Raum und Wissen
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Raum und Wissen

Elemente einer Theorie epistemischen Diagrammgebrauchs

Jan Wöpking

  1. 217 pages
  2. German
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Raum und Wissen

Elemente einer Theorie epistemischen Diagrammgebrauchs

Jan Wöpking

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Die Monographie untersucht den Gebrauch von Diagrammen zu Erkenntniszwecken. Anhand der Schlüsselszenen von euklidischer Geometrie und spätmittelalterlicher Physik zeigt die Studie, wie Diagramme Räumlichkeit und Regeln, Logik und epistemischen Überschuss, Doppeldeutigkeit und Präzision so verbinden, dass neue Einsichten gewonnen und unbekannte Phänomene erschlossen werden. Zunächst wird erarbeitet, warum konstruierte Diagramme im Allgemeinen mehr Informationen zeigen als zu ihrer Konstruktion aufgewendet werden, mithin einen Erkenntnisüberschuss produzieren. Dieser Überschuss wird gegen eine mächtige bildkritische Tradition als zentrales und legitimes Prinzip der Figurenbeweise der euklidischen Geometrie identifiziert. Schließlich rekonstruiert die Arbeit, wie Nicole Oresme in seiner bahnbrechenden Konfigurationsdoktrin im 14. Jahrhundert die Diagramme Euklids als epistemisches Instrument einsetzt, um eine universale Quantifizierung aller Naturvorgänge vorzunehmen.

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Informations

Éditeur
De Gruyter
Année
2016
ISBN
9783110433357

1Grundlagen. Räumliche Merkmale von Diagrammen

1.1Einleitung

Diagramme sind zunächst und wesentlich räumliche Objekte. Es handelt sich bei ihnen um Darstellungsformate, in denen in komplexer und charakteristischer Weise Raumstrukturen für epistemische Zwecke erzeugt und genutzt werden. In diesem Kapitel möchte ich eine logische Geographie der Räumlichkeit von Diagrammen erarbeiten, die auf zwei Annahmen fußt. Erstens gibt es nicht nur eine, sondern verschiedene, koexistierende Weisen diagrammatischer Raumnutzung: Diagramme sind multispatial. Zweitens ist Räumlichkeit zwar eine charakteristische, aber nicht die einzige und allein hinreichende Komponente von Diagrammen. Diagrammatische Räumlichkeit ist immer schon normativ geregelt und symbolisch ergänzt, wodurch die Flexibilität und Tauglichkeit diagrammatischer Systeme insgesamt erhöht wird. Die These des Kapitels ist damit nicht gänzlich neu – Art und Systematik der Begründung, die sie erfährt, hingegen schon. Beginnen wir mit dem Bekannten.
Die jüngere Forschung bestimmt Diagramme als Graphismen, die in besonderem Maße auf Räumlichkeit basieren. Interessanterweise wird diese Behauptung weitgehend unabhängig voneinander sowohl in der deutschsprachigen Debatte seit den frühen 1990ern als auch in der angelsächsischen Debatte seit den späten 1970ern aufgestellt. So sind für Wilharm Diagramme zwar ebenso graphisch wie andere Darstellungsformate. Doch: „Einzigartig scheint […] die besondere räumliche Anordnung“ (Wilharm 1992, S. 127). Und jüngst bestimmten Mersch und Heßler „Spatialität“ als Basis diagrammatischer Darstellung:
Diagrammatische und graphematische Strukturräume fußen in diesem Sinne auf ‚spatialen Logiken’: sie basieren auf einer Streuung von Punkten und ihren Relationen zueinander, auf Anordnungen, Häufungen, Richtungen oder metrischen Verhältnissen und dergleichen, die ihre Zusammenfassung zu Mustern und anderen räumlichen Aktionen erlauben, um auf diesem Wege neue Ordnungen sichtbar zu machen. (Heßler / Mersch 2009, S. 33)
Insgesamt bestimmt eine Reihe von Arbeiten Diagramme über ihre Räumlichkeit. Diese Studien sind im Einzelnen wertvoll. Doch ihr großes Problem ist die wechselseitige Unverbundenheit. Jede von ihnen erklärt eine Form der Raumnutzung zur eigentlichen und ignoriert dabei andere Formen. Die isolierten Forschungsbeiträge sollen auf den folgenden Seiten in einer systematischen Zusammenschau und kritischen Diskussion verbunden werden (ähnlich insbesondere Stenning 2000 und Shimojima 2001). Im Ergebnis werden vier Hauptkategorien von Räumlichkeit unterschieden: Exteriorität, Strukturalität, Direktheit und Interventionalität. Der Schwerpunkt liegt dabei stets auf den epistemischen Potentialen, die aus der jeweils diskutierten Dimension von Räumlichkeit folgen. Dabei zielt Exteriorität auf die materielle Äußerlichkeit empirischer Graphismen. Strukturalität meint die Nutzung eines formatierten, artikulierten Raumes insbesondere zur Darstellung und Analyse anderer nicht räumlicher Strukturen mittels einer sogenannten Strukturisomorphie. Direktheit betrifft den unterschiedlichen Grad, in dem diagrammatische Darstellungen aufgrund räumlicher Faktoren unmittelbar erfasst und interpretiert werden können. Der Begriff Interventionalität umfasst schließlich die räumlichen Ursachen dafür, dass ein konstruiertes Diagramm im Allgemeinen mehr und anderen informativen Gehalt aufweist, als in seine Konstruktion eingegangen ist.
Im Anschluss an die Analyse der vier Dimensionen diskutiere ich zwei eng damit zusammenhängende Punkte: Einerseits die Rolle, die nicht räumliche, symbolische Faktoren in Diagrammen spielen; andererseits die Frage, inwieweit die Arbeit mit Diagrammen besondere kognitive Effizienz aufweist und inwiefern diese Zuschreibung über die Räumlichkeit von Diagrammen begründet werden kann. In der abschließenden Konklusion steht die Frage im Vordergrund, was diagrammatische Darstellungen von anderen gleichfalls räumlichen Darstellungsformen, etwa von Schriften, unterscheidet.

1.2Exteriorität

Als erstes sollten wir Räumlichkeit im Sinne von Exteriorität und Räumlichkeit im Sinne von Spatialität unterscheiden. 2Exteriorität meint die materielle, faktische, andauernde Ausgedehntheit einer Sache in der Welt, Spatialität hingegen die Formatierung und Strukturierung eines Raumes in Orte, Objekte und Relationen. Exteriorität kommt Dingen zu, Spatialität hingegen bezieht sich immer auf Systeme von Dingen. Exteriorität ist unabhängiges factum brutum, Spatialität hingegen abhängig von einem bestimmten Gebrauch, etwa von einer Leseweise. Die Logik von Darstellungsformaten wie Schriften, Bildern oder eben Diagrammen basiert auf Spatialität. Allerdings setzt darstellungslogische Spatialität wiederum physische Exteriorität voraus, nämlich in Form der Einschreibung von Marken in einen physischen Raum, etwa durch Ritzung von Steinen, Einzeichnungen in Sand oder Schreiben auf das Papier.
Diagramme sind deshalb nun genauso exteriore Darstellungsformen, wie es Schriften und andere graphische Darstellungsformen auch sind. Exteriorität ist damit kein Alleinstellungsmerkmal von Diagrammen. Dennoch ist sie äußerst wichtig, hat sie doch eine Reihe inzwischen wohl diskutierter Effekte zur Folge, die eine bedeutende Rolle für das kognitive und epistemische Potential des Gebrauchs von Diagrammen spielen:
Öffentlichkeit: Exteriore Inskriptionen sind prinzipiell öffentlich zugänglich (solange sie existieren). Die Öffentlichkeit ermöglicht die Zusammenarbeit mehrerer Menschen, insbesondere indem das Objekt als gemeinsamer Bezugspunkt dient (Suthers / Giradeau / Hundhausen 2003). Die Öffentlichkeit einer Inskription kann allerdings auch zu Versuchen von „confiscation, corruption and deception“ führen (Sterelny 2010, S. 474).
Stabilität: Latour (1990) hebt in seinem klassischen Aufsatz „Drawing Things Together“ zwei Merkmale von Graphismen hervor: die Stabilität des Aufgezeichneten bei gleichzeitiger Mobilität des Aufzeichnungsträgers. Diagrammatisierung lässt sich, ebenso wie Verschriftlichung als „Vergegenständlichung in dem Sinne begreifen, dass ein Gegenstand der Wahrnehmung gegenübersteht, den Akt der Wahrnehmung überdauert“ (Kogge 2005, S. 145). Der materielle Raum stellt ein „Vermögen zur Aufbewahrung“ (Hoffmann 2008, S. 10) dar, das insbesondere eine Externalisierung von Gedächtnisleistungen erlaubt. Stabilität ermöglicht damit zugleich eine Objektivierung von Gedanken und Ideen in eine äußere wahrnehmbare Form. Damit kann es zugleich zu Verfremdungseffekten kommen: Meine ehemals eigenen Gedanken treten mir als fremdes Objekt entgegen. So wird es möglich, neue Sachverhalte in den Inskriptionen zu entdecken.
Mobilität: Inskriptionen sind vergleichsweise kostengünstig und einfach von Ort zu Ort transportierbar, sie weisen eine „umstandslose Verfügbarkeit“ auf: „Die Mittel der Hand lassen sich fast jederzeit und ohne Rücksicht auf den Ort einsetzen, während technische Geräte zumeist eine permanente Energiequelle und eine lokale Infrastruktur benötigen; Gestelle, einen Wetterschutz, Standfestigkeit“ (Hoffmann 2008, S. 9).
Operativität: Die operative Dimension besteht vor allem in der Möglichkeit, mit den diagrammatischen Zeichen zu hantieren, sie zu rearrangieren, um weitere Zeichen zu ergänzen, sie zu manipulieren, umzustellen.

1.3Strukturalität

Diagramme verräumlichen. Sie verräumlichen Daten, zeitliche, kausale, funktionale oder logische Zusammenhänge genauso wie ökonomische, mathematische, physikalische, chemische, künstlerische, biologische oder geographische Strukturen, um nur einen kleinen Ausschnitt aus der Bandbreite möglicher Bezugsobjekte zu nennen. Wie tun sie das? Die dominierende Forschungsmeinung zu dieser Frage, die in vielen unterschiedlichen Varianten, Ausarbeitungs- und Komplexitätsstufen existiert, lautet: Diagramme sind raumbasierte bzw. spatiale Strukturisomorphismen. Es wird auch oft von Strukturanalogie gesprochen, wodurch Diagramme zu analogen Zeichen werden. Gemeint ist, dass die räumliche Struktur des Diagramms ähnlich oder gar gleich der Struktur des Objekts ist, auf das sich das Diagramm bezieht. Diagramme zeigen die Struktur, indem sie sie räumlich verkörpern. Ich möchte diese Sicht als die Standardsicht auf Diagrammatik bezeichnen und stimme darin mit Chandrasekaran (2011, S. 70) überein: „Among the most common intuitions about diagrams is that they are characterized by homomorphisms between the representation and the target domain“.
Die Standardsicht findet sich etwa in diagrammatischen Betrachtungen von Kunstgeschichte und Bildtheorie. Für Bogen beruht die „referentielle Logik des Diagramms […] auf einer relationalen Analogie. Das Verhältnis von Formen wird in Analogie zu einer Relation von Bezugsgrößen gesetzt“ (Bogen 2005, S. 162). Wiesing hält fest: „Wenn wir uns mittels des Diagramms auf etwas beziehen, dann auf etwas strukturell Ähnliches“ (Wiesing 2005, S. 125). Auch in Forschungen der Logik, der Künstlichen Intelligenz und der Kognitionswissenschaft ist sie dominant, angefangen bei Larkins und Simons (1987, S. 66) klassischen Überlegungen, später dann z. B. bei Barwise und Etchemendy: „[A] good diagram is isomorphic, or at least homomorphic, to the situation it represents, at least along certain crucial dimensions“ (Barwise / Etchemendy 1996, S. 24). Tversky und Bryant bestimmen Diagramme als „external graphic representations or depictions that consist of elements and the spatial relations among them. As such, they are external stimuli with their own spatial properties. In particular, relations in the represented world are mapped onto spatial relations in the graphic representation.“ (Bryant / Tversky 1999, S. 137). Als letztes kognitionswissenschaftliches Beispiel sei folgende Bestimmung von Gattis und Holyoak angeführt: „[E]xternal representational media as graphs, diagrams, and schematic pictures are based on mappings between nonspatial and spatial relations, which allow inferences about the former tobe drawn by means of perceptual operations performed on the latter“ (Gattis/Holyoak 1996, S. 231). Die Standardsicht ist auch in Wissenschafts- (Vorms 2009, S. 371) und Mathematikphilosophie (Resnik 1997, S. 224) verbreitet. Im Folgenden soll die Standardsicht genauer untersucht werden. Zunächst werde ich einige Beispiele für die raumbasierte Strukturähnlichkeit von Diagrammen geben; dann werde ich den gedanklichen Kern der Standardsicht von Diagrammen als spatiale Isomorphismen herausarbeiten; anschließend sollen die beiden Komponenten, Isomorphie und Räumlichkeit, genauer untersucht werden; schließlich nehme ich eine Kritik vor, als deren Konsequenz sich die Notwendigkeit ergibt, weitere räumliche Merkmale von Diagrammen in die Untersuchung einzubeziehen.
Es gibt eine sehr große Menge denkbarer Raumstrukturen, die Diagramme zur Darstellung von Daten und Informationen verwenden können: topologische oder metrische Beziehungen, Größen-, Lage-, Winkelrelationen, Beziehungen der Nachbarschaft, der Verbundenheit, des Angrenzens, des Umschlossenseins, der Überkreuztheit, der Getrenntheit, der Über- und Unterordnung, der Symmetrie, der Kongruenz, der Anzahl (wieviel mal ist Fläche x inFläche y vorhanden),und so weiter (vgl. Heßler / Mersch 2009, S. 33). 3Eine geographische Karte bewahrt für gewöhnlich metrische oder topologische Relationen zwischen den Dingen, die sie darstellt. Wenn die Orte a, b und c in einer bestimmten Beziehung in der Welt stehen – sagen wir, a ist näher an b als an c –, dann stehen die entsprechenden Elemente a’, b’ und c’ in der Karte in der gleichen Relation. Euler-Diagramme geben Beziehungen zwischen mathematischen Mengen durch räumliche Verhältnisse von Kreisen wieder (Bernhard 2001). Kreisflächen stehen für die Extensionen von Begriffen. Punkte der Kreisflächen entsprechen Gegenständen, auf die der Begriff zutrifft. Die Punkte innerhalb der Schnittmenge zweier Kreise repräsentieren dementsprechend alle Gegenstände, auf die beide Begriffe zutreffen. Stehen zwei Kreise unverbunden nebeneinander, haben also keinen Punkt gemeinsam, dann heißt das, dass es keinen Gegenstand gibt, auf den sowohl der eine als auch der andere Begriff zutrifft. Aufbauend auf diesem Darstellungsprinzip dienen Euler-Diagramme zur Ableitung der Konklusion von Syllogismen bei gegebenen Prämissen (Bernhard 2001, S. 62–65).
Die Standardsicht ist eine Kombination zweier voneinander unabhängiger Behauptungen: Der Behauptung einer Strukturisomorphie und der Behauptung, dass die Strukturisomorphie auf Seiten des Diagramms durch ein spatiales Medium realisiert wird. Genauer besagt die Hauptthese der Standardsicht: Ein Diagramm ist (i) ein komplexes repräsentierendes Zeichen, das in einer Beziehung der Strukturähnlichkeit oder Strukturisomorphie zu seinem Bezugsobjekt steht, wobei (ii) gilt, dass das Zeichen die Strukturähnlichkeit mittels einer graphisch-räumlichen Struktur auf einer zweidimensionalen Oberfläche realisiert. 4Dabei gilt aber (iii), dass jede Korrespondenz allein aufgrund von Regeln und Konventionen zustandekommen kann. Diagrammgebrauch ist normativ. Betrachten wir die drei Komponenten genauer:
Die erste Komponente besagt, dass Diagramme Zeichen oder Repräsentationen sind, die in einer Beziehung der Ähnlichkeit zu ihrem Bezugsobjekt stehen. Es handelt sich allerdings um eine besondere Art von Ähnlichkeit, die gerade nicht sein soll, was zunächst und zumeist unter Ähnlichkeit verstanden wird. Die naheliegende Auffassung von Ähnlichkeit ist die einer mimetischen, optischen Ähnlichkeit. Etwas ist einer anderen Sache ähnlich, wenn es so aussieht wie die andere Sache. Dieser Begriff der Ähnlichkeit ist seit jeher ein umkämpfter Begriff der Philosophie: Gibt es Ähnlichkeit? Ist sie natürlich oder konventionell begründet? Wie lässt sich Ähnlichkeit definieren (wenn überhaupt)? Diagrammatische Ähnlichkeit ist nun gerade keine Ähnlichkeit im Aussehen, in der Erscheinung, sondern eine Ähnlichkeit hinsichtlich der Struktur, die in einem Objekt verkörpert wird. Diagramme sehen zwar nicht so aus wie das, was sie darstellen, haben aber die gleiche oder eine ähnliche Struktur (Krämer 2005, S. 39; Krämer 2009, S. 107; Günzel 2009, S. 133). Ihren prägnantesten Ausdruck hat die Idee strukturaler Ähnlichkeit bei Peirce erhalten, dem Ahnherren aller Diagrammatik: „Many diagrams resemble their objects not at all in looks; it is only in respect to the relations of their parts that their likeness consists“ (Peirce,CP 2.282, Hervorhebung J. W.). Peirce unterscheidet hier eine naturalistische, mimetische, phänomenale Ähnlichkeit („in looks“) von einer strukturalen Ähnlichkeit („in respect to the relations of their parts“).
Tatsächlich sieht ein Diagramm, in dem das Funktionieren des Herzens dargestellt ist, weder aus wie ein Herz, noch weist es physische Ähnlichkeit zu einem funktionierenden Herzen auf. Ein Diagramm, das den Beschleunigungsverlauf eines fallenden Körpers zeigt, sieht ebenfalls nicht wie ein fallender Körper aus. Allerdings fällt es leichter, Beispiele zu geben, als die hier in Rede stehende phänomenale Ähnlichkeit begrifflich zu fassen. Es ist notorisch schwer, einen Begriff von phänomenaler Ähnlichkeit zu geben. Die Feststellung der Nichtmimetizität von Diagrammen beschränkt sich daher üblicherweise auf Intuition. Für viele Zwecke reicht das auch. Besteht man auf begrifflicher Präzision, empfiehlt es sich, statt von phänomenaler eher von physikalischer bzw. von first-order Ähnlichkeit zu sprechen (Shepard / Chipman 1970).O’Brien und Opie zufolge gilt, dass „representing vehicle and its object resemble each other at first order if they share physical properties, that is, if they are equal in some respects“ (O′Brie...

Table des matières

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Abbildungsverzeichnis
  6. Einleitung
  7. 1 Grundlagen. Räumliche Merkmale von Diagrammen
  8. 2 Normen und Anschauungen. Epistemischer Gebrauch von Diagrammen in der Geometrie
  9. 3 Instrumente. Oresmes Konfigurationsdoktrin und die surrogative Revolution der Geometrie
  10. Konklusion
  11. Literaturverzeichnis
  12. Sachregister
  13. Fußnoten
Normes de citation pour Raum und Wissen

APA 6 Citation

Wöpking, J. (2016). Raum und Wissen (1st ed.). De Gruyter. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1138031/raum-und-wissen-elemente-einer-theorie-epistemischen-diagrammgebrauchs-pdf (Original work published 2016)

Chicago Citation

Wöpking, Jan. (2016) 2016. Raum Und Wissen. 1st ed. De Gruyter. https://www.perlego.com/book/1138031/raum-und-wissen-elemente-einer-theorie-epistemischen-diagrammgebrauchs-pdf.

Harvard Citation

Wöpking, J. (2016) Raum und Wissen. 1st edn. De Gruyter. Available at: https://www.perlego.com/book/1138031/raum-und-wissen-elemente-einer-theorie-epistemischen-diagrammgebrauchs-pdf (Accessed: 14 October 2022).

MLA 7 Citation

Wöpking, Jan. Raum Und Wissen. 1st ed. De Gruyter, 2016. Web. 14 Oct. 2022.