Die Geschichte der Shoah im virtuellen Raum
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Die Geschichte der Shoah im virtuellen Raum

Eine Quellenkritik

  1. 499 Seiten
  2. German
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Die Geschichte der Shoah im virtuellen Raum

Eine Quellenkritik

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

The series European-Jewish Studies reflects the international network and competence of the Moses Mendelssohn Center for European Jewish studies (MMZ). Thanks to the highly interdisciplinary character of the series, which is edited in collaboration with the Selma Stern Center for Jewish Studies Berlin-Brandenburg, particular emphasis is placed on the way in which history, the humanities and cultural sciences approach the subject, as well as on fundamental intellectual, political and religious questions that inspire Jewish life and thinking today, and have influenced it in the past.

The CONTRIBUTIONS publish excellent monographs and anthologies on the entire spectrum of themes from Jewish studies. The series is peer-reviewed.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110555875
Auflage
1
Thema
History

1 Einleitung

„How newness enters the world.“1

1.1 Problemaufriss

Bubbe und Zayde, amerikanisiert für das jiddische „Großmutter“ und „Großvater“, machten den Anfang.2 So hießen die beiden Supercomputer, die die USC Shoah Foundation3 1994 in Kalifornien in Betrieb nahm, um langfristig 52.000 Interviews mit Überlebenden der Shoah, anderen Verfolgten des Nationalsozialismus sowie weiteren involvierten Personen zu digitalisieren, digital zu bearbeiten und in einer riesigen Datenbank zu speichern. Die von Steven Spielberg gegründete Shoah Foundation setzte sich 1994 zum Ziel, 50.000 Interviews mit Überlebenden der Shoah innerhalb von fünf Jahren zu führen. Die Zeugnisse wurden auf Video aufgezeichnet und anschließend digitalisiert. Zwanzig Jahre später sind die Interviews geführt, bearbeitet und digital zugänglich.4 Ein radikales Großprojekt, das in vielerlei Hinsicht Maßstäbe gesetzt hat. Kein anderes Oral History-Projekt hat je diesen Umfang erreicht, kein anderes Projekt ist von vornherein derart stringent als digitales Projekt geplant worden.5 Bubbe und Zayde wiederum nahmen ihren Anfang in einer jahrzehntelangen Geschichte der Computerisierung und Vernetzung,6 in einem extrem erfolgreichen Filmprojekt, Schindlers Liste (1993), und einer gedenkkulturellen Ausgangssituation, die dieses Riesenvorhaben ermöglichte. Mehrere Millionen Menschen haben seitdem Interviews aus dem Visual History Archive (VHA) der USC Shoah Foundation gesehen, mit ihnen pädagogisch gearbeitet und sie zu Forschungszwecken ausgewertet.7
Bubbe und Zayde markieren den Beginn einer massiven medialen Transformation, des digital turns, der nicht nur in der westlichen Welt fast alle Lebensbereiche erfasst und verändert. Der digital turn ist die umfassende Durchdringung diverser gesellschaftlicher Prozesse durch digitale Medien in den letzten gut 25 Jahren. Durch ihn ist die virtuelle Sphäre als kulturelle Neuerung hervorgebracht worden.8 Auch die Erinnerung und das Gedenken an die Shoah sind verändert worden. Hier seien nur beispielhaft die viral gewordenen Projekte I will survive und das Facebookprofil Henio Zytomirskis9 genannt. Beide haben in den letzten Jahren massenmediale Bekanntheit erlangt und stehen paradigmatisch für einen medialen und kommemorativen Transformationsprozess. Das VHA selbst ist paradigmatisch für den digital turn, zugleich hat der digital turn die Entstehung des Visual History Archives als digitales Archiv ermöglicht. 52.000 Interviews, davon mehr als 49.000 mit Überlebenden der Shoah, können online durchsucht, angesehen, teilweise auch geschnitten und kommentiert werden.10 Durchsuchen, Schneiden und Kommentieren sind als Tätigkeiten spezifisch für die digitalen Medien. Aus dieser Beobachtung einer massiven medialen Transformation leitet sich das Thema her.
Der Ausgangspunkt dieser Studie liegt im Jahr 2007, in diesem Jahr wurde das VHA erstmals für Lehrveranstaltungen an der FU Berlin genutzt. Auch die Verfasserin dieser Studie nahm an einer entsprechenden Lehrveranstaltung teil,11 deren Zielsetzung die Annäherung an das Archiv und seine Möglichkeiten war. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Archiv und den Online-Angeboten der Shoah Foundation, führte zur Beobachtung einer medialen Veränderung. Die neue mediale Verfasstheit der Quellen erlaubte neuartige Einbindungen auf Webseiten, in Apps12 oder in digitalen Filmen. Zu dieser medialen Veränderung fand sich damals keine Forschungsliteratur und diese Forschungslücke war zu schließen. Die hier nun vorgelegte Studie ist das Resultat einer mehrjährigen intensiven Auseinandersetzung mit einer medialen Transformation, die als digital turn verstanden wird. Die digitale Durchdringung und Transformation der Zeugnisse Überlebender der Shoah verändert diese und bedeutet somit zentrale Herausforderungen für die geschichtswissenschaftliche Arbeit mit den digitalen Quellen.
In der Bearbeitungszeit dieser Studie ist von FachkollegInnen unterschiedlicher Disziplinen kritisch hinterfragt worden, ob die digitalen Medien an sich eine qualitative Veränderung im Sinne eines digital turns darstellen würden. Die Handlungen, die vollzogen würden, so die Argumentation, seien identisch, unabhängig davon, ob dies im Internet oder in der analogen Welt sei. Ein Einkauf ist ein Einkauf, lautet dieses Argument sehr verkürzt. Dies stimmt auf einer grundsätzlichen Ebene, die die Umstände und Ausübung einer Handlung nicht in Betracht zieht. Abstrakt betrachtet ist ein Buchkauf bei Amazon oder im lokalen Buchhandel ein Buchkauf. Konkret betrachtet, sind bedeutende Unterschiede festzustellen.

Thema und Fragestellungen

Ein videographiertes Interview mit einer/m Überlebenden der Shoah, das digitalisiert in einem digitalen Archiv vorliegt und in der virtuellen Sphäre rezipiert wird, ist different zu einem Video-Interview, das als Video geschaut wird. Dies ist die Ausgangsannahme der vorliegenden Arbeit. Hieraus leitet sich die These der Studie, dass der mediale Transformationsprozess, dem die videographierten Interviews der USC Shoah Foundation im Zuge der Digitalisierung und Einbindung in das digitale Visual History Archive unterlagen, die Quellen selbst ebenso wie das geschichtswissenschaftliche Arbeiten mit ihnen verändert, ab. Die Interviews der Überlebenden im VHA werden dabei als Zeugnisse, als survivors testimonies, begriffen und in die entsprechende Tradition der Theorie und Geschichte der Shoah eingeordnet. Um ihrer medialen Transformation im digital turn zu entsprechen, werden sie hier als digitale Zeugnisse bezeichnet. Der Vergleich der beiden medialen Formen Video-Zeugnis und digitales Zeugnis, wenngleich dies interessant wäre, ist hierbei nicht im Fokus der Arbeit, wird aber zwangsläufig immer wieder thematisiert. Die digitalen Zeugnisse werden in dieser Arbeit als eigenständige Quellen erkannt, für die bisher eine entsprechende Quellenkritik fehlt.13
Die mediale Verfasstheit der Quellen und die Konsequenzen dieser Medialität stehen hier im Zentrum. James E. Young hat dies in seiner wegweisenden Studie zur Medialität der videographierten Zeugnisse aus dem Yaler Fortunoff Archive in einer Weise formuliert, die diese Studie inspiriert. „For every medium brings its own generic properties to bear on the material it transmits: each shapes as well as reflects particular events.“14 Er verweist darauf, dass das Video den Akt des Erzählens dokumentiert und die ZuschauerInnen sehen, wie „experiences enter speech: that point at which memory is transformed into language“.15 Aus Youngs Überlegungen können für diese Studie zwei Hypothesen formuliert werden: Das Zeugnis ist der Moment der Übertragung oder Übersetzung von zu Erinnerungen gewordenen Erfahrungen in Sprache, in Erzählung. Die Erzählung selbst wiederum ist durch das Medium strukturiert.
Diese Studie verfolgt zwei Anliegen: Zum einen untersucht sie die Konsequenzen und Implikationen der Digitalisierung der Zeugnisse des Visual History Archives. Hierfür entwickelt sie zunächst einen epistemologischen Entwurf, den virtuellen Zwischenraum der Erinnerung. Zum anderen liefert sie anhand verschiedener Analysen der Zeugnisse aus dem VHA, ihrer Entstehungsbedingungen, der Machtstrukturen und ihrer Nutzungsmöglichkeiten, Aspekte einer Quellenkritik, die sowohl die analogen als auch die digitalen Elemente der Quellen mit einbezieht. Hierbei wird die Quellenkritik sowohl epistemologisch hergeleitet, indem die digitalen Zeugnisse im virtuellen Zwischenraum der Erinnerung verortet werden, als auch praktisch in verschiedenen close readings diskutiert und methodisch abgeleitet.
Die Erforschung des digital turns, wie er konstatiert ist und im Folgenden noch auszuführen sein wird, soll auf zentralen Ebenen der Geschichtswissenschaft vorgenommen werden, die Reinhart Koselleck wie folgt formulierte. Er teilte das geschichtswissenschaftliche Arbeiten in drei voneinander getrennte Bereiche: Erstens Forschung, zweitens Darstellungsweisen und drittens intendiertes Publikum (AdressatInnenkreis).16 Koselleck verband diese Dreiteilung mit dem Hinweis, dass jede Ebene einer eigenen Arbeitsweise bedürfe und unterschiedlich zu analysieren sei. Jörn Rüsen brachte dies knapp auf den Punkt: „Geschichte zu erforschen ist aber nicht das gleiche, wie sie zu schreiben.“17 Daran kann angeschlossen werden, dass die Rezeption von Geschichte nicht das gleiche ist, wie sie zu erforschen. Die genannten ersten beiden Bereiche werden in dieser Studie mit den Begriffen Rekonstruktion und Repräsentation beschrieben, hinsichtlich des dritten Bereichs wird die Perspektive von einem potentiellen Publikum zum realen Publikum und dessen Lektürestrategien verschoben und als Rezeption benannt. Die drei Ebenen gehen damit in den Dimensionen über Forschen, Schreiben und Lesen hinaus und spiegeln die medialen Veränderungen in Forschung, Darstellung und Lektüre wider. Mit dieser Studie sollen also die folgenden Fragen thematisiert werden:
  1. Welche Implikationen und Konsequenzen hat die digitale Verfasstheit der Zeugnisse im Visual History Archive?
  2. Wie sind diese Konsequenzen epistemologisch zu erfassen?
  3. In welcher Weise betreffen sie die drei Ebenen Rekonstruktion, Repräsentation und Rezeption?
Für jede der drei Ebenen lässt sich eine klare Frage stellen:
  1. Wie verändert der digital turn das Erforschen der Geschichte der Shoah?
  2. Inwiefern sind neue Formen der Repräsentation möglich?
  3. Wie werden die Zeugnisse und die ZeugInnen rezipiert?

1.2 Das Visual History Archive: Zur Einführung

Im Zentrum dieser Studie stehen die Zeugnisse Überlebender der Shoah,18 jene versprachlichten Erfahrungen, die als Erinnerungen bezeichnet werden. Es handelt sich um videographierte Interviews mit den Überlebenden, die anschließend digitalisiert und archivisch erfasst wurden. Das Visual History Archive der USC Shoah Foundation ist als digitales Archiv paradigmatisch sowohl in seiner digitalen Qualität als auch seiner schieren Quantität. Etwas mehr als 49.000 Interviews mit jüdischen Überlebenden sind im VHA gespeichert. Sie wurden in 32 Sprachen und 56 Ländern aufgezeichnet und haben im Durchschnitt eine Länge von zwei bis drei Stunden. Sie sind archivisch vollständig erfasst, segmentiert und indexiert.19 Es ist möglich, sie nach Orten, Personen oder Themen zu durchsuchen. Diese Suchmechanismen20 unterscheiden das VHA von jedem anderen Oral History-Archiv.21 Zwar sind auch andere Archive durchsuchbar, allerdings nicht in der Weise und Qualität, wie das VHA. Fundstellen können minutengenau in den Zeugnissen ausgewählt werden. Hiermit ist eine Forschung möglich, die ohne technische Hilfen rein zeitlich nicht zu bewerkstelligen wäre, es handelt sich um Digital History. Zur Digital History, zu Erinnerung online, auch zum VHA liegen einige Studien vor, sie erfassen aber nicht die Spezifika der digitalen Medien und die damit verbundenen Forschungsoptionen. Datenbankrecherchen und Suchmaschinenalgorithmen verändern geschichtswissenschaftliches Arbeiten, wie vor allem in den Digital Humanities bisher reflektiert. 22
Der Regisseur Steven Spielberg war die treibende Kraft bei der Entstehung des VHA. Noch während der Dreharbeiten zu Schindlers Liste, so seine Darstellung, reifte die Idee, ein Archiv mit Überlebensberichten zu schaffen. Während der Dreharbeiten wurde Spielberg verschiedentlich von Überlebenden kontaktiert und gebeten, auch ihre Geschichte filmisch zu erzählen. Dies war nicht möglich, aber die Lebensgeschichten sollten erhalten bleiben.23 Somit begann das Interviewprojekt für das Visual History Archive. Das Archiv kompensiert insofern die Unmöglichkeit, die Geschichten der Überlebenden in ihrer Gesamtheit filmisch festzuhalten. Es folgt einem Ansatz, der bereits direkt nach der Befreiung praktiziert wurde, nämlich der Aufzeichnung von ZeugInnenberichten in unterschiedlichen Medien.

Quellengattung Zeugnisse Überlebender

Die Geschichte der Shoah kann ohne die Berichte derjenigen, die ermordet wurden, und derjenigen, die überlebten, nur einseitig geschrieben werden. Die Survivors of the Shoah Visual History Foundation waren sich dessen bewusst. Die Interviews, die für die Stiftung gegeben wurden, sind in der Mehrzahl Interviews mit Überlebenden der Shoah über die S...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhalt
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Zeugnis und ZeugInnenschaft
  8. 3 Die USC Shoah Foundation und das Visual History Archive: Grundlagen und Quellenkritik
  9. 4 Die virtuelle Sphäre als virtueller Zwischenraum der Erinnerung
  10. 5 Fallstudien
  11. 6 Fazit
  12. Abkürzungsverzeichnis
  13. Literaturverzeichnis
  14. Quellenverzeichnis
  15. Zur Autorin
  16. Personenregister