Das Selbstaufhebungsargument
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Das Selbstaufhebungsargument

Der Relativismus in der gegenwärtigen philosophischen Debatte

  1. 398 Seiten
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Das Selbstaufhebungsargument

Der Relativismus in der gegenwärtigen philosophischen Debatte

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Über dieses Buch

Selbstaufhebungsargumente sind eine der ältesten und verbreitetsten Argumentationsfiguren gegen den Relativismus. Diese Untersuchung befasst sich mit ihren Ursprüngen bei Platon sowie ihren modernen Formen in Bezug auf unterschiedliche erkenntnistheoretische Arten des Relativismus, ihren systematischen Schwachstellen sowie ihrem Potential, kohärente von inkohärenten Varianten des Relativismus zu unterscheiden.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783110582888

1 Viele Relativismen, eine Definition?

In diesem Abschnitt sollen zwei Dinge erreicht werden: Einerseits soll ein Eindruck der Vielfalt relativistischer Thesen und Theorien entstehen. Andererseits soll plausibel gemacht werden, dass sich Ordnung in das Chaos der unterschiedlichen Auffassungen bringen lässt. Um diese Zwecke zu erreichen, werden einige Möglichkeiten vorgestellt, wie sich relativistische Theorien einteilen, unterscheiden und vergleichen lassen.
Die doppelte Zielsetzung des Abschnitts und vor allem der beschränkte Raum, der zur Vorstellung verschiedener Spielarten des Relativismus zur Verfügung steht, machen bestimmte Einschränkungen notwendig. Zunächst werden die relativistischen Theorien, die im Folgenden als Beispiele herangezogen werden, weder in ihrer Tiefe noch in ihren (häufig vorhandenen) inneren Spannungen dargestellt. Über beinahe jede Zuordnung eines bestimmten Autors zu einer spezifischen Variante des Relativismus ließe sich im Rahmen einer detaillierten Auseinandersetzung mit seinem Gesamtwerk zumindest streiten. Doch exegetische Fragen können hier nicht geklärt werden – und das sollen sie auch nicht. Schließlich fungieren die betreffenden Autoren hier als Prototypen für bestimmte theoretische Ausrichtungen. Das Heranziehen einzelner Theorien bleibt in diesem Abschnitt zumeist auf eine illustrative Funktion beschränkt. Ein anderes Vorgehen würde eine eigene Arbeit über die vielfältigen Varianten relativistischer Theorien notwendig machen. Kurz gesagt: Es geht um die Frage, welche Ausprägungen des Relativismus es gibt, und nicht darum, wer welcher Richtung zuzuordnen ist.
Auf der anderen Seite ist es natürlich trotzdem wichtig, die in der Einleitung angesprochene und in der Relativismusdebatte omnipräsente Gefahr des Errichtens von Strohmännern zu vermeiden. Das bedeutet, dass, wo Vereinfachungen notwendig werden, grundsätzlich in Richtung einer plausibleren und kohärenteren Auffassung vereinfacht wird, nicht in Richtung einer leichter zu kritisierenden. Wo die Komplexität einer Position für deren Plausibilität notwendig ist, wird versucht werden, sie zu erhalten. Denn auch dies ist eine wichtige Funktion der Darstellung konkreter Theorien in diesem Abschnitt: sicherzustellen, dass die Definition des Relativismus und die Darstellung seiner unterschiedlichen Formen auf Positionen beruhen und zutreffen, die tatsächlich vertreten worden sind.
Außerdem wird schon in diesem Abschnitt eine thematische Beschränkung vorgenommen. Die Aufmerksamkeit soll hier auf diejenigen Relativismen konzentriert werden, die am ehesten relevant für das Thema der Arbeit als ganzer sind. Während also solche Relativismen, bei denen Selbstaufhebungsvorwürfe kaum oder gar nicht erhoben werden, lediglich kurz Erwähnung finden, wird den Varianten, die sich solchen Vorwürfen permanent ausgesetzt sehen, deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteil.
Für die Darstellung der unterschiedlichen Formen des Relativismus wird Max Kölbels Definition des Relativismus als Arbeitsdefinition verwendet werden. Eine Arbeitsdefinition ist in diesem Abschnitt insofern notwendig, als sie es erlauben wird herauszuarbeiten, was spezifische Theorien überhaupt zu relativistischen Theorien macht. Kölbels Position ist dabei, dass sich relativistische Theorien als Instanzen der folgenden drei Schemata darstellen lassen:
(R1) For any x that is an I, it is relative to P whether x is F.
(R2) There is no uniquely relevant way Pi of fixing P.
(R3) For some x that are I, and for some Pi, Pj, x is F in relation to Pi but not F in relation to Pj.8
Kurz gesagt handelt es sich also bei relativistischen Theorien, laut Kölbel, um solche, die für eine Gruppe von Gegenständen erstens behaupten, dass es relativ auf die Festlegung eines Parameters ist, ob diese Gegenstände eine bestimmte Eigenschaft haben, zweitens, dass es mehr als eine relevante Möglichkeit gibt, den Parameter festzulegen, und drittens, dass einige der Gegenstände die Eigenschaft relativ auf einen Wert des Parameters besitzen, relativ auf einen anderen aber nicht. Was genau diese drei Bedingungen bedeuten, lässt sich besser anhand ihrer Anwendung auf konkrete Theorien darstellen und wird deswegen in der Auseinandersetzung mit spezifischen Formen des Relativismus genauer zu klären sein.
Die Wahl fällt deswegen auf Kölbels Definition, weil sie m. E. schlicht die beste Relativismusdefinition ist, die sich in der gegenwärtigen Debatte finden lässt. Um diese Einschätzung rechtfertigen zu können, wird es allerdings zunächst notwendig sein, ihre hervorstechendste Stärke zu demonstrieren – und das ist ihre Anwendbarkeit auf die verschiedensten Formen des Relativismus. Die folgenden Darstellungen relativistischer Theorien mit Hilfe von Kölbels Schemata sollen also nicht nur die Charakteristika spezifischer Formen des Relativismus darlegen, sie sind ebenfalls als Demonstrationen der Nützlichkeit und Fruchtbarkeit von Kölbels Relativismusdefinition gedacht. Eine ausführliche Begründung der Wahl von Kölbels Definition im Gegensatz zu anderen Relativismusdefinitionen wird den Abschluss dieses Teils der vorliegenden Arbeit bilden. Dieses Vorgehen ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Beurteilung vorgeschlagener Definitionen des Relativismus auf einer Grundlage der Vertrautheit mit den Theorien, die von ihnen erfasst werden sollen, stattfinden kann.
Auf den ersten Blick kann diese Strategie zirkulär wirken – zuerst wird Kölbels Definition verwendet, um festzulegen, welche Theorien relativistisch sind, um dann zu zeigen, dass Kölbels Definition die geeignetste ist, um relativistische Theorien zu identifizieren – aber dieser Eindruck täuscht. Denn Kölbels Relativismusdefinition soll in den folgenden Kapiteln nicht dazu verwendet werden, Theorien aus dem Bereich des Relativismus auszuschließen. Sie spielt keine Rolle für die Auswahl der zu besprechenden Theorien. Diese Rolle kommt vielmehr dem Gebrauch der Bezeichnung „Relativismus“ in der gegenwärtigen Debatte zu (selbstverständlich unter Beachtung der in der Einleitung angesprochenen Präsenz von Relativismus-Strohmännern, denen keine tatsächlich vertretenen Theorien entsprechen). Stattdessen findet die Anwendung der Definition auf konkrete relativistische Theorien deswegen statt, um zu zeigen, dass sie gut geeignet ist, um deren Kerngedanken herauszuarbeiten und eine Vergleichbarkeit disparater Ansätze herzustellen.

1.1 Globaler und lokaler Relativismus

Die meisten Einteilungen des Relativismus unterteilen Theorien nach den Themenbereichen, innerhalb derer relativistische Thesen aufgestellt werden. Grob lassen sich so drei Formen des Relativismus nach seinen jeweiligen Gegenständen unterscheiden: der ästhetische, der ethische (oder moralische) und der kognitive Relativismus. Diese Dreiteilung benutzen z. B. OʼGrady und Baghramian.9 Letztere setzt sich damit ausdrücklich gegen die detailliertere Einteilung von Haack ab10, die folgendermaßen aussieht:
(1) meaning
(a) language
(2) reference
(b) conceptual scheme
(3) truth
(c) theory
(4) metaphysical commitment
(d) scientific paradigm
(5) ontology
(e) version, depiction, description
(6) reality
(f) culture
(7) epistemic values
(g) community
(8) moral values
(h) individual
(9) aesthetic values 11
Diese ist sozusagen eine Typologie nach dem Baukastenprinzip. Eine relativistische Theorie behauptet ja generell, dass irgendetwas relativ auf etwas Anderes ist. Das Relativierte soll man nun in der ersten Spalte finden, dasjenige worauf relativiert wird, in der zweiten, grundsätzlich sind verschiedene Kombinationen möglich.
Ich stimme mit Baghramian darin überein, dass eine einfachere Einteilung, die sich darüber hinaus nur mit der ersten Spalte befasst, besser geeignet ist, um einen Überblick über relativistische Theorien zu erlangen.12 Außerdem scheint mir Haacks Ansatz viel an Gemeinsamem in verschiedenen Theorien zu überdecken. Einige der relativistischen Themenbereiche, die Haack aufzählt, liegen extrem nah beieinander, wie z. B. eine Relativität von Ontologie und Realität. So feingliedrige Unterscheidungen sind in einer detaillierten Diskussion einer konkreten Theorie mit Sicherheit sinnvoll, sie eignen sich aber nicht für den hier gesetzten Zweck. Was genau bezeichnen also die gröberen Kategorisierungen von ästhetischem, ethischem und kognitivem Relativismus?
Der ästhetische Relativismus in seinen interessanten Ausprägungen beschäftigt sich mit Qualitätsurteilen über Kunst. Relativistische Theorien betrachten die Maßstäbe, die solchen Urteilen zugrunde liegen, z. B. als kultur-, epochen- oder schulspezifisch; allgemeinverbindliche Maßstäbe werden abgelehnt. Besonders in der Debatte um relativistische Semantiken trifft man aber auch auf Thesen bezüglich Geschmacksurteilen anderer Art, man könnte von einem kulinarischen Relativismus als Unterart des ästhetischen sprechen. Allerdings liegt hier wohl kaum eine interessante oder kontroverse Theorie vor.13 Die Aussage, dass Äpfel gut schmecken (oder eine vergleichbare Feststellung) wird sogar häufig als triviales Beispiel für Aussagen mit nur relativer Gültigkeit verwendet. Das kann entweder geschehen, um zur Motivation von andere Bereiche betreffenden Relativismen beizutragen oder um diese unplausibel zu machen, indem auf Disanalogien zwischen Urteilen bezüglich des Geschmacks von Äpfeln und z. B. moralischen Urteilen aufmerksam gemacht wird. Durch die Beschränkung auf ästhetische Urteile wird eine Selbstanwendung der betreffenden Theorien in der Regel unproblematisch;14 sie kann ja im Höchstfalle darauf hinauslaufen, dass solche Theorien relativ auf ein Bezugssystem ästhetisch wertvoll und in Bezug auf ein anderes ästhetisch wertlos sind. Deswegen ist der ästhetische Relativismus für diese Arbeit weitgehend irrelevant.
Beim ethischen Relativismus geht es um die Frage des Status von Urteilen, die Handlungen als gut oder schlecht einordnen. Während absolutistische Theorien behaupten, moralische Urteile seien unabhängig von jeglichem Bezugssystem wahr oder falsch, vertreten moralische Relativisten die Auffassung, moralische Urteile könnten nur relativ auf z. B. das moralische Überzeugungssystem des Handelnden oder die Regeln einer bestimmten Gesellschaft wahr oder falsch genannt werden.15 Motiviert werden solche Theorien häufig durch die (als durch Erfahrung gegeben betrachtete) Vielfalt im moralischen Urteilen und Begründen und der Auffassung, dass es unmöglich sei, unabhängig zu rechtfertigen, dass der Ausgangspunkt des eigenen moralischen Urteilens dem anderer überlegen sein solle. Beim moralischen Relativismus ist zunächst nicht offensichtlich, warum es zu Problemen mit der Selbstanwendung und damit zu einer drohenden Selbstaufhebung kommen sollte. Wenn man aber bedenkt, dass Theorien aus dem Bereich der Ethik oft selbst normativen Charakter haben, wird ersichtlich, warum es zu problematischen Folgen für die relativistische Theorie kommen kann. Relativistische Theorien der Moral sind oft solche, die auf dem ‚Recht‘ des Anderen (des anderen Individuums, der anderen Kultur etc.) bestehen, seine eigenen moralischen Maßstäbe auszubilden und anzuwenden. Aus dieser Konstellation heraus kann es passieren, dass die Vorschrift aufgestellt wird, anderen keine Vorschriften zu machen. Welche Berechtigung eine solche Vorschriften verbietende Vorschrift haben kann, ist natürlich hochgradig fragwürdig.
Dies ist vor allem deswegen ein dem ethischen Relativismus spezifisches Problem, weil es nur solche Theorien befällt, die zu einer ganz bestimmten Schlussfolgerung gelangen, deswegen wird auch der ethische Relativismus in dieser Arbeit nur am Rande diskutiert werden. Dem kognitiven Relativismus stellen sich Selbstanwendungsprobleme erstens sehr viel allgemeiner, da diese schon für die Grundgedanken der jeweiligen Theorien relevant sind, und zweitens stellt sich hier eine ganze Reihe untereinander verwandter (wenn auch einige auf bestimmte Formen des kognitiven Relativismus beschränkt sind) Schwierigkeiten.
Den Bereich des kognitiven Relativismus könnte man grob so umgrenzen, dass es sich um diejenigen Relativismen handelt, die für die Erkenntnistheorie besondere Relevanz besitzen,16 also solche, die z. B. Wahrheit oder Begründung relativieren, aber auch solche, die sich mit Bezugnahme oder Wissenschaft befassen. Da der kognitive Relativismus aufgrund seiner besonderen Offenheit für Vorwürfe der Selbstaufhebung den Hauptgegenstand dieser Arbeit darstellt, wird weiter unten auf die verschiedenen Thesen eingegangen werden, die unter diesen Oberbegriff fallen. Hier soll zunächst kurz am Beispiel des alethischen Relativismus (also der Auffassung, dass Wahrheit relativ ist) veranschaulicht werden, warum der Vorwurf der Selbstaufhebung in diesem Bereich besonders naheliegt.
Zunächst liegt dies daran, dass eine relativistische Theorie der Wahrheit klarerweise in ihren eigenen Gegenstandsbereich fällt: Als Theorie gehört sie zu denjenigen Gegenständen, die wahr oder falsch sein können. Diese Selbstbezüglichkeit ist notwendig für die Möglichkeit einer Selbstaufhebung,17 entscheidend ist allerdings ein zweiter Punkt, denn gefährlich kann diese Selbstbezüglichkeit nur dadurch werden, dass es sich um eine Theorie über eine für Theorien entscheidende Eigenschaft handelt, in diesem Fall die der Wahrheit.18 Genau dieser Umstand macht den kognitiven Relativismus deutlich ‚selbstaufhebungsgefährdeter‘ als z. B. den ästhetischen. Selbst wenn ein ästhetischer Relativismus einen ungewöhnlich breiten Gegenstandsbereich hätte und auch vom ästhetischen Wert von Theorien spräche, gehört der ästhetische Wert, ganz im Gegensatz zum Wahrheitswert, nur selten zu den primären Beurteilungskriterien von Theorien. Entsprechend läuft ein alethischer Relativismus Gefahr, sich selbst eine sc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Einleitung
  7. 1 Viele Relativismen, eine Definition?
  8. 2 Selbstaufhebung
  9. 3 Selbstaufhebungsargumente gegen den Relativismus
  10. Schluss
  11. Bibliographie
  12. Index