Fehlende Teile
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Fehlende Teile

  1. 112 Seiten
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Fehlende Teile

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Ihr Name ist Lila, ihr schwarzlockiges Haar Hexenhaar, von Beruf ist sie vielleicht Schauspielerin. Sie liebt einen Blinden. Der allerdings nicht blind ist und gezielt beiläufig verstreute Briefe an Lila mit dänischen Marken findet. Doch wenn Lila erzählt, beschreibt sie die Dinge, wie sie sind. Weder tote Fische an Seeufern noch Kugelblitze oder in die Tiefe stürzende Fahrstühle sind Ausgeburten ihrer Phantasie. Nur die Liebe, soll sie nicht im Leerlauf enden, verlangt nach einer fesselnden Erzählregie. "Fehlende Teile" handelt von der Inszenierung einer Liebe, von der Absage an das Prinzip, alles zu sagen und alles zu verstehen, und auch von der Einsamkeit, die entsteht, wenn wichtige Teile nicht mehr erzählbar sind.

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Information

Verlag
BEBUG
Jahr
2013
ISBN
9783867895651
Lilalein. Kleine Lila. Das hat er gesagt. Meine Lila hat er natürlich nicht gesagt und auch nicht sagen können.
Ich hätte mit ihm nicht leben müssen, hätte ich nicht gewollt.
Meistens hat er Lila gesagt wie zu einem erwachsenen Menschen, dabei bin ich ein Kind gewesen, das ist so ein Spiel, wir tun, als ob ich erwachsen wäre, wenn Gäste da sind und manchmal auch zwischen uns selbst; dann sind wir höflich und witzig, gescheit hin und wieder, geradezu ziemlich gescheit, und als ob ich erwachsen wäre, aber doch auch vor Leuten ist es gelegentlich vorgekommen, nachsichtig: Lilalein, herablassend nicht und niemals jovial, schließlich hat er mich ja geliebt, meine offenen schwarzen Haare besonders und mich allgemein; ich habe es auch geliebt, wenn er mich auf die Haare geküßt hat, mir die Haare gestreichelt und mich allgemein, ich habe ihm auf den Knien gesessen, schmal und zärtlich und ziemlich klein, und er hat nicht ständig getan, als ob ich erwachsen wäre, jedenfalls hat er nicht so getan, als ob ich ständig erwachsen wäre, keiner von diesen Tölpeln, kein Hingerissener, Unterwürfiger, die einem bloß vor die Füße fallen und vor den Füßen liegen, wenn sie nicht gleich mit der Angst zu tun kriegen, das Erwachsensein ist mir entsetzlich gewesen, dann bin ich nach Hause gekommen, zu Hause wartet geduldig sein Leben lang dieser Mann, der das alles nicht sieht, der nur weiß, seine Frau kommt aus Bremen, oder kommt sie aus Recklinghausen, und dann habe ich ihm auf den Knien gesessen, drollig und anschmiegsam schmal, so ein Kobold mit offenem Haar, kleine Lila, eben nach Hause gekommen. Hier hat es also ein Wetter gegeben, während ich weg war? Ja sicher, in Bremen hat es auch ein Wetter gegeben, Grüße hat es für zu Hause gegeben und ein Wetter wohl auch, vermutlich, in Bremen oder in Recklinghausen, irgendein Wetter mit Regen oder mit keinem Regen, so ähnlich wie hier oder doch ganz anders, Grüße auch jedenfalls, vom Taxi ist alles Wetter im Grunde wie gar kein Wetter, ja, eine Menge Leute, so etwa wird es gewesen sein; wenn die Sonne geschienen hätte, hätte ich es bemerkt, vielleicht einmal womöglich hat es genieselt, ja leider, ich hatte die dünnen Schuhchen an, aber Taxi bin ich gefahren, und jetzt endlich jedenfalls bin ich zuhaus.
Komm laß uns zu Hause bleiben, ich will heute nicht mehr raus.
Aber Lilalein – ,
Lilalein statt Macbeth.
Kein Aber. Komm wir bleiben heut abend zuhaus nach dem ganzen Theater, aber sicher bin ich ganz sicher, ich sage die Sache ab, den Termin, die Kultur, überhaupt sage ich einfach die ganze Kultur einmal ab und schwänze die Leute, wenn du wüßtest, wie mir die ganze Kultur allmählich zum Hals raushängt langsam, ich hin vollkommen überanstrengt davon, ein liebliches Lilapaket voller Müdigkeit, voller Überdruß, sitze ich ihm auf den Knien, mir liegt gar nichts daran, jetzt nur einen Schritt aus dem Haus mehr zu gehen, sowieso ist mir alle Geselligkeit die reinste Last, der Beruf, die Verstellung, die Leute, das halbe Leben im Zug und im Flugzeug, Hotelzimmer ganz besonders sind mir gewaltig verhaßt, abendelang könnte ich dir erzählen, wie furchtbar verhaßt mir Hotelzimmer sind und das dauernde Reden und Reden, sich selber spielen als jemand ganz anders, und am Ende noch falsches Klatschen, das besonders ist lästig. Genug jetzt, ich will heute nicht mehr raus aus dem Haus, ich sage die Sache ab. Übrigens sehe ich grauenvoll aus. So wie ich aussehe, kann ich in keinem Fall unter Leute, wenn du wüßtest, wie gräßlich ich aussehe, wie eine Hexe sehe ich aus.
Blinde sind so sanft. Kein Wort, daß er nichts davon glaubt, was ich sage. Sanft hat er mir übers unmöglich schwarz aufgelöste Hexenhaar hingestrichen, leicht auf den Hals gepustet, in die Halsbeuge, Schulterhöhle, und dann hat er sanft gesagt, was er doch nicht hat wissen können, daß ich gar nicht und keineswegs furchtbar und hexenhaft aussehen könne, und mein Haar sei gerade richtig, wie er die plustrige Aufgelöstheit geliebt hat an mir und an meinem Haar, schwarzwolkig, wolkig, mit den Händen hat er das einfach gewußt und geliebt, und dann war es ganz genau richtig. Ich habe sofort protestiert, daß ich unbedingt dabei bliebe, wie gräßlich ich aussehe, so gräßlich und ohne Gesicht und todmüde, total überanstrengt, es bleibt dabei. Wir bleiben heute daheim. Ich sage die Sache ab, die mich doch bloß langweilen würde, Leute überhaupt sind so langweilig, Männer besonders, findest du nicht, Männer mit ihren Blicken; und Aussehen ist sowieso eine Last. Ich kann heute nicht mehr aussehen, ich kann heute nicht mehr denken, und beides zugleich ist eigentlich gar nicht zu schaffen. Tatsächlich habe ich praktisch im Augenblick gerade vergessen, warum ich zufällig einen Beruf habe, ist mir gerade entfallen, eine Sehnsucht nach Ruhe habe ich ausschließlich, ein Heimweh gehabt, Stille, Alleinsein und Einsamkeit; und dem eigenen Mann – Lilalein – auf den Knien sitzen, und der eigene Mann spielt geduldig, geradezu endlos geduldig, wo nimmt der Mann die Geduld nur her, weil mein Haar so schwarzwolkig duftet, weil ich müde bin nach der Fahrt.
Was er hätte sagen können:
Lila, was redest du für ein Zeug, weil er annehmen muß, daß das alles nicht stimmt, was sie sagt, insbesondere, stellt er sich vor, stimmt es nicht, daß Lila die Mischung aus Leuten und Hotels nicht vertragen kann, im Gegenteil, denkt er, daß sie der Mischung aus Leuten und Hotels unweigerlich ausgeliefert ist und erliegt, ihre Gier könnte er folglich erwähnen, eine beunruhigende Eigenschaft ist eine Gier nach was nur, und der Mann hat so seinen Verdacht, was die Gier angeht und wonach die Gier giert, überhaupt hat der Mann Verdächte, daß Lila zwar schwerlich erwachsen sein dürfte, jedoch auf eine Weise, die er nicht sieht, wenn er hier ist, und Lila ist unterwegs; daß Lila nicht genug haben könnte womöglich vom Leben, das sind Verdächte, die hat er, der Mann, aber das muß so sein, das alles könnte er sagen, aber er sagt es nicht; bedächtig hütet er seinen Verdacht, meine Freiheit und unsere Liebe und weiß statt dessen, daß das ganze Theater mir leid ist, zutiefst verleidet, daß es mich aufzehrt, verschlingt und zerstört, das Publikum, meine Arbeit, die eigene Tüchtigkeit, der Beruf, er weiß, daß ich noch so tüchtig sein kann in der Welt und erwachsen und bleibe erst recht schmal grazil so ein Kind, so ein Lilaleinpäckchen; die Knie bis zum Kinn hochgezogen, hat er mich auf dem Schoß, daß der Nacken jetzt frei ist, weil man die Anstrengung immer am Nacken spürt, der Nacken ist ganz verspannt, mein Nacken mitsamt seiner Nackenverspannung will jetzt sofort auf der Stelle gestreichelt werden, daß all das Verspannte sich löst und der Nacken ganz weich wird, so ein sanftes Weichstreicheln mit stillschweigend Diskretion tut auf der Stelle not und gut, ein einziges Guttun ist dieser Mann, während der Rest dieser Welt nur aus Schöntun und Böswollen besteht allenfalls, das Schöntun und Böswollen habe ich satt, übersatt, ich klage und lamentiere noch etwas über die Schöntuer und Böswoller in dieser Welt und in Bremen und über die Nackenverspannung infolge fortgesetzten Schöntuns und Böswollens, während das Streicheln mir gut tut und gut tun will und immer besser, ganz weich wird mein Nacken gestreichelt, daß die böse Verspannung und alles Klagen und Lamentieren jetzt aufhören und verschwinden, zu den Schultern hin zieht sie schmerzhaft, die Nackenverspannung, die sich jetzt langsam löst mit dem Klagen und mit dem Lamento und weich wird, kleine Lila, und Lila, den Kopf mit dem schwarzwolkig duftenden Hexenhaar vor und hinab und ganz tief nach vorn gebeugt, die Augen jetzt auf den Knien, geschlossen, wie leicht sie ist, fängt weich an zu murmeln, zu schnurren und Kindertöne zu machen, anmutig melodiös sich zu räkeln, so ein Spiel ist das Guttun gewesen.
Und ganz nebenbei ist jedesmal wieder die Wohnung von Zauberhand aufgeräumt und geputzt worden, während ich weg war, was sie vor meiner Reise, wenn ich mich recht erinnere, nicht war, nach meiner Erinnerung hat hier das reinste Chaos geherrscht, so ein Durcheinander mit Staub und Fett, mit ungewaschener Schmutzwäsche und Geschirr; vermutlich ist Lila nicht in der Lage, die Waschmaschine ordnungsgemäß zu bedienen, das soll es geben, oder tut sie nur so, aber wunderbarerweise sind, als ich weg war, die Heinzelmännchen gekommen und haben klaglos die Katastrophe beseitigt, die ich auf Schritt und Tritt anrichte in der Wohnung und sich so ausbreiten lasse in meiner schrecklichen Schlampigkeit, daß ein Mann alle Hände voll Arbeit hat, um seine schlimmen Verdächte zu hegen und niederzukämpfen mit der gleichwohl lustigen Vorstellung, ein Anderer, so ein Jemand, ein ungewisser Jemand im übrigen, den er vage in Lilas Hotelzimmer wähnt und befürchtet, wenngleich er das nicht mit Sicherheit weiß, so ein Jemand also wäre an seiner Stelle der schicksalhaft schrecklichen Schlampigkeit einer Frau ausgesetzt, die vor der Tatsache, daß Fenster nicht von allein sauber bleiben, fassungslos kapitulieren müßte, wäre da nicht ein Mann, der das, ohne es je zu erwähnen, fernhält von Lila, so ein Kind bin ich dann gewesen; mir fehlt jedes Talent für den Haushalt, für Ordnung etwa, für Tassen und Gläser mit Resten darin, Aschenbecher sind zum Benutzen da, Schmutz macht mich ratlos und hilflos und wehrlos und unabgewaschnes Geschirr, dafür habe ich einen Liebreiz, der mir steht und bezaubernd ist und mich reizvoll macht, der allerdings keinen Tabakgeruch vertreibt, wenn er kalt in der Wohnung steht, und von dem mir, Liebreiz hin, Liebreiz her, ehrlich gesagt, selber übel wird, der Anblick von eingetrocknetem Kaffee, die süßlich klebrigen Weinränder auf dem Glastisch, und wie sie riechen, das ist schlechterdings ekelhaft und verdirbt mir sofort den Tag und die Heimkehr, ich bin überfordert, verstört, erledigt durch jegliche Unordnung, die ich sorgsam anrichte, durch Schmutz und das unabgewaschne Geschirr, und dann kann ich unausstehlich sein, meine Lilalaunen bekommen, Lila-Divalaunen, Zusammenbrüche; wie jede Frau von Geist bin ich persönlich gemeint und persönlich verstimmt und beleidigt, wenn mir schmutzige Tassen und Gläser gleich beim Nachhausekommen zu Hause begegnen und sich in den Weg mir stellen, aufdringlich, gar noch hochgetürmt stapelweise oder am Morgen nach einem Fest diese überquellenden Aschenbecher; die Aschenbecher haben sich selbst in die Küche getragen und in den Müll ausgeleert zu haben, ich bin nicht auf der Welt, um täglich vergeblich mit Schmutz zu ringen, Kochwäsche, sechzig und dreißig Grad, ausgezogene Kleider wieder zurück in den Schrank zu hängen; meine Kleider haben Beine zu haben, von selbst in die Reinigung zu spazieren und von der Reinigung wieder zurück in den Schrank, ich kann keinesfalls damit zu schaffen haben.
Dazu bin ich nicht auf der Welt.
Ich glaube auf rührende Art an die Heinzelmännchen, die auch niemals die Blumen hinzustellen vergessen, schöne Blumen sind das, selbst wenn ich drei Tage verspätet nach Hause komme, sind doch ganz frische Blumen da, die Heinzelmännchen scheinen das Telefon abzuhören, oder wie finden sie diese Verspätung heraus, und wie treiben selbst Heinzelmännchen im Februar solchen Flieder nur auf, der nach Tagen Verspätung noch immer wie Flieder aussieht und auch wie Flieder duftet. Natürlich weiß ich nichts von einem Mann, der langsam herumgeht von Laden zu Laden, während ich fort bin, und sämtliche Blumenverkäufer der Stadt schikaniert mit der leisen Bestimmtheit und Blindheit, die ihm eingibt, daß es im Februar Flieder sein muß für Lila, wenn ich nach Hause komme, weil ich beiläufig kürzlich von Flieder gesprochen hätte, so ein Kind, als gäbe es im Februar Flieder. Sehr beiläufig übrigens. Gezielt beiläufig geradezu, weil es gar nicht einfach ist, etwas zu finden, was es im Februar nicht gibt. Es gibt praktisch alles, was es in einer Jahreszeit eigentlich gar nicht gibt, in dieser Jahreszeit doch, also Erdbeeren, Ananas, Spargel; aber Flieder zu finden, der nicht erfroren und jämmerlich ist, dürfte schwierig gewesen sein. Ich weiß nichts davon, wie ein Mann sanft und deutlich die Blumenverkäufer terrorisiert hat mit höflichen blinden Fragen nach Herkunft und Zustand der Dolden, bis er den prächtigsten Flieder herausgefragt hat, der sogar auch noch duftet, wie ihn kaum ein sonniger Mai könnte wachsen und duften lassen, ich sehe keineswegs, wie entnervte Blumenhändler einem störrischen, unbeirrbar höflichen Herrn nach der Prozedur mit dem duftenden Flieder entnervte Blicke hinterherwerfen, nicht ohne Achtung übrigens, es gibt eine Unbeirrbarkeit, die zwingt einem doch Respekt ab, eine Sturheit, die keiner so recht betrügen mag; aber bei allem Respekt – ist Flieder im Februar nicht doch etwas kapriziös? Tatsächlich habe ich den Flieder, und wie sehr ich Flieder liebe, wirklich nur beiläufig erwähnt, ich weiß nur, wie die Heinzelmännchen feine Ohren haben müssen, daß sie herausgehört haben, wie ich Flieder liebe, ich kann mich selbst schon fast nicht mehr erinnern, und bei meiner Heimkehr muß ich vor Staunen kleine Freudenschreie ausstoßen, weil die Heinzelmännchen Staunenswertes mit Flieder geleistet haben, den es im Februar gar nicht gibt, während Lila divers sich hat schöntun und böswollen lassen auf ihrer Reise nach Bremen oder nach Recklinghausen. Die damit verbundenen Blumen sind vermutlich in einem Hotelzimmer mitsamt dem Trinkgeld vergessen, zurückgelassen, verblaßt, oder wie hat man sich das zu denken?
Oder sind sie am Ende gar nicht vergessen? Am besten ist es, Lila bringt diese Blumen mit heim. Wenn sie nämlich die Blumen nicht mit nach Hause bringt, halbvertrocknet, das obligate Triumphgemüse, und immer sind falsche Margeriten dabei, aus denen sich Lila nichts macht, aber wenn sie sie nicht mit nach Hause bringt, was soll denn ein Mann dann denken, und was ist dann mit seinem Verdacht? Soll er denken, sie habe in Bremen, in Recklinghausen, auch noch bei diesem Wetter, das gar kein Wetter gewesen ist, etwa keine Blumen bekommen? Soll er denken, ihm würden Blumen verschwiegen, und wenn man ihm Blumen verschweigt, hängt dann nicht wirklich noch jemand dran, der gleich mitverschwiegen wird, während Schenker von falschen Margeriten, die auch noch halbvertrocknet sind, jedenfalls sicher die falschen Schenker sind und nicht zählen, weshalb die Margeriten-Blumen nach Hause gehören als falsche Zeichen von falschem Ruhm und tiefer Gleichgültigkeit, überflüssig zu sagen, daß so ein Jemand in Gestalt von Schöntuern und Böswollern mehrfach und geradezu regelmäßig vorkommt und nur so Schlange steht mit seinen falschen Margeriten, die ich nicht leiden kann, bis auf den Bahnsteig verfolgen mich seine halbvertrockneten Margeriten lästigerweise, überflüssig zu sagen, daß ungefähr alle Menschen, denen ich außer Hause begegne, solche Jemands sind, die nur darauf warten, mich bis zum Bahnsteig langweilig zu verfolgen und zu traktieren, während Menschen ohne falsche Margeriten weder auf Bahnsteigen noch in Hotelzimmern, auch zwischendrin nirgends vorkommen, da sie nicht solche falschen Jemands, sondern ernstlich verdächtig sind und als Schenker von anderen Blumen in Frage kommen, zum Beispiel: nun – anderen Blumen eben, die dann in Hotelzimmern zurückbleiben müssen. Übrigens darf man sicherheitshalber die falschen Margeriten unter gar keinen Umständen etwa ins Wasser tun, matt und langweilig haben solche Blumen zu sein, und die Köpfe haben sie hängenzulassen, wenn man sie müde und gleichgültig ablegt im Flur mit dem Mantel, dagegen der leuchtende Lilaflieder käme gar nicht so recht zur Geltung und Wirkung ohne den halbvertrockneten Margeritenkontrast, der im Flur vor sich hin dämmert und verblaßt.
***
Diese Frau gibt es nicht. Nicht so. Nicht als Frau, nicht als Mensch, nicht einmal als Figur. Es gibt sie zum Beispiel als Badeanzug. Als Badeanzug liegt sie am Strand im Sand für sich hin, während um sie herum keine Badeanzüge liegen, sondern weitgehend nackte Frauen, die ihre Haut ausstellen, ihre mehr oder weniger einigermaßen vertretbaren Bäuche und Brüste der Sonne und sonstigen Interessierten darbieten am Strand, während ihnen der Mangel an Vertretbarkeit eben dieser Bäuche und Brüste angesichts der Sonne und des stark empfundenen Mangels an sonstigen Interessierten schmerzhaft bewußt ist und anzusehen ist und erst recht schmerzhaft bewußt wird angesichts eines phänomenalen weißen Badeanzugs, eines Lila-Kostüms, das spätestens nächstes Jahr, wahrscheinlich jedoch noch an diesem Nachmittag Mode wird, werden muß: zwar schulterfrei, dieser Gegenstand, ansonsten aber ist alles geschlossen, was an einem Badeanzug nur geschlossen sein kann, gewissermaßen ist dieser Badeanzug der Inbegriff weißer Geschlossenheit, wenn nicht sogar der Verschlossenheit an sich, zu bis zum Handgelenk, kein Bauch, kein Busen zu sehen undsoweiter, verworfene Unschuld, die alle einigermaßen nervös macht, was wiederum Lila nicht wahrnimmt in ihrer Geschlossenheit, in der sich nichts bricht, wohl aber bricht sich das eine und andre an ihr; leibhaftiger Badeanzug, liegt Lila, mit sich und dem Sandstrand rätselhaft eins – das Problem der inneren Zerrissenheit, womöglich ein Männerproblem, existiert nicht für Badeanzüge – liegt Lila also bäuchlings im Sand, anstatt muschelsuchend den Strand auf und ab sich selbst und ihr Fleisch promenieren zu führen; sie tut das nicht etwa, dieses Herumliegen da im Sand, um anderer Leute mehr und mehr und jetzt allmählich vollkommen unvertretbar werdende und gewordene Bäuche und Brüste zu beschämen, das Beschämen ist nur ein Seiteneffekt des weiß geschlossen im Sand für sich liegenden Lila-Skandals, sie tut es auch nicht um der Blicke willen, die die Männer schon seit geraumer Zeit auf sie werfen und abschießen, nervöse Blicke eben, weil solche Verschlossenheit bekanntermaßen bei Männern Instinkte weckt und reizt und herausfordert, dumpfe, atavistische Jagdinstinkte erwachen um Lilas Badeanzug herum und lauern und wollen jagen, anstatt einen naheliegenden nackten Rücken und seine plötzlich zutage getretene Unvertretbarkeit mit Sonnenöl einzuschmieren, je unvertretbarer so ein Rücken sich fühlt, um so heftiger schreit er nach Sonnenöl und nach Eingeschmiertwerden, was einen Badeanzug jedoch durchaus nicht interessiert, der im Sand liegt und eins mit sich ist, eine Hand allenfalls liegt gelassen dem eigenen Mann auf dem Knie, absichtslos, aber als Geste, daß Lila zu diesem Mann nämlich gehört, in seiner bebrillten Fehlproportioniertheit ist jedenfalls das Lilas Mann, ihre Hand auf seinem Knie und die Pfeife in seiner Hand bezeugen es, ohne daß es auf ein Bezeugen ankäme, angelegt wäre mit dieser Geste; was man sieht, ist ein Badeanzug für sich, ein Badeanzug an sich, störe keiner das An- und Für-sich-Sein des herrlichen weißen Badeanzugs im strahlenden Sonnenlichtschein. Den anderen Frauen und ihren vollkommen untragbar gewordenen Bäuchen und Brüsten und sonstigen Körperteilen ist die Sache mindestens heikel. Den jungen Männern ist die Sache auch heikel, den braungebrannten Segelschullehrern, den Surfbrettsurfern und Besitzern einer zumindest vorübergehend unverwüstlichen Jugend, Unbebrilltheit, Wohlproportioniertheit und Muskelkraft, einer einstweilen ungetrübten Potenz, wenngleich immer ...

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  4. Fehlende Teile