Die Problematik der Interesselosigkeit bei Kant
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Die Problematik der Interesselosigkeit bei Kant

Eine Studie zur "Kritik der ästhetischen Urteilskraft"

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Die Problematik der Interesselosigkeit bei Kant

Eine Studie zur "Kritik der ästhetischen Urteilskraft"

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Über dieses Buch

Diese systematische Interpretation zur Problematik der Interesselosigkeit in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft untersucht Kants These, dass das Geschmacksurteil frei ist von Moral sowie von Überlegungen der Nützlichkeit. Dahan Fan vollzieht Kants Unterscheidung zwischen angenehm, gut und schön konsequent nach, dabei erscheint das Verhältnis von Vernunftinteresse und ästhetischer Interesselosigkeit in einem neuen Licht.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110545074

IIIInteresselosigkeit, Denkungsart und moralisch bezogene Begründung des Geschmacks

9Geschmacksurteil und Denkungsart: Interpretation zu § 40

In § 40 bestimmt Kant das Verhältnis vom Geschmack zum sensus communis. Vermittels des Begriffs sensus communis will Kant in diesem Paragraphen nicht nur den ästhetischen Charakter (in sensus impliziert) und die Mitteilbarkeit des Geschmacks (in communis impliziert) erläutern. Denn im vierten Moment der Analytik, genauer, in §§ 20–22, ist das schon anhand des Begriffs „Gemeinsinn“ geschehen. Kant führt in § 40 vielmehr aus, wie man sich beim Denken an die Stelle jedes anderen versetzen muss, um von privaten Beschränkungen zu abstrahieren und zu einem Urteil mit Allgemeingültigkeit zu gelangen. Von dieser Perspektive aus wird der Geschmack definiert als „das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittlung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen“ (§ 40, 295–6). In diesem Kapitel werde ich § 40 interpretieren, und zwar im Hinblick darauf, wie sich das Geschmacksurteil zur normativen Denkungsart, nämlich der „Maxime der Urteilskraft“, sich an der Stelle jedes anderen zu denken, verhält. In 9.1 wird erläutert, wie Kant das Thema „Denkungsart“ zur Erläuterung des Geschmacks einführt. In 9.2 wird ausgelegt, was für ein Interesse der Begriff „Maxime der Urteilskraft“ impliziert. In 9.3 wird der letzte Absatz von § 40, ein Absatz über das eventuelle Interesse an der allgemeinen Mitteilbarkeit, diskutiert.

9.1Geschmack als „eine Art von sensus communis

Die Überschrift von § 40 lautet: „Vom Geschmacke als einer Art von sensus communis“. Wenn Geschmack eine Art von sensus communis ist, würde er als ein Unterbegriff an Merkmalen des Oberbegriffs sensus communis teilhaben. Durch die Bestimmung als eine Art von sensus communis wird er deshalb in den weiteren Zusammenhang des Oberbegriffs sensus communis gestellt. Dies lässt sich als eine Erweiterung des Forschungshorizontes ansehen, wodurch der Geschmack jetzt aus der Perspektive der Ausübung der Urteilskraft im Allgemeinen und nicht nur als bloße ästhetische Urteilskraft betrachtet werden wird.
Kant hält den Geschmack und den sensus communis nicht für identisch. Obwohl er schreibt, „dass die ästhetische Urteilskraft eher als die intellektuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen könne“ (§ 40, 295), ergänzt er dies durch eine Bedingung: „wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüt brauchen will“ (§ 40, 295). Zugleich schlägt er, um der Genauigkeit willen, in der Fußnote vor, dass man den Geschmack als sensus communis aestheticus, und den gemeinen Menschenverstand als sensus communis logicus bezeichnen könnte (§ 40, 295). Der Geschmack ist also nicht mit dem sensus communis gleichzusetzen, sondern ist nur eine Art von sensus communis. Eine andere Art ist der sensus communis logicus, d.h. der logische Gebrauch des sensus communis.
Im zweiten Absatz des Paragraphen erläutert Kant den sensus communis als „die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes“, nämlich eines Beurteilungsvermögens,
welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesammte Menschenvernunft sein Urteil zu halten und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluss haben würde. (§ 40, 293)
Kant spricht vom sensus communis als der „Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes“ anstatt einfachhin als dem „gemeinschaftlichen Sinn“, wohl aus der Überlegung, dass dem Begriff sensus communis keine demonstrative Anschauung zugrunde liegen kann und mit ihm eher ein Anspruch verbunden ist, dass man mit dem Begriff des sensus communis sein Denken regeln sollte. Der Begriff des sensus communis beinhaltet in der Tat ein Verfahren des Denkens bzw. der Reflexion, welches von Kant anschließend als „Maxime der Urteilskraft“ in das System der Maximen bzw. der Denkungsarten des Menschenverstandes eingeführt wird (§ 40, 294). (Die drei Maximen lauten: „1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“: § 40, 294.)
Dadurch, dass Kant den sensus communis als „die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes“ und diese Idee – an der Stelle jedes andern zu denken – als die Maxime der Urteilskraft erklärt und zugleich schon im Titel des Paragraphen der Geschmack als eine Art von sensus communis bestimmt wird, steht jetzt der Geschmack in einer Verbindung mit der Maxime der Urteilskraft. Eine Maxime, die die Denkungsart regelt, lässt sich aber nicht ohne Bedenken auf die Beurteilung des Schönen anwenden. Denn die in einem Geschmacksurteil enthaltene Reflexion ist kein Denken in bestimmten Begriffen. Kant dürfte auch aus dieser Überlegung geschrieben haben: „Folgende Maximen des gemeinen Menschenverstandes gehören zwar nicht hieher, als Teile der Geschmackskritik“. Er fügt aber sofort hinzu, dass die betreffenden Maximen doch der „Erläuterung ihrer Grundsätze dienen“ können (§ 40, 294). Dass eine Maxime der Denkungsart auch zur Erläuterung der Grundsätze der Geschmackskritik dienen kann, lässt sich wohl so erklären: 1. Das Geschmacksurteil erhebt wie das Erkenntnisurteil den Anspruch auf allgemeine Gültigkeit; 2. selbst der für das begriffliche Denken zuständige Verstand spielt auch im Geschmacksurteil eine Rolle (siehe § 1).
Es ist bemerkenswert, wie Kant hier das Verfahren beschreibt, wie die Reflexion die subjektiven Privatbedingungen ausschaltet, um zum allgemeinen Standpunkt zu gelangen. Nach der Logik kann „die Vergleichung unserer eigenen mit Anderer Urteilen“ als „[e]in äußeres Merkmal oder ein äußerer Probierstein der Wahrheit“ gelten (Logik, IX 57): Die Unvereinbarkeit meines Urteils mit dem eines anderen kann darauf hinweisen, dass mein Urteil eventuell problematisch ist. Das Urteil des anderen wird dabei wirklich einbezogen und betrachtet. Das in § 40 der Kritik der ästhetischen Urteilskraft entwickelte Verfahren der Reflexion behandelt aber nicht einen wirklichen Vergleich, sondern ein Urteil a priori, d.h. dass „man ein Urteil sucht, welches zur allgemeinen Regel dienen soll“ (§ 40, 294).
Dieses geschieht nun dadurch, dass man sein Urteil an anderer nicht sowohl wirkliche als vielmehr bloß mögliche Urteile hält und sich in die Stelle jedes andern versetzt [...]. (§ 40, 294)
Um aber das eigene Urteil an die möglichen Urteile der anderen zu halten und sich in die Stelle jedes anderen zu versetzen, nämlich um a priori zu beurteilen, wird ein Ansatzpunkt zur Durchführung der Reflexion benötigt. Dieser Ansatzpunkt besteht darin, dass „man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert“ (§ 40, 294). Dazu bedürfen wir allerdings wiederum eines konkreteren Verfahrens der Reflexion. Dieses besteht nach Kant darin, „dass man das, was in dem Vorstellungszustande Materie, d.i. Empfindung ist, so viel möglich weglässt und lediglich auf die formalen Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung oder seines Vorstellungszustandes Acht hat“ (§ 40, 294).
Diese Operation der Reflexion, was in dem „Vorstellungszustande“ zur Materie, bzw. zur Empfindung gehört, wegzulassen und ausschließlich die formalen Eigentümlichkeiten der Vorstellung zu berücksichtigen, stimmt, wie man sehen kann, mit dem Verfahren des Geschmacksurteils überein: Beim Geschmacksurteil kommt es ebenfalls darauf an, das, was zur Materie der gegebenen Vorstellung gehört, wegzulassen und sich lediglich mit der formalen Beschaffenheit der Vorstellung zu befassen. Diese Übereinstimmung ergibt sich nicht zufällig: Nur mit einem solchen Verfahren der Reflexion ist erst ein Anspruch auf die allgemeine Gültigkeit möglich, beim Geschmacksurteil verhält es sich ebenfalls so.
Die in § 40 entwickelte Operation der Reflexion als ein Verfahren der Urteilskraft überhaupt stimmt des Weiteren auch mit dem in § 6 entwickelten Reflexionsvorgang überein: Das Subjekt wird sich bewusst, dass sein Wohlgefallen am Gegenstand interesselos ist; von daher sollte das betreffende Wohlgefallen von den subjektiven zufälligen Bedingungen frei und in etwas gegründet sein, das bei jedem anderen vorausgesetzt werden kann; das Subjekt mutet deshalb jedem ein ähnliches Wohlgefallen zu. Obwohl Kant selber nicht explizit zum Ausdruck bringt, dass die Maxime der Urteilskraft auch eine Maxime des Geschmacks sei, sollte der allgemeine Standpunkt, den „die erweiterte Denkungsart“ fordert, auch für das reine Geschmacksurteil gelten. Von daher gehört die erweiterte Denkungsart bzw. Maxime der Urteilskraft zwar „nicht hierher, als Teile der Geschmackskritik“ (§ 40, 294), sie kann aber eine Bedingung der Reinheit des Geschmacksurteils zum Ausdruck bringen.
Die normativen Bedingungen, die ein reines Geschmacksurteil erfüllen soll, wird schon in der Analytik des Schönen behandelt22. Dort werden sie anhand der semantischen und (geschmacksurteils-)logischen Analyse ausgearbeitet. Im ersten Moment der Analytik wird nämlich die normative Bedingung erläutert, dass ein Geschmacksurteil rein, also interesselos sein sollte. Diese Forderung basiert aber auf dem Charakteristikum des Geschmacksurteils: Um ein Geschmacksurteil fällen zu können, sollte der Urteilende ausschließlich dasjenige Wohlgefallen als Grund seines Urteils wählen, das ohne alles Interesse ist. In § 40 ändert sich der Blickwinkel: Die Unparteilichkeit bzw. der allgemeine Standpunkt ist nicht mehr eine Forderung, die bloß auf dem Charakter des Geschmacksurteils beruht. Es handelt sich hier vielmehr um eine Forderung des Denkens im Hinblick auf sein Urteil. Die in § 40 angeführte normative Bedingung, nämlich der allgemeine Standpunkt, geht also über die semantische und (Geschmacksurteils-)logische Normativität hinaus:
Wenn man das Geschmacksurteil, ein ästhetisches Reflexionsurteil, mit dem Sinnenurteil verwechselt, handelt es sich, so nach der Analytik des Schönen, entweder um ein semantisches Missverständnis dessen, was „schön“ heißt, oder um ein falsches Verständnis der Eigentümlichkeiten des reinen ästhetischen Urteils, oder um einen Mangel an Kultur des Geschmacks. Jetzt, gemäß § 40, kann es sich dabei auch um eine problematische Denkungsart handeln. Mangel an Kultur und problematische Denkungsart sind bei Kant wesentlich zu unterscheiden. Denn wie Textstellen in der Kritik der Urteilskraft (z. B. „moralische Denkungsart“: 210; „moralisch-gute Denkungsart“: 299) und in anderen Werken zeigen, hängt „Denkungsart“ oft mit der Art der Gesinnung im Bereich der Moral zusammen; eine beschränkte Denkungsart, d.h. eine Denkungsart, die nicht vom verallgemeinerbaren Standpunkt ausgeht, kann auch zur nicht verallgemeinerbaren Maxime und entsprechenden Gesinnung führen.
Auch die Deduktion des Geschmacksurteils behandelt nicht einen solchen normativen Standpunkt: Sie rechtfertigt anhand epistemischer Ressourcen die Möglichkeit der Allgemeingültigkeit des Geschmacksurteils; der in § 40 angeführte allgemeine Standpunkt macht aber sozusagen ein Interesse der Urteilskraft aus und ist für sich schon wertzuschätzen. Mit der Erweiterung des Horizontes, dass die Unparteilichkeit, die eigentlich eine normative Bedingung des reinen Geschmacksurteils ist, jetzt als die Maxime der Urteilskraft überhaupt aufgestellt wird, wird ein weiterer Zusammenhang des Geschmacks, nämlich der zweckmäßige Gebrauch der Urteilskraft überhaupt, thematisiert. Nicht bloß die ästhetische Urteilskraft, sondern der generelle Gebrauch der Urteilskraft soll den allgemeinen Standpunkt einnehmen.

9.2Maxime der Urteilskraft und Interesse

Den allgemeinen Standpunkt einzunehmen, nämlich an der Stelle jedes anderen zu denken, ist die Maxime der Urteilskraft. In Betracht dessen, dass Maximen mit Interessen zusammenhängen, wobei Kant sogar formuliert: „[a]uf dem Begriffe eines Interesse gründet sich auch der einer Maxime“ (KpV, V 79), kann man vermuten, dass ein Interesse an der Allgemeinheit des Denkens und des Urteils, und zwar ein Interesse mit apriorischem Quell, bestehen sollte. In diesem Abschnitt versuche ich, dieses Interesse im Hinblick auf sein Wesen und sein Verhältnis zum Geschmacksurteil zu diskutieren. Dies dient zur Entfaltung des folgenden Inhalts, es wird in diesem Abschnitt deshalb keine Vollständigkeit beansprucht.
Erstens, um was für ein Interesse handelt es sich hier? Es ist schwierig, das hier betreffende Interesse genau zu identifizieren. Es beschränkt sich nicht auf Gesinnung und moralisches Urteil, sondern betrifft eine gründliche Forderung an allen Gebrauch der Urteilskraft und macht eine subjektive Bedingung des theoretischen und praktischen Gebrauchs der Vernunft aus. Insofern ist das betreffende Interesse wohl nicht von einem anderen Interesse der theoretischen oder praktischen Vernunft abzuleiten, es liegt vielmehr den anderen Interessen der theoretischen und praktischen Vernunft zugrunde.
Um dem Interesse, das der Maxime der Urteilskraft zugrunde liegt, auf die Spur zu kommen, können wir in den Blick nehmen, wie Kant die Maxime der Urteilskraft begründet. Es sieht so aus, dass Kant hier nicht auf die durch die Kritik der reinen Vernunft ausgearbeiteten Ressourcen zurückgreift. Vergleichbar ist Kants Begründung der Maxime des Verstandes, nämlich des Selbstdenkens, im Essay Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784). Dort geht es ebenfalls um die Denkungsart: Durch die Revolution kann „niemals wahre Reform der Denkungsart [meine Hervorhebung] zu Stande kommen“ (Aufklärung, VIII 36). Es lassen sich in der Kritik der reinen Vernunft zwar manche Anknüpfungspunkte finden, um diese drei Maximen zu erläutern: Spontaneität der oberen Erkenntnisvermögen kann eventuell als eine Entsprechung zur „Maxime einer niemals passiven Vernunft“ (§ 40, 294) angesehen werden; für die Maxime der Vernunft, „nämlich die der konsequenten Denkungsart“, kann man sich vielleicht auf Kants Erläuterung zur „Vernunft überhaupt“ und zum „logischen Gebrauche der Vernunft“ in der Kritik der reinen Vernunft (KrV, B355 ff.) berufen. Was die genannten Maximen betrifft, handelt es sich um „Maximen des gemeinen Menschenverstandes“ (§ 40, 294), und zwar zum „zweckmäßigen Gebrauch“ der Erkenntnisvermögen (§ 40, 295). Die Aufstellung dieser Maximen hängt eher mit der allgemeinen Logik, und zwar nicht mit den objektiven Gesetzen des Denkens, sondern mit der subjektiven Bedingung des Denkens zusammen. In der Einleitung der uns überlieferten Logik Kants, herausgegeben von Jäsche, sind die drei Maximen in dem Paragraphen „VII. B) Logische Vollkommenheit des Erkenntnisses der Relation nach“ aufgelistet (Logik, IX 57). Da gelten sie als „[a]llgemeine Regeln und Bedingungen der Vermeidung des Irrtums überhaupt“ (Logik, IX 57). Das heißt: Um Irrtum zu vermeiden, sind diese Regeln zu beachten. Und auch von daher können sie in der Logik, also einer „Wissenschaft des richtigen Verstandes- und Vernunftgebrauchs überhaupt“ (Logik, IX 16) einen Platz haben.
Andererseits betrifft der allgemeine Standpunkt nicht nur Sachen des richtigen, sondern auch des moralischen Denkens und der Begriff Denkungsart hat bei Kant oft eine moralische Konnotation. Die Begründung dieses Standpunktes bezieht sich deshalb nicht nur auf ein logisches, sondern auch auf ein moralisches Interesse.
Zweitens liegt ein größeres Problem darin: Wie verhält sich die erweiterte Denkungsart zu dem Geschmacksurteil? Wie oben erwähnt, ist die angeführte Maxime der Urteilskraft nur eine Maxime des „gemeinen Menschenverstandes“ (§ 40, 294). Bei ihr handelt es sich um das begriffliche Denken, sie lässt sich deshalb nicht direkt auf das Geschmacksurteil, ein ästhetisches Urteil, anwenden. Die Erläuterung dieser Maxime „gehört“ deshalb „nicht hierher“ (§ 40, 294). Andererseits aber wird der Geschmack doch als eine Art von sensus communis bestimmt, so dass ein Zusammenhang vom Geschmack mit der „Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurteilungsvermögens [...], welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Zitierweise und Abkürzungen
  7. Einleitung
  8. I Interesselosigkeit des Urteils der ästhetischen Urteilskraft
  9. II Interesselosigkeit, allgemeine Mitteilbarkeit und Erkenntnisvermögen
  10. III Interesselosigkeit, Denkungsart und moralisch bezogene Begründung des Geschmacks
  11. Literatur
  12. Personenregister
  13. Sachregister