Blau
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Blau

Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen

  1. 233 Seiten
  2. German
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Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen

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Über dieses Buch

Die Welt, in der wir leben, ist an vielen Stellen in sattes Blau getaucht: Unsere Heimat ist der blaue Planet mit seinem azurfarbenen Himmel. Wir verlieren uns in Yves Kleins monochromen Blau-Gemälden, hören beschwingt Gershwins Rhapsody in Blue, geben uns mit Novalis dem romantischen Sehnen nach der blauen Blume hin und genießen die blaue Stunde. Selten und wertvoll ist die blaue Mauritius, alltäglich die Blue Jeans. Die Tiefe und Kraft jener Farbe entspringt den Bedeutungen, die wir ihr zuschreiben: wild, sinnlich und faszinierend; wie in einer Wunderkammer, jenem untergegangenen Museum, das die unterschiedlichsten Fundstücke nebeneinander versammelte, um das Staunen zu lehren, versammelt der meisterhafte Erzähler Jürgen Goldstein verschiedene Facetten vom Reichtum des Blaus, er knüpft Bedeutungsketten, elaboriert und assoziativ, wohl abgewogen und zugleich sprunghaft – Genregrenzen, Chronologien und wissenschaftliche Etikette gelten hier nicht. Dieses gelehrte und elegant verfasste Buch erschafft einen Archipel an essayistischen Miniaturen, die Bedeutungsinseln gleichen und doch untergründig miteinander verbunden sind, und taucht ein in das Geheimnis, das uns am Blau so berührt.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783957574350

II

Fundstücke und Streifzüge

Der blaue Planet

Plötzlich taucht hinter dem Rande des Mondes in langen, zeitlupenartigen Momenten von grenzenloser Majestät ein funkelndes, blauweißes Juwel auf, eine helle, zarte, himmelblaue Kugel, umkränzt von langsam wirbelnden weißen Schleiern. Allmählich steigt sie wie eine kleine Perle aus einem tiefen Meer empor, unergründlich und geheimnisvoll. Du brauchst eine kleine Weile, um ganz zu begreifen, daß es die Erde ist.
Edgar Mitchell, an Bord der Apollo 14, 31. Januar bis 9. Februar 1971
Am 12. April 1961 umkreiste Juri Alexejewitsch Gagarin an Bord der Wostok als erster Mensch die Erde. Einen Tag später berichtete der Heimgekehrte, welchen Anblick ihm die Erde vom Raumschiff aus geboten hatte: »Die Tagesseite der Erde ist aus dieser Höhe sehr gut zu sehen, man kann die Küsten der Kontinente, die Inseln, die großen Ströme, die großen Wasserbecken und die Terrainfalten gut unterscheiden.«1 Von Flugzeugen kannte man derartige Ansichten, wenn auch nicht aus vergleichbarer Höhe. Neu war daher die Sicht auf die Erde als Ganzes: »Während des Fluges konnte ich zum erstenmal mit eigenen Augen die Kugelgestalt der Erde sehen. So wirkt sie, wenn man auf den Horizont blickt. Ich muß sagen, daß der Horizont ein höchst eigenartiges und ungewöhnlich schönes Bild bietet. Man kann den ungewöhnlich schönen Übergang von der beleuchteten Erdoberfläche zum völlig schwarzen Himmel sehen, an dem die Sterne sichtbar sind. Dieser Übergang vollzieht sich in sehr feinen Abstufungen, es ist, als umgürte eine Folie von zart hellblauer Farbe den Erdball.«2 Seit Juri Gagarins Flug um die Erde spricht man vom ›blauen Planeten‹.
Die Exklusivität des Blicks auf die Erde, wie er Astronauten vorbehalten war, hielt nicht lange an. Bereits Scott Carpenter machte während seiner Erdumrundung an Bord des amerikanischen Raumschiffs Aurora 7 am 24. Mai 1962 Fotos von der Erde, die der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden. Die Aufgabe, dem deutschen Lesepublikum zu erläutern, was an ihnen bemerkenswert war, übernahm Heinz Haber: »Ein Element dieser Bilder ist … sehr auffallend – die Farbe. Unser Planet erscheint eingehüllt in ein leuchtendes, tiefes Aquamarin.«3 Das war noch so wenig selbstverständlich, dass es eines Hinweises bedurfte: »Für einen Planeten ist die Farbe Blau eine Besonderheit in unserem Sonnensystem. Mars ist rötlich, Saturn gelblich; die anderen Planeten sind weiß, und die beiden äußersten großen Planeten, Uranus und Neptun, zeigen einen grünlichen Schimmer. Nur unser Planet ist blau.«4
Für die Astronauten war die Schönheit des Anblicks der Erde etwas durchaus Unerwartetes. Dafür gibt es einen eindrucksvollen Beleg, der umso wertvoller ist, da er sich beinahe dem Zufall verdankt und spontane Äußerungen hervorrief. Die Verlautbarungen Gagarins erfüllten mitunter willfährig jene propagandistischen Schablonen, die die russische Führung von ihm erwartete. Auch Neil Armstrong verließ sich beim ersten Betreten des Mondes am 21. Juli 1969 nicht auf seine Spontaneität. Er tat diesen Schritt, der, wie er sagte, für einen Menschen ein kleiner, für die Menschheit ein großer sei,5 gut präpariert und vorbereitet. Wer verlässt sich schon auf sich selbst, wenn man Weltraumgeschichte schreibt, einem die zurückgebliebene Menschheit am Fernseher über die Schulter schaut und einen weltgeschichtlichen Kommentar erwartet? Umso bedeutsamer sind die unmittelbaren Reaktionen auf einen Anblick, der sich unverhofft eingestellt hatte und der bis heute das spektakulärste Bild von der Erde bereithält. Im Dezember 1968 umrundete das erste bemannte Raumschiff des amerikanischen Apollo-Programms den Mond. Ziel war es, mögliche Landestellen für einen späteren Flug zu dem Erdtrabanten auszumachen. Dabei bekamen die Astronauten William Anders, Frank Borman und James Lovell an Bord der Apollo 8 zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Rückseite des Mondes zu Gesicht. So außergewöhnlich der Anblick des Mondes aus der Nähe auch war, so wenig Überraschendes hielt seine erdabgewandte Seite bereit. Man bekam zu sehen, was man hatte vorausahnen können.
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»Wow, is that pretty!« – die aufgehende Erde vom Mond aus gesehen
Aber die Mondumrundung offenbarte einen Anblick, mit dem man nicht gerechnet hatte. Bereits zwei Runden hatten die Astronauten am 24. Dezember mit ihrem Raumschiff absolviert, um Fotos von der Mondoberfläche zu machen, da änderte Borman die Ausrichtung der Apollo 8 ein wenig und es ging völlig unverhofft die Erde am Horizont des Mondes auf. Die vom NASA Goddard Space Flight Center 2013 veröffentlichte, computeranimierte Rekonstruktion des Erdaufganges bietet sowohl die damals gemachten Fotos als auch die Tonspur, die die Unterhaltung der Astronauten wiedergibt.6 Es war Anders, der als Erster die aufgehende Erde bemerkte: »Oh my God, look at that picture over there! There’s the Earth comin’ up. Wow, is that pretty!«
Zunächst macht er ein Schwarz-Weiß-Foto. Auf ihm ist die leicht gekrümmte und verkraterte Mondoberfläche zu sehen, am Horizont – vor tiefschwarzem, sternenlosem Hintergrund – die Erdkugel, zu zwei Dritteln über den Rand des Mondes ragend. Die weißen Wolkensysteme setzen sich gut sichtbar von den grauen, wolkenlosen Regionen ab. Im Gegensatz zur pockennarbigen Mondoberfläche erscheint die Erde als eine vollkommene Kugel – die messbare Abplattung an den Polen beeinträchtigt ihren optischen Eindruck nicht.
Ist das Foto, so beeindruckend es auch sein mag, nicht lediglich eine Umkehrung der gewohnten Perspektive von der Erde auf die Sonne und auf den Mond? Die eigentliche Sensation, so muss es Anders in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf gegangen sein, liegt nicht so sehr in dem Blick auf die Erde, der ja seit den ersten Flügen in das All bekannt war. Es ist der überraschende Farbkontrast, der sich als überwältigend erweist. »You got a color film, Jim?«, fragt Anders. »Hand me a roll of color, quick, would you?« Lovell, der nun auch den Erdaufgang betrachtet, ist begeistert: »Oh man, that’s great!« Anders treibt an: »Hurry. Quick.« Aufgrund der Rotation der Apollo 8 um ihre eigene Achse droht der Blick auf die Erde aus dem Sichtfeld zu geraten. »Just grab me a color … Hurry up.« Als Lovell nach einer C-368-Kamera sucht, treibt ihn Anders erneut zur Eile: »Anything. Quick.« Eine Minute ist seit dem Auftauchen der Erde vergangen. Als Anders endlich die Farbkamera in den Händen hält, ist der Erdaufgang aus dem Sichtfeld des Fensters geraten. »Well, I think we missed it.« Doch durch ein anderes Fenster tritt die Erde erneut ins Blickfeld. Anders macht das Foto seines Lebens. »Got it?«, fragt Lovell, »Yep«, antwortet Anders. Sie schießen noch weitere Fotos. Die Erdkugel, ein Drittel ist verschattet, schwebt nun klar über dem Mondhorizont. Vor der Nachtschwärze des Himmels hebt sie sich mit strahlendem Blau ab. Man sieht einige Wolkenbänder und braune Kontinente. Zwei Minuten haben ausgereicht, das Bild von der Erde grundlegend zu verändern. Es ist der Kontrast zum grauen Mond und zur Leere der tiefschwarzen Himmelsweite, der den blauen Planeten als etwas Außergewöhnliches zeigt. Mögen auch auf der Erde die Regenwälder mit ihrem unermesslichen Artenreichtum das Grün zum Symbol des Lebendigen gemacht haben – von der Warte der lebensfeindlichen kosmischen Bedingungen aus ist es das Blau, das die Voraussetzungen unseres Lebens symbolisiert.
Was die spontanen Kommentare der drei Astronauten zum Anblick der aufgehenden Erde zum Ausdruck gebracht haben, ist der Einbruch eines unerwarteten Empfindens von Schönheit. Angesichts des enormen finanziellen und technischen Aufwandes der Apollo-Missionen drohten der Erfolg und die wissenschaftliche Rendite zum ausschließlichen Rechtfertigungskriterium dieser Anstrengungen zu werden. Die Eroberung des Mondes wurde als nationale Aufgabe und als ein Triumph der modernen Wissenschaft begriffen. Im Taumel der Begeisterung über das eigene Können schien der Mensch nur noch sich selbst im Blick zu haben. Vor der grauen Mondoberfläche und dem kosmischen Schwarz aber tauchte unerwartet der Heimatplanet in seiner überwältigenden Einzigartigkeit auf. Der Anblick der aufgehenden Erde bot eine sich selbst genügende Anschauung.
Seit der antiken Astronomie kennt die Tradition den »Sternenbetrachter«, den contemplator caeli. Dessen Aufschauen zu den Sternen kam in der vormodernen Welt einer Versenkung in die kosmisch-göttliche Ordnung gleich. Der Blick vom Mond auf die Erde hat den Menschen dagegen zum Erdbetrachter werden lassen, zum Betrachter der schönen Ausnahme in den Weiten unseres Sonnensystems und des Sternenhimmels. Darin liegt der wichtigste Ertrag der Astronautik. Günther Anders hat von dem ersten Weltraumflug zum Mond als der »Selbstbegegnung der Erde« gesprochen: »Das große Erlebnis auf dieser Mondfahrt war nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt; nicht das Unbekannte, sondern das Bekannte; nicht das Fremde, sondern das Verfremdete; nicht der Mond, sondern die Erde.«7 Man mochte viel erwartet haben, aber die blaue Schönheit des Heimatplaneten war die eigentliche Entdeckung. Gegenüber dem Mond war »unsere von niemandem gestützte und vereinsamt in der unermeßlichen Schwärze des Himmels hängende Erde so ungewöhnlich, so ungewöhnlich schön und so ungewöhnlich trostlos wie nichts, was wir früher auf Erden gesehen hatten, und auch in der Erinnerung ist sie etwas auf atemberaubende Weise Unbekanntes«.8
Am 7. Dezember 1972 wurde von Bord der Apollo 17 erstmalig der völlig von der Sonne beschienene, von keiner Nachtsichel beschränkte und in seinen blau-weiß-rötlichen Farben erstrahlende Erdkörper fotografiert, gerahmt von einem satten Schwarz in einem quadratischen Foto. Dieses Bild des schwebenden Erdkörpers ist unter dem Titel Blue Marble bekannt geworden. Die »Blaue Murmel« wurde – auch aufgrund des einsetzenden Bewusstseins der ökologischen Gefährdung – zu einer Ikone der Umweltaktivisten. Der Anblick der blauen Atmosphäre wurde nicht, wie wenige Jahre zuvor, vor allem in seiner Schönheit bestaunt, sondern – vor dem Hintergrund des entdeckten Ozonlochs und der sich abzeichnenden Klimaerwärmung – als ein Zeichen der Fragilität genommen.
Die Aufnahmen von der Erde markieren den Höhepunkt in der Geschichte einer modernen Anthropozentrik, die die Welt vom Menschen aus in den Blick zu nehmen gewillt ist. Dabei hat schon Martin Behaim diese gottgleiche Perspektive verwirklicht, als er in den Jahren 1492 und 1493 einen ersten Globus anfertigte. Dieses älteste kugelförmige Modell der Erde, als ›Erdapfel‹ bekannt, mit leuchtenden Brauntönen für die Kontinente, war zwar bereits im Jahr seiner Fertigstellung veraltet, da es die von Kolumbus entdeckte Neue Welt nicht abbildete. Unerhört aber war die eingenommene Blickdistanz auf die Erde mit der Möglichkeit der Umrundung durch den Betrachter beziehungsweise der gottgleichen Drehung durch die eigene Hand. Anschaulicher ließ sich das neue Selbstverständnis des Menschen am Ausgang des Mittelalters nicht darstellen.
Hatte die christliche Tradition die Welt als für den Menschen geschaffen begriffen – noch Kopernikus hat von einer Weltmaschine gesprochen, »die um unseretwillen vom besten und genauesten aller Werkmeister gebaut ist«9 –, hat die moderne Astronomie die Erde zunehmend als die unwahrscheinliche Ausnahme begreiflich werden lassen. Noch zu Zeiten der entschiedenen Religionskritik im 17....

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. I. Bedeutsames Blau: Eine Wunderkammer
  5. II. Fundstücke und Streifzüge
  6. III. Koralle, Rhizom, Archipel: Ein Ausblick auf die Struktur der Bedeutungsnetze
  7. Nachwort
  8. Anmerkungen
  9. Über den Autor
  10. Impressum