Reformansätze zur Unterbringung nach § 64 StGB
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Reformansätze zur Unterbringung nach § 64 StGB

Der zweischneidige Erfolg der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Jürgen L. Müller, Matthias Koller, Jürgen L. Müller, Matthias Koller, Sabine Nowara, Margret Spaniol, Jürgen L. Müller, Matthias Koller

  1. 178 páginas
  2. German
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Reformansätze zur Unterbringung nach § 64 StGB

Der zweischneidige Erfolg der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Jürgen L. Müller, Matthias Koller, Jürgen L. Müller, Matthias Koller, Sabine Nowara, Margret Spaniol, Jürgen L. Müller, Matthias Koller

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In der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB werden Straftäter mit Substanzkonsum behandelt, um weitere Straftaten zu verhindern. Seit 1990 hat sich die Zahl der Untergebrachten auf heute ca. 4.500 mehr als vervierfacht, wobei bundesweit etwa die Hälfte (30-70 %) der Patienten die Behandlung nicht erfolgreich abschließen kann. Zu weit gefasste Eingangskriterien, komplexe Störungsbilder, vereinzelte öffentlichkeitswirksame Zwischenfälle und die reaktive Betonung des Primats der Sicherheit belasten die Arbeit mit immer mehr Patienten. Diese Situation gibt Anlass, die Konzeption der Maßregel zu hinterfragen und Alternativen zu diskutieren.

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Información

Año
2020
ISBN
9783170359901
Edición
1
Categoría
Medicine

Teil 1 Problemstellung

1.1 Einleitung

Matthias Koller, Jürgen L. Müller

Mehr als 25 Jahre sind vergangen, seit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer Grundsatzentscheidung den verfassungsrechtlichen Rahmen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesteckt hat (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 – 2 BvL 3/90 –, BVerfGE 91, 1-70). Im Mittelpunkt der Überlegungen des BVerfG stand die enge Verknüpfung von Unterbringung und Behandlung. Dementsprechend lautet der 1. Leitsatz der Entscheidung: »Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und ebenso ihr Vollzug müssen von Verfassungs wegen an die Voraussetzung geknüpft sein, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nicht weiter vollzogen werden, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht mehr auf einen solchen Behandlungserfolg besteht.«
In den Entscheidungsgründen wird erläutert, dass freiheitsentziehende Maßregeln keine Strafzwecke verfolgen und daher nur zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten vorgesehen werden dürfen. Bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werde dieser Zweck einer Sicherung der Allgemeinheit dabei (nur) auf dem Wege einer Behandlung der Rauschmittelabhängigkeit des Untergebrachten verfolgt (BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 79). Wegen dieses Zweck-Mittel-Verhältnisses dürfe die Unterbringung nach § 64 StGB nicht zur Heilbehandlung eines für die Allgemeinheit ungefährlichen Täters und auch nicht gegen einen nicht behandlungsfähigen Täter angeordnet werden, nur um durch dessen Verwahrung die Allgemeinheit zu schützen (BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 80).
Außerdem müsse die Maßregel im Blick auf ihre Mittel-Zweck-Beziehung zum Schutz der Allgemeinheit verhältnismäßig sein. Das besondere Gewicht des mit der Anordnung der Maßregel des § 64 StGB verbundenen Grundrechtseingriffs erschließe sich nicht allein aus der Tatsache des Freiheitsentzugs, sondern auch daraus, dass der Verurteilte – nicht selten gegen seinen Willen – einer auf die Behebung nicht zuletzt psychischer Fehlhaltungen gerichteten medizinischen Behandlung unterworfen werde, deren Erfolg zudem nicht als gewiss gelten könne (BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 81 f). Deshalb dürfe die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur für Fälle vorgesehen werden, in denen sie geeignet sei, den Schutzzweck gerade durch Behandlung zu erreichen, und in denen insoweit eine hinreichend zuverlässige Indikation gestellt werden könne (BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 83).
Schon das BVerfG sprach in diesem Zusammenhang eine Reihe von tatsächlichen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten der Behandlung in einer Entziehungsanstalt an:
• die Unterschiedlichkeit der zu behandelnden Tätergruppen und die unterschiedliche Therapierbarkeit der einzelnen Täter,
• die noch nicht genügende Erprobung der Behandlungsweisen,
• die auch mit unterschiedlichen Behandlungskonzepten unterschiedliche Ansprechbarkeit verschiedener Suchterkrankungen,
• die tatsächlich verfügbaren Behandlungskonzepte und
• die tatsächlichen Kapazitäten der vorhandenen Entziehungsanstalten (vgl. BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 85 f).
Es leitete aus alledem den Auftrag sowohl an den Gesetzgeber als auch an die Gesetzesanwender ab, die Anordnung und den Vollzug der Unterbringung strikt an die im Leitsatz besonders herausgestellte Voraussetzung einer konkreten Chance für einen Behandlungserfolg zu knüpfen (BVerfG a.a.O., bei juris Rn. 85).
Gut 13 Jahre später wurden diese Vorgaben des BVerfG durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 in Gesetzesrecht umgesetzt (BGBl. I 2007, 1327). Dies war allerdings nur ein Nebenaspekt des Reformvorhabens (BT-Drucks. 16/1110). Im Vordergrund stand das Ziel, einem wachsenden Belegungsdruck sowohl im Maßregelvollzug nach § 63 StGB als auch nach § 64 StGB entgegenzuwirken. In vielen Bundesländern seien die Einrichtungen des Maßregelvollzugs an der Grenze ihrer Aufnahmekapazitäten. Darunter könnten sowohl die Behandlungsmöglichkeiten leiden als auch die Sicherheit der Anstalten gefährdet werden. Außerdem könnten sich erhebliche Probleme daraus ergeben, dass Verurteilte nach Anordnung ihrer Unterbringung oft monatelang im Strafvollzug (»Organisationshaft«) auf einen freien Platz warten müssen. Anstaltsneu- und Anstaltsausbauten könnten keine dauerhafte und umfassende Abhilfe schaffen, solange weiterhin Personen in den Maßregelvollzug gelangten, deren Unterbringung aus therapeutischen oder rechtlichen Gründen problematisch sei. Die Revision des Rechts der Unterbringung solle deshalb »dazu beitragen, die vorhandenen Kapazitäten des Maßregelvollzugs besser und zielgerichteter zu nutzen und damit der Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Straftäterinnen und Straftätern dienen« (BT-Drucks. 16/1110, S. 9). In Verfolgung dieser Zielsetzung wurde die Vorschrift des § 64 StGB zur Soll-Vorschrift umgestaltet. Außerdem wurden erweiterte Möglichkeiten des Vorwegvollzugs der Strafe, insbesondere vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, geschaffen. Schließlich wurden die Möglichkeiten einer Vollstreckungsaussetzung der Begleitstrafe schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe erweitert, um den Untergebrachten bei erfolgreichem Behandlungsverlauf sowohl eine Rückverlegung in eine Justizvollzugsanstalt als auch eine unnötige Verlängerung der Maßregel zu ersparen (a.a.O., S. 16).
Mittlerweile sind weitere zwölf Jahre vergangen und es wird erneut über eine Reform des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt diskutiert.
In der Folge der letzten Reform ist es nicht gelungen, den Belegungsdruck abzumildern. Im Gegenteil sind die Zuweisungs- und Belegungszahlen im Maßregelvollzug nach § 64 StGB weiter dramatisch angestiegen (
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Abb. 1.1).
Die Maßregelvollzugsstatistik des Statistischen Bundesamtes weist im Zeitraum von 2000 bis 2014 für die alten Bundesländer eine Steigerung um ca. 115 % aus (2000: 1.774 Fälle, 2014: 3.822 Fälle; Stichtagszählung zum 31.03.). Anhand des in 14 Bundesländern (außer Bayern und Baden-Württemberg) erhobenen Kerndatensatzes im Maßregelvollzug (CEUS) lässt sich im Zeitraum von 2008 bis 2016 ein Anstieg der durchschnittlichen Belegung der Patienten gem. § 64 StGB um ca. 36 % (2008: 2.009 Fälle, 2016: 2.732 Fälle) nachweisen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Neuaufnahmen pro Jahr um ca. 24 % von 1.152 auf 1.430 Fälle. Seit 1990 sind die Patientenzahlen von 1000 auf 4000 Patienten im Jahr 2014 angestiegen. Damit hat sich diese Zahl vervierfacht. Zwischen 2000 und 2014 kam es zu einer Verdoppelung der Patientenzahlen. Damit blieb die von der Gesetzesänderung 2007, die unter anderem die Unterbringung an eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht knüpfte, erhoffte Drosselung der Unterbringungszahlen aus. Gegenwärtig sind in Deutschland etwa 4.500 Personen auf Grundlage des § 64 StGB untergebracht (Müller 2019).
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Abb. 1.1: Anzahl Untergebrachte in einer Entziehungsanstalt (mit Dank von Norbert Schalast übernommen)
Gleichzeitig werden beträchtliche Abbruchquoten berichtet.
Inzwischen wird bundesweit jede zweite Behandlung (30 bis 70 % der zugewiesenen Patienten) wegen Aussichtslosigkeit beendet, aller Erörterungen der Erfolgsaussicht in foro zum Trotz. Diese Patienten, bei denen die Therapie wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen wurde, stellen eine besondere Risikoklientel dar; bei ihnen besteht nicht nur eine ungünstige Perspektive für Abstinenz, sondern auch für die Legalbewährung (Müller 2019). 73 % dieser Patienten werden binnen dreier Jahre erneut straffällig (Querengässer et al. 2018).
Beschrieben werden außerdem Veränderungen des Patientenaufkommens.
Während bis zur Jahrtausendwende Patienten mit Alkoholproblemen überwogen, steht nun der Konsum von unterschiedlichen Drogen im Vordergrund (Polytoxikomanie). Dabei erfüllt eine nicht unbeträchtliche Anzahl der Betroffenen die psychiatrischen Kriterien einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen (ICD 10) oder einer relevanten Substanzkonsumstörung (DSM-5) nicht. Der der Unterbringung zugrundeliegende rechtliche Hangbegriff ist wesentlich weiter gefasst, als es die Kriterien einer psychischen Störung gemäß den operationalisierten internationalen Diagnosesystemen zulassen. Zunehmend kommen Patienten in die Unterbringung, bei denen eine relevante Abhängigkeit oder eine Substanzkonsumstörung nicht vorliegt.
Hinzu kommt, dass die Patienten häufig komorbid belastet sind. Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn Impulsivität und Antisozialität mit einer Polytoxikomanie zusammentreffen oder wenn es um Patienten geht, bei denen dissoziale Orientierung und Bereitschaft zum Regelverstoß die durch den Hang zur Einnahme psychotroper Substanzen bedingte Behandlungsindikation zumindest aufwiegen.
Auch ein inzwischen sehr weit gefasster Kausalitätsbegriff, nach dem der Substanzmittelkonsum nicht mehr eine entscheidende Bedingung für die Begehung der Straftat gewesen sein muss, sondern auch ein sehr weit gefasster korrelativer Zusammenhang ausreichen kann, stellt die Behandlungsteams vor neue Herausforderungen. Aus der Praxis wird berichtet, dass dem Maßregelvollzug in nicht unerheblichem Umfang Patienten zugewiesen werden, bei denen keine eindeutige Abhängigkeitserkrankung vorliege, sondern eher ein missbräuchlicher Drogenkonsum als Teil des delinquenten Lebenswandels oder des Lifestyles. Autoren (Schalast et al. 2016,
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Kap. 2.1) weisen darauf hin, dass die Persönlichkeit und die Einstellung der Patienten für die Behandlung eine immer größere Rolle spielt und die Suchtmittelerkrankung zunehmend von der primären Störung zur Begleiterkrankung wechselt. In der Folge werden auch Menschen mit primär delinquenter Orientierung in die Unterbringung gebracht, bei denen der Drogenhandel einträgliche Erwerbsquelle ist, bei denen der persönliche Drogenkonsum bzw. die Abhängigkeit dem Profitinteresse gegenüber nachrangig sind. Diese Probanden verändern aber die therapeutische Atmosphäre nachteilig und fördern die Ausbildung therapiefeindlicher Strukturen in den Einrichtungen (Müller 2019).
Schließlich begünstigt die aktuelle Gesetzeslage, wonach bei erfolgreichem Durchlaufen der Entziehungsbehandlung eine Entlassung in die Freiheit regelhaft schon zum Halbstrafenzeitpunkt erfolgen kann, strategische Überlegungen dahin, bei höherer Straferwartung zugleich die Unterbringung gemäß § 64 StGB anzustreben, und zwar weniger zur Behandlung als vielmehr aus vollstreckungstaktischen Motiven.
Die Zahl der Unterbringungs- und Behandlungsplätze ist limitiert, ihrer Ausweitung sind enge Grenzen gesetzt. Eine zentrale Schwierigkeit liegt nicht zuletzt auch in der Gewinnung und Bindung qualifizierten Personals in allen Arbeitsbereichen des Maßregelvollzugs.
Bei aktuell ca. 4.500 Untergebrachten in den Entziehungsanstalten und einem angenommenen durchschnittlichen Tagessatz von 250 Euro/Tag belaufen sich die Kosten der Unterbringung schon jetzt auf über 400 Mio. Euro pro Jahr. Jeder weitere Anstieg der Patientenzahlen und jede weitere Erhöhung der Platzkapazitäten führt zu einer zusätzlichen organisatorischen und finanziellen Belastung der Einrichtungen und der Träger. Die verfügbaren Kapazitäten sind ausgeschöpft, d. h. es müssen neue Behandlungsplätze und Stationen geschaffen werden. Schwierig ist es nicht zuletzt auch, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Der Mangel an Ärzten im Maßregelvollzug ist seit längerem brisant, inzwischen wird es auch zunehmend schwierig, qualifizierte und an einer längerfristigen Tätigkeit interessierte Psychologen und Mitarbeiter in der Pflege einzustellen. Regelhaft müssen neugewonnene Mitarbeiter für die spezifischen Belange ausgebildet und für die interdisziplinäre Arbeit in der forensischen Psychiatrie und das damit verbundene Primat der Beachtung der Sicherheit der Öffentlichkeit qualifiziert werden. Gelingt dies nicht reibungslos, so sind Zwischenfälle meist öffentlichkeitswirksam und gehen mit erhöhtem Druck auf Klinik und Mitarbeiter einher (Müller 2019).
Wiewohl von Verfassungs wegen der Besserungszweck der Maßregel weit im Vordergrund steht, wird die Gestaltung des Vollzuges der Unterbringung nach § 64 StGB von der Politik zunehmend an bloßen Sicherungsüberlegungen ausgerichtet. Hieran relativieren sich Klinikbauten, Behandlungsatmosphäre, Therapieangebote sowie Lockerungs- und Re...

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