Hans-Fallada-Handbuch
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Hans-Fallada-Handbuch

  1. 754 Seiten
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Hans-Fallada-Handbuch

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Über dieses Buch

Der professionelle Medienarbeiter Hans Fallada (1893-1947) gehört zu den repräsentativen Autoren der Synthetischen Moderne, die kulturelle Kontinuitäten von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die frühe Nachkriegszeit hinein bezeichnet. Dargestellt wird Falladas gesamtes Werk im literatur-, medien- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang auch für die NS-Zeit, unter deren Zensur er weiterhin publizieren wollte. Dies geschieht in Werkartikeln zu allen Romanen, in Überblicksartikeln zu Falladas Erzählungen, zu seinen Unterhaltungsromanen, Märchen und Kinderbüchern, schließlich in Grundlagenartikeln zur Poetologie dieses populären Schreibens in der neuartigen 'middlebrow culture'. Erstmals werden auch die literarischen Verfahrensweisen aus allen Phasen dieses Werks im Verhältnis zu den umfassend dokumentierten journalistischen Arbeiten Falladas analysiert. Der Band schließt mit Beiträgen zur Wirkung und aktuellen weltweiten Resonanz. Die Gesamtbibliographie weist alle ermittelbaren Publikationen Falladas auch in Zeitungen und Zeitschriften nach.

Das Handbuch erschließt erstmals Falladas Gesamtwerk.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110387759

II.Das literarische Werk

1.Übergreifende Aspekte zum Gesamtwerk

1.1Verhältnis literarisches Werk – Rezensionspraxis – journalistische Tätigkeit

Hannes Gürgen
Am 10. Mai 1928 wird Fallada aus dem Zentralgefängnis Neumünster entlassen – zweieinhalb Jahre war er vom gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Weimarer Republik abgeschnitten. Fallada, der in der ersten Hälfte der 1920er Jahre mit den beiden Romanen Der junge Goedeschal (1920) und Anton und Gerda (1923) und einigen kürzeren Erzählungen als expressionistischer Autor in die literarische Öffentlichkeit getreten war, muss 1928 persönlich wie literarisch neu anfangen. Bis zu seinem ersten neusachlichen Roman Bauern, Bonzen und Bomben (1931) und dem Welterfolg von Kleiner Mann – was nun? (1932) vollzieht sich ein künstlerischer Wandel, der eng mit seiner journalistischen Tätigkeit verbunden ist. Zunächst als einfacher Abonnentenwerber und Annoncenschreiber für den General-Anzeiger für Neumünster zuständig, wird Fallada schnell zum Universalberichterstatter für alles, was in der Kleinstadt vor sich geht. Das Spektrum umfasst lokale Feste, Theateraufführungen, Liederabende, Ausstellungen, Vorträge und Kinovorführungen. Fallada erhält dadurch einen umfassenden Einblick in den lokalen Kulturbetrieb, das Vereinswesen und nicht zuletzt in die Politik – hier insbesondere im Jahr 1929 aufgrund seiner Berichterstattung über den ‚Landvolkprozess‘. Falladas Kurzkritiken nehmen zu tagesaktuellen Ereignissen Stellung und geben in einem reportageartigen Gestus persönliche Eindrücke pointiert wieder. War er mit dieser journalistischen Kurzform anfänglich noch nicht vertraut, entwickelt Fallada mit diesem Schreiben einen knappen und präzisen Dokumentarstil, so dass die Forschung in diesen Kurzkritiken ein literarisches Probierfeld erkennt (vgl. Prümm 2013, 20). Deren Eigenständigkeit besteht darin, dass sich journalistische Darstellungstechniken bei Fallada immer auch mit erzählerischen Elementen verbinden. Auch darin ist er nahe bei den einfachen Leuten: Er studiert ihre Verhaltensweisen, lernt ihre Sorgen und Nöte und ihre unmittelbare Lebenssituation kennen und macht dabei Erfahrungen, aus denen eine „Echtheit“ in den literarischen Werken hervorgeht, „die sich sofort überträgt“ (Tucholsky 1931, 499).
Als Fallada 1930 dem Ruf Ernst Rowohlts folgt und nach Berlin zieht, um dort in der Rezensionsabteilung des Verlages zu arbeiten, eröffnet sich ihm damit ein weiteres Erfahrungsfeld: Was er beim General-Anzeiger teils ebenso intuitiv wie probierend, teils intendiert-formbewusst schrieb, wird nun auf eine reflektierte, auch literaturhistorisch informierte Ebene gebracht. Fallada lernt nahezu alle Rowohlt-Autoren kennen (so z. B. Kurt Tucholsky, Albert Ehrenstein, Robert Musil, Arnolt Bronnen, Ernst von Salomon). Gleichzeitig ist er offen für neue Anregungen und Einflüsse und dazu bereit, seine eigenen literarischen Vorstellungen und Positionen zu hinterfragen. Darüber hinaus bespricht Fallada 1931/1932 für die Vossische Zeitung, Der Querschnitt und Die Literatur ein ansehnliches Repertoire zeitgenössischer Literatur. Er gleicht dabei sein literarisches Formverständnis mit anderen Autoren ab. Die literarische Wandlung Falladas von den artistisch-expressionistischen Experimenten seiner Anfangsjahre zum dokumentarisch-realistischen Zeitroman bahnt sich zwar bereits um 1925 an (siehe den Beitrag 2.3 Zum Umbruch in Falladas Werk um 1925 in Kap. I), er vollzieht sich aber endgültig erst vor dem Hintergrund seiner journalistischen Erfahrungen in den Jahren 1928–1931.
Falladas vorjournalistische Phase (bis November 1928)
Nach seiner Entlassung am 10. Mai 1928 aus dem Zentralgefängnis Neumünster geht Fallada, in der Hoffnung, Arbeit zu finden, nach Hamburg und versucht zunächst vergeblich, die Manuskripte seiner „Tagesschriftstellerei“ bei verschiedenen Zeitungen unterzubringen (Brief an Ernst Rowohlt, 8. August 1928, zit. nach Caspar 1985, 682): Er hat nun wieder Zeit zum Schreiben und verarbeitet erstmals seine Gefängnis-Erfahrungen in den Gauner-Geschichten. Diese 1928 konzipierten Kurzgeschichten deuten bereits einen formalen wie thematischen Neuansatz an, insofern sie eine Tendenz zur Sozialreportage erkennen lassen: In Mein Freund, der Ganove nimmt der Ich-Erzähler (zuweilen auch in der kollektiven Wir-Form) eine Beobachterrolle ein, um die Verhaltensweise und Lebenseinstellung des Ganoven Otsche zu beschreiben. Diese werden aber nicht kommentiert, so dass sich der Leser selbst seine Meinung bilden kann: „Er sortierte aus einem Fetzen Zeitungspapier Kippen. Jeder Zigarettenstummel wurde sorgsam aufgepult und der Tabak in eine Blechschachtel getan. […] Wir sahen den Mann an, der beim Glase Bier am Büfett lehnte“ (Fallada 1985, 38). Die noch verhalten eingesetzte, aber erkennbare Wiedergabe des Ganoven-Soziolekts verstärkt den Eindruck von Authentizität: „Die vollgefressene Brillenschlange da, mit der Seehundsfranse unter der Nase, ist von der Schmiere. Nun, meine Flebben sind rein“ (ebd.). Damit bahnt sich erstmals auch der entsprechende Sprachgebrauch in seinem späteren Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frißt an.
Fallada gelingt es in der zweiten Jahreshälfte 1928, fiktionale Texte in Hamburger Zeitungen unterzubringen. Rache einer Hamburgerin (am 16. September 1928 im Hamburger 8 Uhr Abendblatt veröffentlicht) ist ein Kurzprosatext, der, wie die Gauner-Geschichten, die Begegnung zweier Figuren beschreibt: Wilhelm Tredup (später kehrt der Figurenname in Falladas ersten neusachlichen Roman Bauern, Bonzen und Bomben wieder, dort als Max Tredup) erzählt von seiner „heiße[n] Liebe“ (Fallada 1928a) zu einer Hamburgerin mit Namen Mieke und davon, wie diese ihm in verschiedenen, pointiert beschriebenen Lebensstationen nachstellt. Weil sie das drohende Ende der Beziehung nicht verkraftet, versucht Mieke sich zu rächen. Tredup wird vergiftet, es werden ihm Schlangen und Skorpione ins Bett gelegt, und am Ende bedroht sie ihn sogar mit einem Revolver. Die Schlusspointe fällt humoristisch-skurril aus, wenn Tredup schließlich gesteht: „Ich habe sie natürlich geheiratet“ (ebd.). Den Dialog versucht Fallada bereits so authentisch wie möglich zu halten, doch die häufige Verwendung von Modalpartikeln wie „nun“, „doch“, „also“ (ebd.) wirkt in diesem frühen Text noch durchaus gezwungen und konstruiert. Die Figurenzeichnung eines jungen, labilen Mannes, der auf eine vitale und durchsetzungsstarke Frau trifft, wird Fallada dann in modifizierter Form in einem Roman erstmals für Kleiner Mann – was nun? übernehmen. Diese Konstellation ist seitdem ein wiederkehrender Motivzusammenhang in seinem Œuvre.
Der noch vor Falladas Engagement als Lokalredakteur beim General-Anzeiger für Neumünster entstandene zweiteilige Prosatext Großstadttypen (am 17. Dezember 1928 im Hamburger Echo veröffentlicht) legt das Augenmerk auf zwei sozial benachteiligte Figuren. Der erste Teil Die Verkäuferin auf der Kippe beschreibt anhand eines Telefonats das triste Angestelltenleben einer Trikotagen-Verkäuferin, die vom gesellschaftlichen Aufstieg träumt. Nach der Begegnung mit ihrer Freundin Minna Lenz gesteht sie: „Und einen Blaufuchs trägt das Geschöpf, ich bin fast geplatzt vor Neid. Die hat’s raus. […] ich hab’ mich so geschämt vor ihr in meinem Konfektionsfähnchen […]“ (Fallada 1928b, 1). Die Verkäuferin überlegt daraufhin, es ihrer Freundin gleichzutun und als Prostituierte zu arbeiten. Sie zögert aber noch; der Text lässt offen, ob sie sich für diesen Weg entscheidet: „Ewig warten und hinter dem Ladentisch stehen. Und die andern tanzen und fahren dicke im Auto? Das habe ich nicht nötig. Na, wir werden ja sehen“ (ebd.). Die sozial schwierige Situation der Angestellten Ende der 1920er Jahre in der Weimarer Republik wird von Fallada hier an einem Einzelschicksal vorgeführt. Fallada weist die Prostitution als Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs für weibliche Angestellte aus und spielt dabei bewusst mit den Moralvorstellungen seiner Leserinnen und Leser, indem er Reaktionen provozieren will, die letztlich den kritischen Diskurs über das Angestellten-Problem zum Ziel haben, wie er dann wenig später in Siegfried Kracauers Artikelserie Die Angestellten in der Frankfurter Zeitung geführt wird. Im zweiten Teil Der Strafentlassene wird in ganz ähnlicher Weise der Überlebenskampf ehemaliger Häftlinge kritisch hervorgehoben; dabei zeigt sich Fallada als sensibler Beobachter gesellschaftlicher Randgruppen: „Der junge Mann, der Ihren Autoschlag zuwarf und sich nur verlegen fortwandte, als der erwartete Groschen nicht kam – das war er“ (ebd.). Scham und Minderwertigkeitsgefühle begleiten den Strafentlassenen, der von der Mehrheitsgesellschaft ins Abseits gedrängt und mit Ignoranz und Verachtung gestraft wird. Stellvertretend für diese Einstellung stehen die Sätze: „Er ist überall, er treibt im gesunden Blut des Volkskörpers, ein kranker Tropfen, der bald wieder ausgeschieden sein wird“ (ebd.). Auch hier versucht Fallada, seinen Leser zu sensibilisieren und zur Selbstkritik anzuregen, indem er diesen immer wieder direkt anspricht: „Sagen Sie mir nicht, daß Sie ihn noch nicht gesehen haben. Vielleicht haben Sie ihn nicht erkannt, das ist möglich, aber gesehen haben Sie ihn ein Dutzend Mal […]. Denn er ist überall […]“ (ebd.).
Wenngleich die Texte jener Zeit ihren Fokus deutlich auf gesellschaftliche Themen in einer realistisch-berichtenden Manier legen, war Fallada selbst noch zwiegespalten, wohin sein literarischer Weg führen würde. Bis Mai 1929 arbeitete er „aus Beharrung“ (Brief an Ernst Rowohlt, 6. Mai 1929, zit. nach Caspar 1985, 685) noch an Die Kuh, der Schuh, dann du – ein von surreal anmutenden Traumsequenzen und wechselnden Assoziationsketten durchzogener Avantgarde-Text, der sich Gattungskonventionen widersetzt (siehe den Beitrag 2.3 Erzählungen der 1920er Jahre in Kap. II). Fallada legt schließlich auch diesen Text wie die anderen, vor seiner Haft entstandenen Arbeiten „aus der Zeit der Rauschgift- und Alkoholsüchte“ (Caspar 1985, 685) beiseite, ja er distanziert sich von ihnen.
Journalistische Arbeiten im General-Anzeiger für Neumünster (1928–1930)
Im November 1928 wird Fallada angestellt als Abonnenten- und Annoncenschreiber im General-Anzeiger für Neumünster. In der überwiegend sozialdemokratisch und teils kommunistisch geprägten Kleinstadt ist das auflagenschwache, deutschnationale Blatt allerdings nicht beliebt und ständig davon bedroht, eingestellt zu werden. Dennoch sieht Fallada, endlich zu Arbeit gekommen, beim General-Anzeiger eine Zukunft, auch weil er eigene Artikel unterbringen kann: „Hier kann ich all meine Begabungen am besten auswerten“ (Brief an die Eltern, 20. Januar 1929, zit. nach Lamp 2007, 73).
Sein Debüt als Kulturberichterstatter gibt Fallada am 23. November 1928 mit dem Titel Bunter Abend im Tivoli (vgl. Fallada 1928c). Auffällig an allen Kritiken Falladas in diesem Bereich sind die überschwänglichen Lobeshymnen, die er den Vortragenden und Musikern etc. zuteil werden lässt mit Bemerkungen zur Einmaligkeit des künstlerischen Eindrucks, den er jeweils hervorhebt. Fallada selbst macht dabei keinen Hehl daraus, dass ihm beispielsweise die Besprechung klassischer Musikabende schwer fällt und ihn an die Grenzen seines Kunstverständnisses bringt: „Was soll der Kritiker von der Fülle des Schönen, mit dem er überschüttet wurde, herausgreifen?“ – so fragt er unschlüssig in der Besprechung eines Konzerts des Vereins der Musikfreunde (Fallada 1929f, 3). Neben wiederkehrenden Beschreibungsformeln – „[es] gab an diesem Abend nicht nur Höhepunkte, nein, dieser ganze Abend war schlechthin ein Höhepunkt“ (ebd.) – flüchtet sich der Autor in pauschale oder gar oberflächliche Wortspielereien: „Doch wieder ist in diesen Klängen etwas Hurtiges, Eilendes, Tupfendes. Und wieder etwas Verhaltenes, hastend, bleibend“ (Fallada 1929d, 3). Fallada achtet dabei aber stets sensibel auf die Reaktionen des Publikums; er sieht sich in seiner Kritikerrolle nicht als Außenstehender, sondern als Teil der kollektiven Hörerschaft, deren Eindrücke er teilen und wiedergeben will: „Jedenfalls können wir sagen, daß wir mit einer seltenen Ergriffenheit diesem meisterlichen Spiel zuhörten, und daß wir Herrn Zöllner […] herzlich danken“ (Fallada 1929n, 3).
In seinen frühen Artikeln für den General-Anzeiger hält sich Fallada noch weitgehend mit literarischen Gestaltungsansprüchen zurück und belässt es, neben einzelnen wertenden Einordnungen, bei der Wiedergabe der Veranstaltungsabläufe. Ein Beispiel dafür wäre die beschriebene Feier der ortsansässigen Holstenschule:
Nachdem der Schulchor das Schleswig-Holsteinlied zum Vortrag gebracht hatte, gab Herr Oberstudiendirektor Müller in kurzem Rückblick und Ausblick Bericht über das im letzten Jahre besonders in erzieherischer Hinsicht gewonnene Neuland […]. Nachdem dann gemeinsam das Lied der Holstenschule gesungen worden war, erfolgte die Ueberreichung der vom Verein ehemaliger Holstenschüler gestifteten Buchprämien […]. (Fallada 1929a)
Selbstbewusster in Einschätzung und künstlerischer gestaltet in der Formulierung ist Fallada dort, wo es um sein Hauptinteressensgebiet Literatur geht – diesen Besprechungen, wie in der vom 23. Januar 1929, wo er eine Hans Langmaack-Lesung rezensiert, ist seine Begeisterung deutlich anzumerken:
All dieses lebte erst wahrhaft durch die reine, jeder Manier fremde Kunst von Hans Langmaack. Sein Männergesicht glich in mancher Sekunde dem eines alten weisen Bauernweibleins, das viel Leid erfahren hat. Erschütternd wie der Tod die sterbende Eggert an der Kehle faßt und leise, verhalten die Liebesszene zwischen Swehn und der sterbenden Mutter. Ein Meister seines Fachs, ein Meister, Menschen aus den Seiten eines Buches hervortreten, unter uns weilen zu lassen. (Fallada 1929b, 3)
Diese frühe Besprechung ist bereits mit dem für die General-Anzeiger-Artikel typischen Fallada-Autorenkürzel „-en“ versehen. Manche Artikel sind jedoch (womöglich bewußt) nicht gekennzeichnet worden. Gründe dafür mögen taktische (bei kritischen Beiträgen) oder ästhetische gewesen sein (vgl. Bendig 2011, 153).
Das überwiegend positiv gefärbte Rezensionsverhalten Falladas muss wohl vor allem dem Überlebenskalkül des Lokalblatts zugeschrieben werden. Der General-Anzeiger war auf Inserate der Stadt angewiesen und konnte sich Verrisse nicht leisten: „Scharf kann man in einem Nest wie hier überhaupt nicht schreiben“, gesteht Fallada seiner Mutter (Brief an Elisabeth Ditzen, 5. Februar 1929, zit. nach Lamp 2007, 74). Diese Einsicht war dem Ärger geschuldet, den eine Kritik Falladas über einen Vortrag des ortsansässigen Rechtsanwalt Dr. Schmidt zum Thema Für und wider die Todesstrafe? auslöste: Fallada bezieht in seinem Artikel eindeutig Partei für die straffällig Gewordenen und steigert sich am Ende sogar in ein moralisches Plädoyer hinein: „Auch um dich geht’s! Und wenn du auch nicht mordest […], so geht es doch um […] das Ethos deines Volkes. Denn Gesetze sind die Niveaumesser der Volkssittlichkeit“ (Fallada 1929c, 3). Den Vortrag selbst wertet der Autor mit lapidaren Worten ab: „[…] kein zwingender Vortrag. Schade, eine versäumte schöne Gelegenheit, eine vertane Stunde“ (ebd.). Dr. Schmidt beschwerte sich daraufhin bei Karl Wachholz, dem Eigentümer des Anzeigers, der Fallada vorlädt und fortan zur Mäßigung ermahnt. Fallada lernt damit in wenigen Wochen die Gesetzmäßigkeiten des Lokaljournalismus kennen und damit die jeweiligen Interessen, die es dabei zu berücksichtigen gilt – Erfahrungen, die später in Bauern, Bonzen und Bomben einfließen werden.
Wie die Kritik zum Thema ‚Todesstrafe‘ bezeugen auch spätere Beiträge Falladas großes Interesse an sozial-politischen Fragen der Gegenwart. Er versucht dabei, als identifizierbare Autorenstimme meinungsbildend zu wirken und einen Dialog mit seinem Lesepublikum zu eröffnen, indem er dessen Aufmerksamkeit mit rhetorischen Mitteln zu gewinnen und zur Reflexion anzuregen versucht. In der Besprechung eines Vortrags zur Berufsethik eines Unternehmers spielt Fallada m...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. I. Fallada in seiner Zeit
  7. II. Das literarische Werk
  8. III. Wirkung
  9. IV. Zeittafel (Kristina Kapitel)
  10. V. Fallada-Bibliografie (Hannes Gürgen/Alice Hipp/Kristina Kapitel)
  11. VI. Register