Top-Spione im Westen
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Top-Spione im Westen

Klaus Eichner, Gotthold Schramm, Klaus Eichner, Gotthold Schramm

  1. 400 páginas
  2. German
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Top-Spione im Westen

Klaus Eichner, Gotthold Schramm, Klaus Eichner, Gotthold Schramm

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Mitten im Kalten Krieg ist die atomare Bedrohung allgegenwärtig. Spionage und Gegenspionage sollen die Mächte im Gleichgewicht halten und das Schlimmste verhindern. Auch die DDR platzierte Agenten in BND, Kernforschung und NATO-Hauptquartier. Wie tarnten sie sich, wie gingen sie vor? Und wie sah ihr Alltag aus? Über 30 von ihnen berichten aus erster Hand von ihrer konspirativen Tätigkeit und deren Folgen. Ihre Zeugnisse sind einzigartige Dokumente deutscher Geschichte.MIT GABRIELE GAST, GÜNTER GUILLAUME, KLAUS KURON, "SONJA LÜNEBURG", RAINER RUPP, ALFRED SPUHLER UVM.

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Información

»Die Toten bleiben jung«

͟ Dipl.-Ing. Dieter W. Feuerstein ͟ 1926–1973, war ab 1954 Aufklärer der HVA. Er arbeitete u. a. in der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) in Köln und der Firma Braun AG in Frankfurt am Main.
͟ Dr. Gerhard Feuerstein ͟ geboren 1955, Luft- und Raumfahrtingenieur, arbeitete mit der HVA seit 1972 zusammen. Zuletzt war er Entwicklungsingenieur und Sicherheitsbeauftragter in der Rüstungsfirma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), Unternehmensbereich Flugzeuge. Er lieferte u. a. wichtige Informationen über das Kampfflugzeug »Tornado«.
Im Oktober 1990 wurde er verhaftet und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Im Oktober 1994 wurde er vorzeitig entlassen.

Frankfurt am Main, Frühjahr 1972

»Wir müssen reden«, waren die Worte meines Vaters. Wir stritten zwar nicht mehr lautstark, die Argumente waren ausgetauscht, aber das sich Gegenseitig-aus-dem-Weg-gehen konnte nicht die Lösung unserer Differenzen sein. Seit wir im August 1970 nach Frankfurt gezogen waren, ich durch die sozialkritischen Lesungen einer jungen Journalistin der Zeitschrift Konkret gesellschaftlich wachgerüttelt wurde und so mancher Hausbesetzer des Frankfurter Westends dank unseres großbürgerlichen Kühlschranks den Grundstücksspekulanten besser Widerstand entgegensetzen konnte, war unsere Sechsraumwohnung in einer noblen Wohngegend des Frankfurter Nordends ein steter Treffpunkt linksorientierter Freunde.
Niemals hatte ich das Gefühl, dass mein Vater daran Anstoß genommen hätte; im Gegenteil, mein Vater war regelmäßig in die Diskussionsrunden integriert. Ausgegrenzt nur, wenn in einem Teil unserer Wohnung nicht nur Tabak in den selbstgedrehten Zigaretten glimmte. Mit Kritik hielt er zu keinem Zeitpunkt hinterm Berg. Ich erinnere noch genau, wie er mir gegenüber die Gefahren aufzeigte, die er in jenen Positionen zu entdecken glaubte, wie sie von Anhängern der antiautoritären und anarchistischen Szene vertreten wurden. »Das kann ganz schnell in eine militante Richtung gehen, die der durchaus gerechten Sache nur schadet, weil aus einer kleinbürgerlichen Rebellion nur schwer eine gesellschaftliche Revolution wird.« Über einen sehr engagierten und emotionsreichen Artikel zum Thema Obdachlosigkeit der Konkret-Journalistin hatten wir lange und ausführlich gesprochen. Später wurde diese Journalistin bekannt, als auf Plakaten republik- und europaweit nach ihr gefahndet wurde. Noch heute beeindruckt mich die treffsichere Einschätzung und Bewertung meines Vaters zu einem Zeitpunkt, als Ulrike Meinhof selbst ihre spätere Entwicklung kaum erahnt haben dürfte.
Im Laufe des Jahres 1971 entwirrte sich mein Freundeskreis innerhalb des linken Spektrums immer mehr. Andrea, die Tochter von Emil Carlebach, brachte mich zum ersten Mal mit einer Jugendorganisation, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), zusammen. Sie stand eindeutig auf Seiten des anderen, sozialistischen Deutschlands, was für die meisten Linken der BRD überhaupt nicht zutraf. Mit der Zeit lernte ich immer mehr ältere Kommunisten der Deutschen Kommunistischen Partei kennen und schätzen. Ich bewunderte Emil Carlebach, der zur illegalen Lagerleitung im KZ Buchenwald gehörte, nach dem KPD-Verbot 1956 in der DDR Exil fand und später, bis zu seinem Tod 2001, in seiner Heimatstadt Frankfurt lebte; Bewunderung empfand ich auch für den tapferen Widerstandskämpfer Peter Gingold (1916–2006), um stellvertretend für viele zwei Namen zu nennen.
Setzte sich mein Vater noch mit großem Engagement mit maoistischen und trotzkistischen Positionen auseinander, so wurden die Gespräche mit Mitgliedern der DKP ruhiger, leiser und auf eine für mich damals noch nicht verstehbare Art und Weise einvernehmlicher, ja solidarischer geführt. Wobei er allerdings nie darauf verzichtete zu betonen, dass er einer solchen politischen Auffassung nicht zustimmen könne; als wolle er jeden nur denkbaren Versuch der Werbung bereits im Keim ersticken. Und jetzt, als ich mich entschlossen hatte, der DKP beizutreten, begannen die Auseinandersetzungen mit meinem Vater. Ich sollte meinen Aufnahmeantrag zurücknehmen. Sollte Rücksicht nehmen auf die gesellschaftliche Stellung des Vaters, Rücksicht nehmen auf das Mitglied des Vorstands eines deutsch-amerikanischen Unternehmens. Nein, eine Rücksicht auf das Großkapital und die Rüstungsindustrie war bei mir nicht drin. Der Vater erschien mir als reiner Theoretiker, unfähig und unwillig zum Handeln, korrumpiert durch einen gut dotierten Job und fest entschlossen, den eigenen Sohn in eine ebensolche bürgerliche Perspektive zu nötigen. »Salonbolschewist« gehörte noch zu den feineren Vokabeln, die mir im Streit über die Lippen kamen.
Die Aufforderung, miteinander zu reden, hatte ich dankbar aufgegriffen und mich gewundert, dass wir ins Auto stiegen, um auf die andere Seite des Mains zu fahren. Es war einer jener sonnigen Tage, mit dem sich der Winter verabschiedet und den die Meteorologen mit den Worten »für die Jahreszeit zu warm« charakterisieren. Wir hielten auf dem Parkplatz vor dem Goetheturm im Sachsenhäuser Stadtwald. Ich hatte mir unterwegs noch einmal alle Argumente zurechtgelegt. Eine Fülle von Einschätzungen meines Vaters, auch über Menschen in der eigenen Familie, hatte ich parat und brannte darauf, ihn mit seinen eigenen Worten zu schlagen. Während wir den Weg durch den Wald, wegen der noch zahlreichen Pfützen mit gesenkten Blicken, entlanggingen, brach mein Vater das Schweigen. »Du willst also in eine Partei eintreten? Gut, einverstanden, aber es gibt auch andere Parteien als die DKP.«
In aller Ruhe hörte sich mein Vater meine ins Lächerliche gezogene Analyse der Parteienlandschaft des Jahres 1971 an. Ich machte auch nicht Halt vor jenen linken »K-Gruppen«, die als Utopisten die Realität, also den realen Sozialismus, genauso fürchteten wie der Teufel das Weihwasser. In meinem Redeschwall und meiner aufgewühlten Stimmung beharrte ich auf dem Standpunkt, dass es zu der von mir getroffenen Entscheidung keine ernstzunehmende Alternative gebe. »Doch, die gibt es«, waren die ruhigen und warmherzigen Worte, in einer Tonlage, die besser zu dem Satz »Ja, du hast recht« gepasst hätte. Der Wechsel der Worte »Nicht« und »Doch« zog sich noch eine Weile hin, bis es mir endlich in den Sinn kam zu fragen, welche Partei er denn meine. Und während ich noch fragte, zeigte mir ein Blick auf sein Gesicht, dass er auf diese Frage gewartet hatte. »Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die SED«, war seine Antwort. Schweigen und Verblüffung meine Reaktionen, da fehlten mir die Worte, und mit der Alternative hatte er ja nicht unrecht; aber … Ich wollte gerade ansetzen, da fügte er noch hinzu: »Das hätte den Vorteil, dass wir dann beide in der gleichen Partei wären.«
Weniger die Dunkelheit, mehr die Kälte setzte diesem Spaziergang ein Ende. Viele solcher Ausflüge sollten folgen, denn jetzt lernte ich den Vater erst richtig kennen. Nichts wusste ich von seinem Leben bis zu jenem Tag.
Nur eines hatte ich bereits begriffen: dass es Themen gibt, über die niemals in geschlossenen Räumen gesprochen werden darf.

Warschau, März 1948

Gerhard, mein Vater stammt aus einem sozialdemokratischen Elternhaus. Der Großvater, zunächst als Direktor eines Gymnasiums in Karlsruhe von den Nazis strafversetzt und später inhaftiert, konnte verhindern, dass mein Vater der Hitlerjugend beitrat. Mit 16 Jahren, direkt von der Schulbank als Luftwaffenhelfer eingezogen und ohne militärischen Dienstgrad, geriet er in polnische Kriegsgefangenschaft. Ähnlich wie in der Sowjetunion wurden nach den politischen Veränderungen Polens im Jahre 1948 demokratische Selbstverwaltungen der Kriegsgefangenen geschaffen. Neben der organisatorischen Arbeit kam es vor allem darauf an, das Nachdenken über diesen Krieg, über die Verbrechen der Deutschen in Polen und deren Ursachen zu unterstützen. Junge, unbelastete deutsche Kriegsgefangene sollten diese Aufgabe übernehmen, unterstützt von den wenigen Mitgliedern, die in der Arbeiterbewegung schon vor 1933 aktiv wirkten. Irgendwann im Jahre 1947 muss mein Vater mit dieser Frage konfrontiert worden sein.
Mein Wissen über diese für die Entwicklung meines Vaters prägende Zeit beschränkt sich auf wenige Einzelheiten, über die er in Gesprächen berichtete. Details wie Orte und Jahreszahlen, über die er in den frühen 70er Jahren berichtete, sind mir nicht im Gedächtnis geblieben. Eine Vorstellung über die Bedingungen, unter denen mein Vater in jener Zeit lebte, erhielt ich durch die Berichte von Genossen, die den gleichen Weg wie er gegangen sind. In »Der Aufenthalt«, »Meine Wendejahre« und »Deutsche in Polen nach 1945« beschrieben Hermann Kant, Harri Czepuck und Manfred Gebhardt, die sich noch gut an den großen und schlanken Gerhard erinnern können, die damalige Zeit.
Anfang 1948 traf mein Vater im Obóz Pracy Warszawa ein, dem Arbeitslager, das sich im ehemaligen Warschauer Ghetto befand. Neben ganz praktischen, organisatorischen Inhalten vermittelte dieser Schnellkurs elementares Wissen über die geschichtlichen Ereignisse und die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Faschismus und Krieg und bereitete die Grundlage dafür, dass Polen künftig nicht mehr als Feind, sondern als befreundeter Nachbar gesehen werden sollte. Die Aufgabe der antifaschistischen Gruppe, zu der neben Kant, Czepuck, Gebhardt und vielen anderen auch mein Vater gehörte, war unter anderem die Zusammenstellung der Heimkehrerzüge, die vom oberschlesischen Gliwice aus nach Deutschland fuhren. Entscheidend waren Alter, Gesundheit, soziale und familiäre Verhältnisse. Auch die Frage der Verstrickung in die Wehrmachtverbrechen und der Grad der persönlichen Verantwortung waren nicht ohne Belang. Vieles sprach dafür, dass Gerhard zu einem der ersten Transporte gehören sollte, die nach Deutschland fuhren und erstmals im Herbst 1948 zusammengestellt wurden.
Dann kam es anders als erwartet. Die Angehörigen der Antifa-Gruppe wurden in einer Baracke zusammengerufen. Kurz darauf betrat »Onkel Karl« den Raum und teilte der Gruppe mit, worum es ging. Von diesem älteren Genossen, der sich als Karl Wiesner vorgestellt hatte und den alle »Onkel Karl« nannten, hatte mir mein Vater erzählt. Seinen richtigen Namen erfuhr ich aber erst in einem Gespräch mit Harri Czepuck, als ich zur Ehrung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 2003 in Berlin weilte. »Onkel Karl« hieß eigentlich Karl Wloch und war der Cousin von Wilhelm Wloch, der mit seiner Familie Jahre im Moskauer Exil verbrachte. Die damals entstandene Jugendfreundschaft zwischen Lothar, dem Sohn von Wilhelm Wloch, und Konrad Wolf beschreibt Markus Wolf eindrucksvoll in seinem Buch »Die Troika«.
Ich erwähne dies, weil es mich unwillkürlich an eine Begebenheit erinnert, die erst Jahre später ihre umfassende Aufklärung fand. Zähneknirschend mussten meine Frau und ich 1984 akzeptieren, dass wir unseren Kontakt zu einem guten Freund, den wir als Trauzeugen ausgesucht hatten, aus Sicherheitsgründen abbrechen sollten. Wir mussten ihn nicht von der Trauzeugenliste streichen, dennoch brachen wir den Kontakt anschließend gänzlich ab. Eine Begründung für diese Anweisung gab es nicht. Glaubhaft versicherten uns die Führungsoffiziere, dass sie es selber nicht wussten und es sich um eine Anweisung von »ganz oben« handeln würde. Wir blieben folglich alleine mit unseren wilden Spekulationen, gingen dann aber schnell zur Tagesordnung über und vertrauten auf den größeren Überblick der Zentrale. Die Antwort, die uns die Führungsoffiziere versagt hatten, gab schließlich Markus Wolf in der »Troika«. Unser Trauzeuge war Lothar, Sohn des gleichnamigen Vaters und Enkel von Wilhelm Wloch. Wir hatten ohne den Hauch einer Ahnung um die biografischen Verhältnisse unter unzähligen Studenten der Technischen Universität Westberlins ausgerechnet Lothar ausgesucht, dessen Familie enge, freundschaftliche Kontakte zu unserem obersten Chef pflegte. Unter konspirativen Gesichtspunkten eine sehr bedenkliche Konstellation, die eine solch drastische Maßnahme in der Tat rechtfertigte. Mein Erstaunen war enorm, als ich 2003 erfuhr, dass unser Trauzeuge Lothar auch der Großneffe von »Onkel Karl« ist, der 1948 so entscheidenden Einfluss auf die Biografie meines Vaters – und in letzter Konsequenz auch meine eigene – hatte.
»Onkel Karl« fragte in dieser Warschauer Baracke die Gefangenen, was sie davon hielten, die politische Arbeit bis zum Schluss fortzusetzen. Ohne Zögern war mein Vater bereit, sich auf das einzulassen, was vorgeschlagen wurde. Auf eine solche Gelegenheit hatte er gewartet, seit er als Kriegsgefangener bis zu den Hüften in bereits halbverwesten Leichen stehend, das erste Massengrab freilegen musste. Das war eine der bestialischen Hinterlassenschaften der SS- und Wehrmacht-Mörder. Wer einmal die Körper von Säuglingen und Greisen zur Identifizierung in den Händen hielt, lässt sich nicht mehr von dem hinlänglich bekannten Geschwafel vom Krieg, in dem das halt »normal« sei, verwirren.
Über drei Jahre dauerte es nun schon, in denen meine Großeltern im badischen Mannheim auf die Rückkehr der beiden Söhne gewartet hatten. Der erste Brief meines Vaters aus Polen, nach seiner Entscheidung, freiwillig zu bleiben, stieß auf Unverständnis. Waren die Worte authentisch? Wurden sie unter Zwang diktiert? Das Misstrauen war groß. Gerhard musste noch viele Briefe schreiben, bis die Eltern daheim begriffen.
Obwohl die Selbstverpflichtung lautete »Wir machen als Letzte das Licht aus«, gehörte mein Vater zu denen, die zur Staatsgründung der DDR am 7. Oktober 1949 ihren Platz in Berlin sahen.

Leipzig, 4. Juli 1953

Die Absolventen des ersten Jahrgangs »Lehrer für Grundlagen des Marxismus-Leninismus«, zu denen mein Vater gehörte, erhielten an jenem Tag ihre Diplomurkunde. Aus Polen zurück, war mein Vater von der Partei nach Leipzig delegiert worden, um an diesem Studium teilzunehmen. Zu einem wesentlichen Teil der Bildungspolitik der DDR gehörte die Erkenntnis, dass nur das Wissen um gesellschaftliche Zusammenhänge künftige Katastrophen verhindern könne. Dass unter den Bedingungen echter Demokratie, soll heißen im wahrsten Wortsinne echter Volksherrschaft, den Angehörigen der Intelligenz besondere Verantwortung für den Charakter des Staates auferlegt wird, liegt auf der Hand. Für jeden akademischen Bildungsweg sollten die Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften zum Pflichtfach werden. Und dafür brauchte es Lehrerinnen und Lehrer. Einer davon war nun mein Vater.
In dieser Zeit hielt an der Philosophischen Fakultät der Leipziger Karl-Marx-Universität der große deutsche Philosoph Ernst Bloch Vorlesungen. Wie ich aus den Erzählungen meines Vaters weiß, versäumte er kaum eine und schwänzte dazu nicht selten die Seminare des eigenen Studiengangs, wie mir dies Jahre später Wolfgang Heinke, Professor für Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung an der Humboldt-Universität, bestätigte. Dass mein Vater tatsächlich zu einem der großen Bewunderer Blochs gehörte, entspricht den Tatsachen, wie mir damalige Mitstudenten wie Wolfgang Heinke, aber auch Günter Wendel, Professor für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität, bestätigten – und zwar ohne Kenntnis der Schlagzeilen, mit denen die Tagespresse von Flensburg bis Rosenheim am 23. Januar 1992 zu meinem Prozessauftakt ihre Berichterstattungen betitelten.
Bis heute habe ich mich nicht öffentlich dazu geäußert, will aber an dieser Stelle eine Begebenheit einfügen, die ich selbst im Dezember 1971 erlebt habe. Zum Weihnachtsessen kam die ganze Familie bei meiner Großmutter in Heidelberg zusammen, um friedlich und harmonisch das Jahresendfest zu begehen. Neben meiner Mutter und meinem Vater waren auch mein Onkel und meine Tante aus Ulm angereist. Der acht Jahre ältere Bruder meines Vaters hatte als Luftwaffen-Offizier in sowjetischer Kriegsgefangenschaft auch erfahren, was antifaschistische Schulung unter deutschen Kriegsgefangenen bedeutete – jedoch nicht als Lehrer, sondern als Schüler. Die Arbeit in der Sowjetunion war nicht vergeblich, wie es anfangs schien, denn nach seiner Rückkehr versuchte er sogar, den Vater von der Mitgliedschaft in der KPD zu begeistern. Von dieser Geisteshaltung war bei meinem Onkel, inzwischen Stadtrat und Mitglied des rechten Flügels der SPD, dem Rechtsanwalt mit florierender Praxis, nicht viel übriggeblieben. Ich weiß noch, dass eine meiner politischen Äußerungen von meinem Onkel mit dem Attribut »jugendlicher Heißsporn« bewertet wurde.
Nach meiner Retourkutsche, in der ich die Auffassung vertrat, dass sich Walter Ulbricht sicher freuen würde, als »jugendlicher Heißsporn« bezeichnet zu werden, ging es dann rund. Verbal flogen die Fetzen. Mutter und Vater auf meiner, die Tante auf der Seite des Onkels und mittendrin die Oma, sichtlich bemüht um Frieden und Harmonie. Zwar beruhigten sich dann alle wieder einigermaßen, aber die Stimmung war im Eimer. Noch in der Nacht traten bei meiner Großmutter Herzprobleme auf, und der Notarzt hielt die Einweisung in ein Krankenhaus für geboten. Gleich am nächsten Tag besuchten wir die Oma in der Heidelberger Universitätsklinik und versicherten ihr, dass wir allen Streit begraben hätten und sie doch bald wieder gesund werden möge. Dann schickte sie alle aus dem Krankenzimmer, mit Ausnahme meines Vaters. Mutter, Onkel, Tante und ich selbst warteten geduldig auf dem Krankenhausflur. Nach geraumer Zeit trat mein Vater aus ihrem Zimmer, mehr schwankend als gehend und mit tränengeröteten Augen. Jedem von uns schien klar, was das bedeutete. Ich war wohl der Erste, der fragte: »Ist die Oma tot?«
»Quatsch, die überlebt uns noch alle«, war die Antwort, die weder zur Situation noch zu meinem Vater passte. Er ließ uns einfach stehen und kam erst am nächsten Tag wieder. Jede Anspielung darauf damit abwürgend, dass er darüber nicht reden wolle. Genau wie dies Oma – übrigens noch am gleichen Tag wieder nach Hause entlassen – mit den Worten »Das geht nur den Gerhard was an« auch tat.
Erst bei einem unserer »Waldspaziergänge« erfuhr ich, dass Oma dachte, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, und sie ein bis dahin gehütetes Geheimnis mit ins Grab nehmen müsse. Da ging es um eine Affäre, die sie als verheiratete Frau im Jahre 1925 mit einem jungen Mann hatte und die nicht ganz folgenlos geblieben war. Das Ergebnis dieser sexuellen Eskapade war mein Vater. – Der junge Mann hieß Ernst Bloch.
Was damals in meinem Vater vorging, als er erfuhr, dass es sich bei Bloch um den leiblichen Vater handelte, kann ich nur erahnen. Wütend machten mich die Schlagzeilen wie »Landesverratsprozess gegen Stasi-Spion und Bloch-Enkel«. Brachten sie doch dadurch Sachverhalte in einen Kontext, die absolut nichts miteinander zu tun haben.
Aber in den 50er Jahren war Bloch für meinen Vater eben »nur« ein hervorragender Philosoph, und es gab eine Reihe Argumente, mit deren Hilfe sich so mancher die Realität schönredete. Ohne Zweifel sah mein Vater, wie viele damals, im Weggang Blochs auch eine Chance des ungestörten Aufbaus der Republik; ein Nörgler weniger. Dass uns aber nur tägliche Infragestellung und Kritik voranbringen, hatten die meisten damals verdrängt. Insgesamt habe ich von der Geschichte meines Vaters in den frühen 50er Jahren nur bruchstückartige Kenntnisse, die ich einerseits den Erzählungen meines Vaters und andererseits den Berichten der Zeitzeugen, die ich bisher finden konnte, verdanke. Nachfragen bei meinem Vater brachten zu oft »ein anderes Mal« hervor. Wer hätte ahnen können, dass es dann viel zu schnell kein »anderes Mal« mehr gab. Nachfragen bei den Führungsoffizieren brachten den Hinweis auf die Aktenlage, die ich irgendwann in Ruhe durchforsten könne. Wer hätte ahnen können, dass es heute keine Akten mehr gibt.
Aus Erzählungen weiß ich, dass er in der studienfreien Zeit sowohl Arbeitsschichten beim Bau der Wohnungen entlang der Berliner Stalinallee ableistete als auch für die KPD in Baden-Württemberg parteiinterne Schulungsveranstaltungen durchführte. Letzteres erfuhr ich erst vor wenigen Jahren, als ich auf Einladung der DKP Heidelberg über meine Arbeit berichtete. Vera Glitscher leitete die Versammlung, und im Anschluss stellten wir beide fest, dass wir bereits gemeinsam im Sandkasten gespielt hatten und ich zu den bösen Buben gehörte, die sie an ihren Zöpfen gezogen hatten. Denn Vera und ihre Eltern wohnten damals ganz in der Nähe meiner Großmutter, bei der ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte. Vera brachte mich aber auch mit Sofie Berlinghof, einer hochbetagten Genossin, zusammen, die sich noch gut an meinen Vater als Referent der Partei erinnern konnte.
Gesichert ist, dass ich 1955 zur Welt kam, und mein Vater 1956 mit dem Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule in Aachen begann. Ohne jeden Zweifel war dieses Studium bereits Teil der operativen Planung der gerade gegründeten Hauptverwaltung A, der Auslandsaufklärung der DDR.
Irgendwann nach dem KPD-Verbot hatte mein Vater erfolgreich seinen Vater davon abgebracht, in die nun illegale Partei einzutreten. Als Sozialdemokrat gehörte der Großvater zu jenen SPDMitgliedern, die sich für den Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien in Baden einsetzten. Er musste erleben, wie Mitglieder der SPD von ihrer Parteiführung mundtot gemacht, ja ganze Ortsverbände von oben aufgelöst wurden. Nach dem Verbot der KPD platzte ihm der Kragen, und er hoffte darauf, dass Gerhard, sein Sohn, noch Kontakte zur illegalen Partei hätte. Die Gründe meines Va...

Índice

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Über dieses Buch
  5. Inhalt
  6. Vorwort von Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz
  7. Johanna Olbrich: Ich wurde Sonja Lüneburg
  8. Ulrich Steinmann: Rüstungswettlauf
  9. Hans-Joachim und Marianne Bamler: Die erste NATO-Residentur
  10. Karl Gebauer: Projekt »Tenne«
  11. Rainer Rupp: NATO: mittendrin
  12. »Harry«: Auch in der Haft nicht allein
  13. Klaus von Raussendorff: Die Schlacht ist noch zu gewinnen
  14. Heinz H. Werner: Die »Kunst« des Dechiffrierens
  15. Doris und George Pumphrey: Ein langer Weg zur DDR …
  16. Alfred Spuhler: Ein Brief an die Familie und an die Freunde
  17. Ludwig Spuhler: Peter und Florian – das Top-Team
  18. Dr. Harald Gottfried: Unmittelbar am Reaktor
  19. Dr. Johannes Koppe: Janusköpfige Atomforschung
  20. Dieter Popp: Asriel und Aurikel – Primeln wachsen auch im Geheimen
  21. Klaus Kuron: Vom BfV zur HVA
  22. Inge und Heinz Baude: Zwei aus der »Aktion 100«
  23. Dieter W. Feuerstein: »Die Toten bleiben jung«
  24. Heinz D. Stuckmann: Die große Kaderschmiede
  25. Hans Voelkner: … und wieder in Paris
  26. Dr. Gabriele Gast: Isolationsfolter
  27. Wolfgang Hartmann: Wolff war’s nicht, es war Wolf
  28. Herbert Willner: Als Ghostwriter Verheugens
  29. Peter Wolter: Agentenromantik?
  30. Günter und Christel Guillaume: Im Dachstübchen des Olymp
  31. Dieter Görsdorf: Von der Volksmarine zur Bundesmarine und zurück
  32. Lorenz Betzing: Im Regierungsbunker
  33. »Robert«: Ein Amerikaner in der BRD
  34. »Loni«: Spur = hinterlassenes Zeichen
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[author missing]. (2016). Top-Spione im Westen ([edition unavailable]). Das Neue Berlin. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1065505/topspione-im-westen-pdf (Original work published 2016)

Chicago Citation

[author missing]. (2016) 2016. Top-Spione Im Westen. [Edition unavailable]. Das Neue Berlin. https://www.perlego.com/book/1065505/topspione-im-westen-pdf.

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[author missing] (2016) Top-Spione im Westen. [edition unavailable]. Das Neue Berlin. Available at: https://www.perlego.com/book/1065505/topspione-im-westen-pdf (Accessed: 14 October 2022).

MLA 7 Citation

[author missing]. Top-Spione Im Westen. [edition unavailable]. Das Neue Berlin, 2016. Web. 14 Oct. 2022.