Die Invasion der Waschbären
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Die Invasion der Waschbären

und andere Expeditionen in die wilde Natur

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Die Invasion der Waschbären

und andere Expeditionen in die wilde Natur

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Bald leben mehr als eine Million (!) Waschbären in unseren Wäldern und nicht nur da? sie kommen uns auch in den Städten »besuchen«. Die putzigen Kerlchen können nichts dafür, denn wir sind an ihrer Verbreitung Schuld, da wir das ökologische Gleichgewicht der Natur gestört haben. Doch was genau ist eigentlich Ökologie jenseits von Ökostrom und Ökolabel? Hightech-Ameisen, hochintelligente Krähen und der Urzeit-Ginkgo Alles hängt mit allem zusammen: Gerät ein ökologisches Teilsystem aus dem Gleichgewicht, löst das oft eine Kettenreaktion aus. In dem Teil Zusammen leben fragt Michael Groß u. a., ob Schutzgebiete wirklich die bedrohten Arten schützen, erzählt über die Wanderschaft von Pflanzenschädlingen, die sich durch weltweite Handelsnetze auch global verbreiten, oder stellt einen Überlebenden der Dinosaurierzeit vor: den Ginkgo. Warum überlebte er damals das Massensterben der Arten?
Kohlendioxidschwaden, Vibrationen, Magnetismus, Pedometer und noch vieles mehr: All das besitzt z. B. ein sehr kleines Lebewesen? die Ameise. Sie findet mit dieser »Ausstattung« sogar in der Wüste wieder zu ihrem Nest zurück. Im Teil Aktiv leben stellt uns Groß diese kleinen tierischen Wunderwerke vor, berichtet aber auch von den hochintelligenten Krähen oder erzählt, wie das Krokodil seine Zähne bekam. Im Abschnitt Weiter leben gibt er einen Ausblick auf die unmittelbare Zukunft des Lebens auf der Erde, die immer stärker von menschlichen Aktivitäten geprägt wird: das Zeitalter des »Anthropozän« ist angebrochen!

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Information

Verlag
Wiley-VCH
Jahr
2014
ISBN
9783527679294

Teil II

Zusammen leben

In diesem Teil des Buches geht es um Ökologie und Evolution, also darum, wie die Arten in Raum und Zeit zusammen leben und sich dabei verändern.

2

Mauerblümchen warten auf ihre Entdeckung

Wie viele Arten von Lebewesen bisher noch unentdeckt geblieben sind, ist äußerst schwer abzuschätzen. Da die von menschlichen Aktivitäten ausgelösten Umweltveränderungen derzeit ein dramatisches Artensterben bewirken, sehen viele Biologen sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Können wir die biologische Vielfalt der Erde wenigstens noch katalogisieren, bevor wir sie vernichten? Angesichts dieses Dilemmas ist es schon beinahe beruhigend zu erfahren, dass rund die Hälfte der bisher unbekannten Pflanzenarten bereits in den Schubladen von Herbarien liegen und nur noch auf ihre Identifizierung warten.
Schätzungen zufolge machen die bereits wissenschaftlich erfassten Blütenpflanzen rund 80% der Artenvielfalt in dieser Gruppe aus. Dies bedeutet, dass 70 000 Arten noch wie das sprichwörtliche Mauerblümchen ihrer Entdeckung harren. Statistische Analysen des Entdeckungsvorgangs legen nun nahe, dass rund die Hälfte dieser »fehlenden« Arten bereits eingesammelt wurden und fein säuberlich auf einem Pappkarton montiert in einer Schublade in einem der zahlreichen Herbarien liegen. Es muss sie nur noch jemand identifizieren und ihnen einen Namen geben.
Robert Scotland von der Universität Oxford und Dan Bebber von der Organisation Earthwatch haben zusammen mit Kollegen von Botanischen Gärten rund um den Globus systematisch analysiert, wieviel Zeit zwischen dem Auffinden einer neuen Pflanze in der Natur und der offiziellen Beschreibung als neue Art verstreicht [2]. Die Pflanzen verbrachten zwischen einem Jahr und 210 Jahren in der Warteschleife, wobei der Median (die Zeit, nach der genau die Hälfte bereits erkannt war) bei 25 Jahren lag.
Natürlich kann dieser Wert immer noch zu niedrig liegen, da eine unbekannte Zahl von Arten mit extrem langer Verzögerung womöglich bis heute nicht entdeckt wurde.
Scotland selbst hat Pflanzen der Gattung Strobilanthus untersucht, was zur Identifizierung von 60 neuen Arten führte. Eine der neu identifizierten Pflanzen war 1885 eingesammelt worden und musste 121 Jahre auf ihre wissenschaftliche Einordnung warten.
Gegenwärtig werden pro Jahr etwa 2000 neue Arten von Blütenpflanzen beschrieben, aber es ist zu erwarten, dass diese Ausbeute langsam abnimmt, wenn der Vorrat an noch unerkannten neuen Arten zur Neige geht. Die bereits gesammelten und noch nicht identifizierten Arten, die laut Extrapolation der Statistik im Mittel innerhalb der nächsten 25 Jahre identifiziert werden sollten, werden also nicht 50 000 erreichen, doch die Forscher schätzen, dass gegenwärtig mehr als 35000 Arten, also mehr als die Hälfte der vermutlich noch fehlenden, bereits in Herbarien vorliegen und auf ihre Identifizierung warten.
Diese überraschende Erkenntnis hat naheliegende Implikationen für die Forschungsförderung – anstatt eine größere Zahl von Expeditionen in den Urwald zu schicken, könnte man die Ausweitung des botanischen Wissens wirkungsvoller beschleunigen, wenn man die botanischen Gärten mit mehr Fachpersonal ausstattet, damit die Wartezeit reduziert werden kann. Derzeit fehlt es den Einrichtungen einfach an qualifiziertem Personal, das die vorhandenen Funde identifizieren könnte. Und wenn die Bedeutung einer Pflanze nicht gleich erkannt wird, kann sie schon mal in der falschen Schublade landen und dort einige Jahrzehnte lang verkümmern.
Um jene Pflanzen zu identifizieren, die noch nicht in den Herbarien vorhanden sind, wird man allerdings weiterhin auch Expeditionen in die Wildnis schicken müssen. Das Argument dafür, diesen Teil der Forschung zu verstärken, wäre nicht der rasche Erkenntnisgewinn, sondern die Erfassung von Arten, die womöglich in einigen Jahren oder Jahrzehnten vom Erdboden verschwunden sein werden.
Das Wissen um die Artenvielfalt der Blütenpflanzen ist nicht nur für die Botaniker relevant, es hilft auch mit, Probleme der Ökologie und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten sowie des Klimawandels auf die Natur besser zu verstehen. Wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden (Kapitel 17), kann zum Beispiel die Katalogisierung der Flora am Waldboden darüber Aufschluss geben, wie stark der Wald die Folgen des Klimawandels abbremsen kann.

3

Sag mir wo die Bienen sind

Das mysteriöse Verschwinden ganzer Bienenvölker und der Artenschwund bei Hummeln bedrohen die Landwirtschaft in Europa und Nordamerika. An beiden Phänomenen sind vermutlich mehrere Faktoren beteiligt, und auch Pflanzenschutzmittel stehen unter Verdacht.
Im Frühling 2007 verzeichneten Imker in den USA katastrophale Verluste an Bienenvölkern. Scheinbar gesund aussehende Bienenstöcke blieben verwaist, da ihre Bewohner offenbar den Heimweg nicht mehr fanden. Auch wurden keine verendeten Insekten in der Nähe gefunden. Mangels einer Erklärung wurde das Phänomen als Colony Collapse Disorder (CCD) verbucht. Es trat auch in den folgenden Jahren in wechselnder Intensität wieder auf.
Dass ein gewisser Anteil der Bienenvölker, etwa 7–10%, den Winter nicht überlebt, gilt als normal. In den von CCD betroffenen Gebieten sind die Verlustraten jedoch oft deutlich höher. Im Winter 2007/2008 verloren US-Imker 36% der Völker; in Großbritannien waren es 30,5%. Für Deutschland ermittelte die Arbeitsgemeinschaft der Institute für Bienenforschung eine geringere Verlustquote von 12,8%, wobei aber starke regionale Unterschiede auftraten.
Naturschützer haben wenig Mitleid mit den Imkern in den USA, da die europäische Honigbiene (Apis mellifera) dort sowieso nicht beheimatet ist und in einem ganz und gar nicht artgerechten Stil großindustriell ausgebeutet wird. Imker fahren ganze LKWs voller Bienenstöcke kreuz und quer über den Kontinent, um großflächigen, in Monokultur angelegten Plantagen ihre Bestäubungsdienste anzubieten [3]. In Europa, wo die Imkerei weniger stark industrialisiert ist, verwendet man hingegen »bienenfreundlichere« Methoden und hat bisher auch geringere Verluste zu beklagen.
Ein örtlich begrenztes Bienensterben in Baden-Württemberg im Jahr 2008 wurde mit unsachgemäßer Anwendung eines Pestizids, des Neonicotinoids Clothianidin (Markenname: Poncho Pro), in Verbindung gebracht. Der Hersteller, die Bayer AG, zahlte eine Entschädigung von zwei Millionen Euro an rund 700 betroffene Imker.

Genom-Untersuchungen

Das umfassendere Bienensterben in den USA hingegen lässt sich immer noch nicht mit einer definierten Ursache in Verbindung bringen. Die Arbeitsgruppe von May Berenbaum an der University of Illinois in Urbana-Champaign hat das Genom der Bienen nach Genen abgesucht, die in von CCD betroffenen Tieren stärker aktiv sind als in historischen Proben aus der Zeit vor CCD [4].
Die Untersuchung ergab mehrere Überraschungen. Zum einen hätten die Forscher erwartet, dass Gene, die bekanntermaßen mit der Immunantwort in Verbindung stehen, bei den betroffenen Insekten aktiviert sein müssten, doch eine solche Mobilisierung der Krankheitsabwehr konnte man nicht nachweisen. Aktiviert waren hingegen Gene, die nach bisherigem Stand der Wissenschaft auf dem verwendeten DNA-Chip gar nicht auftauchen dürften.
Es handelte sich um einen sogenannten DNA-Array, also einen Chip, der viele verschiedene DNA-Abschnitte trägt. Auswahlkriterium war, dass die entsprechende RNA-Abschrift in der Zelle einen Poly-A-Marker trägt. Diese Markierung kennzeichnet das Ende von Boten-RNAs, die dann als Vorlage für die Herstellung von Proteinen dienen. Sie sollte aber bei RNA-Molekülen, die einem anderen Zweck dienen, etwa den ribosomalen und Transfer-RNAs, fehlen.
Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher, dass sich auch ribosomale Sequenzen in ihren DNA-Array eingeschmuggelt hatten. Daraus muss man schließen, dass in der Zelle, im Gegensatz zu bisherigem Lehrbuchwissen, auch mit poly-A markierte ribosomale RNA auftritt. Und genau diese ribosomalen Sequenzen scheinen bei den von CCD betroffenen Bienen aktiviert zu sein.
Dieses unerwartete Ergebnis fügt dem bereits mysteriösen Phänomen CCD noch ein weiteres Rätsel hinzu, doch die Forscher hoffen, dass es als Methode zur Diagnose von CCD dienen kann. Sie spekulieren, dass die Aktivierung dieser RNA-Synthese eine noch nicht bekannte Nebenwirkung der Infektion mit Picorna-Viren ist. Tatsächlich fanden sie auch einige Vertreter dieser Gruppe von Viren, die auch mit CCD in Verbindung gebracht wird, in den CCD-Proben häufiger als in den historischen Proben.
Viele andere Faktoren wurden ebenfalls als mögliche Gründe des Bienensterbens diskutiert, darunter natürliche Schädlinge wie die Varroa-Milbe und die Pilzkrankheit Nosema, neuartige Pflanzenschutzmittel, und sogar die Mikrowellen-Strahlung der Handys.
Die Handys hat man inzwischen vom Verdacht des Bienenmords freigesprochen, und es zeichnet sich ab, dass vermutlich Kombinationen der übrigen Faktoren für das Verschwinden der Bienenvölker verantwortlich sind. Sowohl eine bisher unveröffentlichte Studie des Bienenlabors der US-Regierung, als auch ein Paper aus dem INRA-Institut für Bienenforschung in Avignon [5] kommen zu dem Schluss, dass die schädlichen Auswirkungen des Pilzbefalls mit Nosema und die Toxizität der neuartigen Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide sich gegenseitig verstärken können.

Systemischer Pflanzenschutz

Die Neonicotinoide gehören zu einer neuartigen Gruppe von sogenannten systemischen Pflanzenschutzmitteln. Die grundlegende Idee ist, dass man die Samen mit solchen Mitteln behandelt, und dieses sich dann auf alle Teile der Pflanze verteilt. Die Methode sollte umweltfreundlicher sein, da man nicht den ganzen Acker mit Gift besprühen muss. Lediglich Schädlinge, die an den Pflanzen knabbern, bezahlen dies mit dem Leben. Aber vergiften die Mittel vielleicht auch die nützlichen Insekten, wenn diese die Pflanzen lediglich bestäuben?
Dieser Verdacht begleitet die Mittel seit Jahren. In Frankreich wurden sie deshalb bereits 1999 verboten. Allerdings kam es nach dem Inkrafttreten des Verbots nicht zu einer messbaren Erholung der Bestände von Bienen und anderen nützlichen Insekten.
Die Hersteller, darunter auch Bayer, bestehen darauf, dass die Mittel bei richtiger Anwendung für Bienen und andere Bestäuber harmlos sind. Nur bei unsachgemäßer Handhabung, sagen sie, können Neonicotinoide Schäden wie das bereits erwähnte Bienensterben in Baden-Württemberg im Frühling 2008 auslösen.
Kritiker wenden ein, dass die Auswirkungen von subletalen Dosen auf das Verhalten der Bienen (z. B. Orientierungsverlust) und die
Wechselwirkungen zwischen Neonicotinoiden und anderen Faktoren nicht hinreichend untersucht sind, um deren Unschuld zu beweisen.
Ebenso wie das Nicotin im Tabak (ein natürliches Pflanzenschutzmittel), ahmen Neonicotinoide den Neurotransmitter Acetylcholin nach. Sie werden allerdings nicht von den Enzymen (Cholinesterasen) erkannt, welche die Acetylcholinsignale inaktivieren. Es kommt deshalb zu einer Anreicherung von falschen Signalen, die das Insekt verwirren können. Es erscheint also plausibel, dass diese Mittel auch in Mengen, die sonst keine sichtbaren Gesundheitsschäden auslösen, womöglich dazu beitragen, dass Bienen ihren Heimweg nicht finden.
Was hat es nun mit der Wechselwirkung von Neonicotinoiden und Nosema-Befall auf sich? Die Forschergruppe in Avignon fand heraus, dass eine Kombination von Nosema und Neonicotinoid-Konzentrationen, wie sie in der Umwelt vorkommen, im Vergleich zu den einzelnen Faktoren zu stark erhöhter Bienensterblichkeit führt. Sie vermuten, dass der hohe Energieverbrauch des parasitären Pilzes die Bienen ungewöhnlich hungrig macht, und dass sie deshalb größere Mengen von der mit Pestizid belasteten Nahrung aufnehmen.

Hummelschwund

Die seit Jahrtausenden domestizierte Honigbiene ist zwar enorm wichtig für zahlreiche landwirtschaftliche Produkte (und für alle, die gern Honig essen), doch erledigt sie die Bestäubungsarbeit nicht alleine. Wild lebende Insektenarten, darunter vor allem zahlreiche Hummelarten, leisten ebenso wichtige Beiträge. Auch diese nützlichen Insekten sind Bedrohungen ausgesetzt – in diesem Fall ist es vor allem der Verlust des Lebensraums, der ihr Wohlergehen gefährdet.
Eine systematische Untersuchung der Verbreitung von acht Hummelarten in Nordamerika im Vergleich mit deren historischem Vorkommen [6] zeigte, dass das Verbreitungsgebiet von vier der acht Arten in den vergangenen Jahrzehnten bedrohlich geschrumpft ist. Auch Hummeln leiden unter Nosema-Infektionen (es handelt sich um eine hummelspezifische Art, Nosema bombi). Die Forscher konnten nachweisen, dass die vier im Rückgang befindlichen Arten stärker mit Nosema durchseucht waren als die vier beständigen Arten. Allerdings ist dies noch kein Beweis eines ursächlichen Zusammenhangs.
Genetische Untersuchungen zeigten, dass die bedrohten Hummelarten geringere genetische Vielfalt aufwiesen als die gedeihenden. Bemerkenswerterweise betreffen die Probleme in Nordamerika vor allem Hummelarten, die vorher ein sehr großes Verbreitungsgebiet mit einer breiten Variation von Klimabedingungen hatten. Frühere Untersuchungen in Europa legten hingegen nahe, dass Hummelarten, die auf einen sehr engen klimatischen Rahmen spezialisiert sind, schneller dahinschwinden, wenn sich ihre Lebensraumbedingungen ändern.
Monokultur und der Verlust von geeigneten Nistplätzen macht den Hummeln natürlich überall zu schaffen, doch können sie andererseits auch von der unnatürlichen Blumenpracht in den Gärten der Vorstädte profitieren. Zum Beispiel hat sich die europäische Baumhummel (Bombus hypnorum) in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet und hat den Sprung nach Großbritannien geschafft, wo sie seit der Jahrtausendwende immer öfter gesehen wird.

Subletale Effekte

Im Frühjahr 2013 beschloss die Europäische Kommission ein EU-weites Verbot der am häufigsten verwendeten Neonicotinoide. Ausnahmen sind lediglich in Gewächshäusern und außerhalb der saisonalen Aktivitätsphasen der Bienen erlaubt. Das Verbot trat im Dezember 2013 in Kraft und soll zunächst für zwei Jahre gelten.
Ausschlaggebend für diese recht drastische Maßnahme waren die sich mehrenden Hinweise darauf, dass Neonicotinoide selbst in Konzentrationen, die auf das einzelne Insekt nicht tödlich wirken, das Gedächtnis und Sammelverhalten der Bestäuber so beeinträchtigen können, dass das Überleben ganzer Völker gefährdet wird.
Blüten sind eine notorisch unzuverlässige Nahrungsquelle, und der Lebensstil der bestäubenden Insekten ist ganz empfindlich davon abhängig, dass sie sich merken, wo es gerade Nahrung gibt, und diese Information auch an ihre Stammesgenossen weitergeben. Selbst subtile Beeinträchtigungen ihrer Hirnfunktion können deshalb bereits schwerwiegende Auswirkungen haben. Und wie das Gedächtnis der Insekten mit diversen Chemikalien beeinflusst wird, das beginnt die Forschung gerade erst zu verstehen (siehe Kasten Kojfein stärkt Gedächtnis der Bienen).
Um diese subtilen Effekte von Chemikalien auf das Verhalten von Insekten besser untersuchen zu können, statteten Axel Decourtye aus Avignon und Monique Gauthier in Toulouse Bienen mit Radiosendern aus und zeigten in einer Feldstudie, dass gängige Konzentrationen von Neonicotinoiden ihr Verhalten beeinträchtigen. Mickael Henry und Kollegen in Avignon benutzten dieselbe Methode, um zu zeigen, dass das Neonicotinoid Thiamethoxam den Sammelerfolg der Bienen schmälert und unter Umständen dazu führen kann, dass sie den Heimweg nicht mehr finden [7].
In Laborexperimenten mit klassischen Konditionierungsbedingungen konnten Sally Williamson und Geraldine Wright von der Universität Newcastle (Großbritannien) zeigen, dass das Neonicotinoid Imidacloprid und der gegen Varroa-Milben eingesetzte Thiophosphorsäureester Coumaphos in realistischen Mengen, wie Bienen sie in der Umwelt antreffen, ihr Gedächtnis und ihr Lernvermögen beeinträchtigen. Schlimmer noch, wenn die Insekten beiden Substanzen ausgesetzt sind, dann addieren sich die schädlichen Effekte [8].
Evolutionsbiologisch gesehen mag die Anfälligkeit der Bienen und Hummeln auch daran liegen, dass bestäubende Insekten daran gewöhnt sind, von den Pflanzen gut behandelt zu werden – im Gegensatz zu pflanzenfressenden Insekten, die mit Abwehrmaßnahmen rechnen müssen. Demzufolge sind Bienen und Hummeln vergleichsweise schlecht für die Entsorgung von Giftstoffen ausgerüstet. Das sieht man unter anderem daran, dass das Genom der Honigbiene nur recht wenige Enzyme aus der Familie der P450-Cytochrome enthält, die oft der Entgiftung organischer Substanzen dienen.
Eine Untersuchung der neurologischen Auswirkungen der Neonicotinoide Imidacloprid und Clothianidin und des Thiophosphorsäureesters Coumaphos zeigte, dass die Substanzen Neuronen im Pilzkörper hemmen, der als Sitz des Gedächtnisses bei Insekten gilt (siehe auch Kasten Koffein stärkt Gedächtnis der Bienen). Wiederum zeigten sich die schädlichen Auswirkungen bereits bei Konzentrationen, wie sie in der Umwelt vorkommen, und wiederum addierten sich die Effekte bei Anwesenheit mehrerer Schadstoffe [9].

Gesunde Ernährung für Bestäuber

Neben dem Gedächtnis steht jetzt auch die gesunde Ernährung der Bestäuber im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Die oben erwähnte Studie zur kombinierten Wirkung von Nosema-Befall und Neonicotinoiden hatte bereits gezeigt, dass die Ernährung der Bienen ein Knotenpunkt ist, durch den die negativen Effekte einander verstärken können.
Anfang 2013 berichtete die Arbeitsgruppe von May Berenbaum an der University of Illinois in Urbana-Champaign, dass die Nahrungsvorräte, die Bienen in ihrem Stock anlegen, schützende Wirkstoffe enthalten, welche Gene für Entgiftungs-Enzyme aus der Familie der P450-Cytochrome aktivieren [10]. Honig enthält zum Beispiel para-Cumarsäure (3-Hydroxy-Zimtsäure) sowie Pinocembrin und Pinobanksin-5-Methylester.
Berenbaum und ihre Mitarbeiter konnten zeigen, dass diese Naturstoffe den Bienen helfen, Coumaphos zu verstoffwechseln. Wenn Imker den Honig durch Maissirup ersetzen, entziehen sie somit ihren Bienen einen wichtigen Schutz vor Giftstoffen.
Derart komplexe Wechselwirkungen zwischen Pestiziden, Umweltbedingungen und natürlichen Abwehrstoffen werden weder bei den gängigen Labortests der Hersteller noch in den gesetzlichen Regelungen berücksichtigt. Die toxische Wirkung einer einzelnen Substanz kann man im Laborexperiment leicht quantifizieren. Sehr viel schwieriger ist es, die Kombinationen von chemischen und anderen Stressfaktoren zu simulieren, denen Bienen und andere Insekten bei ihrer Bestäubungsarbeit begegnen.
Die Gruppe von Nigel Raine an der Universität London hat untersucht, wie solche Kombinationseffekte sich auf Hummeln (speziell auf die Dunkle Erdhummel, Bombus terrestris) auswirken, sowohl auf die einzelnen Tiere als auch auf die ganze Kolonie [11]. Da Hummeln sehr viel kleinere Völker bilden als Bienen, kann man bei ihnen leichter den Zusammenhang zwischen der Gesundheit einzelner Individuen und dem Wohlergehen des Volkes untersuchen.
Die Forscher stellten zwei Nahrungsquellen in der Nähe eines Hummelnests auf, wobei die eine das Neonicotinoid Imidacloprid, die andere das Pyrethroid lambda-Cyhalothrin enthielt. Die Ergebnisse zeigten, dass diese beiden Pestizide das natürliche Sammelverhalten der Hummeln durcheinanderbrachten und die Sterblichkeit der einzelnen Insekten erhöhten. Diese Symptome hatten auch einen durchschlagenden Effekt auf die Produktivität des ganzen Hummelvolks und waren wiederum additiv.
Im direkten Vergleich zwischen Bienen und Hummeln fanden James Cresswell und Mitarbeiter an der Universität Exeter, England, dass Hummeln offenbar noch empfindlicher auf das Neonicotinoid Imidacloprid reagieren als Bienen [12]. Anschließend untersuchte Cresswells Gruppe auch, wie der Stoffwechsel der Insekten mit dem Pestizid umgeht. Auch hier schnitten die Honigbienen ein wenig besser ab, da sich weniger Gift in ihren Organen anreicherte [13].
Das ab Dezember 2013 zunächst für zwei Jahre in der EU gültige Verbot von Neonicotinoiden gibt der Forschung ein wenig Zeit, die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen und womöglich bessere Anwendungsweisen vorzuschlagen. Ob die Mittel zum Wohle der nützlichen Insekten danach längerfristig aus dem Verkehr gezogen werden müssen ist bisher noch völlig offen.

Auswirkungen auf die globale Landwirtschaft?

Die gleichzeitige Gefährdung der domestizierten Honigbiene und der wilden Nutzinsekten wie der Hummel stellt eine enorme Bedrohung für die Landwirtschaft in den betroffenen Gebi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Abdeckung
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Serie Seite
  4. Titelblatt
  5. Copyright Seite
  6. Über den Autor
  7. Vorwort
  8. Teil I Leben
  9. Teil II Zusammen leben
  10. Teil III Aktiv leben
  11. Teil IV Weiter leben