Irrnisfuge
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Irrnisfuge

  1. 89 Seiten
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Über die Wildheit des DenkensDie Diskussionen um Heideggers "Schwarze Hefte", jene vor Kurzem publizierten Aufzeichnungen aus dem Jahrzehnt zwischen 1931 und 1941, haben gezeigt, wie das extreme Denken Heideggers die öffentliche Verständnisfähigkeit an ihre Grenzen treibt. Woher stammt die Wildheit eines Denkens, das sich wissentlich jeder Normalisierung entzieht? Heidegger hat früh schon die gewöhnliche Auffassung der Wahrheit für eine in seinen Augen ursprünglichere aufgegeben: "Die Wahrheit ist in ihrem Wesen die Unwahrheit", heißt es einmal. Es kann sein, dass sich hier ein Weg öffnet, den die Demokratie der Vernunft und ihre Institutionen nur für einen gefährlichen Irrtum halten können. Peter Trawny versucht in diesem aufregenden Essay, der zeitgleich auf Französisch und Englisch erscheint, zu zeigen, dass das Irren zur Freiheit des Denkens gehört.

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Information

Die Bedeutung der Veröffentlichung der »Überlegungen«, der von Heidegger selbst sogenannten »Schwarzen Hefte«, ist noch offen. Doch sie haben klarer als alles zuvor von ihm Veröffentlichte gezeigt, dass das, was er 1961 am Anfang seines »Nietzsche« über diesen schreibt, dass »der Name des Denkers« »als Titel für die Sache seines Denkens« stehe, auch für Heidegger selbst gilt: »Die Sache, der Streitfall, ist in sich selbst Aus-einander-setzung.«1 Heidegger – der Name steht für die Sache dieses Denkers, die immer schon als anstößig galt, nun aber durch die Veröffentlichung der »Überlegungen« ein unausweichlicher Streitfall geworden ist; unausweichlicher Streitfall für jeden, der Heideggers Denken begegnen möchte.
Heidegger hat keine Philosophie, keine Lehre, die zum Vorbild einer akademischen Schule werden könnte. Er hat das selbst einmal gesagt: »Ich habe keine Etikette für meine Philosophie – und zwar deshalb nicht, weil ich keine eigene Philosophie habe […].«2 Die Annahme, es gäbe eine heideggersche Philosophie, setzt voraus, dass sie ein werkhaftes Gebilde ist, dass sie als Gegenstand zu erscheinen vermag, in Form eines Buches oder einer Gesamtausgabe. Doch mit ihrem Motto »Wege – nicht Werke«3 hat er das richtige Zeichen gesetzt. Die Schriften des Denkers sind offene Versuche. Selbst die geschlossensten Gebilde wie »Sein und Zeit« sind unvollendet geblieben.
Das zeigt sich auch an der Biografie. Als »Sein und Zeit« erscheint, ist Heidegger 38 Jahre alt. Nietzsche erreichte dieses Alter, als er bereits am ersten Teil des »Zarathustra« arbeitete. Schelling hatte mit 38 die Zeit der Veröffentlichungen hinter sich. Der Gedanke, dass es in seiner Philosophie um »Wege – nicht Werke« ging, ist keine Inszenierung, sondern eine treffende Selbstinterpretation. An Heidegger lässt sich lernen, dass Philosophie ein Philosophieren, immer eher ein Fragen als ein Antworten ist.
Die Wege, die Heideggers Denken gegangen ist, sind dunkel. Ernst Jünger, der sich nicht besonders für Philosophie interessierte, hat einmal den »Wald« als »Heideggers Heimat« bezeichnet: »Dort ist er zu Hause – im Unbegangenen und auf den Holzwegen.«4 Die Wege des Denkens führten ins Unsichere, ins Wilde, auch in die Gefahr. Als er in seinem Vortrag »Vom Wesen der Wahrheit« – diesem Wendepunkt in der Philosophie Anfang der dreißiger Jahre – erläutert, inwiefern zum Ereignis der Wahrheit auch die »Irre« gehört, hat er den Charakter seines Denkens am besten getroffen.
»Im Unbegangenen« »zu Hause« sein – wahrscheinlich hat Jünger mit Absicht das Unvereinbare enggeführt. Wollte Heidegger in seinem Denken im Unheimischen heimisch sein? Angenommen, es wäre so: Könnte sich daraus erklären, dass es beinahe rettungslos nicht nur auf »Holzwege«, sondern zuweilen auch auf Abwege geriet? Hat sich dieses Denken nicht auch in Bereichen bewegt, in denen es kaum noch etwas zu denken gab? In denen Heidegger auf seine Art zu sagen wagte, was nicht hätte gesagt werden müssen? Gibt es eine Grenze für das, was zu sagen ist, was gesagt werden darf?
Die Grenze, nach der im Anschluss an die Veröffentlichung der »Überlegungen« zu fragen ist, ist nicht die des Unsagbaren. Sie war Heidegger bekannt. Er hat sie mit Worten bedacht, die im 20. Jahrhundert einzigartig sind. Doch um sie geht es nicht. Es handelt sich vielmehr um die Grenze, die das Gute vom Bösen »scheidet«; das »Scheiden in Gut und Böse«, das zum »Unterschied« und der »Entscheidung«5 gehört. Darf, ja kann das Denken diese Grenze ignorieren? Darf es sich neutral zu ihr verhalten, das Böse anerkennen, weil es zum Sein gehört? Ist Nietzsche nicht der Meister all derer, die das wagten und wagen? War er Heideggers Meister?
Womöglich hat Jünger Recht, in Heideggers Denken das Gegenstrebige der Heimat und des Unbegangenen zu betonen. Hier setzt die Katastrophe an, die der Denker in der Moderne, ja als Moderne erkannte. Und konnte nicht besonders er, der die Heimat zuweilen so unsentimental darstellen konnte, dass sich auch oder gerade in ihrem provinziellen Charakter Bedrohliches zeigte, die Entfremdungen des 20. Jahrhunderts erfahren? Die dialektische Erklärung scheint nahezuliegen. Doch wir haben inzwischen erfahren, dass das Ganze komplexer ist. Wir haben nicht nur gesehen, dass und wie der »Planet in Flammen« stand und »das Wesen des Menschen aus den Fugen«6 war. Wir sehen auch, wie das Denken in seinen Fugen erschüttert wird und sich dieser Erschütterung fügt.
Es durchquert »die Irrnisfuge der Lichtung«7. »Irrnisfuge«, ein klangvolles Wort, ein eigener Fund, ohne Anspielung.8 »Irrnis«, der Ort oder besser die Ortlosigkeit der Irre, eine Landschaft der Ortlosigkeiten, eine A-topographie, die als »Fuge« erscheint. Die »Fuge«, das ist für Heidegger das, was fügt, was ein Gefüge ermöglicht. So spricht er einmal von der »Irrnis-gefügten Lichtung«9. Sie, die »Lichtung«, ist das Hauptwort für die Wahrheit, für das Ereignis der Wahrheit – denn Wahrheit geschieht, ereignet sich. Das bedeutet aber, dass eine »Fuge« der »Irrnis« – ein Abirren des Denkens in jene ortlose Landschaft – die »Lichtung«, die sich ereignende Wahrheit, um es unelegant zu sagen, geradezu baut. Wie ist das möglich?
Die Formulierung von der »Irrnisfuge der Lichtung« – wir kennen das von Heidegger – betont den Genitiv in beide Richtungen. Nicht, dass »Irrnis« einseitig »Lichtung« hervorbringt. Wie sollte aus »Irrnis« »Lichtung« entstehen? Vielmehr entstammt die »Irrnis« der »Lichtung« so, wie sie diese fügt. Die »Lichtung« ist der Ort, an dem so etwas wie Ortlosigkeit erst verstehbar wird oder – jetzt erst berühre ich Heidegger – an dem die Ortlosigkeit, der Ortsverlust, die Bedeutung des Ortes erleuchtet, so dass denkbar wird, dass die »Irrnis« zur »Lichtung« gehört.
» ›Irrnisfuge‹. Heideggers An-archie« – ich hätte diesen Essay nicht geschrieben, wenn ich nicht dächte, dass sich hier, in dieser »Irrnisfuge«, der Streitfall im Namen Heideggers versammelte; der Streitfall, der sich mit dem Namen Heideggers verbindet und der im Namen Heideggers philosophisch zu klären ist. Denn sollte die »Irrnis« die »Lichtung« fügen, weil die »Lichtung« die »Irrnis« braucht, dann ist Heideggers Irren, dann sind seine Verirrungen, ein Augenblick der Philosophie.
Dabei ist Aufmerksamkeit gefordert, auch Urteilskraft. Denn wo ein Philosoph beginnt, das scheinbar der Wahrheit Entgegensetzte, die Unwahrheit, mit der Wahrheit zu vermischen, das eine in das andere zu verkehren, da ist der Sophist nicht weit. Ist es möglich, dass Heidegger der Sophist der Moderne ist? Wer wollte bestreiten, dass gerade die Veröffentlichung der »Schwarzen Hefte« diese Frage nahelegt. In ihnen lässt er seinen Zorn los. Es erscheint ein Denker, der seine Blitze auf alles schleudert, was der Reinheit des philosophischen Blicks nicht standzuhalten vermag. Wer einem anderen Anspruch als dem »Denken und Dichten« gehorcht, ist für Heidegger verloren. Dabei schlägt die Rhetorik manchmal Kapriolen. Aber das ist letztlich nicht sophistisch. Die Probleme liegen nicht im alten Streit zwischen den Philosophen und den Sophisten.
Es ist einzig und allein das Denken (und das Dichten), das die Welt und die Geschichte mit Bedeutungen versieht. Wo ausschließlich das Denken die »Frage nach dem Sinn von Sein«10 erhebt, kann es als die reinste Form des »Da-seins« die Bedeutungen von Welt und Geschichte in ein poetisches Narrativ11 verflechten, das sich am Drama der Tragödie orientiert. Nicht die Politik, nicht die Wissenschaft, nicht die Religion und zuletzt auch nicht die Kunst können in diesem Narrativ Schlüsselbedeutungen beanspruchen – auch deshalb, weil sie nicht in der Lage sind, es zu entfalten. Das Denken verlässt die Philosophie und beginnt – ohne Dichtung zu werden – das Drama zu dichten.
Was in einem solchen Drama entsteht, ist eine Topographie, in der das Wahre und das Unwahre gemeinsam das Mögliche, das Wirkliche und das Notwendige bilden. Doch das ist noch zu wenig gesagt: »Die Wahrheit ist in ihrem Wesen Un-wahrheit.«12 Der Bindestrich zwischen Un und Wahrheit lässt auseinandertreten, was erst das Ereignis der Wahrheit in seiner Ganzheit kennzeichnet: Wo sich etwas als Wahres zeigt, verbirgt sich »etwas«, das – weil nicht in seiner Bedeutung gewusst – das Denken irren lässt. Ich muss bemerken, dass die Verborgenheit zu diesem Zeigen hinzugehört. Doch wer bemerkt schon Verborgenheit?
So befindet sich die Topologie des Verhältnisses von »Irrnis« und »Lichtung« in dem, was Heidegger an ungeheuer vielen Stellen als »Unverborgenheit« erläutert. Unverborgenheit ist die mehr oder weniger wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes ἀλήθεια. Heidegger hat die frühesten Äußerungen über die Wahrheit (bei Heraklit, Parmenides, Pindar) zu Rate gezogen, spätere (schon bei Platon) als abgeleitet verstanden. Dass der erste Weg zur Wahrheit zu »den« Griechen führt, ist schon ein Moment jenes Narrativs der Tragödie, das Heidegger auf die Welt und ihre Geschichte zu übertragen versucht.
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»Wer groß denkt, muß groß irren«13, heißt es in Heideggers Spruchsammlung »Aus der Erfahrung des Denkens«. Kein Zweifel, dass es diese Erfahrung ist, die Heideggers Philosophie noch immer verkörpert. Kaum ein Denken im 20. Jahrhundert entfaltet eine solche Intensität des Fragens, auch des Fragens nach sich selbst, ja, der Selbstkritik. Das Fragen, das Denken, ist eine Erfahrung. Dabei geht es nicht um die Resultate der Erfahrung – es geht um das Ereignis des Denkens selbst. Das Denken ist ein Leben.
Heidegger hätte wohl eingewendet: das Denken, kein Leben, sondern eine Entsprechung zum Sein. Gewiss. Doch er hat diese Entsprechung gelebt, er hat dem Denken den unbedingten Vorrang eingeräumt, bei allem, was er tat. Es war die Erfahrung – das Leben, es kam immer an im Denken, fand in ihm seine Bedeutung. Nur so lässt sich verstehen, dass dieser Mann Schriften hinterließ, deren Möglichkeiten auch vier Jahrzehnte nach seinem Tod nicht vollständig erkannt sind; Schriften, deren Wahrheiten und Irrtümer anscheinend immer noch tiefer die Gegenwart berühren als die Texte der zeitgenössischsten Philosophen.
»Wer groß denkt, muß groß irren«, wie oft wurde dieser Spruch spöttisch kommentiert!14 Wollte Heidegger mit ihm behaupten, dass sein Verhalten zum Nationalsozialismus der Größe seines Denkens geschuldet war? Zwischen dem Spruch und Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus gibt es im Text selbst keine Verbindung. Vermutlich geht er weit über sie hinaus. Wird im Denken nicht alles gewagt? Ist das Wagnis nicht der Anfang der Irre? Aber der Hinweis auf die Größe von Denken und Irre bleibt dunkel. Was ist gemeint?
In den »Überlegungen XIV«, einem »Schwarzen Heft« vom Anfang der vierziger Jahre, bestimmt Heidegger die Größe ambivalent. Sie sei »Gründung eines Anfänglichen oder aber, da sie auch ihr Unwesen« habe, »die äußerste Verhärtung eines Abgelaufenen«15. Jedes Wesen hat sein Unwesen. Das Wesen der Größe liegt darin, dass sich in der Geschichte eine entscheidende Zäsur, ein Anfang, ereignet. Als müsse diese Zäsur in der Geschichte auf ihre Verweigerung treffen, erkennt Heidegger in der Unsensibilität für das Anfängliche, in der zum Sturz bestimmten Starrheit eines Endes, dieselbe Größe.
Doch das ist keineswegs ihre einzige Bestimmung. In der Tat sehen wir, wie Heidegger in den »Schwarzen Heften« immer wieder versucht, Größe als eine Qualität oder Kategorie der Geschichte zu verstehen: »Groß ist, was Freiheit um sich zu gründen vermag und dazu nötigt, die Befreiung zur Freiheit als das Notwendige zu erfahren und festzuhalten.«16 Von Bedeutung ist, dass nicht nur die Freiheit als solche groß ist, sondern die »Befreiung zur Freiheit«, d. h. die »Gründung eines Anfänglichen«, eines Anfangs der Freiheit. Nur wo sich ein Anfang ereignet, ist Freiheit.
Die Größe des Denkens – jene Formel braucht sich keineswegs nur auf Heideggers eigenes Philosophieren zu beziehen. Gemäß der ambivalenten Bedeutung kann sie sich in einem anfänglichen oder abschließenden Denken zeigen. In diesem Sinne wäre H...

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  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Irrnisfuge
  5. Anmerkungen
  6. Impressum