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EinfĂŒhrung: Aufgaben und Auswirkungen der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft dient mit dem ĂŒberwiegenden Teil ihrer Erzeugnisse der ErnĂ€hrung der Menschen und erfĂŒllt fĂŒr sie ein elementares ökologisches BedĂŒrfnis, das auf andere Weise nicht mehr befriedigt werden kann. DafĂŒr beansprucht sie weite Bereiche der terrestrischen ErdoberflĂ€che, in Deutschland ĂŒber die HĂ€lfte (53 %) des Landes (Abb. 1.1). Durch landwirtschaftliche TĂ€tigkeit ist, trotz oder sogar wegen der von ihr verursachten ökologisch nachteiligen Eingriffe in die Natur, aber auch die abwechslungsreiche lĂ€ndliche Kulturlandschaft mit einer groĂen Vielfalt von Ăkosystemen, Biotopen und Arten entstanden, wie sie die Natur von sich aus in dieser Form nicht hervorgebracht hĂ€tte. Die Erhaltung dieser Vielfalt, die von der modernen Gesellschaft vor allem unter dem Namen âBiodiversitĂ€tâ sowohl als eigener, kultureller Wert als auch in gewissem Umfang als lebensnotwendig erkannt wurde, ist seit Ende des 20. Jahrhunderts ein Hauptanliegen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Abbildung 1.1 Kleinstrukturierte Agrarlandschaft bei Frankershausen im östlichen MeiĂnervorland (Nordhessen) (Quelle: © Ulrich Hampicke).
Durch die EinflĂŒsse und AnsprĂŒche eben dieser modernen, stĂ€dtisch-industriell geprĂ€gten Gesellschaft ist aber im 20. Jahrhundert die Landbewirtschaftung mit Pflanzenbau und Viehhaltung â wohl ungewollt und kaum bewusst â so umgestaltet worden, dass sie zum Hauptverursacher fĂŒr den groĂflĂ€chigen RĂŒckgang der landschaftlichen und biologischen Vielfalt und damit zum maĂgeblichen Gegenspieler zu den Zielen und Interessen des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden musste. Die Landwirtschaft ist damit in eine zutiefst widersprĂŒchliche Rolle in der menschlichen Gesellschaft geraten. Einerseits ist sie fĂŒr deren Nahrungsversorgung und seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch noch fĂŒr die Erzeugung von energieliefernder Biomasse unentbehrlich, kann diese Aufgaben aber andererseits nicht mehr oder nur noch sehr beschrĂ€nkt mit den Methoden und Verfahren gewĂ€hrleisten, die einst die lĂ€ndliche Kulturlandschaft mit ihrer groĂen (nicht nur biotischen) Vielfalt entstehen lieĂen.
Aus diesem Gegensatz erwĂ€chst die Frage, welche Rolle die Landbewirtschaftung, die auf die in ihrem Namen enthaltenen ökonomischen Antriebe und Ziele angewiesen bleibt, in einer nachhaltigen lĂ€ndlichen Entwicklung, mit Einschluss von Naturschutz und Landschaftspflege, in Zukunft spielen kann und wird. Eine Antwort auf diese Frage erfordert die Kenntnis der Entwicklung der Landwirtschaft, wie sie nachstehend aus ökologischer Sicht und unter Hervorhebung der Eigenarten, die fĂŒr den heutigen Naturschutz wichtig sind, gegeben werden soll. Daraus wird klar, wie die âNaturâ, auch angesichts ihres steten Wandels, zum schutzwĂŒrdigen und -bedĂŒrftigen Gegenstand werden konnte (Siemann und Freytag 2003), selbst wenn keineswegs alle Gesellschaftsbereiche ihn in der Praxis als solchen betrachten. Vorausgeschickt sei ein Ăberblick ĂŒber die grundsĂ€tzliche Bedeutung der Landwirtschaft fĂŒr die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.
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Landwirtschaft im Zusammenhang der Menschheits- und Gesellschaftsentwicklung
2.1 Eine neue Art der Nahrungsversorgung
Landwirtschaft ist im MaĂstab der Menschheitsgeschichte eine relativ junge Unternehmung, die ca. 600, in Mitteleuropa höchstens 325 Generationen (zu je 30 Jahren) beschĂ€ftigt hat (Pretty 2002). Vorher haben mehr als 100 000 Menschengenerationen ihre tĂ€gliche Nahrung â als wichtigste ökologische Lebensgrundlage â genau wie alle anderen heterotrophen Lebewesen durch Sammeln und Jagen erwerben mĂŒssen, also in, mit und von der (wilden) Natur gelebt. Diese Art individueller Selbstversorgung könnte mit zunehmender Bevölkerungsdichte â ein Zeichen, dass sie recht erfolgreich war! â jedoch an ökologische Grenzen gestoĂen sein: Vervollkommnete Jagdund Sammeltechniken verminderten, wenn auch nicht ĂŒberall, die BestĂ€nde der von den Menschen begehrten Tiere und Pflanzen und schmĂ€lerten die Nahrungsbasis; die dadurch ausgelöste Suche nach neuen Wegen zur Nahrungsbeschaffung fĂŒhrte zu der Erkenntnis, Nahrungsmittel aus kontrollierter Haltung ausgewĂ€hlter domestizierter Tiere und durch Anbau ausgewĂ€hlter Pflanzen in ReinbestĂ€nden zu gewinnen (wobei diese Lebewesen zugleich oft auch als Werkzeuge, Baumaterial, Kraftquelle und Transportmittel dienten; vgl. Sieferle (2003), S. 46. Die einst in der Natur rĂ€umlich oft weit verstreuten NahrungsgĂŒter wurden an den menschlichen WohnplĂ€tzen konzentriert, die damit zugleich dauerhafter als bisher angelegt und eingerichtet werden mussten und die Menschen zu stĂ€rkerer Sesshaftigkeit veranlassten. Motivationen und Auslöser fĂŒr den Ăbergang zu dieser neuartigen Lebens- und Wirtschaftsweise werden bis heute sehr unterschiedlich gedeutet. Er begann jedenfalls in gröĂeren Flussniederungen und locker bewaldeten oder waldarmen Flach- und HĂŒgellĂ€ndern der warm gemĂ€Ăigten bis subtropischen Klimazonen, u. a. in Mesopotamien (heute: Irak), Ăgypten, Indien und China. Von dort breitete sich die neue Art der Landnutzung innerhalb weniger Jahrtausende in alle dafĂŒr geeigneten oder anpassbaren Gebiete aus, allerdings mit unterschiedlichen, stĂ€rker individuellen oder gemeinschaftlichen Organisationsformen, und erreichte im 7. Jahrtausend v. Chr. auch Mitteleuropa, wo sie sehr wahrscheinlich auch durch ein relativ sommerwarmes und -trockeneres Stadium der nacheiszeitlichen Klimaentwicklung (Atlantikum; vgl. Wanner et al. 2008) begĂŒnstigt wurde (Tab. 2.1). Die weiteren AusfĂŒhrungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Landwirtschaft Mitteleuropas.
Tabelle 2.1 Klimawandel, Kulturstufen und Entwicklung der Landwirtschaft in Mitteleuropa.
2.2 Eine neuer Umgang mit der Natur â und ein âneuer Menschâ
Durch die neue Art der Nahrungsversorgung wurden erstmalig belebte natĂŒrliche Systeme (Ăkosysteme) des festen Landes in die Dienste der Menschen genommen. Dieser Vorgang gilt als ein fundamentaler (Fort-)Schritt der kulturellen Evolution, mit dem die biologische Evolution von nun an ĂŒberlagert und teilweise auch gesteuert wurde; man spricht daher von einer âKultivierungâ der bis dahin wilden Natur. Sie umfasst ein BĂŒndel gezielter Eingriffe in Boden, Wasserhaushalt, Pflanzendecke und Tierwelt mit Umlenkung biogeochemischer StoffflĂŒsse und hat das Ziel, jene Systeme in einen fĂŒr die Menschen nĂŒtzlicheren und wĂŒnschenswerteren Zustand zu bringen und in diesem auch zu erhalten. Zugleich wird die von Natur aus geringe Energiedichte der Sonnenstrahlung, die grundsĂ€tzlich nicht verĂ€ndert werden kann, örtlich gebĂŒndelt und biotechnisch stĂ€rker konzentriert (Sieferle 2003, S. 47; Haber 2007 b). Das grundsĂ€tzlich Neue daran ist die Abkehr von der â fĂŒr JĂ€ger und Sammler typischen â bloĂen Entnahme von nutzbaren âBiomasseâ-Anteilen aus einer unbeeinflussten natĂŒrlichen Erzeugung. Durch die Kultivierung wurde diese nunmehr, in rĂ€umlich zunehmendem Umfang und durch Artenkonzentration, auf gesteigerte Produktion der erwĂŒnschten Biomasse und deren verbesserte Aneignung umgestaltet. Neben das âSichentwickelnlassenâ der Natur setzte der Mensch nunmehr das âEntwickelnwollenâ (zwei Bedeutungen im Begriff âEntwicklungâ, die oft nicht unterschieden werden!). Die Kultivierung betraf aber nur bestimmte Bereiche oder Funktionen der Ăkosysteme, lieĂ der Natur also noch Spielraum und wollte oder konnte Grundprozesse wie den Antrieb der Sonnenenergie, die Photosynthese und das Wettergeschehen ohnehin nicht beeinflussen.
Die kultivierten Ăkosysteme sowie ihre Pflanzen und Tiere, die nun in menschlichen Diensten standen, wurden in ihrem Lebensablauf von diesen abhĂ€ngig, erlegten ihrerseits den Menschen aber auch einen recht genau geregelten Arbeitsablauf auf â oft, vor allem bei Tieren, sogar im tĂ€glichen Rhythmus. KĂŒster (2009) nennt die Landwirtschaft daher eine âtĂ€gliche Plackereiâ. Denn die âdienendenâ Lebewesen bedĂŒrfen stĂ€ndiger Aufsicht, Pflege und Betreuung sowie auch des Schutzes. Dieser richtete sich einmal gegen die âwildeâ Natur, aus der sie zwar stammten, in die sie aber nicht zurĂŒckkehren â d. h. nicht âverwildernâ â durften und die sie auch bedrohen oder gefĂ€hrden konnte. Zum andern mussten Felder mit angebauten Pflanzen vor Tieren â auch vor den eigenen Nutztieren! â und vor anderen Menschen, die die Ernte stehlen oder zerstören könnten, geschĂŒtzt werden. Das in diesem Zusammenhang verwendete Wort âSchutzâ hat also ein grundsĂ€tzlich anderes Ziel als im Begriff Naturschutz, auf den dieses Handbuch besonders eingeht.
Durch die Kultivierung, auch Land- oder Landeskultur genannt, entstanden die vom Menschen abhĂ€ngigen âNutzorganismenâ als eine ganz neue Kategorie von Lebewesen â wobei der Begriff âNutzenâ weit ĂŒber die Nahrungs- und Rohstoffproduktion hinausgeht und auch solche Lebewesen einschlieĂt, die nur wegen ihres Schmuck- oder Zierwerts gehalten werden. Damit ist eine stetige, bewusste Auslese und ZĂŒchtung verbunden, die die Nutzorganismen tiefgreifend verĂ€ndert sowie ihren Ursprungsformen entfremdet hat, die z. T. sogar ausgestorben sind. Es Ă€nderten sich aber auch die Menschen (Laland et al. 2010). So entstand z. B. bei den EuropĂ€ern die vorher nicht vorhandene FĂ€higkeit zur Milchverdauung, die einen entscheidenden Selektionsvorteil bei der Entwicklung der sesshaften Ackerbauer und ViehzĂŒchter im mittleren und nördlichen Europa gebracht hat (Burger et al. 2007) und sogar als die wirkungsvollste VerĂ€nderung im menschlichen Genom ĂŒberhaupt bezeichnet wird. Daneben entwickelte sich aber auch, und zwar innerhalb relativ weniger Generationen, ein ganz neues menschliches Verhalten als eine aus biologischer Sicht ungewöhnliche Wandlung, eine âPsychoevolutionâ (LĂŒning 1989). Sie war bedingt durch lĂ€ngeres Zusammenleben gröĂerer Menschengruppen am gleichen Ort, erforderte neue Regeln mit strengerer Arbeitseinteilung, neues Recht und sogar eine neue Moral. Die âneuenâ Menschen (Leonard 1974) hatten sich einen Teil der Natur, nĂ€mlich die kultivierten Systeme mit den Nutzorganismen, im biblischen Sinn untertan gemacht, den sie aber wie erwĂ€hnt gegen die âĂŒbrigeâ Natur, der er abgerungen war, stets verteidigen mussten. Eine solche Einstellung, nĂ€mlich Schutz vor der (wilden) Natur, hat seitdem wie erwĂ€hnt ĂŒber 300 Menschengenerationen geprĂ€gt! Dem Schutz dieser Natur vor den und fĂŒr die Menschen widmen sich erst vier bis fĂŒnf Generationen â und auch nur Teile von ihnen (s. Abschnitt 6.5).
Aus der heutigen Sicht der Ăkologie, wie auch des Naturschutzes und der Landschaftspflege, ist der Ăbergang zur Landwirtschaft der wohl folgenschwerste irreversible, nie wieder ausgleichbare Eingriff in die Natur gewesen, auch wenn er zunĂ€chst nur lokal oder regional begrenzt war. Denn von nun an unterschieden die Menschen eine wilde von einer domestizierten Natur als ihrer neuen Lebensgrundlage, die zwar aus der wilden Natur stammte, aber stĂ€ndig gegen sie verteidigt, also Schutz erhalten musste. Erst damit begannen die Menschen â und zwar wohl nicht nur aus freien StĂŒcken â sich eine eigene Umwelt, ja ihre eigene BiosphĂ€re (AnthroposphĂ€re) zu schaffen, die auch alle in Symbiose mit den Menschen lebenden, anpassungsfĂ€higen Lebewesen begĂŒnstigt (McNeill 2003, S. 209). Mit der Landwirtschaft schrĂ€nkten die Menschen auch erstmals und massiv die biologische Vielfalt der Natur ein, und zwar gleich doppelt: Sie reduzierten ihre Nahrungsbasis auf eine sehr kleine Auswahl von Pflanzen und Tieren â und hielten diese, vor allem die fĂŒr die quantitative Grundversorgung als optimal erkannten Ackerpflanzen (Getreide), in möglichst reinen BestĂ€nden (Haber 2007 b, S. 360). In heutiger, ethisch motivierter Anschauung wird mit dem jungsteinzeitlichen Ăbergang zur Landwirtschaft die menschliche âNaturverletzungâ eingeleitet, die seitdem stĂ€ndig eskaliert ist (Henrich 2003). Nach einer anderen, aber vergleichbaren Denkart sprechen Fischer-Kowalski et al. (1997) von der âKolonisierung der Naturâ1), womit Vorstellungen von Unterwerfung und Ausbeutung verbunden sind. Aus solchen Auffassungen begrĂŒndet sich der Naturschutz, der dennoch eine die menschliche Existenz tragende Naturnutzung voraussetzt. Diese begrĂŒndete aber auch die kultivierte Natur als âKulturlandschaftâ, die ihrerseits zum Gegenstand des Naturschutzes wurde. Schon hier erscheinen naturschutzinterne WidersprĂŒche, die sich in der Moderne verschĂ€rfen sollten (vgl. BĂ€tzing 2003, S. 210; Abschnitt 10.2).
WĂ€hrend Sammeln und Jagen ĂŒberall möglich war, wo es Pflanzen und/oder Tiere in genĂŒgender Zahl oder Masse gab, also die Natur insgesamt beanspruchten (und störten oder verletzten), war Landwirtschaft auf die dafĂŒr geeigneten FlĂ€chen beschrĂ€nkt, Ackerbau sogar nur auf die geeigneten Böden (vgl. Haberl 1999). Dies brachte die Menschen in eine vorher nicht gekannte AbhĂ€ngigkeit von bestimmten Naturgegebenheiten. Doch blieben damit auch groĂe, regional freilich unterschiedliche Bereiche der Natur nunmehr von stĂ€ndigen menschlichen Eingriffen relativ verschont und wurden in einigen Kulturen sogar örtlich mit Tabus belegt. Auch dies ist eine frĂŒhe Wurzel oder Voraussetzung des Naturschutzes. Andererseits schufen die Menschen mit dem Ăbergang zur Landwirtschaft auch eine neue, landwirtschaftliche Vielfalt: in vielen Sorten und Formen domestizierter Tiere und Pflanzen, in Haltungsweisen, Anbauformen und Kultivierungstechniken, Pflege- und Betreuungsmethoden bis hin zu baulichen Anlagen (vgl. Abschnitt 4.6.2). GroĂe Teile dieser Vielfalt wurden spĂ€ter Objekte des modernen Naturschutzes, oft in Verkennung ihrer Herkunft. Hunderte von Bauerngenerationen haben diese landwirtschaftliche Vielfalt, die ja nicht sich selbst ĂŒberlassen bleiben durfte, bewirtschaftet, gepflegt und erhalten; dies unterscheidet sie von der natĂŒrlichen (einschlieĂlich der biologischen) Vielfalt (Oetmann-Mennen 1999, S. 128).
Damit hatte der unumkehrbare Prozess der kulturellen Evolution begonnen, dem die Landwirtschaft als ihr Hauptantrieb noch eine sich selbst verstĂ€rkende Tendenz oder AufwĂ€rtsspirale einfĂŒgte. Höhere Versorgungssicherheit ermöglichte eine Zunahme der menschlichen Bevölkerung, erforderte aber auch die Abwehr menschlicher und nicht menschlicher Konkurrenten, Feinde und SchĂ€diger â und damit mehr ArbeitskrĂ€fte, die aber wieder höhere Nahrungserzeugung, d. h. eine intensivere Kolonisierung und Produktion brauchten. Markl (1990) fasste diesen Vorgang in das Bild des kulturellen Stromes, in den sich die jungsteinzeitlichen Bauern begeben hatten und der sie unaufhaltsam immer weiter fortriss von ihren Ursprungsquellen, immer schneller in kulturelles Neuland trieb â denn jede BemĂŒhung, sich in diesem Strom ĂŒber Wasser zu halten, bedeutete ja weiteres Fortgetragenwerden! Der Mensch, der sich schon in der Sammler-JĂ€ger-Zeit zu einem fĂŒr andere Tiere âunberechenbaren Primatenâ entwickelt hatte, wurde nun erst recht zur Gefahr fĂŒr zahlreiche andere Lebensformen auf der Erde (McNeill 2003, S. 209), fĂŒr deren Erhaltung Ăkologie und Naturschutz im Grunde viel zu spĂ€t gekommen sind (Uekötter 2003, S. 35; Haber 2007 a, S. 150, Haber 2007 b, S. 359).
2.3 Eine revolutionÀre VerÀnderung in der Menschheit
So wurde, und zwar aus rein ökologischem Antrieb, die Landwirtschaft und mit ihr die kultivierte, also nicht mehr wilde Natur zur eigentlichen Lebensgrundlage der âneuenâ Menschen. Sie ist damit der Ă€lteste Wertschöpfungsprozess der Menschheitsgeschichte (Lehmann 2006). ZunĂ€chst diente sie nur der Selbstversorgung der Familien oder Kleingruppen. In der Folge der Generationen erwies sich eine wachsende Zahl von Bauern in der Landnutzung als so erfolgreich, und diese selbst als so ergiebig, dass die Nahrungsmittelerzeugung den Eigenbedarf beachtlich zu ĂŒbersteigen begann. Diese Mehrproduktion konnte die Lebensbasis fĂŒr eine immer gröĂere Zahl von Menschen bieten, die damit von der Notwendigkeit und MĂŒhsal eigenstĂ€ndiger Nahrungsgewinnung und ErnĂ€hrungssicherung entlastet waren und sich anderen, stĂ€rker geistig-schöpferischen TĂ€tigkeiten zuwendeten. Es war diese Bevölkerungsgruppe, in der sich Handwerk und Handel, Bildung, Kunst und Religion wie auch soziale Organisation und viele weitere FĂ€higkeiten entwickelten, mit denen sie den weiteren kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt an sich zog. Die bĂ€uerliche Mehrproduktion erzeugte GĂŒter mit Tauschwert, und mit ihnen entwickelte sich die menschliche Ăkonomie mit dem Markt als TrĂ€ger und Regulativ, lange bevor es MĂŒnzen oder Papiergeld gab. Die Erfindung der Landwirtschaft und die von ihr bewirkte, den eigenen ErnĂ€hrungsbedarf ĂŒbersteigende Mehrproduktion fĂŒhrten so zu einer grundlegenden, dauerhaften Aufteilung der Menschen in Landwirte (Erzeuger) und Nichtlandwirte (Verbraucher2)) und rechtfertigen daher die von Childe (1951) eingefĂŒhrte Bezeichnung âAgrarische (oder Neolithische) Revolutionâ. Sie gilt allerdings weniger fĂŒr den Ăbergang zur Landwirtschaft als fĂŒr die dadurch bedingten VerĂ€nderungen im Leben der Menschheit. Manning (2004 beschrieb sie mit den (unĂŒbersetzbaren) Worten: âHow agriculture has hijacked civilisationâ! Im Grunde wird damit nur das vernĂŒnftige Prinzip der Arbeitsteilung, das bis dahin nur fĂŒr die Familie oder die menschliche Kleingruppe gegolten hatte, zu einem Grundmerkmal der Gesellschaft gemacht.
Die Nichtlandwirte sonderten sich in Lebensweise, Lebensstil und auch in der MentalitĂ€t von den Landwirten ab. In einem Hauptursprungsgebiet der Landwirtschaft, im Vorderen Orient (Mesopotamien, heute Irak), lieĂen sie sich schon bald in eigenen, dicht bebauten und bevölkerten Siedlungen nieder und schufen die ersten StĂ€dte und sogar Staaten, hier vor allem bedingt durch die Erfordernis gemeinschaftlicher Organisation der Wasserversorgung (âHydraulische Zivilisationâ nach Wittfogel 1931 am Beispiel Chinas). Urbane Kultur erhob sich alsbald, mit einem GefĂŒhl des Ăberlegenseins, ĂŒber die Landkultur â Childe (1951) nennt dies die zweite, die âurbaneâ Revolution â blieb aber ökologisch von ihr vollstĂ€ndig abhĂ€ngig, ja wĂ€re ohne Landwirtschaft nicht einmal entstanden. So bildete sich ein bleibender Gegensatz zwischen beiden Kulturen heraus (Markl 1990), der sich rĂ€umlich und vor allem auch funktional ausprĂ€gte. Das Wort âLandâ erhielt eine zusĂ€tzliche Bedeutung und bezeichnet nicht mehr nur die terrestrische ErdoberflĂ€che, sondern auch das Gegenteil der Stadt als ein âkĂŒnstlichesâ, gĂ€nzlich von den Menschen geschaffenes Gebilde, das wenige Jahrtausende spĂ€ter zu ihrem Hauptlebensraum werden sollte.
Die Herausbildung der neuen, arbeitsteiligen Lebensweise der Menschen hatte eine starke Zunahme der Bevölkerung zur Folge. Sie stieg nach groben SchĂ€tzungen von weltweit etwa 10â20 Millionen im Jahr 7000 v. Chr. bereits gegen Ende der Jungsteinzeit (ca. 3000 v. Chr.) auf fast 100 Millionen Menschen (Hahlbrock 2007, S. 65). Damit wuchs der Druck auf die Nahrungserzeugung.
2.4 Land- und Stadtkultur â ErgĂ€nzung und Entfremdung
In der Stadt entwickelte sich eine ganz andere Einstellung zur Natur und zum Land, als die Landwirte sie aus dem stĂ€ndigen Ringen um ihr âKulturlandâ erworben hatten. Vor allem daraus erklĂ€rt sich, dass viele Jahrhunderte spĂ€ter Stadtmenschen, die in das Land hinausblickten, ihm die Nachsilbe â-schaftâ als Ausdruck eigener Wertung anfĂŒgten und dort âLandschaftspflegeâ, spĂ€ter auch âNaturschutzâ unter weitgehender Verkennung landwirtschaftlicher Erfordernisse betrieben sehen wollten. Die Unterschiede reichen bis in Begrifflichkeiten: âKulturâ ist in der Landwirtschaft der Anbau einer Feldfrucht, fĂŒr die ein StĂŒck Land âkultiviertâ und damit in einen âbesserenâ Zustand gebracht wird. FĂŒr den spĂ€teren â zu spĂ€t kommenden! â Natur- und Umweltschutz und seine Bewertungen ist dies eine zwiespĂ€ltige Unterscheidung (s. Abschnitte 5.3.3 und 6.5). In der Stadt drĂŒckt sich Kultur in Bildung, Kunstsinn oder auch Forschung aus. Der Landwirt hieĂ einst nur âBauerâ. Etymologisch bedeutet dieses Wort ein âfestes BehĂ€ltnisâ oder eine HĂŒtte und drĂŒckte den Ăbergang vom nomadischen JĂ€gerleben zum festen Wohnsitz aus (Schneider 1999), wurde aber dann auf die TĂ€tigkeit ĂŒbertragen: Der Bauer âbebauteâ das Land und verwandelte es in Kulturland, von dessen ErtrĂ€gen er lebte, und dazu baute er sich natĂŒrlich auch HĂ€user mit StĂ€llen und Scheunen als âBauernhöfeâ, die oft von GĂ€rten umgeben waren; daher rĂŒhren die Worte Landbau und Gartenbau. In der Stadt hat âBauenâ als oft kunstvolles Errichten von Wohn- und GeschĂ€ftshĂ€usern, Kirchen und PalĂ€sten durch Baumeister eine ganz andere, höherrangige Bedeutung.
Die Bauern blieben den StĂ€dtern dennoch als Quelle ihrer Nahrung noch lange vertraut und gegenwĂ€rtig, denn sie enthoben sie ja der Notwendigkeit, selbst Nahrung zu erzeugen oder in der Natur zu sammeln und zu erjagen (was aber als ergĂ€nzende Versorgung oder motiviert durch Lust, Sport oder Prestige durchaus weiter betrieben wurde und wird). Das relativ bequeme Erwerben von Nahrungsmitteln bei den Bauern, direkt oder auf dem Markt, setzte aber zweierlei voraus: Die Bauern mussten immer genug Nahrungsmittel, ĂŒber ihren Eigenbedarf (Subsistenz) hinaus, erzeugen, trugen also die Verantwortung fĂŒr eine zuverlĂ€ssige Versorgung â und die Erwerber mussten zu Gegenleistungen, Tausch oder Bezahlung fĂ€hig sein. Je mehr sie bieten konnten, umso gröĂer war auch der Produktions- und Wettbewerbsanreiz fĂŒr die Erzeuger. Zu Anfang war der Bauer nur der â fĂŒr alle Lebewesen geltenden â ökologischen Notwendigkeit der Eigenversorgung gefolgt. Nachdem er die Existenz der StĂ€dter als Nichtlandwirte ermöglicht hatte und zu ihrer Versorgung seine Mehrproduktion mit Gewinn verkaufen konnte, wurde dies zu seiner eigentlichen Erwerbs- und Lebensgrundlage, also das Zusatzzum Haupteinkommen, dem die Selbstversorgung in der Regel untergeordnet wurde (Lehmann 2006). Die bĂ€uerliche TĂ€tigkeit wurde damit immer stĂ€rker ökonomisch motiviert und zu einem Gewerbe von marktbeliefernden Unternehmern, die, wie bei Unternehmern ĂŒblich, ihre ErtrĂ€ge und Erlöse stets zu steigern suchten, aber in Naturgegebenheiten auch immer wieder auf Grenzen stieĂen (vgl. Abschnitt 4.6). Landbau wurde so zur Landwirtschaft. In vielen anderen Sprachen heiĂt die TĂ€tigkeit Agrikultur, was die ö...