Glückliche Genügsamkeit
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Glückliche Genügsamkeit

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Glückliche Genügsamkeit

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Über dieses Buch

Die europäische Moderne hat den Mensch erst der Erde, nun der menschlichen Gesellschaft entfremdet; aus Ernte ist Produktion, aus Beziehung Kommunikation geworden. Wo immer ausgetüfteltere Geräte das Leben erleichtern sollten, sind die westlichen Gesellschaften von ihnen abhängig geworden. Der Mensch, versklavt von Technik, Finanzmarkt und Konsum, ist verletzlich und unfrei wie nie. In seiner grundlegenden Kritik der Moderne enttarnt Pierre Rabhi deren Verlockungen als Blendwerk. Die neue Unermesslichkeit der überfordernden Informationsgesellschaft, die Prämissen des zwanghaften Fortschritts und des "Immer mehr", sowie die Glücksverheißungen des Konsums bedeuten nicht die Befreiung des Menschen, sondern dessen schleichende Unterjochung. In "Glückliche Genügsamkeit" propagiert Rabhi das rebellische Prinzip der Mäßigung, die gegen die Überflussgesellschaft protestiert und den Menschen ihrem Klammergriff entreißt. Seine engagierte Streitschrift entwirft eine Utopie der Rückkehr zur Trias aus Natur, Mensch und Gemeinschaft und fordert auf zur mündigen Selbstbefreiung.

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Information

EIN HUMANER WANDEL

Während meiner Kampagne, mit der ich mich um eine Kandidatur zur französischen Präsidentschaftswahl 2002 bewarb, habe ich betont – und tue es noch –, dass das zerstörerische Gesellschaftsmodell, das sich dem ganzen Planeten aufzwingt, nicht zu »flicken« ist. Es mit aller Gewalt aufrechterhalten zu wollen, wie es die globale Ordnung vorsieht, ist vergeblich und verlängert nur den Todeskampf. Die desaströsen Auswirkungen werden dadurch nicht gemildert. Die für die Neuausrichtung der Weltordnung erforderlichen geopolitischen Justierungen sind mit dem Prinzip des grenzenlosen Wachstums unvereinbar. Die klimatischen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen erfordern eine noch nie dagewesene Kreativität. Glückliche Genügsamkeit darf sich nicht auf eine persönliche, in sich selbst gekehrte Haltung beschränken. Ausgehend von einer individuellen Lebenskunst sind wir dazu aufgefordert, an einer weltumspannenden Genügsamkeit zu arbeiten. Beim Übergang von der Logik des grenzenlosen Profits zu der Logik des Lebens geht es, gelehrt formuliert, um einen Paradigmenwechsel.

Den Menschen und die Natur ins Zentrum rücken

Wenn wir daran arbeiten, die Zukunft auf die Logik des Lebens zu gründen, heißt dies zunächst, die Gründungsmythen der Moderne aufzugeben, die mit diesem Ansatz unvereinbar sind. Wenn Genügsamkeit erst breite Resonanz erfährt, ist sie mit absoluter Sicherheit ein Gegenmittel für die zerstörerischen Exzesse. Paradigmenwechsel bedeutet, dass wir danach streben, den Menschen und die Natur ins Zentrum unseres Tuns und unserer Möglichkeiten zu rücken. Wir träumen schon davon, dass sich alle Nationen in dem Bewusstsein versammeln mögen, dass die Erde nicht eine zur Plünderung freigegebene Lagerstätte ist, sondern eine überaus kostbare Oase des Lebens. Die lebenswichtigen Güter, die sie birgt, müssen durch eine besondere Regelung geschützt werden. Zu ihrem Erhalt müssen radikale Resolutionen verabschiedet werden. Wälder, Ackerland, Wasser, Sämereien, Fischgründe müssen unbedingt der Finanzspekulation entzogen werden. Das lebendige Erbe der Menschheit und der zahllosen, ihr Schicksal auf der Erde teilenden Geschöpfe der schamlosen Vulgarität der Finanzwelt ausgeliefert zu sehen, ist so schmerzlich wie empörend.
Erst wenn der letzte Baum gefällt ist, der letzte Fluss vergiftet, wenn der letzte Fisch gefangen ist, erst dann werden sie begreifen, dass man Geld nicht essen kann.
Diese Prophezeiung rührt aus purer Einsicht, die Einsicht der autochthonen, primitiven, traditionellen oder wie auch immer bezeichneten Völker. Der Schutz dieser verletzlichen und unschuldigen Menschen vor der Willkür und der Boshaftigkeit der sogenannten zivilisierten Völker muss auf der Prioritätenliste durch strengste Gesetzte festgeschrieben werden. Direkten Übergriffen, denen sie ausgesetzt sind, folgen Völkermord durch Übernahme und Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums, mit dem in einer perfekten Symbiose zu leben sie seit Urbeginn gelernt haben. Diese Lebensräume, die sie zu bewahren wussten, sind wie ein öffentliches Gut zu behandeln; für ihren Erhalt müssen wir den Völkern dankbar sein. Der Machtmissbrauch und die Verachtung, der sie zum Opfer gefallen sind, sind niederträchtigster Natur und stellen eine bodenlose Beleidigung der Menschheit dar.
Sicherlich ist es unangebracht, diese Völker über den Klee zu loben. Auch sie haben ihre Unvollkommenheiten, weisen Verhaltensformen auf, die es zu ändern gilt. Wie oft bin ich von dem bescheidenen Platz, den sie den Frauen einräumen, abgestoßen und schockiert. Gleichwohl bezeugen diese den Lebensgrundlagen eng-verbundenen Völker durch ihre tiefen Überzeugungen und ihre Daseinsweise, dass ein harmonisches Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur möglich ist und ein Fundament für das ökologische Denken darstellen kann. Wie wir alle haben sie das durchaus legitime Recht, auf ihrem Gebiet zu leben, nach den Wertvorstellungen, die sie motivieren und ihrem Leben Sinn verleihen. Unser Engagement für dieses Existenzrecht darf nicht von Mitleid oder Herablassung verfälscht werden. Ihre Lebensart und ihre Botschaften tragen dazu bei, uns auf die heilige Natur des Lebens horchen zu lassen.

Ein Ausgleich der männlichen und weiblichen Kräfte

Dass der Mythos vom demiurgischen Menschen ein männliches Konzept darstellt – das eine technologische Kultur noch besonders verstärkt –, zeigt sich darin, dass das weibliche Prinzip in diese Kultur so gut wie nicht involviert ist. Keiner der Innovationsbereiche, auf denen das Paradigma der technisch-wissenschaftlichen Moderne beruht, ist – bis das Gegenteil bewiesen ist und mit Ausnahme Marie-Curies – von einem weiblichen Beitrag geprägt worden. Nicht der kleinste Kolben, Verbrennungsmotor, Funkwellensender usw., der einem weiblichen Gehirn entsprungen wäre. Diese alles andere als unerhebliche Realität zeigt die Beschaffenheit eines männlichen Prinzips, das sich einem übertriebenen Machtkult verschrieben hat. Dieses Prinzip trägt uns eine nicht minder gewalttätige Welt ein, was das Weibliche als Beschützer des Lebens sicherlich gemildert hätte.
Das fraglos mächtigste Zeugnis der weiblichen Kraft als Hüterin des Lebens konnte ich in der Sahelzone bewundern. In den achtziger Jahren waren die Ernten durch die langanhaltende Dürreperiode vernichtet worden und es herrschte bitterer Nahrungsmangel. In solchen Umständen ist die Ohnmacht des Menschen demütigend. Die Männer waren in ihrer Ratlosigkeit gezwungen, sich anderswo nach Arbeit umzusehen – oder bemäntelten mit diesem Vorwand ihre Flucht. Die Frauen, die sich auch noch um die Kinder zu kümmern hatten, legten hingegen eine stärkere Lebenskraft an den Tag; Erschöpfung laugte sie nicht aus oder stumpfte sie ab, sondern trieb sie noch an und beflügelte sie. Tapfer streiften sie durch die Wüste und droschen stundenlang ein Gras, das Cram-cram, dessen häkchenbewehrte Samen sich in den Kleidern festsetzen, um daraus mühsam ein Körnchen Lebensenergie zu gewinnen. Zu sehen, wie triumphal diese mittellosen Frauen die extreme Bewährungsprobe durchgestanden haben, hat mich tief bewegt, mit Dankbarkeit und Liebe erfüllt, und mich zu einem kleinen Ausspruch inspiriert: »Vielleicht müssen wir unter Aufbietung allen Muts die Frauen, Hüterinnen des Wassers, des Feuers und der Erde, des Lebens, bitten, die großen heiligen Anhöhen zu erklimmen, um dem letzten Dämmerlicht unserer noch verbliebenen Inbrunst ein Opfer zu bringen, damit das Morgen nicht ohne Licht bleibe.«
Stets habe ich auf das Drama hingewiesen, das die universelle Unterordnung des Weiblichen für die Frauen bedeutet. Eine neue Logik kann sich nicht mit einer Haltung begnügen, die diesem Problem, das die Unausgeglichenheit unserer Geschichte bedingt, mit Fatalismus begegnet. Die Balance zwischen der weiblichen und der männlichen Domäne muss dringend wiederhergestellt werden, und dafür müssen wir von der Kindererziehung an Sorge tragen. Dabei geht es meiner Meinung nach nicht um eine sakrosankte Gleichstellung, sondern um eine dynamische Annäherung und Harmonisierung jener Werte, Empfänglichkeiten und Talente, deren wechselseitige Ergänzung die Welt retten kann.
Hinsichtlich der Frauen in der modernen Gesellschaft ist noch eine heikle Frage offen, die wir hier um der Schlüssigkeit unsere Logik der Mäßigung willen nicht ausblenden wollen: Sind die Ausgaben für Schmuck, Kleidung, Körper- und Schönheitspflege usw. in der Konsumgüterbilanz der wohlhabenden Nationen tatsächlich zu vernachlässigen? In einigen Ländern wurden die größten Vermögen mit Firmenimperien angehäuft, die diese Produktbereiche abdecken. Ich bin hier nicht darauf aus, die Frauen zu Sündenböcken zu machen, noch die Gewohnheiten und Betätigungen infrage zu stellen, die seit Jahrtausenden der Anmut und dem Charme der Frauen zugute kommen und unser aller Leben verschönern. Aber auf die Frage: »Warum wird dafür so viel Geld ausgegeben?«, kann eben keine Antwort aus rein buchhalterischer Sicht gegeben werden, denn mit Rationalität allein ist das Phänomen nicht zu fassen. Ich beschränke mich daher auf einige grundsätzliche Betrachtungen ohne Anspruch auf Richtigkeit, die größtenteils auf Gespräche mit befreundeten Frauen zurückgehen, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, denn mit dieser Problematik bewegen wir uns in einem äußerst subjektiven Feld.
In der modernen Gesellschaft ist das Bild der Frau sozusagen ein Rohstoff von hohem Wert, der marktgängige Phantasmen aller Art beigemengt werden. Der kleinste Pressekiosk hängt Bilder entblößter, auf Warenrang herabgewürdigter Frauen in seine Auslage und zahllos sind die Gelegenheiten, bei denen die sexuellen Attribute der Frauen zu kommerziellen Zwecken ausgestellt werden. Über subliminale Prozesse, die jeweils auf Frauen und Männer zugeschnitten sind und mithilfe unzähliger deprimierender Inszenierungen sowie mit Mitteln der Gehirnwäsche, wie sie die Werbeindustrie so gut aufzuwenden weiß, fördern solche Bilder den Warenkauf und Verkauf. Das Budget der Werbeindustrie kann durchaus zu den Ausgaben für die eigentlichen Schönheitsprodukte hinzugerechnet werden. Die Lage der Frau in den verschiedenen Kulturen, ihre historisch begründete Abhängigkeit von dem sie beschützenden Mann, die juristischen und moralischen Grundsätze, die diese Abhängigkeit festschreiben, all dies ist nicht ohne Grund, wenn es darum geht, wirtschaftliche Sicherheit mit jenen Mitteln der Verführung zu erlangen, die auf die Erfüllung männlicher Kriterien setzen. Manche Frauen fühlen sich, wenn auch widerwillig, dazu verpflichtet, diesen willkürlichen Regeln zu folgen. Überdies sind die Auslagen, die Zeitschriften, die Werbung lauter Mittel, um einer emotionalen und sozialen Leere zu entfliehen oder sie auszugleichen. Muss man zudem daran erinnern, dass die Frauen in Europa, und insbesondere in Frankreich, sehr viel Geduld aufbringen mussten, bis sie an allgemeinen Wahlen teilnehmen durften? Auch das ist nicht ohne Bedeutung. Dass die Demokratie schließlich die Gleichheit der Geschlechter festgeschrieben hat, heißt nicht, dass dies auch der Realität entspricht. Tief eingekapselt in der Psyche der Männerwelt findet sich noch immer ein nahezu unangreifbarer Machismus.
Nimmt man die Leiden des Alterns hinzu, das so schmerzlich als Verlust der Verführungskraft empfunden wird, mag es schwierig werden, sich nicht auf alles zu stürzen, was Linderung verspricht. Und doch, wie viele gealterte Frauen vermögen uns jenseits längst überkommener ästhetischer Kriterien und über alle künstlichen Leitbilder und Schönheitsideale hinaus, durch ihre innere Schönheit, durch einen durch nichts zu beeinträchtigenden Charme zu faszinieren? Im Sinne unterschiedlicher Kulturen schön zu sein, ist ein universelles Bedürfnis. Auch dort wo Armut herrscht, sieht man in einer Vielzahl von Ländern durch alle Altersgruppen hindurch eine weibliche und männliche Eleganz walten, die sich nicht hohen Ausgaben verdankt. Eleganz, Charme und Schönheit sind also durchaus vereinbar mit Genügsamkeit und sind keineswegs von den Ausgaben abhängig, die man für sie erübrigen kann. Wir haben es hier mit einem brennenden Thema zu tun, über das weiter nachzudenken sich lohnt.

Eine Pädagogik des Seins

Ein Wandel in der Logik kann nur stattfinden, wenn man die Erziehung der Kinder von Grund auf überdenkt. Maßgeblich sind heute Erziehungsmethoden, die von den Hauptinteressen der Waren- und Finanzideologie bestimmt und diktiert und einer lehrenden Kaste überlassen werden. Man weiß mehr und mehr, wie wichtig die Begleitumstände der Empfängnis, der Schwangerschaft und des Geburtsvorgangs sind. Schluss mit der Heuchelei: Das, was alle Welt Erziehung nennt, ist eine Maschine zur Fabrikation von Soldaten für die Pseudo-Ökonomie, und dient eben nicht der Heranbildung eines gereiften Menschenwesens, das imstande ist nachzudenken, zu kritisieren, zu erschaffen, seine Gefühle zu beherrschen und zu lenken, oder auch dem, was wir Spiritualität nennen, nahezukommen. »Erziehen« lässt sich aus dieser Warte folgendermaßen auf den Punkt bringen: Deformieren, um zu formatieren und in Konformität zu überführen. Das wachsende Unbehagen einer Jugend, die zum Scheitern verurteilt ist, da das System sie nicht integrieren oder sich ihrer annehmen kann, zeugt von dieser Entfremdung. Die besonders während der Trente glorieuses gängige Gleichung, wonach eine gute Ausbildung und darauffolgende Qualifikationen ein sicheres Auskommen garantieren, funktioniert nicht mehr in einer Gesellschaft, die sich dem grenzenlosen Wachstum verschrieben hat. Warum also sollte man auf dieser bereits obsolet gewordene Option beharren?
Folgt man dem neuen Erziehungsparadigma, bedeutet dies zuallererst, sich dem Kind zu widmen und eine Pädagogik des Seins zu entwickeln, die das Kind vor allem zu sich selbst kommen lässt, das heißt ihm zu helfen, seine einzigartige Persönlichkeit zu entdecken, seine spezifischen Talente, damit es dem Ruf folgen kann, der seiner Anwesenheit in der Welt und in der Gesellschaft Leben einhaucht. Das heißt auch, ihm das Gefühl zu geben, in einer vielgestaltigen Welt an seinem ureigenen Platz zu sein. Damit diese Zweite Geburt wirklich geschehen kann, muss dass schreckliche Wettbewerbsklima abgeschafft werden, das dem Kind den Eindruck vermittelt, die Welt sei auf körperlicher wie psychischer Ebene eine Arena, in der eine dem Wissensdurst abträgliche Angst erzeugt wird.
Die dem Intellekt eingeräumte Vorrangstellung zu Ungunsten der Geschicklichkeit der Hand, der wir immerhin unsere Entwicklung zum Menschen verdanken, ist eine Katastrophe, die uns, ohne dass wir uns dessen bewusst wären, zu Krüppeln macht; sie hat eine willkürliche Hierarchie geschaffen, indem sie dem begrifflichen Zugang zu den Dingen den Schlüssel eines Entscheidungsprozesses übertragen hat, den die taktile Erfahrung nicht bestätigen kann. Auch die konkrete Beziehung zur Natur ist unerlässlich, denn ihr verdankt das Kind seine Existenz und zwar lebenslang; nutzt man ein lebenserhaltendes Prinzip, ohne es zu kennen, ist dies eine enorme Wissenslücke.
Die Erziehung muss die wechselseitige Ergänzung der Fähigkeiten wiederherstellen. Die Bildungseinrichtungen müssten Beete zur Kultivierung, Werkstätten zur Erlernung manueller und künstlerischer Fertigkeiten bereitstellen. Biologisch-dynamische Gärten sollten die unantastbaren Lebensgesetze handgreiflich erfahrbar machen: die Fruchtbarkeit der Erde, ihre Großzügigkeit, uns mit lebenserhaltender Nahrung zu versorgen, die Rätselhaftigkeit und Schönheit jener Phänomene, die die Ökologie in ihrer enormen Vielschichtigkeit bestimmen. Die Schule muss zudem der Ort werden, an dem das Verständnis für die Komplementarität von Frau und Mann, des Weiblichen und Männlichen, gefördert wird; und natürlich auch der Platz, an dem die Erziehung zur Genügsamkeit einen womöglich für das ganze Leben ausschlaggebenden Faktor darstellt.
Denn das Kind, das von der Produktion der Güter, die es in einer Kultur des Überflusses so ausgiebig nutzt, genauso wenig weiß, wie von dem Abfall, den es später produziert, findet sich auf die linientreue und traurige Funktion eines kleinen verschwenderischen Konsumenten reduziert. Es ist sich weder seiner Teilhabe an der kollektiven Übertreibung der Reichen und ihrer freudlosen Privilegien bewusst, noch weiß es, dass viele Kinder in Ländern leben, deren Alltag von Armut oder sogar vom Elend bestimmt ist. In deren Augen habe ich paradoxerweise oft einen lebendigen Funken beobachten können, als hätten sie sich trotz allem ihre Hoffnung bewahrt. Die Anleitung zur Mäßigung ist eine Quelle der Freude, denn sie macht schneller zufrieden und baut die Frustrationen ab, die das Immer-Mehr produziert. Letztere werden von einer Werbung immer wieder geschürt, vor deren schädlichen Einfällen jedes Kind geschützt werden müsste. Diese Geiselnahme produziert abgestumpfte und desillusionierte Kinder und mit dem »Aber sofort« schwindet das Verlangen, dem die Geduld so viel Würze und Wert verleiht. In eine ähnliche Kategorie fällt die Feststellung, dass die Spielwarenindustrie die Bildwelt der Kinder durch ihren erwachsenen Blick verdirbt. Gefüttert mit Spielzeug, das einfach konsumiert wird, ist den Kindern die natürliche Fähigkeit abhanden gekommen, sich selbst und mit unvergleichlichem Einfallsreichtum, die zum Spielen benötigten Dinge herzustellen. Diese unverdorbene Kreativität würde zur Genügsamkeit vieles beizutragen haben, denn die Herstellung von Massenwaren würde überflüssig, deren Fabrikation viele wertvolle Rohstoffe, häufig Erdöl, benötigt und Kosten für Energie, Umweltverschmutzung und Recycling nach sich zieht. Darüber hinaus ist eine exorbitante Menge von Spielzeug zu beklagen, in dem sich schädliche und perverse Symbole der gegenwärtigen Gesellschaft repräsentiert finden. Mit diesem Spielzeug wird das Gift aller Übel in unschuldige Seelen injiziert: Gewalt, Mord, Pornografie etc. Der Staat steht hier in der Pflicht, aber auch die Eltern, strenge Vorschriften zu erlassen, die die überaus verletzlichen und manipulierbaren Kinder vor den Begehrlichkeiten schützen, die ihre Integrität beeinträchtigen könnten. Es geht hier nicht darum, diese Frage aus einem moralischen oder manichäischen Gesichtspunkt zu erörtern, sondern auf objektive Tatsachen objektive Antworten zu geben, die von den Erwachsenen, die für die Zukunft der ihnen anvertrauten Generation verantwortlich sind, erbracht werden müssen. Zu fragen: »Welche Erde hinterlassen wir unseren Kindern?«, reicht nicht aus; man muss auch die Frage stellen: »Welche Kinder hinterlassen wir dem Planeten?«

Die Situation unserer Alten

In der Aufzählung der wichtigsten Aspekte der Situation des Menschen in der Moderne, darf die Herz und Verstand beschämende Lage der Alten nicht unerwähnt bleiben. Das Altern ist ein Prozess, dem nichts und niemand entrinnen kann; deshalb wurden Regeln erfunden, die das Leben organisieren: Die Jugend ist nur eine Interimsphase der Karussellfahrt unseres Lebens. Die Organisation der Gesellschaft ist auf dem Homo oeconomicus aufgebaut, der als produktive und konsumierende Größe betrachtet wird, den beiden Antriebswellen der Pseudo-Ökonomie. Altern heißt für diese Spezies nicht, zu reifen, Früchte zu tragen und sie weiterzugeben, bevor man erlischt, sondern zu verfallen, bevor man verschwindet. Es ist also kaum verwunderlich, dass unter solchen Bedingungen die Angst vor dem Älterwerden so sehr verbreitet ist. Die urbanen Zentren mit ihrer zunehmenden Unmenschlichkeit sind für die seit Jahrhunderten in den Großfamilien gebräuchliche wechselseitige Unterstützung der Generationen nicht mehr geschaffen. Die heutige durch Sozialleistungen wie der Rente, der Sozialversicherung und andere Zuteilungen rationalisierte Solidarität gelangt an ihre Grenzen. Diese Transferleistungen sind bekanntlich an die Generierung von Kapital gekoppelt. Sie werden gezwungenermaßen erlöschen, sobald diese Vermögen schrumpfen oder ganz verschwinden, was im Bereich des M...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Vorwort
  4. Die Saat der Rebellion
  5. Der Gesang des Schmieds
  6. Das Ende der jahrhundertealten Welt
  7. Der Amboss schweigt
  8. Die Enttäuschung
  9. Der Niedergang der bäuerlichen Welt
  10. Dramen des Exils
  11. Entfremdung von der ländlichen Welt
  12. Die Moderne, ein Betrug?
  13. Fortschritt zwischen Mythos und Realität
  14. Der Profitgier unterworfen
  15. Erschütterte Bezugspunkte
  16. Genügsamkeit, eine Weisheit aus alter Zeit
  17. Ein Dorf in Afrika
  18. Im Jahre 1985
  19. Nichts geht verloren, nichts wird geschaffen, alles verwandelt sich
  20. Das Band zur Heiligkeit des Lebens
  21. Auf dem Weg zu einer glücklichen Genügsamkeit
  22. Armut als Wert des Wohlergehens
  23. Freiwillige Selbstbegrenzung
  24. Ein humaner Wandel
  25. Für eine konstruktive Empörung
  26. Anhang
  27. Glückliche Träume zur Aussaat für die Jahrhunderte
  28. Internationale Charta für die Erde und den Humanismus
  29. Ausstrahlungen und Zukunftsperspektiven
  30. Anmerkungen
  31. INHALTSVERZEICHNIS
  32. Impressum