»Ja, geht klar, Chef!« sagt Thorsten strahlend. Frank Renneke nickt kurz zufrieden und verlässt das Zimmer seines frisch gebackenen Projektleiters.
›Toll, dass der junge Mann das Verkaufskonzept für unsere neue Produktlinie auch noch schafft. Und sogar bis nächste Woche!‹, denkt er sich beim Hinausgehen.
Thorsten öffnet mit Feuereifer die Datei, die ihm der Chef als Vorlage geschickt hat und überfliegt das 20-seitige Template. Jetzt wird er in seinem Schreibtischstuhl ein bisschen kleiner: Das sieht nach viel Arbeit aus. Ziemlich viel sogar.
Aber er reißt sich zusammen und setzt sich wieder gerade hin. Schließlich hat er bis jetzt auch alles geschafft, was ihm aufgetragen worden ist. Deshalb hat er ja auch endlich die Projektleitung übertragen bekommen.
Dafür erwartet der Chef jetzt, dass er sich noch ein bisschen mehr anstrengt. Es muss ja auch zu schaffen sein, sonst hätte Herr Renneke ihm das Konzept nicht auch noch aufgebrummt – schließlich weiß der Chef ja, was er als Projektleiter sonst noch so um die Ohren hat.
In diesem Moment klingelt das Telefon. Thorsten hebt ab und hört die Stimme seiner Frau: »Schatz, denkst du daran, dass du auf dem Heimweg noch die drei Packungen Windeln mitnimmst? Ich habe gerade die letzte aufgebraucht.«
»Öhm«, sagt Thorsten, »ich bin nicht sicher, ob ich es rechtzeitig aus dem Büro schaffe. Ich habe noch einen kleinen Zusatzauftrag bekommen.«
»Wie? Du hast es doch versprochen. Soll ich den Kleinen vielleicht ins Tischtuch wickeln?«, sagt seine Frau genervt.
»Ich werde es schon irgendwie schaffen«, murmelt Thorsten und legt auf.
Gleich darauf vibriert sein Handy. Er schaut auf das Display: eine SMS von Mike, seinem Tennispartner. »Habe den Court für 20.00 Uhr reserviert, wie ausgemacht. Passt, oder?« Thorsten schüttelt nur den Kopf.
Bevor er dazu kommt, eine Antwort zu tippen, steckt ein Kollege den Kopf herein und sagt leicht vorwurfsvoll: »Thorsten, wir warten auf dich im Meeting.«
Der schnappt kurz nach Luft und sagt: »Sch…, das habe ich ganz vergessen. Ich komme gleich.«
Er wartet, bis der Kollege die Tür von außen zugezogen hat, und lässt dann den Kopf auf die Schreibtischplatte sinken: ›Warum meint wirklich jeder, dass er mir noch etwas draufpacken muss?‹
Alles zu viel
Das unangenehme Gefühl, mehr Aufgaben auf dem Zettel zu haben, als es menschenmöglich ist zu erledigen, ist nicht mehr nur Managern in der Sandwich-Position vorbehalten. Auch Mitarbeiter, die neben ihrer Linientätigkeit in Projekten arbeiten, oder Assistentinnen, die ihre Chefs organisieren müssen, wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Genau genommen ist jeder Mitarbeiter angesichts der wachsenden Anforderungen durch Globalisierung und Digitalisierung, durch die Vielzahl der Kommunikationskanäle, durch steigende Kundenerwartungen und sich immer schneller wandelnde Märkte sowie durch viele weitere Faktoren wesentlich mehr gefordert als vor einigen Jahren. Jeder, der im Berufsleben steht, muss sich also immer häufiger die Frage stellen: Wie soll ich das bloß alles schaffen?
»Alles« – das ist die ellenlange To-do-Liste im Job, aber auch die diversen privaten Verpflichtungen. Der Wunsch, als Vater nicht nur die Brötchen heranzuschaffen, sondern auch für die Familie da zu sein, bedeutet Zusatzaufgaben wie Einkaufen, Rasen mähen, mit den Kleinen spielen, Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. Und der Anspruch, nicht nur die beste Mama und Ehefrau zu sein, sondern nebenbei auch noch im Job zu glänzen, erfordert fortgeschrittene Organisationskünste in Bezug auf Haushalt und Kinderversorgung.
Entspannung? Abends ein Bierchen mit Freunden trinken? Ins Fitnessstudio oder zum Yoga gehen? An solch einen Luxus ist nicht zu denken, wenn die Katze morgen nichts mehr zu fressen hat, der Chef die Zahlen heute Abend braucht und morgen Hochzeitstag ist.
Schon die einfachsten Dinge verursachen Stress – wenn es mehr Dinge sind, als in 24 Stunden hineinpassen.
Und für immer mehr Berufstätige sind die Tage zu voll. Viel zu voll.
Ob es der junge Ingenieur ist, der frisch in die Führungsrolle geschlüpft ist und damit eine Latte an neuen Aufgaben hat, oder die Wiedereinsteigerin, die sich nach zehn Jahren Jobabstinenz als wertvolle Arbeitskraft verdient machen will, oder der Berufswechsler, der nach 20 Jahren in ein und derselben Firma in ganz neue Netzwerke, Aufgaben, Regeln und Formen der Kommunikation eintaucht, oder der Abteilungsleiter, der sich jetzt schon für die Nachfolge des bald pensionsberechtigten Chefs in Stellung bringen will. Wenn Sie heute all den beruflichen Anforderungen und Zielen gerecht werden wollen, werden Sie früher oder später mit der Überforderung konfrontiert sein.
Das Tückische ist: In dem Moment, in dem Sie merken, dass Sie mehr Aufgaben angenommen haben, als Sie erledigen können, befinden Sie sich bereits in einer Abwärtsspirale.
Sie haben das Gefühl, Sie kommen zu nichts. Nicht weil Ihr Tag kürzer ist als der der anderen – jeder Mensch hat jeden Tag 24 Stunden zur Verfügung. Nein, der Grund, warum Sie nicht die Dinge schaffen, die Sie wollen, die Sie sollen oder die Ihnen wichtig sind, ist: Sie sind nur noch im Feuerwehrmodus unterwegs.
Ein wichtiger Kunde ist unzufrieden, zwei Mitarbeiter haben einen Konflikt, der den Arbeitsfortschritt aufhält, ein weiteres Projekt ist in den roten Bereich gekommen oder Ihr Chef hat noch eine dringende Aufgabe für Sie – und Sie sind derjenige, der einspringt, »Ja« sagt und all diese Brände löscht. Klar, Sie werden gebraucht, Sie werden um Hilfe gebeten. Und natürlich müssen diese Probleme gelöst werden. Wenn sie in Ihren Verantwortungsbereich fallen, müssen sie auch durch Sie gelöst werden. Alles richtig.
Doch indem Sie solche »Spontaneinsätze« übernehmen, rutschen Ihre eigentlichen Aufgaben in den Hintergrund. Im Klartext: Sie verschieben sie. Erst auf morgen. Dann auf übermorgen. Dann auf über-übermorgen. Sie können sich ausrechnen, wie viel Chancen Sie haben, mit dieser Arbeitsweise Ihre Aufgaben jemals in der nötigen Zeit und Qualität zu erledigen.