Welt und Selbst beim frühen Heidegger
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Welt und Selbst beim frühen Heidegger

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Welt und Selbst beim frühen Heidegger

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Über dieses Buch

Es ist bekannt, daß der Begriff des Selbst ein zentrales Thema von Heideggers Sein und Zeit ist. Aber auch die weniger bekannten Vorlesungen, die seiner Publikation vorhergehen, beschäftigen sich mit diesem Thema. Sie entwickeln verschiedene Theorien des Selbst, die häufig gar nicht berücksichtigt werden oder aber, wenn man sich mit ihnen beschäftigt, als Vorläufer der in Sein und Zeit vertretenen Auffassung des Selbst angesehen werden. Beide Forschungsrichtungen geben ein verzerrtes Bild des frühen Heidegger. Denn eine genauere Betrachtung der "Frühen Freiburger Vorlesungen" zeigt, daß er verschiedene Auffassungen vertritt, die miteinander unverträglich sind und von seinen entsprechenden Überlegungen in Sein und Zeit in wesentlichen Punkten abweichen. Ihre Explikation und der Vergleich mit der Konzeption des "Selbst der verfallenden Alltäglichkeit" ermöglichen es, die verschiedenen Ansätze besser zu verstehen, die sich bei dem frühen Heidegger finden und in Sein und Zeit nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus erlaubt es die Korrektur dieser Irrtümer, die besondere Bedeutung der frühesten Theorie des Selbst zu erkennen, die, wie im dritten Kapitel gezeigt wird, einen wichtigen Beitrag für die gegenwärtige Diskussion zum Thema Selbst leistet.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110613414

1 Das Selbst des faktischen Lebens

Sein und Zeit ist ein Buch, das bei seinen Interpreten sehr unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Für Haugeland ist es „vielleicht das wichtigste philosophische Werk des 20. Jahrhunderts.“1 Demgegenüber ist Tugendhat der Meinung, dass der Text Unklarheiten enthält, „die bei fünf Minuten genauer Überlegung aufgefallen wären“,2 und stellt sich die Frage, „wie ein Denken, das so durchsichtig auf Fehlern aufgebaut ist, weltweit so stark wirken konnte …“3 Wie ist es zu erklären, dass kompetente Interpreten Sein und Zeit so unterschiedlich beurteilen? Dies liegt nicht nur an den verschiedenen Zielen, die sie bei ihrer Beschäftigung mit Heidegger verfolgen, sondern hat auch etwas mit dem zu tun, womit sie sich beschäftigen. Im Folgenden soll am Beispiel von Heideggers Überlegungen zum Selbstsein gezeigt werden, dass sie von Anfang an durch unterschiedliche, nicht miteinander in Einklang zu bringende Interessen bestimmt sind. Die Folge ist eine eigentümliche Ambivalenz oder auch Instabilität seiner Überlegungen, die sowohl wesentliche und originelle Einsichten enthalten als auch durch eine tendenziöse Einseitigkeit und argumentative Defizite geprägt sind. Diese Mischung erklärt, weshalb Philosophen wie Haugeland und Tugendhat zu so unterschiedlichen Bewertungen von Sein und Zeit kommen können. Um die verwirrende Gemengelage besser zu verstehen, sollen hier zuerst die Frühen Freiburger Vorlesungen, aus denen Sein und Zeit hervorgegangen ist, betrachtet werden, weil sie die unterschiedlichen Momente seines Ansatzes und die verschiedenen Absichten, die er mit seinen Überlegungen verfolgte, deutlicher voneinander abzugrenzen erlauben, als es in seinem opus magnum möglich ist. In einem zweiten Schritt soll dann gezeigt werden, dass die in Sein und Zeit entwickelte Theorie des alltäglichen In-der-Welt-seins von einer Auffassung des Selbst bestimmt ist, die in den Vorlesungen immer dominanter wird und sich von einer ganz früh erwogenen Explikation radikal unterscheidet.
Sein und Zeit ist ein faszinierendes, komplexes und schwieriges Buch, in dem viele Themen miteinander verbunden sind – von methodischen Problemen der Phänomenologie über philosophiehistorische Diskussionen von Platon und Aristoteles, von Descartes und Kant bis hin zu einer Fundamentalontologie des Daseins. Als Heidegger es im Jahre 1927 publizierte, hatte er zwar seit über 10 Jahren nichts mehr veröffentlicht, aber er konnte auf eine intensive Lehrtätigkeit zurückblicken, die mit dem Kriegsnotsemester für Kriegsteilnehmer im WS 1919/20 in Freiburg begann und später nach seiner Berufung nach Marburg zum WS 1923/4 fortgesetzt wurde. In einer Fußnote in Sein und Zeit verweist er auf diese Vorlesungen, indem er „bemerkt“, dass „er die Umweltanalyse und überhaupt die „Hermeneutik der Faktizität“ des Daseins seit dem W.S.1919/20 wiederholt in seinen Vorlesungen mitgeteilt hat.“4 Die sorgfältig ausgearbeiteten Vorlesungen, die heute als Frühe Freiburger Vorlesungen und als Marburger Vorlesungen publiziert vorliegen, dokumentieren nicht nur den Denkweg Heideggers, der schließlich zu Sein und Zeit führte, sondern sie bilden auch den Fundus, aus dem er bei seiner Abfassung nach eigenem Ermessen schöpfen konnte. Schon bei der Ausarbeitung der Bewerbungsschrift für die Philosophischen Fakultäten in Göttingen und Marburg hatte er in Ermangelung neuerer Publikationen seine Vorlesungen in Freiburg „exzerpiert“,5 um Natorps Wunsch nach Einsicht in Texte „in Druckbogen oder druckfähigem Manuskript“ nachzukommen.6 Nun ist Sein und Zeit sicherlich nicht durch eine Kollationierung früherer Vorlesungen entstanden, aber diese bilden eine bedeutende und unverzichtbare Quelle für das Verständnis einzelner Probleme, deren Behandlung und Lösung in dem späteren Werk mit der Diskussion vieler anderer Themen verknüpft werden und nicht für sich genommen fassbar sind. Ein solches Problem ist das Problem des Ich oder Selbst.
Wie die Frühen Freiburger Vorlesungen, die Heidegger zwischen 1919 und 1923 gehalten hat, und die in der Gesamtausgabe als die Bände 56/7 bis 63 publiziert worden sind, zeigen, ist das Selbst das zentrale Thema seiner Überlegungen. Seine Erörterung wird aufs engste verknüpft mit dem Versuch, sich über die eigene Auffassung von Philosophie zu verständigen, und dient daher dazu, sich von der zeitgenössischen Philosophie und insbesondere von Husserl abzugrenzen. Bemerkenswert, und für mich besonders wichtig, ist der Umstand, dass Heidegger verschiedene Theorien des Selbst entwickelt, die den Zusammenhang von Selbsterfahrung und der Erfahrung des faktischen Lebens in einer Welt auf unterschiedliche und nicht miteinander in Einklang zu bringende Weisen explizieren. Dies zeigen insbesondere die Vorlesungen in den Jahren 1919 und 1920, die im Folgenden genauer betrachtet werden. In dem zweiten Kapitel werde ich dann Heideggers Auffassung des Selbst in Sein und Zeit diskutieren und in Beziehung zu seinen früheren Überlegungen in diesen Vorlesungen setzen.

1.1 Das Selbst der faktischen Lebenserfahrung

Alle Frühen Freiburger Vorlesungen bemühen sich darum, ein angemessenes Verständnis von Philosophie zu gewinnen. Schon die erste Vorlesung diskutiert die „Idee der Philosophie als Urwissenschaft“.7 In der Vorlesung Grundprobleme der Phänomenologie wird diese Urwissenschaft zu einer „Ursprungswissenschaft“,8 deren Explikation sich vor allem an Husserls Phänomenologie orientiert.9 Auch die Vorlesung Phänomenologie des religiösen Lebens geht von dem „Problem des Selbstverständnisses der Philosophie“ aus, das „immer zu leicht genommen wurde.“10 Heideggers Überlegungen zu dem Thema Selbst sollen einen Beitrag zur Lösung dieses Problems sein. Sie sind also motiviert durch eine Fragestellung, die man auch bei der Erörterung anderer philosophischer Themen aufwerfen kann. Bei ihm ist jedoch die Frage nach dem Selbstverständnis der Philosophie nicht nur der Grund dafür, dass er sich mit diesem Thema beschäftigt, sondern sie bestimmt auch die Bedingungen, die seine ihn befriedigende Behandlung erfüllen muss. Es geht ihm also um eine in seinem Sinne philosophische Explikation des Begriffs Selbst. Dieses Ziel erklärt, weshalb sie mit Forderungen belastet und von Gesichtspunkten bestimmt wird, welche nicht in dem Thema, sondern in der Konzeption von Philosophie begründet sind. Wie sich zeigen wird, bestimmt die Verknüpfung der Diskussion des Themas Selbst mit der Klärung des Begriffs der Philosophie die unterschiedlichen Konzeptionen des Selbst, die Heidegger in den hier betrachteten Vorlesungen entwickelt. Ich gehe daher von seiner Auffassung von Philosophie aus.
In der ersten Vorlesung heißt es programmatisch: „Diese Vorherrschaft des Theoretischen muss gebrochen werden …“11 Man kann die Forderung, die sich auch gegen Husserls Philosophie als strenge Wissenschaft aus dem Jahre 1913 richtet,12 damit begründen, dass es Themen gibt, die sich eines theoretischen oder wissenschaftlichen Zugangs entziehen. Als Beispiele nennt Heidegger „den Herrschaftsbereich des umweltlichen Erlebens“ 13 und „die selbstweltliche Konkretion aktuellen Daseins“.14 Er spricht daher auch von einer „vortheoretischen Grunderfahrung“, die sich mit der „vortheoretischen Verfassung der Welt“ beschäftigt .15 Versteht man die programmatische Forderung im Lichte dieser Beispiele, so liegt ihr die Annahme zugrunde, dass es Grenzen theoretischer, wissenschaftlicher Erkenntnis gibt. Den Primat des Theoretischen zu bestreiten besagt, dass das Theoretische nicht der allgemeine und einzige Zugang zu dem ist, was es gibt oder der Fall ist.
Heideggers Begründung der Forderung geht jedoch in eine andere Richtung. Er behauptet, dass „das Theoretische selbst und als solches in ein Vortheoretisches zurückweist.“16 Man kann dies in einem starken und in einem schwachen Sinne verstehen: In dem ersten Sinne besagt die These, dass das Theoretische in dem Vortheoretischen fundiert ist und dadurch erklärt werden kann, während sie, in dem zweiten Sinne genommen, behauptet, dass das Theoretische nicht ohne das Vortheoretische verständlich ist. Heidegger unterscheidet nicht deutlich zwischen diesen beiden Begründungen seiner Forderung und daher auch nicht zwischen verschiedenen Lesarten der Forderung selber, wenn man sie im Lichte ihrer Begründung versteht. Orientiert man sich an der ersten Begründung, so handelt sich um eine Revision der explanatorischen Priorität: An die Stelle des Primats des Theoretischen tritt der Primat des Vortheoretischen, durch das das Theoretische zu erklären ist. Geht man dagegen von der zweiten Begründung aus, dann ist der Primat des Theoretischen deswegen abzulehnen, weil dieses nicht ohne das Vortheoretische verständlich ist. Es geht um eine notwendige Bedingung der Verständlichkeit und nicht darum, dass ein Primat durch einen anderen ersetzt wird. Auch wenn Heidegger nicht deutlich zwischen den verschiedenen Interpretationen der Forderung im Lichte ihrer unterschiedlichen Begründungen unterscheidet, so ist doch seine Absicht deutlich erkennbar, ihr in dem Sinne nachzukommen, dass ein Primat durch einen anderen ersetzt wird, dass also der Primat des Vortheoretischen behauptet wird. Ob ihm das wirklich gelingt, ist eine andere Frage. Nur eine genauere Betrachtung der Möglichkeiten und Leistungen der Philosophie als einer Beschäftigung mit dem „Vortheoretischen“ wird es erlauben zu entscheiden, ob seine Überlegungen das Projekt einer Begrenzung wissenschaftlicher Erkenntnis oder das Projekt ihrer Fundierung plausibel machen.
Dass es die Aufgabe der Philosophie ist, „den Primat des Theoretischen zu brechen“, folgt für Heidegger aus seiner Auffassung von Philosophie. Denn er behauptet, dass „Wissenschaft prinzipiell verschieden von Philosophie ist.“17 Da er das Theoretische mit der Wissenschaft identifiziert, muss die Philosophie sich diese Aufgabe stellen, um dieser Verschiedenheit Rechnung zu tragen. Im Lichte der unterschiedlichen Begründungen, die man für die Aufgabe geben kann, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die Differenz von Philosophie und Wissenschaft zu bestimmen. Die Philosophie besitzt eine Priorität, die sich nach der Rolle bemisst, die das Vortheoretische für das Theoretische besitzt. Ist das Verständnis des Ersteren eine notwendige Bedingung für das Verständnis des Letzteren, dann beschäftigt sich die Philosophie mit den Voraussetzungen, unter denen wissenschaftliche Erkenntnis verständlich wird. Soll sich dagegen das Theoretische in irgendeiner Weise durch das Vortheoretische erklären lassen, dann wird die Philosophie zu einem explanatorischen Projekt der Begründung der Wissenschaft. Welche Priorität die Philosophie nach Heidegger im Hinblick auf die Wissenschaft hat, werden wir später sehen, wenn wir uns mit seiner Auffassung, Philosophie sei eine Ursprungswissenschaft, beschäftigen.18
Für die Diskussion des Themas Selbst ergibt sich aus diesen Überlegungen erstens, dass es sich um etwas Vortheoretisches handelt. Deswegen beschäftigt sich Heidegger mit dem Thema im Zusammenhang einer Analyse der faktischen Lebenserfahrung. Dieser Ansatz dominiert die Vorlesungen zu Beginn des Jahres 1...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Das Selbst des faktischen Lebens
  7. 2 Das Selbst des alltäglichen In-der-Welt-seins
  8. 3 Die Konzeption des Sichselbsthabens in einer Welt und die gegenwärtige Diskussion des Selbst
  9. Literaturverzeichnis
  10. Personen-Index
  11. Sach-Index