Mehr Kritik, bitte!
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Mehr Kritik, bitte!

Aber welche?

  1. 19 Seiten
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"Dem Phänomen der Kritik auf die Spur zu kommen setzt also tatsächlich voraus, genauer über die moderne Gesellschaft nachzudenken." Armin Nassehi über das Phänomen "Kritik", die letztendlich nur ausgeübt werden kann, wenn sie einen verantwortlichen, zurechnungsfähigen Akteur findet.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783867744966
Auflage
1
Armin Nassehi
Mehr Kritik, bitte!
Aber welche?
Es gibt nichts, was nicht anders sein könnte, als es ist – zumindest nichts, was einen Informationswert hat, also einen Unterschied macht. Und dass etwas anders sein könnte, bildet stets den Horizont von Kommunikationsofferten, die man als kritisch wahrnimmt oder denen eine kritische Attitüde unterstellt werden kann. Kritik ist nur dann Kritik, wenn etwas auch anders sein könnte, besser: als es tatsächlich ist. Man wird also niemanden dafür kritisieren können, dass er stets atmen muss, weil das letztlich nur in Ausnahmefällen vermeidbar ist und ansonsten vegetativ von nicht beeinflussbaren Kräften gesteuert wird. Nicht so laut zu atmen freilich wäre durchaus ein angemessener Gegenstand für kritische Kommunikation. Das Wetter per se ist auch kein Gegenstand von Kritik, weil man es niemandem zurechnen kann, aber den Entscheider, der dafür gesorgt hat, dass man sich draußen aufhält, oder der das falsche Urlaubsziel ausgewählt hat, kann man durchaus kritisieren. Spätestens wenn man das Wetter so beeinflussen kann, dass es auch anders sein könnte, würden wir schlechtes Wetter (die Frage wäre dann: Schlecht für wen – für Urlauber, für Bauern und Landwirtschaft oder für eine Sportveranstaltung?) kritisieren können. Jetzt können wir es nur zur Kenntnis nehmen. Kritik hat also stets mit einer Welt zu tun, die auch anders sein könnte und für deren So-Sein es eine Adresse gibt.
Glaubt man an einen Schöpfergott, ist sogar das So-Sein der Welt ein angemessener Gegenstand für Kritik, selbst wenn man die eigene Fähigkeit, sich eine andere Welt vorstellen zu können, jenem Schöpfer der Welt verdankt, der ja auch der Schöpfer des Kritikers und seiner Freiheit sein muss, wenn er wirklich der Schöpfer der Welt ist. Ich erwähne dieses merkwürdige Beispiel nur deshalb, weil wir ja durchaus gewöhnt sind, auch solche Dinge zu kritisieren, deren Geschöpfe wir selbst sind – auch wenn wir dafür keinen creator mundi in Anspruch nehmen.
Kritik und Natur
Dass solcherart Kritikkonstellation womöglich biotechnisch denkbar werden könnte, verändert dann auch die Perspektive der Kritik, sobald der Schöpfergott, den wir uns ja als ansprechbare Person vorstellen, durch Natur abgelöst wird. Das Konzept der menschlichen Natur funktioniert folgendermaßen: Es setzt eine Grenze gegen grenzenloses Nachfragen und macht wenigstens einen Teil des menschlichen Lebens unzurechnungsfähig und damit unzugänglich für Kritik. Das scheint nötig zu sein in einer Welt, in der alles als gestaltbar, veränderbar und verbesserbar gilt, in der das fortschreitende Ablösen des Alten durch das Neue bis in die Epochenbezeichnung der Moderne selbst hineinwirkt und in der alles, was geschieht, auf Entscheidungen zugerechnet werden muss. An die menschliche Natur lässt sich dann delegieren und zurechnen, was weiterer Erklärung und Gestaltung nicht zugänglich ist – die Palette reicht von der Bewältigung von Leid und Tod über Liebe und Hass bis zur genauen Beschreibung der Endlichkeit, Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit menschlicher Fähigkeiten. Und dies gilt sowohl für die Natur der menschlichen Gattung als auch für diejenige jedes einzelnen Exemplars, dessen Würde auch deshalb gesetzlich geschützt werden muss, weil diese auch aufgrund unserer Unvollkommenheit stets in Gefahr ist.
Ähnlich wie in der Religionsentwicklung gerade mit der Personalisierung einer monotheistischen Adresse das Theodizeeproblem entsteht, wird spätestens mit dem Kontingentwerden der Natur auch die Natur zur Adresse der Kritik. So hat etwa Herbert Marcuse die philosophische und theologische Tradition kritisiert, dem Tod eine geradezu mystische Bedeutung zu geben und ihn hinzunehmen, statt ihn als bloß natürliche Grenze der Naturbeherrschung zu unterwerfen und wenn nicht prinzipiell, so doch im Hinblick auf seine natürliche Bedeutung hin zu kritisieren. Es sollte dann künftigen Generationen vorbehalten bleiben, in der Anerkennung als natürlicher Grenze zugleich diese Grenze selbst zum Gegenstand der Kritik zu machen.1 Hier wird die Kritik dann auf die Naturgrenzen ausgeweitet. Noch weiter gehen die Konsequenzen zukünftiger technischer Möglichkeiten der Humangenetik oder des human enhancement mit technischen und biochemischen Mitteln.
Wäre eine bio-industrielle Nutzung des Humangenoms denkbar – und es spricht empirisch wenig dagegen, dass solche Nutzungen alsbald bevorstehen –, kann man sich nicht mehr auf die Unverfügbarkeit der menschlichen Natur berufen, weil diese Unverfügbarkeit selbst aufgehoben worden sein wird – und das muss Konsequenzen für jene Zurechnungsroutinen haben, für die der Körper bis dato zur Verfügung steht – was übrigens eine doppelte Konsequenz für Kritikkonstellationen zeitigt. Einerseits wird mit ihrer Verfügbarmachung die menschliche Natur selbst kritisierbar, andererseits wird auch der Verzicht darauf potenzieller Gegenstand von Kritik.
Bereits die einfache moralische Aufforderung, die Bioinformation des Humangenoms nicht zu nutzen, um der Unsichtbarkeit der menschlichen Natur zu ihrem Recht zu verhelfen, enthält eine unaufhebbare Paradoxie: Sie appelliert an die Bedeutung der Unverfügbarkeit des menschlichen (individuellen) Genoms und erkennt zugleich ihre mögliche Verfügbarkeit an, wozu sonst überhaupt ein solcher Appell? Was vormals allein aufgrund seiner Unsichtbarkeit wirkte, wird damit endgültig destruiert, weil es seiner Unsichtbarkeit entkleidet ist. Eine der Konsequenzen besteht bereits darin, dass damit auch die Entscheidung gegen das Klonen eine Entscheidung ist, also zugerechnet werden kann und somit die Autonomie auch des nicht geklonten Menschen nachhaltig zerstören könnte. Warum sollte ein mit natürlichem Genom ausgestatteter Mensch seinen Eltern nicht vorwerfen, sich auf jenen biologischen Zufall verlassen zu haben, der zu jener individuellen Person geführt hat, die sich da beklagt?
Es wird uns jetzt erst deutlich, welche Funktion die Unverfügbarkeit über die Grundlagen unserer Existenz hatte, wie wichtig es war, die Bedingung unserer eigenen Möglichkeit nicht selbst bestimmen zu können. Andernfalls ließe sich Scheitern, Unglück, Unrecht und so weiter nicht aushalten. Die Beleuchtung des dunklen, unsagbaren Abgrundes unserer Existenz, schlicht die Tatsache, dass wir nicht dabei sind, wenn unsere je individuelle genetische Disposition entsteht, scheint so etwas wie die Bedingung für menschliches Selbstbewusstsein zu sein. Denn was sich als Leiden in der und an der Welt nicht mehr an einen gnädigen oder strafenden Gott delegieren ließ, erlaubte wenigstens die Natur, die dem Leiden wenn schon keinen Sinn, dann doch einen Raum gab. Mit der Auflösung jener einfachen Unterscheidung von Natur und Kultur freilich wird selbst die Theodizee Gegenstand menschlicher Entscheidungen – und damit kehrt all das, was das westliche Denken so erfolgreich in (göttliche) Reiche der Allmächtigkeit oder (natürliche) Reiche der Notwendigkeit auslagern konnte, zurück.2
Die Möglichkeit der Kritik
Warum beginne ich mit solchen Beispielen? Mir geht es hier um die prinzipielle Frage nach der Möglichkeit von Kritik. Eine Möglichkeitsbedingung jedenfalls ist die Veränderbarkeit des Kritisierten. Kritisierbarkeit hat stets mit Kontingenz zu tun und vor allem mit Zurechenbarkeit. Kritik wirkt dann, wenn sie nicht nur gute Gründe benennen kann, sondern auch über falsche Gründe und ihre Wirkungen aufklären kann. Kritik opponiert gegen Eineindeutigkeit und gegen die Vorstellung einer Welt totaler Notwendigkeit. Die vielleicht vornehmste Aufgabe der Kritik scheint darin zu bestehen, vormals unverrückbare und quasinatürliche Verhältnisse so darzustellen, dass sie einerseits anders hätten kommen können, andererseits auch anders kommen können, als es die Sachverwalter ewiger Wahrheiten, traditioneller Selbstverständlichkeiten und unüberwindbarer Sachzwänge behaupten. Dabei hat Kritik insofern mehr Chancen auf Sympathie, weil schon ihre Performanz den Vorteil hat, Beobachter mit anderen Unterscheidungen zu versorgen. Schon dass man die Dinge anders s...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Verlag
  3. Benutzerhinweise
  4. Armin Nassehi
  5. Über den Autor
  6. Impressum