Die Kunst der Benennung
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Die Kunst der Benennung

  1. 317 Seiten
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Die Kunst der Benennung

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Über dieses Buch

1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, führt Hitler einen ganz persönlichen Kampf: den Kampf für die Spitzmaus. Biologen, die sich erdreistet hatten, dem irrtümlich als "Maus" bezeichneten Tier einen anderen Namen zu verpassen, drohte er mit einem Arbeitseinsatz an der Ostfront. Um die richtigen Namen für die Natur wird - wenn auch weniger dramatisch - seit jeher gerungen. Entgegen der ausgefeilten Systematik der Tierkategorisierung unterliegt die Namensgebung selbst der Freiheit des Entdeckers und gestaltet sich entsprechend kunstvoll wie kontrovers. Doch wie passt das mit dem Exaktheitsanspruch der Naturwissenschaft zusammen? In einer unterhaltsamen Expedition durch die Geschichte der Naturkunde, durch Museen und Wildnis, eröffnet uns Michael Ohl eine eigentümliche, faszinierende Sprachwelt, die sich von volkstümlichen Bezeichnungen über die Systematisierung bei Linné bis hin zur Genetik stetig weiterentwickelt hat. Er erzählt die Geschichte von waghalsigen Abenteurern und sammelwütigen Sonderlingen und erkärt, warum der Maulwurf sein Maul bei sich behält und das Murmeltier pfeift und nicht murmelt. Mit diesem Verständnis des sinnlichen Wechselspiels von Kultur und Natur können wir begreifen, warum die "Diva unter den Pferdebremsen" mit goldenem Hinterteil den Namen von Beyoncé trägt, und was es mit der merkwürdigen Art "Homo sapiens" auf sich hat.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783957571342

Hitler und die Fledermaus

Kapitel 1

In der Berliner Morgenpost vom 3. März 1942 stand an einer ziemlich unauffälligen Stelle eine kleine Meldung mit einer recht merkwürdigen Schlagzeile. »Nicht mehr Fledermaus!« versprachen fettgedruckte Lettern. Darunter laß man folgenden kurzen Text:
»Die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde hat bei ihrer 15. Hauptversammlung beschlossen, die zoologisch irreführenden Namen ›Spitzmaus‹ und ›Fledermaus‹ abzuändern in ›Spitzer‹ und ›Fleder‹. (Fleder ist eine alte Form für Flatterer.) Die Spitzmaus führte übrigens eine Vielfalt von Namen: Spitzer, Spitzlein, Spitzwicht, Spitzling. Während der Tagung wurden im Hörsaal des Zoologischen Museums verschiedene wichtige Vorträge gehalten […].«
Ob diese kurze Notiz dazu geführt hat, dass zumindest die Leser der Berliner Morgenpost die in Berlin allgegenwärtigen Fledermäuse zeitweilig »Fleder« nannten, sei dahingestellt. Fledermaus ist sicherlich auch bis heute die übliche Bezeichnung für die einzigen hiesigen fliegenden Säugetiere und gehört wie auch die »Spitzmaus« zum allgemeinen deutschen Wortschatz. Selbst in Wörterbüchern oder fachspezifischeren Naturführern sind weder Fleder noch Spitzer zu finden (sieht man einmal von einem »kleinen Gerät zum Spitzen von Blei- und Buntstiften« ab). Es scheint beinahe so, als ob diese von den führenden deutschen Spezialisten für Säugetiere ausgerufene Namensänderung gänzlich ungehört den Weg vieler Zeitungsmitteilungen gegangen ist: Sie geriet in Vergessenheit.
Allerdings gab es bereits einen Tag nach dem Erscheinen der Notiz eine unmittelbare Reaktion von unerwarteter Seite. Martin Bormann, der Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP, sandte am 4. März 1942 in seiner Funktion als Privatsekretär Adolf Hitlers eine Mitteilung an Hans Heinrich Lammers, den Chef der Reichskanzlei, in der er eine bemerkenswert unzweideutige Anweisung Hitlers überbrachte:
»In den gestrigen Zeitungen las der Führer eine Notiz über die Umbenennungen, die von der Gesellschaft für Säugetierkunde anläßlich ihrer 15. Hauptversammlung beschlossen wurden. Daraufhin beauftragte mich der Führer, den Verantwortlichen mit wünschenswerter Deutlichkeit mitzuteilen, die Umbenennungen seien umgehend rückgängig zu machen. Wenn die Mitglieder der Gesellschaft für Säugetierkunde nichts Kriegswichtigeres und Klügeres zu tun hätten, dann könne man sie vielleicht einmal längere Zeit in Baubataillonen an der russischen Front verwenden. Wenn derartig blödsinnige Umbenennungen noch einmal erfolgten, würde der Führer unbedingt zu entsprechenden Maßnahmen greifen; keinesfalls solle man Bezeichnungen, die sich im Laufe vieler Jahre eingebürgert hätten, in dieser Weise abändern.«
Es steht außer Frage, dass diese wenig missverständliche Aufforderung von den »Verantwortlichen« begriffen und umgesetzt wurde. Zumindest erschien bereits am 1. Juli 1942 im Zoologischen Anzeiger, zur damaligen Zeit das »Organ der Deutschen Zoologischen Gesellschaft« ein nur fünf Zeilen umfassender Hinweis. Die Notiz ist nicht namentlich gekennzeichnet und geht wohl auf die Herausgeber des Zoologischen Anzeigers zurück:
»Zu der [in vorherigen Heften des Zoologischen Anzeigers] geführten Diskussion über etwaige Änderung der Namen ›Fledermaus‹ und ›Spitzmaus‹ teilt die Schriftleitung mit, daß laut Mitteilung des Herrn Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aufgrund einer Anordnung des Führers Bezeichnungen, die sich im Laufe vieler Jahre eingebürgert haben, nicht abzuändern sind.«
Es ist denkbar, dass Lammers diese über Bormann an ihn herangetragene Anweisung Hitlers an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, weitergeleitet hat. Rust hatte dann vermutlich einen der »Verantwortlichen« dieser unerwünschten Initiative aufgefordert, an geeigneter Stelle eine entsprechende Korrektur zu veröffentlichen. Dafür bot sich der Zoologische Anzeiger an, da dort bereits 1941 in zwei Artikeln diskutiert wurde, ob der Name Spitzmaus zu ändern sei.
Was ist nun aber das Problem, das gestandene Wissenschaftler mit den Spitzmäusen und Fledermäusen haben? Und wie kommt es, dass sich ein Adolf Hitler, dessen folgenreiche Welteroberungspläne ihn 1942 sicherlich voll ausfüllten, persönlich für die korrekte Benennung einiger kleiner Säugetierarten einsetzte?
Der Stein des Anstoßes bei diesen beiden unscheinbaren und vertrauten Bezeichnungen ist die »Maus« als zweiter Wortbestandteil. Diesen Teil eines Kompositums, also eines zusammengesetzten Substantivs, nennt man in der deutschen Grammatik das Grundwort oder Determinatum. Das immer am Schluss befindliche Grundwort legt dabei die Hauptbedeutung sowie das grammatikalische Geschlecht des zusammengesetzten Wortes fest. Das links vom Grundwort stehende Wort, das Bestimmungswort oder Determinans (es können auch mehrere Wörter sein), bestimmt die Bedeutung des Grundwortes genauer. So ist ein Wandschrank zuallererst einmal ein Schrank, dem die genauere Bestimmung beigegeben wird, an der Wand zu hängen. Bei unseren Mäusen ist also eine Gelbhalsmaus in erster Linie eine Maus. Mäusearten gibt es viele, sodass eine artgenaue Benennung einen einschränkenden oder modifizierenden Wortanteil braucht. Da diese Art eine gelbliche Halsfärbung besitzt, präzisiert man die allgemeine Bezeichnung Maus durch den davorgesetzten Bestandteil, sodass eine eindeutige Bezeichnung für eine ganz bestimmte Mäuseart, die Gelbhalsmaus, entsteht.
Ganz entsprechend verfährt man üblicherweise mit den Fledermäusen und den Spitzmäusen, die (sprachlich) zuallererst einmal Mäuse sind. Durch den Verweis auf bestimmte Charakteristika im zusammengesetzten Wort (Fleder kommt von Flattern, Spitz verweist auf die spitze Nasenbeziehungsweise Kopfform) wird eine eindeutige Benennung ermöglicht (zumindest fast eindeutig, da es mehrere Fledermaus- und Spitzmausarten gibt, aber dazu später mehr). Beide Namen implizieren also die Zugehörigkeit zu den Mäusen, und hier liegt der zoologische Hase im Pfeffer. Mäuse im zoologischen Sinn sind eine Gruppe von Nagetieren, die man auf einer höheren Ebene der Klassifikation als Muroidea oder Mäuseartige bezeichnet. Zu ihnen gehören recht verschiedene Tiergruppen mit teils wunderlichen Namen wie Blindmulle, Stachelbilche und Mähnenratten, aber auch unsere heimischen Hamster und die uns vertrauten Mäuse und Ratten. Gemeinsam sind allen Mäuseartigen allerlei recht komplexe Merkmale im Schädelbau und natürlich die den Nagetieren typischen vergrößerten, ständig nachwachsenden Nagezähne. Auch wenn es darüber hinaus verschiedenste evolutive Spielereien rund um dieses Mäusemotiv gibt (lange oder kurze Beine, verschiedene Fellfarben und Schwanzlängen und vieles mehr), sind doch die meisten Mäuseartigen auch ohne biologische Fachkenntnis ohne Weiteres als Maus in einem ganz vagen Sinne erkennbar. Zoologisch gesehen reicht der Tatbestand einer gewissen mäusehaften Erscheinung nicht aus, um die Mäuseartigen zu kennzeichnen. Stattdessen müssen die besonderen anatomischen Schädelmerkmale herhalten. Die Grundidee der biologischen Systematik ist dabei recht einfach und einleuchtend. Im Lauf der Evolution haben Tier- und Pflanzenarten neue Merkmale entwickelt und an ihre Nachfahren weitergegeben. Übereinstimmungen zwischen heute lebenden Arten können also Indizien dafür sein, dass diese Arten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen, von dem sie diese Merkmale übernommen haben. Die Ähnlichkeit zwischen diesen Arten ist also das Ergebnis eines Evolutionsereignisses, das tief in der Vergangenheit liegt und nur indirekt als wissenschaftliche Hypothese erschlossen werden kann. Gruppierungen von Arten, für die man den Nachweis führen kann, dass sie auf eine nur ihnen gemeinsame Stammart zurückgehen, und ein System der Organismen, das nur solche Gruppen enthält, nennt man »natürlich«. Dem stehen künstliche Gruppen und künstliche Systeme gegenüber, bei denen die Zusammengehörigkeit der Arten durch Übereinstimmungen begründet wird, für die gezeigt werden kann, dass sie nicht als evolutive Neuerung einmalig bei der letzten gemeinsamen Stammart entstanden sind. Ein natürliches System der Organismen repräsentiert also den wahrscheinlichen Verlauf der Evolution, eine künstliche Klassifikation dagegen eine ganz willkürliche Vorstellung des Menschen über eine sinnvolle Gruppierung der Arten. Die heutige biologische Systematik strebt in der Regel die Rekonstruktion des natürlichen Systems der Organismen an.
Verkompliziert wird die Rekonstruktion des Systems der Organismen dadurch, dass die Evolution nicht selten eingeschlagene Wege unvorhersehbar verlässt. So passiert es manches Mal, dass einmal erworbene Merkmale bei späteren Arten wieder verloren gegangen sind oder sich erneut änderten. Das bedeutet, dass die bei einer Stammart erworbenen Erkennungszeichen heute nicht immer noch zu finden sein müssen. Die hohe Kunst der biologischen Systematik besteht nun darin, mithilfe all dieser Merkmale gut begründete Abstammungshypothesen zu formulieren und Klarheit in den »Baum des Lebens« zu bringen.
Zurück zu den Mäusen und ihren besonderen anatomischen Schädelmerkmalen. Da diese bei nahezu allen Mäuseartigen vorhanden sind, aber bei den nächsten Verwandten fehlen, schlussfolgern die Stammesgeschichtsforscher, dass sie als evolutive Neuheiten bereits bei der Stammart der Mäuseartigen, der »Ur-Maus«, entstanden sein dürften. Diese Schädelmerkmale erlauben den Systematikern also, in den Mäuseartigen eine natürliche Gruppierung zu sehen. Die Stammart aller Mäuseartigen, die diese Merkmale erworben hat, bildet damit den Ausgangspunkt, die Wurzel, des ziemlich komplizierten Mäusestammbaums, der an seinem Ende heute rund 1500 Arten, übrigens ein Viertel aller überhaupt auf der Erde lebenden Säugetierarten, umfasst. Die Aussage, eine bestimmte Nagetierart gehöre zu den Mäuseartigen, bedeutet also nichts anderes, als dass sie eine der vielen Nachfahren der letzten gemeinsamen Stammart der gesamten Mäuseverwandtschaft ist. Die in Deutschland vorkommenden Arten Erdmaus, Feldmaus, Hausmaus, Brandmaus, Gelbhalsmaus und noch einige andere Mäuse sind vielen von uns bekannt, auch wenn sie häufig recht versteckt leben und man sie nicht allzu oft antrifft. Diese Tierarten mit dem Hauptwort Maus sind wirklich Mäuse in einem zoologischen Sinn.
Nun trifft dies auf die Fledermäuse und die Spitzmäuse, trotz ihres Namens, jedoch gerade nicht zu. Beide gehören noch nicht einmal zu den Nagetieren und sind folgerichtig auch keine Mäuseartigen. Aber was sind sie dann? In der Klassifikation der Säugetiere wird traditionell eine ganze Reihe von Gruppierungen unterschieden, die üblicherweise den Rang einer Ordnung innerhalb der Klasse der Säugetiere haben. Von diesen Ordnungen gibt es innerhalb der Säugetiere je nach wissenschaftlicher Meinung 25 bis 30. Eine dieser Ordnungen sind die Nagetiere, zu denen die Mäuseartigen und einige weitere Säugetiergruppen gehören. Die Fledermäuse dagegen sind typische Vertreter der Ordnung der Fleder- oder auch Flattertiere. Ihr wissenschaftlicher Name ist Chiroptera und setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern chiros, Hand, und pteros, Flügel. Chiroptera bedeutet also sinngemäß Handflügler und ist eine recht treffende Bezeichnung für Fledermäuse und ihre nächsten Verwandten, die Flughunde. Beide spannen ihre typische Flugmembran zwischen den stark verlängerten Fingerknochen auf. Die Fähigkeit zum aktiven Flug hat sich innerhalb der Säugetier...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Prolog Die Schönheit der Namen
  5. Kapitel 1 Hitler und die Fledermaus
  6. Kapitel 2 Wie die Arten zu ihren Namen kommen
  7. Kapitel 3 Wörter, Eigennamen, Individuen
  8. Kapitel 4 Typen und die Materialität der Namen
  9. Kapitel 5 Das Panoptikum der Tiernamen
  10. Kapitel 6 »Ich benenne diesen Käfer nach meiner lieben Frau …«
  11. Kapitel 7 »Jeden Tag eine neue Art«
  12. Kapitel 8 Wer zählt die Arten, nennt die Namen?
  13. Kapitel 9 Namen für nichts
  14. Epilog Vom Etikettieren
  15. Anmerkungen und Quellen
  16. Die Abbildungen
  17. Dank
  18. Impressum