Dialektgrenzen – Grenzdialekte
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Dialektgrenzen – Grenzdialekte

Die Struktur der itzgründischen Dialektlandschaft an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

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Dialektgrenzen – Grenzdialekte

Die Struktur der itzgründischen Dialektlandschaft an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In dieser Studie werden die traditionellen Methoden aus der Dialektgeographie (Variablenanalyse auf Basis des mhd. Bezugssystems) mit denen der Wahrnehmungsdialektologie (Hörurteilstests) und Dialektsoziologie (Fragebogen) kombiniert. Die Verbindung von Methoden aus der Dialektgeographie und der Wahrnehmungsdialektologie ermöglicht es, Modifikationen in der objektiven Struktur, bspw. die Ausprägung neuer Isoglossen, mit der wahrgenommenen, subjektiven Struktur des itzgründischen Dialektraumes zu vergleichen.

Die Studie analysiert zum einen den dialektalen Wandel in den ehemaligen unterostfränkischen Grenzgebieten auf Basis eines Real-Time-Vergleichs (Analyse von Sprachaufnahmen aus fünf Korpora im Zeitraum von 1930–2014). Zum anderen wird im Rahmen eines Apparent-Time-Vergleichs (anhand der Daten dreier Altersgruppen) untersucht, ob die Sprecher innerhalb des "Itzgründischen" eine neue mentale Grenze entlang der ehemaligen politischen Grenze perzipieren oder ob sie das Gebiet als homogen wahrnehmen.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110556131

1Einführung in die Fragestellung der Untersuchung

Das SPRiG-Projekt konnte also zeigen, dass die innerdeutsche politische Grenze in doppelter Weise auch zur sprachlichen Grenzbildung geführt hatte: durch Schaffung neuer faktischer Dialektgrenzen, die kongruent mit der politischen wurden, und durch die Projektion alter mentaler Sprachlandkarten auf die neue politische Grenze zwischen hüben und drüben. (Harnisch 2015, S. 236)
Basisdialektal sind die alten wie jungen Sprecher der beiden Grenzregionen nur schwer auseinanderzuhalten. (Fritz-Scheuplein 2001, S. 195)
Politische Grenzen und ihre Wirkung auf die umgebenden Sprachlandschaften stellen ein spannendes Forschungsfeld der Linguistik dar, was die zahlreichen Forschungsprojekte zur Sprachdynamik in Grenzregionen, wie etwa von Harnisch (Harnisch 2015) oder Fritz-Scheuplein (Fritz-Scheuplein 2001), belegen. Unlängst fand an der TU Dresden eine Tagung zur Thematik „Politische Grenzen – Sprachliche Grenzen? Dialektgeographische und wahrnehmungsdialektologische Perspektiven im deutschsprachigen Raum" statt, bei der Linguistinnen und Linguisten aus dem gesamten deutschsprachigen Gebiet ihre Projekte vorstellten. Neben Vorträgen zu den Ländergrenzen zwischen Deutschland und Österreich,1 Frankreich,2 Dänemark3 und den Niederlanden4 wurde auch die ehemalige deutsch-deutsche Grenze5 in den Blick genommen.
Zwar bestand die innerdeutsche Grenze nur eine relativ kurze Zeit, in dieser prägte sie das Leben der Bewohner der Grenzorte jedoch sehr stark. Zuvor einheitliche Dialekträume, wie bspw. die itzgründische Dialektlandschaft, wurden durch die Grenzziehung geteilt und die Sprecher dies- und jenseits der Grenze voneinander isoliert. Die Kommunikation mit den Freunden, Verwandten und Bekannten aus dem jeweiligen politischen Nachbarland war plötzlich verboten und Zuwiderhandlungen standen in der DDR unter Strafe. Vor allem innerhalb des bayerisch-thüringischen Kontaktraums gibt es einige Untersuchungen, welche die Wirkung der ehemaligen politischen Demarkationslinie auf die angrenzenden Dialekträume fokussieren.6
In der vorliegenden Arbeit soll die Frage geklärt werden, ob sich die objektive Struktur der itzgründischen Sprachlandschaft infolge der politischen Teilung gewandelt hat und wie die Gewährspersonen (GPn) dies wahrnehmen.
Um die Frage nach der dialektgeographischen Struktur des Itzgründischen zu klären, wird ein Real-Time-Vergleich7 von vier Zeitabschnitten (1930er-, 1960er-,1990er-Jahre und 2014) auf Basis von 5 Dialektkorpora8 (Niederlöhner-Korpus; Zwirner (ZW)-Korpus; DDR (DR)-Korpus; Untersuchungen zur Sprachsituation im thüringisch-bayerischen Grenzgebiet (SPRiG)-Korpus und aktuelles Korpus) durchgeführt. Die subjektive Struktur des itzgründischen Raums wird auf der Basis der dialektsoziologischen und wahrnehmungsdialektologischen Daten aus dem Korpus von 2014 in einem Apparent-Time-Vergleich9 dargestellt.
Die Verbindung von Methoden aus der traditionellen Dialektologie (Variablenanalyse) und der Wahrnehmungsdialektologie (Hörerurteiltest) kann als Novum in der dialektologischen Forschung angesehen werden. Darüber hinaus stellt auch der Real-Time-Vergleich eine Besonderheit der vorliegenden Untersuchung dar, da so die dialektale Struktur des Itzgründischen vor der Grenzziehung (1930er-Jahre), während der Grenzziehung (1960er-Jahre), kurz nach der politischen Wiedervereinigung (1990er-Jahre) und etwa 25 Jahre später (2014) erhoben und kartographisch dargestellt werden kann.
Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die theoretische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt Raum, der sowohl als objektiver als auch als subjektiver Raum definiert und beschrieben wird. In diesem Zusammenhang werden u.a. die Raumvorstellungen von Newton und Leibniz dargestellt, deren Erkenntnisse zum absoluten bzw. relationalen Raum die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik prägen. Zudem wird auch auf die Analyseverfahren Real-Time-Vergleich und Apparent-Time-Vergleich eingegangen, da beide gewisse Vor- und Nachteile für die Untersuchung mit sich bringen und z. T. zu Problemen bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse führen können (Kapitel 1). Daran schließt sich die Beschreibung der Methodik der Datenerhebung an. Hier stehen der Aufbau des doppelten Vergleichs sowie die Darstellung der zugrundeliegenden Dialektkorpora im Fokus. Es werden die Sozialdaten der GPn erläutert, die sprachraumkonstituierenden Faktoren des Untersuchungsgebiets (UG) erklärt und ein Überblick über bereits in diesem Raum durchgeführte Erhebungen gegeben (Kapitel 2). Im weiteren Fortgang der Arbeit werden die dialektsoziologischen, die wahrnehmungsdialektologischen und die dialektgeographischen Daten ausgewertet und interpretiert. Die dialektsoziologische Struktur des itzgründischen Raums umfasst u.a. Daten zur dialektalen und regionalen Selbstverortung der GPn, die mit ausgewählten Variablen, wie etwa Herkunft, Geschlecht oder Alter der GPn korreliert werden (Kapitel 3). Anhand der Auswertung und Interpretation der Hörerurteiltests wird die wahrnehmungsdialektologische Struktur des Itzgründischen beleuchtet. Anschließend erfolgt die Klassifizierung der von den GPn perzipierten Dialektmerkmale sowie die Verortung der Hörproben in einem intergenerationellen und diatopischen Vergleich (Kapitel 4). Im dritten Schritt wird die dialektgeographische Struktur des itzgründischen Raums, unter Einbezug des mittelhochdeutschen (mhd.). Bezugsystems, analysiert und die Ergebnisse der Variablenanalyse kartographisch veranschaulicht (Kapitel 5). Den Abschluss der Arbeit bildet die Synthese der dialektsoziologischen, wahrnehmungsdialektologischen und dialektgeographischen Erkenntnisse und die Klärung der Frage, ob entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze innerhalb des itzgründischen Dialektraums eine neue Dialektgrenze entstanden ist oder nicht (Kapitel 6).

1.1Allgemeines

Während in der Dialektgeographie die strukturelle Verteilung der sprachlichen Varietäten im geographischen bzw. objektiven Raum im Vordergrund steht, wird in der Wahrnehmungsdialektologie das Augenmerk auf den kognitiven bzw. subjektiven Raum und dessen Strukturen in der Wahrnehmung der Sprecher gelegt (vgl. Anders 2010, S. 18). In beiden Disziplinen wird also versucht, Strukturveränderungen der Sprache im Sprachraum und in der Zeit zu bestimmen und deren Ursachen zu ermitteln. Bei der Analyse von Sprache bzw. Varietäten sind die beiden Faktoren Raum und Zeit immer einzubeziehen. Sie dienen als die notwendigen Vergleichskategorien für die erhobenen Sprachdaten. Ein dialektologischer Vergleich zweier oder mehrerer regionaler Varietäten miteinander wäre ohne den Einbezug der Variable Raum nicht möglich und eine Untersuchung sprachdynamischer Entwicklungen ist ausschließlich unter Berücksichtigung der Variable Zeit durchführbar. In der vorliegenden Arbeit steht der itzgründische Sprachraum in der Zeit von 1937–2014 im Mittelpunkt. Es soll die Frage geklärt werden: Wie veränderte sich die itzgründische Varietät innerhalb der 40 Jahre politischer Isolation und Spaltung in den ehemaligen Grenzorten in Sonneberg und Coburg? Welche sprachdynamischen Prozesse können korpusanalytisch rekonstruiert werden?
Als Sprachdynamik definieren Schmidt und Herrgen „die Wissenschaft von den Einflüssen auf die sich ständig wandelnde komplexe Sprache und von den sich daraus ergebenden stabilisierenden und modifizierenden Prozessen" (Schmidt et al. 2011, S. 20). Sie gehen dabei von einem Raum-Zeit-Apriori aus, das konstituierend für das System Sprache ist. D.h., dass jede sprachliche Äußerung an einen bestimmten Raum, in dem sie vollzogen wird, und an eine spezifische Zeit, in der sie stattfindet, gebunden ist. Sowohl Raum als auch Zeit sind der Sprache vorgelagert und konstituieren sie. Der Raum mit seinen regionalen Besonderheiten prägt die Kommunikation, bspw. durch den ortstypischen Dialekt, der von den Bewohnern im Alltag verwendet wird und dessen Verständlichkeit nur innerhalb der betreffenden Region unter einheimischen Sprechern vorausgesetzt werden kann. Darüber hinaus prägt die Zeit sowohl die einzelnen sprachlichen Interaktionen, da diese immer zeitlich fixiert und somit durch die entsprechenden Zeitumstände geprägt sind, als auch das Sprachwissen der Sprecher, welches im Laufe einer bestimmten Zeit erworben wurde (vgl. Schmidt et al. 2011, S. 19–34).
Die Synchronisierungsakte zwischen den Kommunikationspartnern, also der „Abgleich von Kompetenzdifferenzen im Performanzakt mit der Folge einer Stabilisierung und/oder Modifizierung der beteiligten aktiven und passiven Kompetenzen" (Schmidt et al. 2011, S. 28), sind dementsprechend auch an Raum und Zeit gebunden. Wie stark die Synchronisierungen auf die Interaktionspartner wirken, Schmidt und Herrgen sprechen von den sog. „kognitiven Rückwirkungen" (Schmidt et al. 2011, S. 31), ist von mehreren Faktoren abhängig:
Wie lange und wie häufig interagieren die Kommunikationspartner miteinander? Handelt es sich bspw. um ein Ehepaar, das sehr intensiv (z.B. mehrere Stunden) und auch in regelmäßigen Abständen (bspw. täglich) miteinander kommuniziert? Oder besteht die Interaktion zwischen zwei weitläufig Bekannten, die sich einmal im Jahr (z.B. jeweils zu ihrem Geburtstag) kurz am Telefon gratulieren? Die beiden geschilderten Synchronisierungsakte unterscheiden sich hinsichtlich der Dauer und Dichte der Kommunikation sowie ihrem individuellen Stellenwert für die Sprecher. Je stärker diese drei Faktoren ausgeprägt sind, umso ähnlicher sind die Optimierungsstrategien der Beteiligten. Die Kommunikationspartner entwickeln in der Folge ähnlich strukturierte System-10 und Registerkompetenzen11 (vgl. Schmidt et al. 2011, S. 19–34).
Um die sprachdynamischen Entwicklungen innerhalb der itzgründischen Sprachlandschaft rekonstruieren zu können, muss ein Modell entwickelt werden, das sowohl den Faktor Raum als auch den Faktor Zeit einschließt. Zudem muss geklärt werden, wie der Begriff Raum in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand und im zeitlichen Verlauf zu definieren ist und wie dieser strukturiert ist:
Welches Raumverständnis liegt der Analyse zugrunde? Woraus wurde dieses abgeleitet und warum ist es notwendig, ein eigenes Raumverständnis zu entwickeln?
Zunächst werden die einflussreichsten Raumkonzepte aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, bspw. das absolute Raumverständnis nach Newton und der relationale Raum nach Leibniz, aufgezeigt12 und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den Sprachraum geprüft.13
Warum schließen sich Menschen im Raum zusammen bzw. grenzen sich von anderen ab?
Um nachvollziehen zu können, weshalb sich neue Sprachgrenzen bilden, muss herausgearbeitet werden, warum sich Menschen im Raum zusammenschließen oder voneinander abgrenzen.14 Der Zusammenschluss von Menschen, bspw. zu einer Sprechergruppe, ist eine Voraussetzung dafür, dass Kommunikation stattfinden kann. Schmidt und Herrgen gehen davon aus, dass „die Kommunikationsdichte, seit es Sprache gibt, eine Funktion räumlicher Nähe [ist]" (Schmidt et al. 2011, S. 58).15
Was definiert in diesem Zusammenhang eine Grenze? Welche Wirkung haben Grenzen auf die Struktur des Raums? Neben der Definition des Begriffs Grenze werden auch verschiedene Grenztypen dargestellt und ihre Wirkung auf die itzgründische Varietät rekonstruiert.16
Welches Verhältnis besteht zwischen Raum und Zeit? Wie unterscheidet sich die Vorstellung von Zeit in Real-Time-Vergleichen und in Apparent-Time-Vergleichen?17

1.2Der Raum

1.2.1Raumvorstellung nach Newton

Der Raum kann das Individuum konkret umgeben, wie etwa der physische Raum, oder nur als abstrakte Vorstellung existieren, wie etwa der Weltraum, dessen Weite bzw. räumliche Erstreckung für den Menschen nicht konkret erlebbar, sondern nur abstrakt vorstellbar ist (vgl. Schroer 2012, S. 10). Prägend für die Raumvorstellung bzw. das Raumkonzept ist jedoch immer ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Abbildungsverzeichnis
  7. Tabellenverzeichnis
  8. Abkürzungsverzeichnis
  9. 1 Einführung in die Fragestellung der Untersuchung
  10. 2 Datenerhebung
  11. 3 Die Auswertung und Interpretation der dialektsoziologischen Daten
  12. 4 Die Auswertung und Interpretation der wahrnehmungsdialektologischen Daten
  13. 5 Die Auswertung und Interpretation der dialektgeographischen Daten
  14. 6 Synthese
  15. Literatur
  16. A Anhang
  17. Index