Die Zweite – Schleusen-Crashkurs (2001)
Wer mehr Action will, muss mit dem Hausboot in die Berge fahren, z.B. die Vogesen-Scheitelstrecke im französischen Elsass. Hier fließt das Wasser manchmal auch den Berg hinauf.
Die Locaboat-Basis für unsere zweite Hausbootreise im Mai 2001 lag in Lutzelbourg, etwa 15 Kilometer östlich von Saarburg am Rhein-Marne-Kanal. Es war die eben beschriebene Reise zu dritt mit dem Väterchen und der handlichen Pénichette 935 R. Das Boot hieß DETTWILLER nach einem Ort in der Nähe. Ganz so blutige Greenhorns waren Justus und ich jetzt nicht mehr, aber nach der Gemütlichkeit auf Hollands Seen und Grachten und offen stehenden Schleusen rechneten wir hier mit neuen Herausforderungen.
Eine Kanalreise durch Berg und Tal – unser Revierführer versprach uns die abenteuerlichsten Konstruktionen zur Überwindung der Schwerkraft. Es gab keine offenen Seen in diesem Revier, also konnten wir in dieser Woche nur auf den Kanälen „auf und ab“ fahren. Aber das war weitaus spannender, als es sich zuerst anhört.
Unsere Route ging zunächst über den Rhein-Marne-Kanal von Lutzelbourg in Ost-West-Richtung bis Einville-au-Jard kurz vor Nancy. Auf dieser Strecke überwindet der Kanal eine Wasserscheide.
Danach die halbe Strecke wieder zurück bis zum Kanal-Dreieck, an dem der Saar-Kohle-Kanal nach Norden abbiegt. Auf diesem abwärts bis Mittersheim und wieder hoch zum Kanal-Dreieck, eingebogen auf den Rhein-Marne-Kanal und zur Basis zurück. Genug der Vorrede, unsere Schleusen-Erfahrungsreise startete an dieser Stelle.
Mit der Einweisung hatten wir Glück, hier wurde nicht lange gefackelt. Der Locaboat-Mann warf nur einen kurzen Blick auf unseren Bootsführerschein und strich kurzerhand die Probefahrt vom Programm. „Schon mal Hausboot gefahren? Okay, dann nur noch die Checkliste abhaken und die Schrammen ins Formular eintragen.“
WOW – das war fix! Kein Briefing wegen der vielen Schleusen und sonstigen Hebekonstruktionen?
„Pah, steht doch alles im Revierführer.“
Damit meinte er wohl das „Lernen durch Anwenden“. Gut, dann konnte ja gar nichts schief gehen. Kaum zwei Stunden später warfen wir unsere Leinen los und juckelten auf dem Rhein-Marne-Kanal in Richtung Arzviller davon. Aber schon nach den ersten paar hundert Metern war Schluss mit gemütlich – wir fuhren in eine Schleusenkette hinein.
Was zum Kuckuck ist eine Schleusenkette? Kann sich so was um die Schraube wickeln? – Aber nein! Der angepriesene Revierführer gibt’s her: „Eine Schleusenkette ist eine Reihe von Schleusen, die als Einheit geschaltet sind. Bei Ausfahrt aus einer Schleuse wird Ihr Boot registriert und die nächste automatisch vorbereitet.“ Schleusenwärter vor Ort? – Fehlanzeige. Und wenn man irgendwo mittendrin einsteigen wollte, wie in unserem Fall an der Nr. 20 der Schleusenkette von 18-31, dann musste man eine Leitstelle anrufen und sich anmelden. Zu diesem Zweck stand vor jeder Schleuse eine Gegensprechanlage am Ufer. Also: anlegen, festmachen, den Ersten Offizier auf Landmission schicken. Das Anlegen war Käpt’n Justus‘ Job, mein Teil die Landmission. Das Menü der Gegensprechanlage war nicht das Problem, aber – kaum den Hebel gedrückt – fließend Französisch! O mon dieu – der französischen Sprache nicht mächtig stand ich da wie der Ochs vorm Berg. Zum Glück „wurde ich geholfen“, und zwar von der Crew eines Mit-Schleusers, die das Gewusst-wie bereits draufhatte. Eine Kleinigkeit hatte ich nämlich auf dem Paneel übersehen und das war der Schalter für die Sprache. Danach öffneten sich bei unserer Annäherung die Schleusentore wie von Geisterhand, wohl bedient von den Leuten in der Leitstelle, die alle Schiffe auf dem Monitor hatten. Live Schleusen-Kino vom Feinsten …!?
Erste Schleusenerfahrung aufwärts
Drei Schleusen vom Typ Schleusenkette mit Leitstelle. Sie alle hatten einen Hub von gut zweieinhalb Metern. Weil wir außer der großen Schleuse von Gouda in Holland noch keine Erfahrung hatten, hielten wir uns am ersten Reisetag (noch) an die empfohlene Schleusentaktik:
Ein Crewman sollte vor der Schleuse am Ufer abgesetzt werden. Ich – wer sonst? – lief zur Schleuse und wartete auf der Mauer, bis Justus hineingesteuert war. Dann warfen er und das Väterchen die Bug- und Heckleine zu mir hoch, ich legte sie um die Poller und warf sie wieder ins Boot zurück. Blauen Hebel ziehen – der Schleusenvorgang begann.
Danach wartete ich gemütlich, bis das Wasser unser Boot hochgetragen hatte. Am Ende brauchte ich nur mit einem lässigen Schritt überzusteigen. Diese Taktik gefiel uns. Alles ganz easy, denn unsere dreiköpfige Crew war die optimale Besetzung. Mit dem Ende unseres ersten Tages hatten wir auch das Ende der Schleusenkette erreicht und wir fühlten uns auch schon ein kleines bisschen fortgeschritten.
Am nächsten Morgen glich unsere DETTWILLER einer Tropfsteinhöhle. Es hatte die ganze Nacht geregnet, jetzt war alles grau und Nebelschwaden hingen vor den Bergen. Das Väterchen knatschte: „Ich fahr‘ jetzt nach Hause!“ Aber wir kannten ihn gut genug um zu wissen, dass er das nicht ernst meinte. Beim Kaffeekochen beschlugen die Fenster, ach herrje. Beim nächsten Mal also unbedingt einen Flitscher mitnehmen!
Den ganzen Tag lang kam uns keine einzige Schleuse in den Weg!
Was war los, hatte einer die Berge abgetragen und die Täler aufgefüllt? Keineswegs. Denn kurz nach dem Ablegen kletterte unsere DETTWILLER mal eben fix 44 Meter nach oben, danach fuhr sie durch einen Berg, überquerte eine Landstraße und legte sich am Abend unter einen See. Hier folgt des Rätsels Lösung:
Das Schiffshebewerk von Arzviller ersetzt eine alte Schleusentreppe von 17 Schleusen. Wir fuhren mit der DETTWILLER in einen Trog und machten fest. Hinter uns schloss sich ein Tor, danach schwebte der Trog über die Rampe nach oben. Wie angekündigt: In diesem Revier fließt das Wasser auch den Berg hinauf. So brauchten wir für 44 Meter Höhenunterschied nicht mehr als 20 Minuten. Zum Glück kam in dieser Zeit die Sonne hervor und vertrieb das Grau.
Das nächste Abenteuer war der Kanaltunnel von Arzwiller mit einer Länge von 2.306 Metern. Seine Öffnung, die uns aus dem Berg entgegengähnte, hatte große Ähnlichkeit mit jener „Knick-Unterführung“ in Utrecht. Der Tunnel ist so eng, dass er jeweils nur in einer Richtung befahren werden kann, eine Ampel regelt den Verkehr. Als wir hineinfuhren, verschluckte uns pechschwarze Nacht. Die Beleuchtung war ausgefallen und das eigene Fahrlicht musste zur Orientierung reichen. Das Halbrund des Tunnels spiegelte sich im Wasser und es kam uns vor, als schwebten wir durch die Mitte einer Röhre. Mit diesem Tunnel durch den höchsten Berg der Vogesen überwand unser Kanal die Wasserscheide.
Der Kanaltunnel von Arzviller – 2.306 Meter lang
Der Tunnel von Niderviller folgte, aber er war mit nur 475 Metern viel kürzer und hatte sogar Licht.
Von hier an fällt das Gelände sanft ab, während der Kanal auf gleicher Höhe bleibt und auf einem Damm durch die Landschaft geführt wird. Und die Landstraße? Kurz vor dem Ort mit dem unaussprechlichen Namen Xouaxange gibt es eine Kanalbrücke, die Autos fuhren unter uns durch den Damm. Ob die Leute von der Straße wohl mit dem gleichen Staunen zu uns hochgeguckt haben wie wir zu ihnen hinunter?
Kurz dahinter geht der Kanal in eine enge Kurve mit „Begegnungsverbot“. Das hieß anlegen, Kundschafter – ich, wer sonst? – mit Fahrrad von Bord. Hinter der Kurve alles frei, schnell zum Schiff zurück und die Leinen ins Schiff werfen. Die DETTWILLER fuhr durch die enge Kurve und ich radelte nebenher.
Abends erreichten wir ein paar kleine Seen zu beiden Seiten des Kanals. Wir freuten uns auf einen Liegeplatz mit schöner Aussicht, vorher vielleicht noch eine abendliche Runde über den See, ähnlich wie auf den Loosdrechter Plaasen. Aber diese Seen liegen auf höherem Niveau als unser Kanal und wir mussten einen Deich hochklettern, um einen Blick auf die hübsche Seenlandschaft zu werfen. Wenn wir aber an diesem Tag die Schleusen vermisst hatten, sollte uns der nächste Tag entschädigen!
Erste Schleusenerfahrung abwärts
Siebzehn Schleusen vom Typ Schleusenkette mit Selbstbedienung. Immer noch auf dem Rhein-Marne-Kanal drückte man uns am Anfang bei der Schleuse von Réchicourt ein Gerät in die Finger, mit dem wir alle weiteren Schleusen selbst ansteuern mussten. Ob es trotzdem für den Notfall auch eine Leitstelle mit „Schleusen-Kino“ gab, wussten wir nicht. Als Anfänger sowohl beim Abwärtsschleusen als auch mit Selbstbedienung hielten wir uns in diesem Fall auch (noch) an die empfohlene Schleusentaktik:
Wie bei unserer ersten Schleusenkette stand etwa 100 Meter vor der Schleuse anstelle der Gegensprechanlage für die Leitstelle eine Steuertafel am Ufer. Die mussten wir mit der Fernsteuerung anfunken. Bequem, kein Anlegen und kein Aussteigen. Auf grünes Licht warten, einfahren, Leinen um die Poller. Blauen Hebel ziehen, bei Gefahr den roten. Das Wasser fällt, Leinen nachführen. Nur nicht ausfahren, bevor die Tore ganz offen sind Wir hörten von einem Freizeitkapitän, der mit dem Schiff ein bisschen nachhelfen wollte!
Die Schleuse von Réchicourt ist ein Hammer, obwohl das bei der Einfahrt am oberen Tor noch gar nicht zu sehen war. Der erste sichtbare Unterschied: die Schleuse hat Schwimmpoller. Aber dann, kaum die Leinen herumgelegt und den blauen Hebel gezogen, sausten wir 16 Meter in die Tiefe!
„Bekommen Sie keine Panik vor den mauerhohen Toren der Schleuse von Réchicourt!“, flötete unser Gewässerführer, und weiter; „sie ersetzt eine Kette von sieben alten Schleusen“.
Die Schwimmpoller waren wirklich hilfreich, denn da gab es keinen Stress mit dem Umgreifen. Sich mit dem Schiff in so einer Schleuse aufzuhängen ist bestimmt nicht lustig.
Alle weiteren Schleusen dieser Kette hatten durchweg einen Hub zwischen zweieinhalb und drei Metern. Und was für ein Tempo! Das Wasser schoss regelrecht aus den Schleusen heraus und wir hatten beim Nachführen der Leinen alle Hände voll zu tun, das Boot ruhig zu halten....