EinfĂŒhrung: Organisation Gehlen und BND im Kalten Krieg, 1945â1968
Die Frontlinie des Kalten Kriegs verlief quer durch Deutschland. Die Anti-Hitler-Koalition hatte bereits im Sieg Auflösungserscheinungen gezeigt. Seit dem Beginn der Besatzung traten auĂen-, wirtschafts- und gesellschaftspolitische GegensĂ€tze zwischen den einstigen VerbĂŒndeten immer deutlicher hervor. Sie erwiesen sich lange vor der doppelten StaatsgrĂŒndung als unĂŒberbrĂŒckbar. Nach 1949 nahm die westdeutsche Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer die Sowjetunion als expansiv-aggressive Macht, deren EinflusssphĂ€re in Ost- und Zentraleuropa als monolithischen Block unter der Herrschaft Moskaus und die SED-FĂŒhrung als Marionette des Kremls wahr. Allenfalls dem kommunistischen Regime in China maĂ man in Bonn auf lĂ€ngere Sicht eigene Bedeutung bei. Hier, so eine Ăberlegung, mochte ein Konkurrent Moskaus heranwachsen, der mehr noch als Jugoslawien Zusammenhalt und Kraft des sozialistischen Lagers schwĂ€chen könnte â derlei Entwicklungen blieben jedoch abzuwarten. Einstweilen befand sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer geografischen Lage und der politischen Teilung Deutschlands gegenĂŒber der kommunistischen Gefahr in einer exponierten Stellung. Aufgrund dieser Ăberlegungen verschrieb sich Adenauer der Politik der forcierten Westintegration. Es galt, aus einer gesamtwestlichen Position von Einheit und StĂ€rke heraus den deutschlandpolitischen Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung durchzusetzen. Eine ertragreiche AuĂenwirtschaftspolitik korrespondierte mit diesem Gesamtkonzept.
In den 1950er Jahren fĂŒgte sich die bundesdeutsche Grundhaltung weitgehend in die AuĂenpolitik der USA ein, die Bonns wichtigster BĂŒndnispartner waren. In den letzten Jahren der Administration von PrĂ€sident Dwight D. Eisenhower, vor allem aber nach Mauerbau und Kubakrise, bewegte sich Washington jedoch in Richtung einer globalen Entspannung zwischen den Machtblöcken. Dies bedeutete auch, dass die USA und die Sowjetunion ihre jeweiligen EinflusssphĂ€ren in Europa anerkannten. In Bonn allerdings hielt man zunĂ€chst an der Auffassung fest, die deutsche Wiedervereinigung sei eine Grundvoraussetzung substantieller europĂ€ischer und internationaler Entspannungsschritte. Damit lief die Bundesregierung Gefahr, sich im Westen zu isolieren und gĂ€nzlich ins internationale Abseits zu geraten.
In der UdSSR war die Bereitschaft zu einer Politik der DĂ©tente unter anderem von der Erkenntnis getragen, dass das eigene Lager mit Gewaltpolitik und Machtdemonstrationen allein auf Dauer nicht zusammenzuhalten war. Doch bereits Moskaus WiederannĂ€herung an Jugoslawien ab Mitte der 1950er Jahre erwies sich als schwierig und zahlte sich politisch nicht so aus wie erhofft. Die Unruhen und AufstĂ€nde 1953 und 1956 in der DDR, Polen und Ungarn belegten in den Augen des Kremls die AnfĂ€lligkeit des Ostblocks fĂŒr nicht-sowjetische Denk- und Ordnungskonzepte. AuĂerhalb Europas erwies sich Peking als problematischer Partner. Mao Tse-tungs China demonstrierte beispielsweise 1958 in der zweiten Taiwan-Krise seine internationale und ideologische SelbstĂ€ndigkeit. Binnen weniger Jahre trat der Konflikt zwischen den sozialistischen GroĂmĂ€chten offen hervor. Der sowjetisch-chinesische Gegensatz wirkte sich zwangslĂ€ufig auf die globale Positionierung Moskaus und Pekings aus. Beide sozialistischen Regime setzten darauf, mit ihrer AuĂenpolitik und -propaganda nicht nur im Wettkampf mit den USA, sondern auch in der Auseinandersetzung mit dem feindlichen Bruderstaat an Einfluss, Positionen und Statur zu gewinnen. Dieser Riss im sozialistischen Lager wurde insbesondere in der Politik gegenĂŒber der »Dritten Welt« deutlich.
Angesichts der globalen Entwicklungen erprobte Bonn nach Adenauer eine neue AuĂenpolitik. Nach ersten AnsĂ€tzen unter Bundeskanzler Ludwig Erhard entwickelte die GroĂe Koalition unter seinem Amtsnachfolger Georg Kiesinger 1966 das Konzept einer »europĂ€ischen Friedenspolitik«. Diese setzte auf eine Entspannung der bilateralen Beziehungen zu osteuropĂ€ischen Staaten. Im Rahmen des konzeptionellen Umdenkens eröffnete 1964 eine bundesdeutsche Handelsvertretung in Warschau, Anfang 1968 in Prag. 1967 nahm die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zum selbstbewussten RumĂ€nien auf. Im Januar 1968 wurden die westdeutsch-jugoslawischen diplomatischen Beziehungen reaktiviert, die Bonn 1957 abgebrochen hatte. Die bundesdeutsche Ăffnung sollte die DDR im Wesentlichen auĂen vor lassen. Der »Ostblock« reagierte auf diese Strategie, indem er demonstrativ die Reihen schloss. Bilaterale FreundschaftsvertrĂ€ge Ost-Berlins mit östlichen BĂŒndnispartnern sowie die am 26. April 1967 verabschiedeten »Karlsbader BeschlĂŒsse« der Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrags unterstrichen die Eigenstaatlichkeit der DDR sowie die SolidaritĂ€t ihrer BĂŒndnispartner.
Der »Prager FrĂŒhling« 1968 unterbrach den globalen und europĂ€ischen Entspannungsprozess nur vorĂŒbergehend. Auf der Ebene der SupermĂ€chte begannen Ende 1969 erste GesprĂ€che zur Begrenzung strategischer RĂŒstung (Strategic Arms Limitation Talks â SALT I). In Bonn machte sich die erste sozialliberale Koalition daran, ihre â innenpolitisch heftig umstrittene â »Ostpolitik« in die Tat umzusetzen. Es blieb allerdings dabei, dass man eine sozialistische Expansion, ob von der UdSSR oder von Peking aus betrieben, genau so wenig zulassen wollte wie eine Erhöhung des internationalen Prestiges der DDR, die auf Kosten der Bundesrepublik und ihrer Deutschlandpolitik gehen wĂŒrde.1
Angesichts dieser â hier nur grob skizzierten â internationalen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg war es selbstverstĂ€ndlich, dass die Beobachtung des »Ostens« den zentralen Aufgabenbereich westdeutscher SpionageaktivitĂ€ten ausmachte. Der Kalte Krieg war eine hoch militarisierte, »weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung«, und dementsprechend erwarteten die EntscheidungstrĂ€ger in Bonn von ihrer AuslandsaufklĂ€rung Nachrichten aus allen SphĂ€ren von MilitĂ€r, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Osteuropas.2 Ein solch breiter Ansatz entsprach den Vorstellungen des ersten Leiters von Organisation Gehlen (Org) und Bundesnachrichtendienst (BND), Reinhard Gehlen. Das »totale, alle Lebensbereiche umfassende und ausnutzende« expansive Unterfangen, als das er die sowjetische Politik verstand, bediene sich weltweit »aller nur verfĂŒgbaren Mittel und Personenkreise«. Eine Verteidigung gegen die »tödliche Gefahr« aus Moskau erschien ihm nur möglich, wenn der »Westen« allgemein und die Bundesrepublik im Besonderen ĂŒber alle Facetten der UdSSR und ihrer â tatsĂ€chlichen und angeblichen â Hegemonial- und Einflussgebiete, zuerst in Ost- und SĂŒdosteuropa, dann in der ganzen Welt, genau informiert war.3 Um es in den Worten des BND-internen Schulungsbetriebs auszudrĂŒcken: »Da der moderne Krieg ein totaler Krieg ist, muss auch unsere AufklĂ€rung total sein.«4
Dabei erwiesen sich die sozialistischen Staaten in Osteuropa als besonders schwieriges Zielgebiet. Stalin setzte nach dem Zweiten Weltkrieg erneut auf eine möglichst lĂŒckenlose Abschirmung seines Machtbereichs: Gegen eine angenommene »totale Spionage« des Feindes formierte der Kreml eine »totale Abwehr«.5 Dies spiegelte sich unter anderem in der OmniprĂ€senz und ubiquitĂ€ren ZustĂ€ndigkeit sozialistischer Ăberwachungs- und Repressionsapparate wider. Im Ergebnis erschien etwa eine Anwerbung von Agenten in relevanten Positionen in der UdSSR laut CIA-Veteran Richard Helms als »so irreal wie die Ansiedlung von Spionen auf dem Planeten Mars«.6
Stalins Nachfolger legten das grundsĂ€tzliche Misstrauen gegenĂŒber der kapitalistischen Umwelt und ihren möglichen EinflĂŒssen auf die Bevölkerungen im sozialistischen Machtbereich nicht ab. Daher war die Auflockerung der post-stalinistischen AuĂenpolitik keineswegs von einem kontinuierlichen Abbau der Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Sowohl die AuĂengrenzen als auch die Gesellschaften blieben letztlich scharfer Kontrolle unterworfen.7 Die »Beschaffungslage«, wie es im nachrichtendienstlichen Jargon hieĂ, war damit durchgĂ€ngig durch die sorgfĂ€ltige Ăberwachung aller Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Osteuropa und dem nicht-sozialistischen Ausland gekennzeichnet.
Nicht nur die AbwehrmaĂnahmen der Behörden in den sozialistischen Staaten erschwerten insbesondere westdeutsche SpionagebemĂŒhungen, sondern auch die Grundeinstellungen der Menschen. Nach den Erfahrungen der Kriegsjahre lieĂ sich Anfang der 1950er Jahre EinschĂ€tzungen amerikanischer Nachrichtendienstler zufolge eine generelle »Abneigung der Satelliten-Bevölkerungen« und der SowjetbĂŒrger gegenĂŒber den Deutschen und Deutschland registrieren. Sie erschwere die Durchdringung dieser LĂ€nder mit menschlichen Quellen (Human Intelligence oder HUMINT) nachhaltig.8 Im Ganzen blieb der Eiserne Vorhang vor dem Einflussgebiet der UdSSR bis Ende der 1960er Jahre undurchdringlich, auch wenn er einzelne Löcher aufweisen mochte. Es war kein Zufall, dass westliche Dienste 1956 von den dramatischen Geschehnissen in Ungarn ĂŒberrascht wurden. Die prekĂ€re Informationslage der gesamten westlichen Spionage wiederholte sich im August 1968 beim Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei.9
Gehlen war ungeachtet dessen der Ansicht, dass Org und BND bis 1968 ihre anspruchsvollen Aufgaben mit Bravour meisterten.10 Der EffektivitĂ€t des Apparats stand Gehlen zufolge jedoch »die bedrĂŒckende Erkenntnis gegenĂŒber, dass ein Auslandsnachrichtendienst, der nicht nur GĂŒnstiges zu berichten weiĂ, sehr leicht in den Ruf der Einseitigkeit, wenn nicht in den...