»The constant creation of credits and debts, and their extinction by being canceled against one another, forms the whole mechanism of commerce and it is too simple that there is no one who cannot understand it.«
A. Mitchell Innes
»The process by which money is created is so simple that the mind is repelled.«
John Kenneth Galbraith
Geld ist wohl die wichtigste Institution in einer modernen, monetĂ€ren und arbeitsteiligen Wirtschaft. Geld bestimmt, welche Produkte produziert und wie diese verteilt werden. Welche Fragen könnten demnach wichtiger sein, als jene nach dem Wesen und der Herkunft des Geldes? Nur ein korrektes VerstĂ€ndnis von beidem ermöglicht eine klare Sicht und ĂŒberzeugende Antworten auf die ökonomischen Fragen unserer Zeit. Bedauerlicherweise haben Politiker und deren ökonomische Berater ĂŒberwiegend veraltete, falsche oder inkonsistente Vorstellungen zu diesen relevanten Fragen â mit schwerwiegenden Folgen. Die vorherrschenden MissverstĂ€ndnisse zum Wesen und zur Herkunft des Geldes sind die Wurzel katastrophaler wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Angesichts des desolaten Zustands der ökonomischen Lehre, die von der Neoklassik bzw. dem Neukeynesianismus1 dominiert wird, ist dies wenig ĂŒberraschend. Die genannten Denkschulen bilden den ökonomischen Mainstream und behandeln Geld als eine knappe, neutrale Ressource, die fĂŒr die ökonomische Analyse ignoriert werden könne. Fragen zum Geld werden im ökonomischen Mainstream also ĂŒberwiegend vernachlĂ€ssigt. Kein Wunder, dass deren Modelle, die die Rolle von Geldschöpfung und Banken gar vollstĂ€ndig auĂen vor lieĂen, auch die Finanzkrise 2008/09 nicht vorhersagen konnten. Um den heterodoxen Ăkonomen Steve Keen, der mit seinem populĂ€ren Buch »Debunking Economics« die Neoklassik in ihren GrundzĂŒgen bis zur Bedeutungslosigkeit widerlegt hat, mit seinem pointierten, aber treffenden Vergleich zu zitieren:
»Wenn Sie sich den ökonomischen Mainstream ansehen, dann gibt es drei Dinge, die Sie in deren ökonomischen Modellen nicht finden werden: Banken, Schulden und Geld. Wie kann jemand denken, er könne den Kapitalismus analysieren, aber Banken, Schulden und Geld unberĂŒcksichtigt lassen? FĂŒr mich ist das so, als wĂŒrde ein Ornithologe versuchen, herauszufinden, wie ein Vogel fliegt, aber ignorieren, dass der Vogel FlĂŒgel hat.«2
[28]Die Konsequenzen des mangelhaften VerstĂ€ndnisses unseres Geldsystems in einer durch und durch monetarisierten Wirtschaft sind bei Weitem keine, die lediglich als akademische Fehltritte ohne gesellschaftliche Folgen abgetan werden könnten. Ganz im Gegenteil: Unfreiwillige Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Armut, Hunger, unzureichende KlimamaĂnahmen, herabgewirtschaftete Infrastruktur, Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge sowie all deren weitere sozialgesellschaftliche Konsequenzen haben direkt und indirekt mit den vorherrschenden GeldirrtĂŒmern zu tun. Es wird klar: Wir mĂŒssen uns dem Wesen und der Herkunft des Geldes widmen, um Lösungen fĂŒr die durch mangelndes VerstĂ€ndnis verursachten MissstĂ€nde zu finden!
Zugegeben: Das folgende Kapitel ist mit Abstand das technischste Kapitel dieses Buches und daher vielleicht schwierig auf Anhieb vollumfĂ€nglich zu verdauen. Gerade die Darstellung in Bilanzen und die Logik der doppelten BuchfĂŒhrung vermag fĂŒr manche nicht gleich intuitiv zu sein â fĂŒr diejenigen, die damit aber vertraut sind, gibt es wahrscheinlich nichts, was die ZusammenhĂ€nge klarer darstellen wĂŒrde. Lassen Sie sich davon aber nicht abschrecken. Als kurze ErlĂ€uterung: Die Bilanz ist ein aus dem Rechnungswesen stammendes Konzept der doppelten BuchfĂŒhrung zur Erfassung der Mittelverwendung bzw. der Vermögen (linke Bilanzseite) sowie der Mittelherkunft bzw. des Kapitals (rechte Bilanzseite) einer Wirtschaftseinheit. Die Verwendungsseite wird auch als Aktiva und die Herkunftsseite als Passiva bezeichnet. Die Bilanz bildet die buchhalterische Ăbersicht ĂŒber alle Vermögensbestandteile sowie ĂŒber die Herkunft des Kapitals ab. Da alle Mittel sowohl einer Herkunft als auch einer Verwendung zuzuordnen sind, gleichen sich die beiden Seiten einer Bilanz notwendigerweise immer aus. Der Vorteil der Bilanzen zur Darstellung monetĂ€rer ZusammenhĂ€nge ist, dass diese ein logisch geschlossenes System sind. Sobald sich beide Seiten nicht zu null saldieren, hat man einen Fehler begangen â meistens wurde in dem Fall die Differenz beider Bilanzseiten nicht als Eigenkapital verbucht.
Zu verstehen, wie das Wesen des Geldes charakterisiert werden kann, wo Geld herkommt, wie ein Staat seine Ausgaben tĂ€tigt und wie die Kreditvergabe der Banken funktioniert, stattet Sie mit einem Wissen aus, das Sie gegen die weitverbreiteten IrrtĂŒmer und FehlschlĂŒsse immunisiert. Zudem verĂ€ndern die aus dem Kapitel erlangten Einsichten potenziell Ihr Urteil ĂŒber das wirtschaftspolitische Mögliche oder gar das ökonomisch VernĂŒnftige.
1.1 Das Wesen des Geldes: Ausdruck einer Schuldbeziehung
Die Diskussion ĂŒber das Wesen des Geldes ist eine abstrakte Denkaufgabe, bringt aber Klarheit in den Nebel der verbreiteten MissverstĂ€ndnisse, sodass eine kurze Behandlung dieser Frage fĂŒr das weitere VerstĂ€ndnis unabdingbar ist. Die Frage zur Herkunft und die Frage zum Wesen des Geldes sind dabei schwerlich voneinander zu trennen.
[29]Historisch gesehen sind Schuldbeziehungen zwar Ă€lter als das Geld selbst, aber seitdem sich die Nutzung von Geld etabliert hat, werden Schuldbeziehungen in Geld festgehalten.3 Geld dient dabei als soziale Recheneinheit, vergleichbar mit Kilogramm als GewichtsmaĂ oder Metern als LĂ€ngenmaĂ, die Schuldbeziehungen definiert. Die Form des Geldes â ob Kerbhölzer, Gold, Silber, Wechselbriefe, MĂŒnzen oder elektronische DatenbankeintrĂ€ge â ist dabei erst einmal nebensĂ€chlich. Man könnte sagen: Das Wesen des Geldes ist der Ausdruck von Schuldbeziehungen.4 Eine Schuldbeziehung besteht dabei immer zwischen mindestens einem Schuldner und einem GlĂ€ubiger sowie aus einer Forderung und einer Verbindlichkeit. Die Verbindlichkeiten des Schuldners entsprechen dabei in der Höhe 1:1 den Forderungen des GlĂ€ubigers. Daraus wird deutlich, dass es mindestens zwei Parteien braucht, damit Geld als soziales Konstrukt funktioniert. Wenn ich allein auf einer einsamen Insel strandete, könnte ich mit niemandem eine solche Schuldner-GlĂ€ubiger-Beziehung eingehen, sodass es keinen Bedarf fĂŒr Geld gĂ€be. Ohne Geldschulden gibt es auch keine Geldguthaben â gibt es kein Geld. Es benötigt immer jemanden, der das Geld schöpft und jemanden, der es als Schuldschein akzeptiert â Herausgeber und Nutzer bzw. Schuldner und GlĂ€ubiger. In der Praxis sind wir aber alle sowohl Schuldner als auch GlĂ€ubiger, denn bei jedem Kauf und Verkauf von GĂŒtern, Dienstleistungen oder Arbeitskraft entstehen neue Schuldbeziehungen â wenn wir kaufen, werden wir zu Schuldnern, wenn wir verkaufen, werden wir zu GlĂ€ubigern. Das monetĂ€re Ziel individuellen Wirtschaftens kann dabei als das AnhĂ€ufen eines Ăberschusses an Forderungen gesehen werden.
Theoretisch kann jede Person oder Institution Geld erzeugen, indem sie eigene Schuldscheine ausgibt und verspricht, diese eigenen Schuldscheine zur Tilgung zu akzeptieren.5 Wie der US-amerikanische Ăkonom, Hyman Minsky, zu sagen pflegte:
»Jeder kann Geld schaffen. Die Herausforderung ist, dass es akzeptiert wird.«6
Das Geld, an das Sie jetzt wohl intuitiv denken, da wir es im Alltag nutzen, ist das Bar- oder Giralgeld.7 WĂ€hrend das Bargeld ein Schuldschein des Staates ist, entspricht das Giralgeld einer Schuld der GeschĂ€ftsbank. Doch auch der PizzabĂ€cker unseres Vertrauens kann theoretisch Geld schöpfen, etwa indem er Gutscheine ausgibt. Die Gutscheine des PizzabĂ€ckers, der 5-Euro-Schein in unserem Portemonnaie und das Guthaben auf [30]unserem Bankkonto erfĂŒllen allesamt den Wesensbestand des Geldes, da alle gleichermaĂen ein ausgegebenes Versprechen verkörpern â eine Schuld des Herausgebers sowie eine Forderung des Halters. Der PizzabĂ€cker akzeptiert die Gutscheine als Bezahlung fĂŒr eine Pizza, der Staat akzeptiert seine WĂ€hrung zur Begleichung an den Staat gerichteter Zahlungen (Steuern, GebĂŒhren etc.) und die Bank akzeptiert das Giralgeld zur Tilgung von Bankkrediten (und Zinszahlungen). Der Ăkonom Alfred Mitchell Innes erkannte in diesem Zusammenhang bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass alle Formen von Geld von identischer Natur wĂ€ren â nĂ€mlich der Ausdruck von Schuldbeziehungen.8
Zu jeder existierenden Geldeinheit gibt es jemanden, der diese als Schulden (Verbindlichkeit) und jemanden, der diese als Vermögen (Forderung) in seinen BĂŒchern stehen hat. Schulden und Vermögen sind zwei Seiten derselben Medaille â eine fundamentale Einsicht, die leider wenig bis gar nicht im allgemeinen Bewusstsein...