuldigt, daß ihm der Ankläger nichts vorzuwerfen wußte, keine Schandtat, kein Verbrechen, keinen Schimpf, der von Ausschweifung, Vermessenheit oder Dreistigkeit her...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. Einleitung
  7. 1 Grundlagen
  8. 2 ‚Persönliche‘ Rahmenbedingungen für Ciceros Diffamierungen
  9. 3 Diffamierungen in der griechischen und römischen Literatur
  10. 4 Ciceros Diffamierungen anhand des expliziten Vorwurfs charakterlicher Unzulänglichkeit
  11. 5 Ciceros Diffamierungen anhand von Handlungsweisen und Verhaltensmustern
  12. 6 Ciceros Diffamierungen anhand des gesellschaftlichen Umgangs
  13. 7 Anwendungsabhängigkeiten von Diffamierungsargumenten
  14. 8 Kontinuität und Weiterentwicklung ciceronischer personae in der Antike
  15. Schlussbetrachtung
  16. Quellenverzeichnis
  17. Literaturverzeichnis
  18. Indices