Teil III
Die Welt aus taoistischer Sicht
In diesem Teil…
Einige der wichtigsten Fragen zum Taoismus warten noch auf Antworten: Was ist das Tao? Wie ist es möglich, dem Tao zu folgen, indem man nichts macht? Was sind yin und yang und wie sind sie im Gleichgewicht zu halten? Inwiefern ist Taoismus eine »Neues-Zeitalter-Bewegung«? Gibt es wirklich über tausend heilige taoistische Schriften?
In diesem Teil vertiefen Sie sich in solch bedeutende taoistische Ideen – schalten Sie Ihr Handy aus, sollten Sie in sozialen Medien aktiv sein, legen Sie eine Pause ein, und machen sich gefasst auf das Fesselndste, was der Taoismus zu bieten hat!
Kapitel 7
Was ist das Tao und was bedeutet es, dem Tao zu folgen?
In diesem Kapitel
Im
Tao den Ursprung der Existenz sehen
Ins Innere des leeren
Tao gelangen
In gewisser Weise ist die chinesische Vorstellung vom Tao überraschend einfach: Tao bedeutet lediglich »der Weg« (oder »die Wege«, da es erst der Zusammenhang bestimmt, ob chinesische Nomen im Singular oder im Plural stehen) und hat nichts besonders Geheimnisvolles an sich. So wie im Deutschen »Weg« kann sich im modernen Chinesisch tao auf eine Strecke beziehen (ein Weg, um zu irgendeinem Ort zu kommen), eine Richtung (welcher Weg zu nehmen ist), eine Methode (welcher Weg für etwas anzuwenden ist) oder ein Prinzip (ein Weg, etwas zu tun), und es wird tagtäglich benutzt, ohne dabei einen geheimnisvollen Zauber auszustrahlen – das gebräuchlichste Wort für »kennen« beziehungsweise »wissen« heißt chih-tao (»den Weg kennen«, »den Weg wissen«) und »Straße« heißt tao-lu (»Straßenweg«).
In religiösen oder philosophischen Kreisen erfährt der Begriff jedoch eine nuancenreichere Verwendung. Zwar bedeutet er nach wie vor »der Weg«, kann sich aber auf die höchste Wahrheit (Weg des Universums) und moralische Verantwortlichkeit des Menschen (Weg, wie man sich verhalten sollte) beziehen, wobei sich die natürlichen und ethischen Aspekte des Wegs oftmals als eng miteinander verbunden erweisen: Struktur- und Funktionsweise des Kosmos (der »Weg des Himmels«) bestimmen die vorbildliche Verhaltensweise des Menschen. Allerdings mag es kaum überraschen, dass nicht jeder in China dieselbe Meinung teilt, was genau unter dem Weg zu verstehen sei oder wie man dem Weg richtig zu folgen habe. So unterschied sich in der klassischen Epoche der konfuzianische Weg beträchtlich vom mohistischen Weg, der seinerseits nicht allzu viele Gemeinsamkeiten mit dem legalistischen Weg aufzuweisen hatte. Und als später der Gedanke von den »drei Lehren« entwickelt wurde, stritten Konfuzianer, Taoisten und Buddhisten untereinander genauso über den »Weg« wie dies Juden, Christen und Muslime über Lehrmeinungen auch taten.
Selbst wenn alle im Großen und Ganzen darin übereinstimmten, dass im Tao eine Vorlage für das menschliche Verhalten zu erkennen sei, muss denn nicht gerade der Taoismus eine eigene Antwort auf die Frage nach dem Tao liefern können, schließlich handelt es sich doch um die einzige chinesische Überlieferung, die sich danach benennt? Das ist in gewisser Weise ein Trugschluss, da im Chinesischen der Konfuzianismus auch als »Weg des Konfuzius und des Menzius« bezeichnet wird und »Neokonfuzianismus« den im Westen entstandenen Begriff für eine Bewegung des 11. Jahrhunderts darstellt, die im Chinesischen ursprünglich »Lernen des Wegs« genannt worden war – dennoch stimmt es, dass das Tao im Taoismus etwas Besonderes ist. Versuche indes, dies genau festzulegen, enden zumeist in unverständlichem Philosophenkauderwelsch:
der metaphysische Grund des Seins
das zugrunde liegende Prinzip des Universums
das bedingungslose Prinzip der Wirklichkeit
die Matrix der spirituellen Transformation
Es ist schön, wenn es hilft, sich das Tao als ein »bedingungsloses Prinzip« oder verbunden mit dem »Grund des Seins« vorzustellen, aber all diese Beschreibungen wirken mehr wie Schlagwörter, die sich gut zu einer spiritualisierteren Taoismus-Interpretation zusammenfügen, an deren Ende das Tao mehr oder weniger austauschbar wird mit einem vagen und allgemeinen Begriff von »Transzendenz« oder mit »der Transzendenz«.
Es dürfte wahrscheinlich nützlicher sein, sich nicht mit Definitionsversuchen des
Tao aufzuhalten, sondern sich die Eigenschaften klarzumachen, die taoistische Texte dem
Tao immer wieder zuschreiben, und die Ratschläge zu betrachten, wie man in der Praxis dem
Tao folgen solle. Da China traditionell eher praktisch auf konkrete Anwendung als auf abstrakte Philosophie ausgerichtet ist, entspricht eine solche Annäherung dem gesamten taoistischen Denken in überaus angemessener Weise.
In diesem Kapitel soll der Begriff freigelegt werden, der im Innersten dieser komplizierten und vielfältigen Überlieferung zu liegen scheint: Sie bekommen ein Gefühl für die taoistischen Haltungen zur Sprache, die schöpferische (und erschaffende) Seite des Tao, den Stellenwert des Tao als »leer« und was es für Taoisten bedeutet, »dem Weg zu folgen« oder »in Harmonie mit dem Weg« zu sein.
Die paradoxe Sprache des Tao verstehen
Um nachzuvollziehen, wie man sich die seltsamsten Tao-Definitionen ausdenken kann, genügt ein Blick in das erste Kapitel des Tao Te Ching:
Das Tao, das ausgesprochen werden kann, ist nicht das ewige Tao.
Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name.
Das Namenlose ist der Beginn der zehntausend Dinge.
Das Genannte ist die Mutter der zehntausend Dinge.
Deshalb sei dauerhaft ohne Begierde und erkenne so sein wunderbares Sein.
Sei dauerhaft mit Begierde und erkenne so dessen Ausdrucksform.
Die zwei dringen gemeinsam empor.
Sie haben verschiedene Namen, entstammen jedoch demselben.
Ein Geheimnis aller Geheimnisse.
Das Tor zu allen Wundern.
Direkt in der ersten Zeile fällt auf, dass man offenbar nicht »wirklich« über dieses Tao sprechen kann. Sowohl Lao Tzu als auch Chuang Tzu erwähnen ein »wortloses Lehren«, was allerdings ziemlich paradox klingen mag, da sie doch einige Zeit – Lao Tzu mit 5.000 Schriftzeichen und Chuang Tzu in 33 Kapiteln – damit verbringen, über etwas zu reden, über das es gar nicht möglich ist zu reden.
Einerseits sollte dies kaum überraschen, denn vor etwa einem Jahrhundert stellte ein deutscher Gelehrter fest, sobald jemand etwas nicht Beschreibbares ausdrücke, müsse der Person eine wortreiche Sprachfertigkeit trotz ihrer linguistischen Unzulänglichkeiten bescheinigt werden. Andererseits lässt sich dies auch als eine versteckte Warnung verstehen, mit den Texten äußerst vorsichtig umzugehen und sich in dem Bewusstsein auf sie einzulassen, es eher mit sinnbildhaften Redewendungen und andeutenden Stimmungen zu tun zu haben als mit reinen Ausformulierungen von Gedankenwelten.
In diesem Abschnitt nehmen Sie sich einige der sprachlichen Widersprüche in den klassischen taoistischen Schriften vor und erfahren, wie Sie diese Klippen mit entsprechender Hilfestellung am besten bewältigen können: Sie entdecken, wie die Verfasser mit den unterstellten Unzulänglichkeiten der Sprache umgehen, erkennen aber auch, wie sie sich trotzdem der Sprache bedienen müssen, um über ihr Thema etwas zu sagen, und finden heraus, wohin Sie das für das Verständnis des Tao führt.
Der Wissende redet nicht, der Redende weiß nicht
Sie müssen zwar nicht allzu viele Seiten taoistischer Texte gelesen haben, um zu bemerken, dass deren Verfasser Sprache als etwas Unangemessenes erachten, es fragt sich jedoch: unangemessen für was eigentlich? Man wird stets darauf hingewiesen, dass es nicht einfach nur Wörter sind, die an der Sache vorbeigehen oder die wahre Bedeutung nicht erfassen, sondern ebenso die Personen, die Worte gebrauchen, es nicht richtig begreifen. Natürlich kann es sein, hier auf die Entwicklung einer ausgefeilten Sprachtheorie der Verfasser oder auf allgemein skeptische Blicke auf die Beziehung zwischen Wort und Wirklichkeit zu stoßen, aber in der Hauptsache bleibt ein ziemlich argwöhnischer Vorbehalt gegenüber der Sprache selbst bestehen, man braucht sich nur anzuschauen, welcher Worte sich Lao Tzu zur Beschreibung von Worten bedient:
Schöne Worte können gekauft und verkauft werden.
Aufrichtige Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht aufrichtig.
Richtige Worte sagen das Gegenteil.
Selten zu reden ist naturgemäß.
Was genau ist aber falsch an Worten und Sprache? Wieso greift Reden über das Tao zu kurz, wenn es um die Beschreibung des »ewigen Tao« geht? Warum ist es nicht ausreichend, beim »ewigen Namen« einen Namen zu vergeben? Möglicherweise aus demselben Grund, wenn klassische Taoisten die konfuzianischen oder mohistischen Moralvorstellungen als zu kurz greifend für die Erfassung des wahren Wegs empfinden. Sowohl eine bestimmte Sprache als auch festgelegte Moralvorstellungen verengen und schränken etwas ein, das – wie es beim Tao der Fall ...