Nun sag, wie hast du's mit ...
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Nun sag, wie hast du's mit ...

Essays prominenter Journalisten zu großen Kontroversen der Gegenwart

Thomas Mayer, Thomas Mayer

  1. 128 pages
  2. German
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Nun sag, wie hast du's mit ...

Essays prominenter Journalisten zu großen Kontroversen der Gegenwart

Thomas Mayer, Thomas Mayer

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Die SĂ€ule, die das Buchcover ziert, steht auf dem Leipziger Nikolaikirchhof und ist ein Symbol fĂŒr die Friedliche Revolution von 1989. Mehr als 25 Jahre danach sind Freiheit, Selbstbestimmung und das demokratische GrundverstĂ€ndnis im Zusammenleben der Völker erneut bedroht – Grund genug, drĂ€ngende Gegenwartsprobleme in den Fokus einer offenen Debatte zu rĂŒcken."Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" ließ einst Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust durch Gretchen fragen. Seine moderne Antwort darauf gibt in dem Essayband Wolfram Weimer. Weitere namhafte in- und auslĂ€ndische Journalisten antworten auf heutige Gretchenfragen.Der Herausgeber Thomas Mayer, ehemaliger Chefreporter der Leipziger Volkszeitung, und die Autoren der insgesamt zehn original fĂŒr dieses Buch geschriebenen hochaktuellen Essays sind allesamt PreistrĂ€ger des Medienpreises fĂŒr Freiheit und Zukunft der Medien, der von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig in diesem Jahr schon zum 15. Mal verliehen wird.Mit BeitrĂ€gen von Jörg Armbruster, Ides Debruyne, Roland Jahn, Daoud Kuttab, Oleg Kaschin, BalaÂŽzs Nagy Navarro, Britta Petersen, Bettina RĂŒhl, Wolfram Weimer und Simone Wendler.

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Informations

Année
2015
ISBN
9783374043903
Édition
1
Sous-sujet
Religion
////////// Nun sag, wie hast du’s mit Nah-Ost?

Die neue hÀssliche Ordnung des Fruchtbaren Halbmondes

von Stefan Buchen
Was wĂ€re gewesen, wenn die USA 2003 nicht im Irak einmarschiert wĂ€ren? Vielleicht muss man den Umweg ĂŒber den kontrafaktischen Gedanken gehen, um etwas Licht in die gegenwĂ€rtige »ObskuritĂ€t« nahöstlicher VerhĂ€ltnisse zu bringen. Was gewesen wĂ€re, ist der spekulativere Teil der Antwort. Leichter lĂ€sst sich sagen, was nicht gewesen, was uns erspart geblieben wĂ€re. Die USA und der gesamte Westen hĂ€tten sich nicht dem Vorwurf des brachialen Neoimperialismus ausgesetzt, zumal die BegrĂŒndung fĂŒr die Invasion – Massenvernichtungswaffen im Besitz von Saddam Husein – erfunden war und das irakische Regime mit den AnschlĂ€gen vom 11. September 2001 nichts zu tun hatte. Gegen alle Fakten und Vernunft war die Mehrheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit Anfang 2003 ĂŒberzeugt, dass Saddam fĂŒr 9/​11 bestraft werden mĂŒsse – ein Riesenerfolg der Bush-Propaganda.
Ohne die US-Invasion wĂ€re in Bagdad keine schiitisch geprĂ€gte, eng mit Iran kooperierende Regierung zur Herrschaft gelangt. Die entmachteten Baathisten wĂ€ren kein BĂŒndnis mit radikalen Sunniten eingegangen, um einen heimlichen »zweiten Staat« im Untergrund des neuen Irak zu grĂŒnden. Aus diesem Untergrundstaat hĂ€tte kein »Islamischer Staat« hervorgehen und zehn Jahre spĂ€ter auf verheerende Weise in den syrischen Krieg eingreifen können. Der seit 1979 schwelende innerislamische Religionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten wĂ€re nicht auf eine neue gefĂ€hrliche Eskalationsstufe gesprungen. Fanatische Islamisten hĂ€tten sich nicht in ihrem Handlungsmuster bestĂ€tigt gefĂŒhlt, mit medienwirksamen Gewaltprovokationen die USA und den Westen in immer neue KĂ€mpfe hineinziehen und so langfristig schwĂ€chen zu können. Man mĂŒsste sich heute wohl nicht der MĂŒhe unterziehen, hinter dem scheinbaren »Chaos« des Mittleren Ostens die beĂ€ngstigende Fratze einer neuen Ordnung zu erkennen, die hĂ€sslicher ist als alle frĂŒheren.
WĂ€re Saddam an der durch Flugverbotszonen und Embargo eingeschrĂ€nkten Macht geblieben und hĂ€tte er versucht, diese Restmacht, Ă€hnlich wie alle ĂŒbrigen Potentaten der arabischen Welt, an seine Söhne zu vererben, wĂ€re auch der Irak von der unvermeidlichen Protestwelle des arabischen FrĂŒhlings erfasst worden. Das bedeutet nicht, dass Frieden, Freiheit und Wohlstand im Fruchtbaren Halbmond und in Nordafrika ausgebrochen wĂ€ren. Eine Arabellion hĂ€tte auch dann ihre MĂ€ngel gehabt. Aber an Euphrat und Tigris hĂ€tte die Geschichte wohl keinen so katastrophalen Lauf genommen. Vor allem: Der Westen hĂ€tte eine ganz andere politisch-moralische AutoritĂ€t gehabt, einem mit Chemiewaffen und Fassbomben um sich werfenden Jungdiktator in Damaskus Einhalt zu gebieten. Womöglich wĂ€re die Bereitschaft dazu ohne die Vorgeschichte aus Shock and Awe sogar dagewesen, zumal Russland und China im UN-Sicherheitsrat nicht so unverhohlen das Asad-Regime gedeckt hĂ€tten.
»100 Jahre Krieg« hat der ehemalige CIA-Agent Robert Baer, neben Edward Snowden der vielleicht wichtigste Dissident der Vereinigten Staaten, als Folge des Irak-Abenteuers vorausgesagt. Erst unter der US-Besatzung konnte sich der Djihad-fixierte sunnitische Islamismus im Irak breitmachen, jener Islamismus, den die USA nach 9/​11 doch eigentlich zurĂŒckdrĂ€ngen wollten. Der von westlichen Truppen besetzte Irak, Urgrund und Phantasiespiegel frĂŒherer islamischer GrĂ¶ĂŸe, wurde zum Anziehungspunkt fĂŒr Heilige Krieger aus den LĂ€ndern des Orients und der muslimischen Diaspora im Okzident.
Aber das war nicht alles. Mit ihrem Einzug in Bagdad haben sich die amerikanischen Herren in gefĂ€hrliche NĂ€he zu einem anderen Erzfeind begeben, dem Iran. ZunĂ€chst war den Machthabern in Teheran tatsĂ€chlich ein »Schock« in die Glieder gefahren. Sie fĂŒrchteten, die Bush-Krieger könnten, als wĂ€ren sie das Heer Alexander des Großen, ihren Feldzug bis nach Persien fortsetzen, das sie ja neben dem Irak auf der »Achse des Bösen« verortet hatten. Regime Change war das erklĂ€rte Ziel der US-amerikanischen Iran-Politik. Die BefĂŒrchtung der Mullahs und Revolutionsgarden zerstreute sich indes rasch. Vielmehr entdeckten sie die verlockende Möglichkeit, den auf Stadt- und WĂŒstenpisten des Zweistromlandes patrouillierenden GIs schmerzhaften Schaden zuzufĂŒgen. Die meisten im Irak gefallenen US-Soldaten starben durch Improvised Explosive Devices (improvisierte Sprengladungen) aus iranischer Schmiede. Parallel zu diesem Untergrundkrieg gegen die Truppen des »Großen Satans« wusste die Islamische Republik die politische Chance zu nutzen, die sich aus der dem Irak aufgezwungenen »Demokratie« ergab. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit wĂ€hlte ab 2005 sukzessive Regierungen, die in Teheran ihren wichtigsten VerbĂŒndeten sahen. Eine beispiellose Ironie der Geschichte.
Eine Intensivierung des von Huntington vorhergesagten Clash zwischen dem Westen und auf Rache, Provokation und Selbstbehauptung fixierten Strömungen in der islamischen Welt ist aber nur eine und womöglich nicht die wirkmĂ€chtigste Folge der US-Invasion im Irak. PrĂ€gender fĂŒr die Region zwischen Aden und Ankara, Karachi und Kairouan ist der seit 2003 immer erbitterter gefĂŒhrte innerislamische Religionskrieg zwischen Sunniten und Schiiten. Motor dieses sektiererischen, an den DreißigjĂ€hrigen Krieg in Europa erinnernden Konflikts ist die RivalitĂ€t zwischen Iran und Saudi-Arabien, die mit dem Massenaufstand gegen den Schah und der Errichtung der Islamischen Republik Iran 1979 begann. Vom Sieg der Revolution im Namen der RĂŒckbesinnung auf den »reinen Islam« des Propheten Muhammad beflĂŒgelt, untermauerte Ayatollah Khomeini seinen FĂŒhrungsanspruch in der islamischen Welt ĂŒber die Grenzen Irans hinaus. Sichtbarstes Zeichen waren die GrĂŒndung der Schiitenmiliz Hizbullah im Libanon und das BĂŒndnis mit dem syrischen Machthaber Hafiz al-Asad, dessen Familie der schiitischen Gemeinschaft der Alawiten angehört.
Dem schiitischen FĂŒhrungsanspruch widersetzte sich der saudische König. Bis dahin hatte das BĂŒndnis der Familie Saud mit den streng sunnitischen wahhabitischen Religionsgelehrten vornehmlich der Legitimierung im Innern gedient. Nun sandte Saudi-Arabien die Glaubenseiferer vermehrt ĂŒber die Grenzen der Arabischen Halbinsel hinaus, um dem Nimbus Khomeinis etwas entgegenzusetzen. Zudem unterstĂŒtzte Saudi-Arabien in den achtziger Jahren das Saddam-Regime im Krieg gegen Iran. WĂ€hrend der Diktator von Bagdad noch den arabischen Nationalismus als Hauptmobilisierungsfaktor nutzte, sahen die Saudis diesen Krieg schon unter dem Aspekt der innerislamischen religiösen RivalitĂ€t.
Diese RivalitĂ€t weitete sich im Schatten der US-Besatzung des Irak zu einem sektiererischen BĂŒrgerkrieg aus mit all den bekannten Begleiterscheinungen: TerroranschlĂ€ge mit Dutzenden Toten, Sprengung von Moscheen der anderen Glaubensrichtung, konfessionelle SĂ€uberungen von Stadtvierteln, massenhafte Inhaftierung und Folter, wechselseitige Anathemata. Was zwischen Sommer 2003 und Herbst 2011 im Irak geschah, war die rĂ€umlich begrenzte Vorstufe zu dem, was wir heute im gesamten Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes und darĂŒber hinaus sehen: ein entfesselter Religionskrieg, in dem der Sunnit der Feind des Schiiten ist. Syrien, Jemen und der Irak sind die Hauptschlachtfelder. Der Funke kann sich jederzeit in Bahrein und im Libanon entzĂŒnden. Politisch geht es dabei um die Frage, ob man auf Seiten Irans oder Saudi-Arabiens steht. Sozialpsychologisch haben sich die PrioritĂ€ten dramatisch verschoben. WĂ€hrend die Konfessionszugehörigkeit vor zwei Generationen im Alltag der Muslime noch sekundĂ€r war, ist sie heute zum bestimmenden IdentitĂ€tsmerkmal geworden. Wer sich nicht in das neue Ordnungsprinzip fĂŒgt – sĂ€kulare Muslime, Christen, Yeziden –, sieht sich zunehmend als Fremder in der neuen totalitĂ€ren Kriegswirklichkeit.
Die von Wikileaks im Sommer 2015 enthĂŒllten saudischen Regierungsdokumente belegen, wie sehr die sunnitische Monarchie von der Wahnvorstellung eines dominanten Iran besessen ist. Im Lauf der Jahre hat sich abgezeichnet, dass die saudische Position einen großen Vorteil fĂŒr sich verbuchen kann und von einem schweren Nachteil belastet wird. Der Vorteil ist ein zahlenmĂ€ĂŸiger: Mehr als 80 Prozent der Muslime sind Sunniten. Der Nachteil liegt in einem uralten Topos der Staatskunst. Wer muss den Löwen mehr fĂŒrchten? Der Feind oder der Reiter auf seinem RĂŒcken?
Die Ölmonarchie ist, genau wie die kleinen Golfemirate, ein traditioneller VerbĂŒndeter der USA und des Westens. Gleichzeitig fördern sie eine religiöse Strömung, die neben den »internen AbtrĂŒnnigen«, den Schiiten, den Westen als Feind bekĂ€mpft. Saudi-Arabien und Qatar sind also die Paten von Gruppierungen, die von den westlichen VerbĂŒndeten als Terroristen gesehen werden und die sich am Ende auch gegen die Herrschaftssysteme auf der Arabischen Halbinsel richten könnten. Die sunnitischen Golfstaaten reiten auf dem RĂŒcken des Löwen. Diese Ambivalenz spiegelt sich in der Entstehungsgeschichte von al-Qaida und ist dann am 11. 09. 2001 jĂ€h zutage getreten. Im gegenwĂ€rtig eskalierenden sunnitisch-schiitischen Religionskrieg setzt sich der Zwiespalt fort. Die Beweise, wie genau, mit wie viel Geld und Waffen Saudi-Arabien und Qatar den IS und andere sunnitische Milizen wie die Nusra-Front in Syrien unterstĂŒtzt haben, liegen nicht vor. Dass es diese UnterstĂŒtzung gab, ist unzweifelhaft. Ob sie immer noch lĂ€uft, ist nicht klar. Denkbar ist es jedenfalls.
Gegen Ende ihrer Amtszeit ist der Regierung Obama diese Ambivalenz zunehmend bewusst geworden. ZunĂ€chst schien Obama noch intensiv an das Paradigma geglaubt zu haben, der »böse« sunnitische Islam (al-Qaida und IS) sei mit Hilfe des »guten« sunnitischen Islams auszutreiben. Die »aufgeklĂ€rten«, »rational handelnden« Herrscher der arabischen Welt, angefangen beim saudischen König und den Emiren von Qatar und Dubai, sollten dabei helfen. Dann keimte sogar, im FrĂŒhjahr 2011, kurzzeitig die Hoffnung, der gute, sĂ€kularisierte Islam könnte im Zuge der zivilen Arabellion insgesamt die Oberhand gewinnen.
Die ZivilitĂ€t ist inzwischen gestorben. Den »bösen« mit dem »guten« Islam bekĂ€mpfen zu wollen, hat sich als Unterfangen mit unzĂ€hligen Fallstricken erwiesen. Es ist eben ein schwer auszuhaltender Widerspruch, wenn der Despot, der sich im diplomatischen GesprĂ€ch als »aufgeklĂ€rt« gibt, hinter den Kulissen in machiavellistischer Geste und aus regionalpolitischem KalkĂŒl die KrĂ€fte des RĂŒckfalls in die Barbarei hochzĂŒchtet.
So ist im Übrigen Obamas Drang zu erklĂ€ren, unbedingt ein Abkommen mit dem Iran zu schließen. Die Nuklearfrage bildet den Gegenstand des Abkommens vom Juli 2015. So real dieser Streitgegenstand zwischen Iran und den USA auch sein mag, so vordergrĂŒndig bliebe eine Betrachtung, die davon ausgeht, dass es dabei tatsĂ€chlich nur um das iranische Atomprogramm geht. Nein, die USA suchen einen dauerhaften politischen Draht nach Teheran, scheinen sich eine AnnĂ€herung zu wĂŒnschen. Die Regime Change-Politik der Bush-Regierung ist Vergangenheit. Washington will in der gespaltenen islamischen Welt und angesichts der Erfolge des IS nicht mehr allein auf die ambivalenten sunnitischen Autokratien setzen, deren Lebensdauer ungewiss erscheint. Es dĂŒrfte zudem eine Horrorvision fĂŒr die Strategen im Weißen Haus und im Pentagon sein, dass Russland und China im Mittleren Osten den schlagkrĂ€ftigeren VerbĂŒndeten haben. So viel Wert scheint die Obama-Regierung auf das Rapprochement mit Teheran zu legen, dass man dafĂŒr saudische Eifersucht und eine ernsthafte Verstimmung mit Israel in Kauf nimmt.
Mit FĂŒhrung und Gestaltung haben solche Neujustierungen freilich nichts zu tun. Es sind hilflose Reaktionen auf den entfesselten Lauf des Kriegsmonsters. Niemand hat einen Plan, wie es wieder einzufangen ist. Niemand weiß, wann sich seine Haupttriebskraft, der sektiererische Fanatismus, erschöpft haben wird. Abzusehen ist, dass das Kriegsmonster die Grenzen der Staatenordnung des Fruchtbaren Halbmondes niedertrampeln wird. Ohne gestaltende Hand, ohne verbindliche internationale Abkommen ĂŒber eine politische Neuordnung der Region werden sich »Defacto-Situationen« einrichten. Wilde MĂ€nner mit Kalaschnikows werden an improvisierten Grenzposten Wegezölle verlangen von Lastwagenfahrern, die von den UN bezahlt werden, um Lebensmittelnotrationen irgendwohin zu bringen.
Ein nachdenklicher Mensch nahöstlicher Herkunft, der die Achtzig ĂŒberschritten hat, muss sich heute so Ă€hnlich fĂŒhlen wie ein nachdenklicher Ă€lterer EuropĂ€er im Jahre 1943. Der Orientale wird sich an die Zeit um 1950 mit Ă€hnlicher Nostalgie erinnern wie der EuropĂ€er an die Zeit um 1900 – Zeiten des Optimismus und des Aufbruchs. Was fĂŒr den EuropĂ€er die irreal scheinende Erinnerung an den rasanten technischen und zivilisatorischen Fortschritt und recht stabile politische VerhĂ€ltnisse war, ist fĂŒr den Ă€lteren Leidensmenschen aus dem Orient das ferne Gedenken an die junge politische UnabhĂ€ngigkeit, den frischen Stolz und die neue Freiheit nach dem Ende des Kolonialismus. Fassungslos stehen beide vor den TrĂŒmmern und fragen: »Wie konnte dies alles im Laufe eines kurzen Menschenlebens verspielt werden?« Was in der Jugend war, ist abgeschnitten, verloren. Es ist die »die Welt von gestern«.
Der 1930 in Nordsyrien geborene und heute in Paris lebende Dichter Ali Ahmad Said (Adonis) transportiert diese Stimmung Ă€hnlich, wie es Stefan Zweig in den »Erinnerungen eines EuropĂ€ers« getan hat. Eindringlich erklĂ€rt Adonis, dass die Katastrophe nicht allein den Herrschenden angelastet werden kann, sondern er fragt nach der Verantwortung jedes Einzelnen, nach der verblĂŒffenden SelbstverstĂ€ndlichkeit, mit der sich das Individuum in fatale kollektive ZwĂ€nge einbinden lĂ€sst.
Die neuen Staaten des Orients ĂŒbernahmen nach der UnabhĂ€ngigkeit ausgerechnet jene Formen der Massenmobilisierung und geheimpolizeilichen Massenkontrolle, die Europa ins UnglĂŒck gestĂŒrzt hatten. Auch die fundamentalistischen Islam-Bewegungen, die die sĂ€kularen arabischen Despoten in den 60er bis 80er Jahren erfolglos herausforderten, stellten diese Herrschaftsinstrumente des europĂ€ischen Totalitarismus nie infrage. Im Gegenteil, auch sie hĂ€ngen an der importierten Praxis. Khomeini ĂŒbernahm die Methoden der »Savak«, des frĂŒheren iranischen Nachrichtendienstes, die improvisierten GefĂ€ngnisse der Nusra-Front orientieren sich an der Kerkerroutine unter Asad, und »die schwarze Macht« des IS ist bei den Geheimdienstoffizieren der irakischen Baath-Partei in die Schule gegangen (s. Christoph Reuter: Die schwarze Macht, MĂŒnchen 2015).
Das »Weinen ĂŒber den TrĂŒmmern« ist die Ă€lteste Figur der arabischen Dichtung. Sie reicht in vorislamische Zeit zurĂŒck. Gemeint waren die Reste des vor Zeiten abgebrochenen Zeltlagers, in dem das lyrische Ich die Geliebte getroffen hatte. Ein Pflock im Sand, ein Stofffetzen, ein durchgerittener Sattel, Fuß- und Hufspuren, »verwischt wie die aramĂ€ischen oder hebrĂ€ischen Buchstaben auf einem verblichenen Pergament«, erinnern an die Stunden des GlĂŒcks.
Heute ist die Dimension eine andere. Es darf, es muss ĂŒber den TrĂŒmmern von Aleppo und Saada geweint werden. Die Reste der alten sesshaften orientalischen Zivilisation, die in die Moderne hinĂŒbergerettet und trotz des Wucherns der »neuen StĂ€dte« bewahrt werden konnten, zerbersten in Bombenhagel und Feuer. Worauf sollen kommende Generationen ihre IdentitĂ€t grĂŒnden? Dichtende Nomaden gibt es nicht mehr, das Nomadentum ist hingegen prĂ€senter denn je. Zeltplanen und -pflöcke erleben eine surreale Renaissance. Hunderttausende Entwurzelte hausen in FlĂŒchtlingslagern im zweiten, dritten oder vierten Jahr in Folge.
Im Mai 2015 stĂŒrmte ein Trupp des IS, trotz Lufthoheit der US-Armee, die von regierungstreuen Einheiten gehaltene irakische Stadt Ramadi am Euphrat. »Ein Sandsturm« sei ihnen zugute gekommen, hieß es in den Nachrichten. Im Schutze des gelben Windes hatten die IS-KĂ€mpfer zu ihrem Eroberungszug angesetzt. So tricksten sie die US-Luftwaffe aus, die ihre Jagdbomber und Drohnen am Boden bzw. auf den FlugzeugtrĂ€gern im Persischen Golf lassen mussten.
Eine passendere Kulisse hĂ€tte kein KĂŒnstler finden können fĂŒr die Ritter der Apokalypse. Die öffentliche Debatte in Deutschland dreht sich um »den unaufhaltsamen Vormarsch der Gotteskrieger« mit der schwarzen Fahne. Die fĂŒr Medienleute glĂŒckliche Mischung aus Schauder, heimlicher Faszination, Abscheu und Selbstvergewisserung spĂŒlt die immer gleichen Fragen in den Mittelpunkt der Berichterstattung: Wie groß ist die Gefahr fĂŒr uns? Warum ist die Schutzschicht der Zivilisation so dĂŒnn? Was bringt junge Leute, die bei uns aufgewachsen sind, dazu, sich solchen Gruppen anzuschließen?
Die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit reicht nur bis zu den dĂŒsteren Akteuren. Ihre Schlagkraft scheint aufgewertet, weil sie fĂ€hig sind, ein Naturereignis in eine Kriegslist umzumĂŒnzen. Die Kulisse des endzeitlichen GemĂ€ldes muss jedoch nĂ€her betrachtet werden. SandstĂŒrme gab es an Euphrat und Tigris im FrĂŒhjahr schon immer. Aber sie sind heftiger geworden in letzter Zeit und sie haben sich auf das ganze Jahr au...

Table des matiĂšres

  1. Cover
  2. Titel
  3. Epigraph
  4. Impressum
  5. Warum es dieses Buch gibt
  6. Inhalt
  7. Wolfram Weimer - Die LĂŒcke, die Gott lĂ€sst, sind wir selbst
  8. Roland Jahn - Die Medien und ein unerreichbares Ideal
  9. Jörg Armbruster - Von mutigen Unwissenden und Àngstlichen Wissenden
  10. Bettina RĂŒhl - Wie Familiengeschichte beim VerstĂ€ndnis fĂŒr FlĂŒchtlinge hilft
  11. Oleg Kaschin - Meine Krim
  12. Simone Wendler - Zwischen WutbĂŒrgern und »LĂŒgenpresse«
  13. Ides Debruyne - Der emanzipierte Journalist und die EU
  14. Stefan Buchen - Die neue hÀssliche Ordnung des Fruchtbaren Halbmondes
  15. Britta Petersen - AufklÀrung frei nach Kant
  16. BĂĄlazs Nagy Navarro - Zwischen Diktatur und Demokratie
  17. Die Autoren
  18. Weitere BĂŒcher
  19. Fußnote
Normes de citation pour Nun sag, wie hast du's mit ...

APA 6 Citation

[author missing]. (2015). Nun sag, wie hast du’s mit ... (1st ed.). Evangelische Verlagsanstalt. Retrieved from https://www.perlego.com/book/2146546/nun-sag-wie-hast-dus-mit-essays-prominenter-journalisten-zu-groen-kontroversen-der-gegenwart-pdf (Original work published 2015)

Chicago Citation

[author missing]. (2015) 2015. Nun Sag, Wie Hast Du’s Mit ... 1st ed. Evangelische Verlagsanstalt. https://www.perlego.com/book/2146546/nun-sag-wie-hast-dus-mit-essays-prominenter-journalisten-zu-groen-kontroversen-der-gegenwart-pdf.

Harvard Citation

[author missing] (2015) Nun sag, wie hast du’s mit ... 1st edn. Evangelische Verlagsanstalt. Available at: https://www.perlego.com/book/2146546/nun-sag-wie-hast-dus-mit-essays-prominenter-journalisten-zu-groen-kontroversen-der-gegenwart-pdf (Accessed: 15 October 2022).

MLA 7 Citation

[author missing]. Nun Sag, Wie Hast Du’s Mit ... 1st ed. Evangelische Verlagsanstalt, 2015. Web. 15 Oct. 2022.