Ein Mord zuviel
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Ein Mord zuviel

Regional-Krimi

  1. 245 Seiten
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Ein Mord zuviel

Regional-Krimi

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Über dieses Buch

"Als Dr. Horst Schneyder das nächste Mal wach wurde - oder zumindest halbwach -, schien ihm, dass er auf seinem Bett lag, in seinem Schlafzimmer, das nur sehr schwach beleuchtet war. Horst zerrte an seinen Fesseln und drehte mühsam und unter Schmerzen den Kopf noch weiter zur Seite. Dort, am äußersten Kopfende des Bettes, stand der Mann, der bei ihm eingebrochen war und ihn niedergeschlagen hatte, und hantierte mit etwas herum, das Horst aus dem Augenwinkel nicht erkennen konnte. Zehn Sekunden später wusste er, was es war: Der Mann jagte ihm eine Spritze in die linke Schulter, die rechte Schulter, in den linken Oberschenkel, den rechten Oberschenkel.Horst war einer Panik nah. Der Mann war kein Einbrecher, kein harmloser Dieb, der ihm ein bisschen Geld abnehmen wollte! Der Mann war ein Killer, der ihn umbringen würde!"Hauptkommissar Andreas Montenar und sein Kollege Sascha Piel von der Bonner Mordkommission sollen den Mord an dem bekannten Arzt Dr. Horst Schneyder aufklären. Aber dabei stoßen sie auf erhebliche Schwierigkeiten, denn wie es scheint, hat sich der Chirurg nicht nur unter seinen Patienten, sondern auch in der eigenen Familie einige Feinde gemacht.

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Kapitel 1

Bonn, Hausdorffstraße - Freitag, 17 November, 19.45 Uhr
Dr. Horst Adolf Schneyder freute sich auf den ruhigen Fernsehabend, den er sich nach den Strapazen des Tages redlich verdient hatte.
Er tauschte seine Anzugjacke gegen die bequeme Strickjacke, holte aus der Küche eine Flasche Rotwein und ein Glas und stellte beides im Wohnzimmer auf dem Tischchen neben seinem Lieblingssessel ab. Dann zündete er ein paar Holzscheite im Kamin an, und kurz darauf knisterte und knackte dort leise ein gemütliches Feuer. Zwei Stehlampen verbreiteten zusätzlich warmes Licht.
Horst goss sich ein Glas Wein ein, nahm Platz und streifte die Schuhe von den Füßen. Seine Hühneraugen dankten es ihm. Er lehnte sich seufzend zurück und genoss für ein paar Minuten die Ruhe im Haus. Um 20 Uhr schaltete er den Fernseher zu den Nachrichten ein. Kurz nachdem die Wetterkarte verkündet hatte, für Mitte November sei es viel zu mild, klingelte das Telefon.
Umgehend stieg Horsts Blutdruck an. Das war doch wohl nicht das Krankenhaus! Hatte er nicht klar und deutlich gesagt, er wolle an diesem Wochenende nicht gestört werden - egal, ob der Patient in der nächsten Viertelstunde verstarb, falls er nicht von Horst Adolf Schneyder persönlich operiert wurde?!
Er schaltete den Ton des Fernsehers ab, griff ungehalten zum Telefon und bellte ein „Ja?!“ hinein.
„Hallo Schatz, ich bin’s nur. Ich wollte mal hören, wie’s dir geht.“ Das war Ingrid. Ihre Stimme klang ruhig und sanft wie immer.
Horst räusperte sich zweimal, bekam aber seine Verärgerung nicht wirklich unter Kontrolle. „Hallo Ingrid, wann kommst du nach Hause? “
„Am Sonntagabend. Meiner Mutter geht es wieder besser.“.
„Dann bin ich ja das ganze Wochenende allein!“ beschwerte sich Horst in unfreundlichem Ton. Was ging ihn Ingrids Mutter an?!
Sie ignorierte seinen Einwand und redete über ihre bevorstehende Hochzeit, als sei alles in bester Ordnung. Horst hörte zu, gab hin und wieder mit reservierter Stimme einen Kommentar ab und fragte sich, ob er diese Frau überhaupt heiraten wollte.
Es war bereits nach halb neun, als er die Nase voll hatte und das Gespräch kurz und knapp mit der Bemerkung beendete, sie müsse sich doch jetzt sicher wieder um ihre Mutter kümmern. Bei tonlos laufendem Fernseher überlegte er gerade, ob er sich einen Film ansehen oder doch lieber einmal um den Block joggen sollte, als er das Geräusch im Flur hörte. Ein kurzes, lautes, einmaliges Knacken. Was war das gewesen?
Horst lauschte, aber jetzt war, bis auf das Knistern des Feuers, alles still. Warum stand er nicht auf und sah nach? Weil es ein harter Tag im Krankenhaus gewesen war, und er sich unerwartet erschöpft fühlte, und weil –
Da, schon wieder, ein Knacken, und plötzlich klang es wie das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss der Haustür drehte.
Zwei Sekunden lang dachte er, Ingrid habe ihn am Telefon beschwindelt, wolle ihn überraschen und komme schon an diesem Abend zurück. Aber das war Unsinn, denn Ingrid wusste, dass er Überraschungen hasste. Und jetzt klang das Geräusch auch nicht mehr nach Schlüssel, sondern nach Einbruchswerkzeug. Es klickte, und es schabte, und es kratzte, und dann hörte er, wie die Tür aufsprang.
Horsts Herz schlug schneller. Einbrecher? Um diese Tageszeit? Noch dazu, wo jeder sehen konnte, dass im Haus Licht brannte?! Das war doch verrückt! Was sollte er jetzt tun?!
Aufstehen! Wohnzimmertür zuwerfen! Abschließen! Polizei anrufen! Guter Plan.
Horst sprang auf, und seine Beine waren auf einmal gar nicht mehr müde. Auf Strümpfen hastete er zur weit geöffneten Tür, so schnell er konnte, griff nach der Klinke, aber es war zu spät – vor ihm stand plötzlich ein Mann: groß, schlank, schwarz gekleidet, Wollmütze mit zwei Augenlöchern, bis zum Kinn nach unten gezogen. Er hielt genauso in jeder Bewegung inne wie Horst. Sie starrten sich an. Sekundenlang. Horsts Herz hämmerte schmerzhaft. Und doch war da auf einmal ein klarer Gedanke in seinem Verstand: wollte er wirklich kampflos zulassen, dass ihm jemand sein Eigentum wegnahm?!
Aber bevor er richtig wütend werden und reagieren konnte, sah er eine Faust auf sein Gesicht zuschießen. Er wich viel zu langsam aus, sein Kopf flog nach hinten, er ruderte mit den Armen, dann setzte er sich auf den Hintern. Benommen sah er den Mann in Schwarz näherkommen ... mit einem länglichen Gegenstand in der Hand, den er ihm drei Sekunden später auf den Kopf schlug.
Horst wurde schwarz vor Augen, und eine Weile war nichts .... doch dann schien ihm, als passiere weit, weit entfernt etwas mit seinem Körper ... er wurde bewegt, und in regelmäßigen Abständen polterte etwas gegen seinen Hinterkopf ... dann hörte es auf ... es herrschte Ruhe ... sein Bewusstsein versuchte zurückzukommen ... Horst fühlte sich benommen und benebelt, merkte jetzt aber, wie sich jemand an seiner Kleidung zu schaffen machte.
Das ging zu weit! Er riss die Augen auf, wollte sich wehren – und erhielt einen zweiten, heftigen Schlag auf den Kopf.
Als er das nächste Mal wach wurde - oder zumindest halbwach -, schien ihm, dass er auf seinem Bett lag, in seinem Schlafzimmer, das nur sehr schwach beleuchtet war. Wie kam er hierher? Wieso hatte er solche Kopfschmerzen? Und warum, zum Teufel, war ihm so entsetzlich kalt?!
Rechts von ihm bewegte sich ein Schatten über die Wand. Horst drehte seinen Kopf zur Seite, und ein Schmerz rollte unter seiner Schädeldecke entlang, dass er hätte aufschreien mögen. Aber das ging nicht, weil seine Lippen zugeklebt waren. Sofort versuchte er, gleichzeitig aufzustehen und sich an den Mund zu fassen. Sowohl das eine als auch das andere war nicht möglich: Hände und Füße waren festgebunden.
Und da erinnerte er sich an den schwarzgekleideten Mann, der ihn niedergeschlagen hatte. Was wollte der Scheißkerl von ihm?! Was hatte er vor?!
Horst zerrte an seinen Fesseln und drehte mühsam und unter Schmerzen den Kopf noch weiter zur Seite. Dort, am äußersten Kopfende des Bettes, stand der Mann und hantierte mit etwas herum, das Horst aus dem Augenwinkel nicht erkennen konnte. Zehn Sekunden später wusste er, was es war: der Mann jagte ihm eine Spritze in die linke Schulter, die rechte Schulter, in den linken Oberschenkel, den rechten Oberschenkel.
Horst war einer Panik nah. Der Mann war kein Einbrecher, kein harmloser Dieb, der ihm ein bisschen Geld abnehmen wollte! Der Mann war ein Killer, der ihn umbringen würde!
Horst versuchte sich loszureißen, aber plötzlich flutete eine unerhörte Schlaffheit durch seinen Körper. Es war, als hätten sich seine Muskeln in ausgeleierten Gummi verwandelt. Nicht einmal den Kopf konnte er noch drehen, seine Augenlider sanken langsam und schwer herab, und das letzte, was er sah, war der schwarz gekleidete Mann, der wieder in sein Blickfeld trat, in der Mitte des Bettes stehenblieb und etwas vom Boden aufhob, das die Form einer Axt hatte.
Dann fielen Horst die Augen zu. Das vorletzte, das er fühlte, war wieder die Eiseskälte, er zitterte vor Kälte. Vielleicht auch vor Entsetzen. Vor Kälte und vor Entsetzen. Die Axt. Was hatte dieser Verbrecher mit der Axt vor?
Umgehend erhielt Horst eine Antwort auf seine stumme Frage. Plötzlich nämlich explodierte sein linker Unterarm vor Schmerz. Endlose Sekunden lang dachte er, er würde den Verstand verlieren – bevor er dann gnädigerweise das Bewusstsein verlor.
*
Oberdollendorf - Sonntagabend, 19.November, 18.30 Uhr
Sascha gab Annika einen zärtlichen Kuss und strich ihr eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Soll ich uns jetzt ein exzellentes Mahl in der Mikrowelle zubereiten?“ fragte Sascha, während sie ihn mit schläfrig zufriedenem Blick anlächelte.
„Nein danke. Ich möchte nur was trinken, aber keinen Alkohol mehr.“
„Wieso? Willst du schon fahren?“ Sascha kletterte aus dem Bett, das zu anderen Tageszeiten ein Zweitleben als Sofa führte, hob seine Unterhose auf und streifte sie über.
„Nein, eigentlich nicht“, murmelte Annika und reckte und streckte ihren üppigen Körper einmal quer über die ganze Länge des Lakens. „Aber ich habe so ein komisches Gefühl im Bauch, dass wir beide nicht den ganzen Abend zusammen verbringen werden.“
„Ach, hast du einen Hellseherinnenkurs bei der Volkshochschule gemacht?“ amüsierte sich Sascha und verschwand in dem kleinen Flur, der zur Küche führte, als neben ihm durchdringend laut das Telefon zu klingeln begann.
Er schrak zusammen, fluchte leise und meldete sich. Natürlich war Andreas am anderen Ende der Leitung. „N’Abend, tut mir leid, wenn ich dich beim Fernsehen störe, aber wir müssen los, in die Hausdorffstraße, da wurde jemand ermordet.“
„Ach was. Und ich dachte schon, da hat jemand ein Fahrrad geklaut.“
Andreas reagierte verstimmt. „Lass deinen Ärger am Mörder aus, aber nicht an mir. Mach die Kiste aus und hol mich ab!“
„Aber ich hab gar nicht fernge-“
Andreas hatte aufgelegt. So ein Mist! Musste jetzt auch noch am hochheiligen Sonntag gemordet werden?! Hatte man denn nie seine Ruhe?! Er holte Cola und Mineralwasser aus der Küche und begab sich zurück in sein Wohn- und Schlafzimmer zu Annika, die ihn mit einem Na-hab-ich’s-nicht-gesagt-Blick empfing. Dazu lächelte sie sanft und ließ die winzige, sexy Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen sehen.
Er reichte ihr ein Glas Wasser. „Du solltest mit deiner Fähigkeit, zur richtigen Zeit komische Gefühle im Bauch zu haben, zu einem Esoterik-Sender gehen .... apropos Fernsehen: kannst du mir gleich einen Film aufnehmen?“
Zwanzig Minuten später holte er in der Kalkuhlstraße in Oberkassel Andreas ab, der seine 250 Jahre alte, dunkelblaue, zweireihig geknöpfte Langjacke trug, die möglicherweise wieder auf dem Weg war, modern zu werden.
„Na, wobei habe ich dich vorhin gestört?“ fragte Andreas, stieg ein und schnallte sich an.
Sascha wendete und fuhr Richtung Südbrücke. „Nun, beim Fernsehen jedenfalls nicht. Annika war da.“
„Da habe ich wohl euer Liebesleben durcheinander gebracht.“
„Das hättest du, wenn du zehn Minuten früher angerufen hättest.“
Daraufhin schwieg Andreas erst einmal eine Weile. Auf der Südbrücke war wenig los. Sascha konnte das Schweigen nicht ertragen und fragte betont freundlich: „Weißt du schon was Genaueres über den Fall?“
Andreas war offensichtlich nicht gut gelaunt. Vielleicht lag es an Unstimmigkeiten mit seiner Mutter, vielleicht aber plagten ihn Alterserscheinungen wie Rückenschmerzen, Ein- und/oder Durchschlafstörungen, Haarausfall oder die nachlassende Spannkraft der Haut. Seine Antwort jedenfalls klang widerwillig.
„Peer, der natürlich mal wieder vor uns am Tatort war, sagte nur, dass es sich bei dem Opfer um einen bekannten Arzt handele, der von seiner Verlobten in schrecklichem Zustand aufgefunden worden sei.“
„Wer war in schrecklichem Zustand? Das Opfer oder die Verlobte?“
„Stell dich nicht dümmer als du bist!“
„Gut, wir reden hier also über die besseren Kreise, in denen man sich noch verlobt.“
Andreas wurde ein wenig lockerer. „Richtig. Demnach solltest du dich mit deiner Annika verloben. Dann kannst du dir einbilden, zu den besseren Kreisen zu gehören.“
Sascha verließ die Autobahn und fuhr auf die Friedrich-Ebert-Allee. „Du wirst es kaum glauben, aber darauf lege ich gar keinen Wert. Da herrscht manchmal eine Wichtigtuerei, eine Selbstverliebtheit und eine Oberflächlichkeit, dass einem schlecht werden könnte!“ Er machte eine Pause und fügte hinzu: „Und außerdem kenne ich Annika doch erst seit ... seit 7 Monaten! Muss man sich dann gleich verloben?“
„Du bist seit 7 Monaten mit derselben Frau zusammen? Sascha – da stimmt was nicht!“
„Wir verstehen uns eben gut, und sie lässt mir meine Freiheit.“
Mehr wollte Sascha dazu nicht sagen – vor allem, als er merkte, dass er Probleme hatte, die Hausdorffstraße zu finden. Die musste doch hier irgendwo links abzweigen! Sie hielten gemeinsam Ausschau, bogen links ab, noch einmal links und da hatte sich schon ein ganzes Aufgebot an Polizeiwagen, Notarztwagen und Krankenwagen versammelt.
Das Haus des Ermordeten stand in einem gepflegten, aber nicht sehr großen Garten und konnte durchaus als Jugendstilvilla bezeichnet werden. Zur Straße hin wurde das Grundstück von einer hüfthohen Mauer mit schwarz gestrichenem Eisengitter begrenzt. Die Einfahrt zierte ein zweiflügeliges Tor aus den gleichen Gitterstäben.
Sie fuhren auf den kurzen Weg, der zum Haus führte und auf dem neben Polizei- und Rettungswagen auch ein blauer Kleinwagen parkte. Mehrere Zimmer im Haus waren hell erleuchtet. An der Eingangstür wachte ein Polizeibeamter darüber, dass kein Schaulustiger ins Haus eindrang. Allerdings gab es hier keine Schaulustigen – in diesem Viertel der Stadt schien man sich vornehm zurückzuhalten.
„Guten Abend, Kommissar Montenar“, sagte der Mann, den Sascha nicht kannte, zu Andreas und wies mit der Hand hinter sich. „Der Tatort ist da oben.“
Der Flur, den sie betraten, war teuer eingerichtet. Und kitschig. Sascha fühlte sich förmlich erschlagen von all den goldenen Bilderrahmen, goldenen Spiegeln, goldenen Wandlampen und dem Eichegarderobenschrank mit goldenen Kleiderbügeln. Viel Geld, wenig Geschmack.
Als sie oben im Schlafzimmer ankamen, vergaß Sascha die Einrichtung. „Mann, das ist ja mal ein echtes Blutbad“, murmelte er und hätte sich am liebsten die Nase zugehalten.
Auf einem ca. 1,20 Meter breiten Eichenbett lag ein mittelgroßer, schlanker Mann um die Siebzig, grauweißes, kurzes Haar, Augen geschlossen, auf dem Mund silbergraues Klebeband. Ansonsten war er splitterfasernackt und mit einfacher Kordel und gespreizten Armen und Beinen ans seitliche Bettgestell gefesselt, an den Füßen und an den Unterarmen ein Stück unterhalb der Ellenbogen. Nicht an den Händen, denn Hände hatte er keine mehr: eine Hand lag links vom Bett und die andere (Sascha ging ein paar Schritte weiter) lag rechts neben dem Bett.
Die weißen, flauschigen Bettvorleger waren an den Stellen, an denen das Blut aus den Armstümpfen geströmt war, tiefrot verfärbt. Die bleichen, abgetrennten Hände wirkten darauf wie fremdartige, tote Tiere aus einem Science-Fiction-Horrorfilm. Die Armstümpfe selbst sahen mittlerweile eingetrocknet aus, blutverkrustet und genauso blass und wächsern wie der restliche Körper des Toten, so dass es einem vorkam, als hätte man keinen echten Menschen aus Fleisch und Blut vor sich, sondern eine Puppe. Allerdings eine mit einer ganzen Menge feiner, gekräuselter, grauer Haare auf der Brust und im Genitalbereich. Und mit mindestens zwei Hühneraugen an jedem leicht deformierten Fuß.
Selbst einem medizinisch Ahnungslosen dürfte klar sein, dass der Mann nicht erst vor zwei Stunden verblutet war.
Peer, einer der unattraktivsten Gerichtsmediziner von Nordrhein-Westfalen, begutachtete gerade eine Wunde am Kopf des Toten. Jetzt wandte er sich um. „Hallo ihr beiden! Interessanter Fall, nicht wahr!“
„Ja, ich bin begeistert“, brummte Andreas und nickte Renate zu, der Fachfrau für Spuren jeder Art, die in ihrem weißen Overall wieder einmal auf dem Boden kniete und ein paar Fasern von einem der blutdurchtränkten Bettvorleger abschnitt. „Wer ist der Tote?“
„Der Mann heißt Horst Adolf Schneyder und war Chirurg. Das konnte uns seine Verlobte, die ihn vor einer halben Stunde gefunden hat, gerade noch mitteilen.“ Peer grinste mit seinen dicken Lippen. „Und dann hat sie dort neben der Tür ihr Abendessen von sich gegeben und ist mit einem Weinkrampf zusammengebrochen.“
„Kann man nicht mal ein Fenster aufmachen?“ warf Sascha ein. „Wie haltet ihr diesen Geruch hier nur aus?“
Wieder dieses unschöne Grinsen. „Wir sind eben nicht so zimperlich wie du.“
„Unsinn, ihr seid total abgestumpft.“ Sascha sah sich um.
Eine goldgefasste, sehr helle Deckenlampe, schwere, purpurfarbene Tapete mit goldenem Muster, Nachttische mit goldenen Lämpchen darauf, ein Stuhl, ein Sessel, ein großer, leicht schräg hängender Spiegel hinter dem Kopfende des Bettes. Achtlos auf und neben den Stuhl geworfene Kleidung. Sascha trat ein wenig näher ... irgendetwas stimmte nicht mit dieser Kleidung.
„Ja, die wurde aufgeschnitten, nicht ausgezogen“, erläuterte Peer hinter ihm. „Der Täter scheint es eilig gehabt zu haben.“
„Warum hat er den Mann dann überhaupt ausgezogen? Liegt eine Sexualstraftat vor?“
„Soweit sind wir noch nicht. Aber an ein sexuelles Motiv glaube ich eher nicht.“
„Ich auch nicht“, mischte sich Andreas ein. „Diese Entblößung scheint mir etwas mit Demütigung zu tun zu haben. Bestrafung und Demütigung. Ja, hier ist jemand bestraft worden. Das ist eine Tat mit sehr persönlicher...

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein Mord zuviel
  2. Kapitel 1
  3. Kapitel 2
  4. Kapitel 3
  5. Kapitel 4
  6. Kapitel 5
  7. Kapitel 6
  8. Kapitel 7
  9. Kapitel 8
  10. Kapitel 9
  11. Kapitel 10
  12. Kapitel 11
  13. Weitere e-books in der Edition Lempertz