Mensch und Meer
Gefiedertes Ăl
Der Untergang der âPrestigeâ
Im SpĂ€therbst des Jahres 2002 erlebte Europa die bis dahin gröĂte Ălpest seiner Geschichte. Am 13. November schlug der Ăltanker âPrestigeâ vor der nordspanischen KĂŒste leck, brach auseinander und sank. Der gröĂte Teil seiner 77 000 t Schweröl floss ins Meer und verschmutzte einen KĂŒstenstreifen von etwa 3000 km LĂ€nge. Um solche Katastrophen in Zukunft möglichst zu verhindern, dĂŒrfen die besonders gefĂ€hrlichen âEinhĂŒllen-Tankerâ vom Typ der âPrestigeâ heute kein Schweröl mehr in EU-HĂ€fen transportieren.
Die schwarze Flut
Denn die Folgen des Unfalls waren verheerend. Wochenlang trieb eine unappetitliche Mischung aus verendeten Vögeln und zĂ€hen Ălklumpen auf dem Atlantik. âChapaplumaâ - âgefiedertes Ălâ â heiĂt so etwas in Spanien. Bis zum Mai 2003 fanden freiwillige Helfer mehr als 23 000 gefiederte Ălopfer von 71 verschiedenen Arten, drei Viertel davon waren bereits tot. Etwa 600 Tiere konnten in aufwendigen SĂ€uberungsaktionen wieder aufgepĂ€ppelt werden. Mehr als die HĂ€lfte der verölten Vögel waren Trottellummen, daneben hat die schwarze Flut aber auch zahlreiche Tordalke, Basstölpel, Papageitaucher und Möwen getötet. Manche Arten wie die sehr seltene iberische Unterart der Trottellumme könnte der Unfall der âPrestigeâ sogar ein StĂŒck nĂ€her an die Ausrottung gebracht haben. Insgesamt sollen 250 000 â 300 000 Seevögel umgekommen sein.
Langlebige Gifte
Schwieriger sind die Konsequenzen des Unfalls fĂŒr die Fischerei abzuschĂ€tzen. Zwar wurden die Fangverbote je nach Fischart zwei bis acht Monate nach der Havarie wieder aufgehoben und die Fischer relativ groĂzĂŒgig entschĂ€digt. Doch Wissenschaftler rechnen mit einem Schrumpfen der FischbestĂ€nde.
GefĂ€hrlich fĂŒr Fisch- und Muschellarven sind sogenannte Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe, die aus dem Ăl freigesetzt werden. Diese langlebigen Substanzen sind zum Teil krebserregend und bereits in geringen Konzentrationen extrem giftig. Schon ein Teilchen Schadstoff pro Million Teilchen Wasser kann Fischlarven schĂ€digen. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Gifte in der Nahrungskette anreichern. In Entenmuscheln aus galicischen GewĂ€ssern haben Wissenschaftler im Mai 2003 bis zu 700 Mikrogramm (Millionstel Gramm) Kohlenwasserstoffe pro Kilogramm Trockenmasse gefunden. Das entspricht dem Dreieinhalbfachen des zulĂ€ssigen Grenzwerts. Im September 2003 war der Schadstoffgehalt zwar deutlich gesunken, lag aber immer noch ĂŒber dem Grenzwert.
Die âExxon Valdezâ
Kaum ein SchiffsunglĂŒck in der Geschichte der Seefahrt hat so viel Schaden angerichtet wie der Untergang der âPrestigeâ. Noch schlimmere Konsequenzen fĂŒr Umwelt und Wirtschaft aber hatte die Havarie des Ăltankers âExxon Valdezâ, der 1989 vor der KĂŒste Alaskas auf ein Riff fuhr. 40 000 t Rohöl liefen aus, verschmutzten 2000 km KĂŒste und töteten Hunderttausende Fische, Seevögel und andere Tiere.
Wie sich diese Belastungen langfristig entwickeln, ist unklar. Doch offenbar kann eine akute Ălpest leicht zur chronischen werden. Wissenschaftler des Spanischen Ozeanografischen Instituts (IEO) haben jedenfalls festgestellt, dass sich das Schweröl aus der âPrestigeâ mancherorts am Meeresgrund abgelagert hat. Stellenweise finden sich Konzentrationen von 600 kg Ăl pro km2. Untersuchungen nach anderen ĂlunfĂ€llen haben gezeigt, dass solche versunkenen Ălteppiche noch nach mehr als 30 Jahren giftige Kohlenwasserstoffe freisetzen.
Kriegsfolgen
Die bisher gröĂte Ălpest aller Zeiten traf den Persischen Golf
Der zweite Golfkrieg zwischen dem Irak und einer von den USA angefĂŒhrten Koalition fĂŒhrte im Jahr 1991 zur bisher gröĂten Ălpest der Geschichte. Etwa 1 Mio. t des âschwarzen Goldesâ flossen aus mutwillig geöffneten Pipelines, aus Verladestationen und zerschossenen Schiffen in den Persischen Golf.
Ăl aus Kuwait
Riesige Ălteppiche trieben von Kuwait nach SĂŒden und wurden gröĂtenteils in Saudi- Arabien angeschwemmt. Noch zwei Jahre spĂ€ter bedeckten zĂ€he schwarze Schichten 700 km KĂŒstenlinie. Die Folgen haben Wissenschaftler an der saudi-arabischen KĂŒste zwischen Abu Ali und Ras az-Zawr untersucht. Das Gebiet gilt als Eldorado fĂŒr brĂŒtende Seevögel und Meeresschildkröten. Dort gibt es groĂe MangrovenbestĂ€nde und die artenreichsten Korallenriffe der Golfregion, in weitlĂ€ufigen Buchten finden sich die unterschiedlichsten KĂŒstenlebensrĂ€ume. UnzĂ€hlige Zugvögel verbringen den Winter in der Region oder fressen sich neue Fettreserven fĂŒr den Weiterflug an.
Schnell handeln!
Nach einer Ălpest gilt es, möglichst rasch zu handeln. StrĂ€nde erst nach einigen Monaten zu reinigen, zerstört nĂ€mlich oft mehr als es nĂŒtzt. Die ReinigungsgerĂ€te vernichten dann Tiere und Pflanzen, die sich an den ölbelasteten StrĂ€nden wieder anzusiedeln beginnen. Das ist eine der Lehren, die Wissenschaftler aus Untersuchungen am Persischen Golf gezogen haben.
Das Ăl aus Kuwait erreichte das Naturparadies Mitte Februar 1991. Eine zĂ€he schwarze Masse legte sich ĂŒber die StrĂ€nde und floss ĂŒber Wasserarme bis weit in die Salzmarschen hinein. Gerade diese LebensrĂ€ume, die wichtige Nahrungsgebiete fĂŒr viele Tiere sind, wurden schwer geschĂ€digt. Unter den eingetrockneten schwarzen Teerschichten stieg die Temperatur stark an, Wasser und Gase konnten nicht mehr in den Boden dringen. Etwa die HĂ€lfte der Vegetation in den Salzmarschen ging zugrunde.
AllmÀhliche Erholung
Auch fĂŒr die MangrovenbestĂ€nde sah es nicht gut aus. Viele Experten befĂŒrchteten, dass Avicennia marina, die einzige Mangrovenart der Region, die Ălkatastrophe nicht ĂŒberstehen wĂŒrde. Einige BestĂ€nde blieben jedoch wegen gĂŒnstiger Winde verschont, etwa die HĂ€lfte der BĂ€ume hat ĂŒberlebt. Inzwischen sind sogar auf den ölbelasteten FlĂ€chen neue Mangroven nachgewachsen, ein Wiederbepflanzungsprojekt hatte Erfolg.
An den StrĂ€nden dagegen vernichtete die schwarze Flut aus Kuwait zunĂ€chst fast alle typischen Tier- und Pflanzengemeinschaften. Die nahe an der Niedrigwasserlinie gelegenen Bereiche hatten sich allerdings schon Ende 1992 weitgehend erholt. In den oberen Strandregionen lagen jedoch nach wie vor Teerdecken, sodass Tiere und Pflanzen dort vorerst nicht wieder FuĂ fassen konnten. Vier bis fĂŒnf Jahre sollte es dauern, bis das Ăl weitgehend verwittert war. Dann aber erreichten auch dort die typischen Strandbewohner wieder 70â100 % ihrer ursprĂŒnglichen Artenund Individuenzahlen.
Auch die Vögel haben sich inzwischen von der Ălkatastrophe erholt. Verschiedene Seeschwalbenarten brachten in den ersten Jahren nach der Ălpest deutlich weniger Jungvögel durch als normalerweise. Offenbar wurde ihnen die Nahrung knapp, weil es ungewöhnlich wenig Fisch gab. Das an der WasseroberflĂ€che treibende Ăl hatte offenbar viele Fischeier und Larven vernichtet. Erst 1994 hatten sich die FischbestĂ€nde wieder so weit erholt, dass auch die Seeschwalben wieder erfolgreicher brĂŒten konnten.
Auch an Land wurden wĂ€hrend des 2. Golfkriegs schwerste UmweltschĂ€den verursacht. Im Bild mutwillig in Brand gesetzte Ălquellen in der kuwaitischen WĂŒste.
(c) picture-alliance/dpa
Lebende Entgifter
Ălfressende Bakterien
Ălkatastrophen gehören zu den gröĂten Belastungen fĂŒr die Weltmeere. Es gibt aber auch einen natĂŒrlichen Weg, auf dem Ăl wieder aus dem Wasser verschwindet. Manche Bakterien können sich von dem energiereichen schwarzen Brennstoff ernĂ€hren. Sie decken damit ihren gesamten Bedarf an Kohlenstoff und Energie und reinigen gleichzeitig das Wasser.
Bakterien im Schlaraffenland
Wissenschaftler haben das Erbgut eines solchen Erdölfressers entschlĂŒsselt. Alcanivorax borkumensis gehört sogar zu den effektivsten lebenden Wasserreinigern, die bisher bekannt sind. Solche ölfressenden Bakterien gibt es in den Meeren wahrscheinlich schon seit Millionen Jahren. Allerdings war das Nahrungsangebot fĂŒr diese hochspezialisierten Organismen frĂŒher eher dĂŒrftig. Sie fristeten ihr Leben ursprĂŒnglich nur an den Stellen, an denen am Meeresboden von Natur aus Ăl austritt.
Seit der Mensch Erdöl intensiv nutzt, hat sich das geĂ€ndert. Inzwischen flieĂen bei UnfĂ€llen oder absichtlichen Einleitungen jedes Jahr um die 1,3 Mio. t Ăl ins Meer. Der Tisch fĂŒr die Bakterien ist also reich gedeckt. In sauberem Meerwasser schwimmen normalerweise nur wenige Erdölfresser, die mit Strömungen dorthin getrieben werden. Sie können ohne den schwarzen Brennstoff zwar ĂŒberleben, sich aber nicht vermehren. Sobald aber z. B. bei einem Tankerunfall Ăl ins Meer strömt, nutzen sie ihre Chance. Dann vermehren sie sich explosionsartig und beginnen, das Ăl abzubauen.
UnterstĂŒtzung gesucht
Das Problem ist nur, dass auch die gefrĂ€Ăigsten Mikroorganismen mit der Ălmenge bei groĂen Katastrophen ĂŒberfordert sind. Die Wissenschaftler hoffen allerdings, die kleinen Wasserreiniger kĂŒnftig zum effektiveren Arbeiten bringen zu können. Mithilfe des entschlĂŒsselten Genoms wollen sie den gesamten Prozess des Erdölabbaus besser verstehen und so herausfinden, unter welchen Bedingungen er am besten funktioniert. Möglicherweise kann man die kleinen Helfer mit NĂ€hrstoffen wie Stickstoff und Phosphor dĂŒngen, die sie zusĂ€tzlich zu ihren Ălmahlzeiten brauchen. Und man mĂŒsste ja auch nicht untĂ€tig warten, bis sich die Bakterien nach einem Unfall von selbst vermehren. Das Fernziel ist, sie bei Ălkatastrophen gezielt ins Wasser zu werfen. So versuchen die Forscher nun, die Ălfresser fĂŒr einen solchen Praxiseinsatz fit zu machen. Gesucht wird beispielsweise noch ein gutes TrĂ€germaterial, auf das man die Bakterien aufbringen kann.
Kampf gegen Ăl
Die Ălbeseitigung nach TankerunfĂ€llen wĂŒrde viel zu lange dauern, wenn man sie nur den natĂŒrlichen Prozessen ĂŒberlieĂe. Daher sind in solchen Situationen technische Hilfsmittel gefragt. Die BekĂ€mpfung der schwarzen Fluten wird in Deutschland vom Havariekommando in Cuxhaven koordiniert. Diese Einrichtung besitzt die nötigen GerĂ€te wie Pumpen fĂŒr zĂ€he FlĂŒssigkeiten, Hochdruckreiniger, die mit Wasserdampf das Ăl von FelskĂŒsten spĂŒlen, und Ălsperren, mit denen man die im Wasser treibende schwarze Masse in eine Art Bassin einsperren und von dort abpumpen kann.
Das VerstĂ€ndnis der Biochemie des Bakteriums Alcanivorax borkumensis könnte neue Wege fĂŒr die umweltfreundliche Reinigung ölverseuchter GewĂ€sser aufzeigen. Im Labor lagern sich die Bakterien in einem Gemisch von Wasser und Alkanen (einfache, gesĂ€ttigte Kohlenwasserstoffe) in der Zwischenphase an und verwerten die Alkane als Energiequelle. In den Abbildungen b und c ist Alcanivorax vergröĂert zu sehen. Die Ei...