Briefe
1.LUISE ADELGUNDE VICTORIE GOTTSCHED AN [ JOHANN HEINRICH GOTTSCHED],
[Leipzig Januar] 1748 [203]
Überlieferung
Drucke: Runckel 1, S. 348–351; Kording, S. 136f. [5]
Die Herausgeberin Dorothee Henriette von Runckel vermerkt zum Empfänger: „An eben Denselben“. Gemeint ist L. A. V. Gottscheds Schwager Johann Heinrich Gottsched, an den der zuvor abgedruckte Brief vom 28. Oktober 1748 (unsere Ausgabe, Band 13, Nr. 203) gerichtet ist. Die zeitliche Einordnung des vorliegenden Schreibens im Januar 1748 orientiert sich daran, daß L. A. V. Gottsched ihrem Schwager Glück zu [10] seinem „Vorhaben“ wünscht: Vermutlich bezog sie sich auf Johann Heinrich Gottscheds bevorstehende Reise nach Znaim, die er am 30. Januar 1748 antrat.
1748.
Hochgeehrtester Herr,
Wie beschämen Sie mich, daß Sie mich an ein Versprechen erinnern, wel- [15] ches ich mir zur Schande ganz vergessen hatte. Sie finden hier also nicht allein Popens Lockenraub,41 sondern auch noch zwey andere ganz neue Werke, von welchen Sie die Uebersetzerin kennen, die aber der ganzen Welt unbekannt bleiben will. Ein ganzer Orden würde sich wider mich auflehnen,42 und ich wüßte nichts als meine Neugier vorzuschützen, die mich [20] verleitet hat, eine Arbeit vorzunehmen, die mir aufgetragen worden. Marivaux43 hat den Abscheu, den ich vor allen, was ein Roman heißt, so lange ich denken kann, gehabt, so weit besieget, daß ich mich überwunden, seinen Païsan parvenu44 zu übersetzen, und den Deutschen einen glücklich gewordenen Bauer geliefert habe.45 Der Verleger46 hat mir ein heiliges Stillschweigen [5] versprochen, ich zweifle aber, daß es unbekannt bleiben wird. Mein Freund findet vor gut, mich keine Stunde unbeschäftiget zu lassen. Der Auftrag, auf alle seine Pergamentbände die gehörigen Titel zu schreiben, ist keine geringe Aufgabe; und ich habe deren schon eine gute Anzahl verfertiget. Jetzt habe ich den Vorsatz, eine Uebersetzung zu unternehmen, die [10] nach meiner ganzen Neigung ist. Le Spectacle de la Nature ist das Buch,47 was ich den Deutschen bekannter, und allgemein zu machen wünsche.48 Es ist Schade, daß ein solches Werk nicht in alle Sprachen übersetzet wird. Gelehrte und Ungelehrte finden Unterricht und Ergötzung darinne, und wie nützlich wäre es nicht dem Frauenzimmer, von den Werken der Natur besser [15] unterrichtet zu werden. Ich hoffe in Berlin einen guten Verleger zu finden. Wenn nur meine Gesundheit nicht so baufällig wäre, so würde der Geist mit mehrerer Heiterkeit seinen Beruf obliegen. Vielleicht wird künftiges Jahr eine Reise ins Carlsbad unternommen. Die Aerzte sagen, daß dieser Heilbrunnen auch meine Hypochondrie heilen würde, ich wünschte es, [20] und werde alles darzu beytragen, was zur Cur erfordert wird. Die Bewegung auf der Reise, die Zerstreuung, welche jeder neue Gegenstand verursachet, die Entfernung von vielen unangenehmen Dingen, und endlich die gute Gesellschaft, welche gemeiniglich bey Gesundbrunnen und Bädern sich versammlet, pfleget nach meiner Meynung die Genesung zu befördern. Vielleicht thut alles dieses auch bey mir die gewünschte Wirkung; ich weiß, wie viel Sie Theil an meinem Befinden nehmen, und ich werde Ihnen [5] sowohl den Entschluß melden, wenn wir unsere Reise anzutreten Willens sind, als auch den Nutzen, den meine Gesundheit davon erfahren wird. Ich wünsche Ihnen alles Glück zu Ihrem Vorhaben,49 und bin mit aller Hochachtung Ihnen ergeben.
Gottsched. [10]
2.FRIEDRICH GROSCHUFF AN GOTTSCHED,
Kassel 1. Januar 1748 [19]
Überlieferung
Original: Leipzig, UB, 0342 XIII, Bl. 3–4. 4 S. Bl. 3r unten von Gottscheds Hand: R.
HochEdelgebohrner, Hochgelahrter/ Insonders Hochzuehrender [15] Herr Professor/ Hochgeneigter Gönner,
Gegenwärtiger Zeit=Wechsel gibt mir den vergnügtesten Anlaß, Ew. HochEdelgeb. schriftlich aufzuwarten, und unter so vielen andern, die dadurch ihre Hochachtung bezeugen, zu dem mit Gesundheit und in allem Wohlseyn hoffentlich erlebten Neuen Jahre gehorsamst zu felicitiren. Ew. [20] HochEdelgeb. wichtige Bemühungen in der Gelahrtheit, und die bey Kennern so beliebt gewordene Proben besonderer Eigenschaften reichen Denenselben nunmehro die Früchte des Ruhms davor wieder, und muß ein jeder, der der Warheit keinen Eintrag thun will, willig eingestehen, wie die Aufmunterung zur Deutschen Sprache allein schon das Lob der Welt abverdienet, welches Ew. HochEdelgb. auch bey den Nachkommen bereits jetzo zu gewärtigen haben.
Meines Orts wünsche von Hertzen, daß Ew. HochEdelgeb. benebst Dero [5] Frau Gemahlin in allem ersprießlichen Wohlseyn bis aufs späteste unverrückt beharren, und daß so wohl Gemüths= als Leibes=Kräfte zureichend seyn mögen, die zum allgemeinen Nutzen danckverpflichter Leser und Zuhörer abzielende gelehrte Unternehmungen zum Stande zu befördern.
Ich werde jederzeit für ein ausnehmendes Glück achten, wenn von Ew. [10] HochEdelgeb. hochgeneigtem Wohlwollen versichert zu leben mir schmeicheln darf, und ich die Erlaubniß habe, mich mit wahrer Hochachtung zu nennen
Ew. HochEdelgebohrnen/ gehorsamster/ Groschuff.
Caßel./ den 1ten Jan. 1748.
[15]
3.CHRISTIAN HEINRICH GÜTTHER AN GOTTSCHED,
Königsberg 1. Januar 1748 [20]
Überlieferung
Original: Leipzig, UB, 0342 XIII, Bl. 1–2. 4 S. Bl. 1r unten von Gottscheds Hand: R. d. 13 Jenn/ 1748.
[20] Hochedelgebohrner und hochgelahrter Herr,/ hochzuehrender Herr Professor,/ Sehr wehrter Gönner und Freund!
Ich schäme mich fast, daß meine Zuschrifften an Ew Hochedelgebohrnen iederzeit denselben Vorwurff haben, der auf nichts anders hinausläufft, als Denenselben Beschwerde und Mühe zu verursachen.50 Wenn ich aus allen [25] meinen Oratorischen Vorrathskasten gleich alle Gründe der Entschuldigungen hervorsuchen möchte, so würden sie doch nicht hinlänglich seyn, meine Kühnheit nur zu verkleinern, vielweniger dieselbe völlig zu rechtfertigen. Jedoch ich habe einmahl diesen Schritt der Verwegenheit gethan, und Ew Hochedelgebohrnen Bereitwilligkeit und ausnehmende Liebe gegen ihre Landesleute hat mich immer dreister gemacht, meinen Fus weiter [5] zu setzen, so daß ich ihn nun nicht mehr zurücke ziehen kann. Ich mus denn zuforderst Ew Hochedelgebohrnen den aufrichtigsten und ergebensten Dank abstatten, daß Dieselbe geruhen wollen, da Herr Haude51 sein Wort zurücke ziehet, und sich durch eine leere Einbildung abschrecken lassen,52 einen andern Verleger zu meinem Friedrich53 zu verschaffen, dessen [10] Geburt mir gewiß moralische Schmerzen genug zuwege bringet. Mein Vorsaz ist dieser, das Werk völlig ins Reine zu bringen, und in Geduld zu erwarten, ob das Verhängnis bestimmen wird, daß er einmahl öffentlich erscheinen darff. Von Hofe ist ...