Sand Talk
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Sand Talk

Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt

Tyson Yunkaporta, Dirk Höfer

  1. 320 pagine
  2. German
  3. ePUB (disponibile sull'app)
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Sand Talk

Das Wissen der Aborigines und die Krisen der modernen Welt

Tyson Yunkaporta, Dirk Höfer

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Wie indigenes Wissen die Welt retten kann. Eine Erzählung der Welt aus Sicht der Aborigines."Sand Talk" beschert dem Leser nichts weniger als einen Wechsel der Perspektive, von der aus wir die Krisen der modernen Welt betrachten und neu beurteilen können. Tyson Yunkaporta, Angehöriger des im australischen West Cape York beheimateten Apalech-Clans und Professor für Indigenes Wissen, vermittelt in diesem an Geschichten reichen Buch das tiefe, komplexe und prozesshafte Wissen der Aborigines. Ein Wissen, das aus der innigen und symbiotischen Beziehung zum Land und zu den Ahnen besteht und auf dem Denken in Geschichten und dem Erkennen von Mustern beruht. Es ist flüchtig wie die Zeichnungen, die bei den Zwiegesprächen oder den Unterhaltungen in der Gruppe in den Sand gezeichnet werden, und zugleich umfassend wie die Traumzeit. Es ist aber auch ein Wissen, das durch die westliche Zivilisation verheert wurde, die die weiten Gebiete Australiens ausgeplündert und die Kultur der Aborigines, die sich als Hüter des Landes verstehen, marginalisiert und verstümmelt hat. Yunkaporta macht dieses verschüttete Wissen lebendig und sucht in den Mustern der indigenen Kultur nach Möglichkeiten, die Moderne auf den Weg der Nachhaltigkeit zu führen.

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Informazioni

Entenjagd geht jeden etwas an!

In meiner Gemeinschaft gibt es etwas, das wir thum pup nennen. Es handelt sich um zwei Feuerstäbe in einem mit Giddi-Perlen verzierten, gewachsten Beutel. Ein Stab ist männlich, der andere weiblich, und die Reibung zwischen ihnen wird zum Feuermachen genutzt. Der weibliche Stab heißt thum wanch, der männliche thum pam. Fraufeuer und Mannfeuer. Diese Ausdrücke in umgekehrter Reihenfolge ergeben die Worte für Ehefrau und Ehemann, wanch thum und pam thum. Feuerfrau und Feuermann. Die Eheleute teilen eine Feuerstelle und bringen sich dorthin gegenseitig Dinge mit. In vielen unserer Kulturen hält die auf diese Weise erfolgende Vereinigung von Frau und Mann aus den richtigen totemistischen Gruppen das Feuer im Universum im Gange, und ohne es würde die Schöpfung zusammenbrechen.
Dies dürfte vielen Menschen entgegenkommen, die sich gerne ausmalen, dass die Feuerstab-Beziehung eine Art universelle, uralte Wahrheit darstellt, die perfekt ihre Idealvorstellung eines in Geschlechterrollen aufgeteilten Familienlebens widerspiegelt. Aber in der Aborigine-Kultur besitzen und besaßen die Identitäten von Mann und Frau und ihre Beziehungen heute wie in der Vergangenheit weitere Ebenen und Verwicklungen. Zwischen diesen Stäben – ebenso wie zwischen vielen anderen, verschiedensten Zwecken dienenden Stäben, denen in nachhaltigen Kulturen allesamt Bedeutung zukommt – herrscht Reibung. Manche Stäbe werden für Feuer verwendet, andere für Musik oder für die Überbringung von Botschaften. Die meisten Stäbe werden jedoch hauptsächlich zum Töten und Jagen angefertigt. Traditionell haben Männer, Frauen und Kinder Zugang zu diesen Waffen, denn in unserer Kultur sehen wir von der wenig nachhaltigen Praxis ab, Gewalt in den Händen einer privilegierten Gruppe zu konzentrieren oder sie an andere Orte auszulagern, damit wir ihre Früchte genießen können, ohne sie selbst erleben zu müssen. Gewalt gehört zur Schöpfung und ist – um den Schaden zu minimieren, den sie anrichten kann – gleichmäßig auf alle Akteure eines nachhaltigen Systems verteilt. Wir folgen der Schöpfung, deshalb müssen wir im Falle eines Konflikts alle mit hoher Kompetenz agieren.
Und hier wird es kompliziert, denn uns-zwei werden uns nun darüber austauschen, wie in verschiedenen Kulturen Gewalt die Geschlechterrollen definiert. Bei den Aborigines unterscheidet sich das traditionelle Verhältnis zur Gewalt stark von dem, was heute als zivilisiertes Verhalten akzeptiert wird, und das bedeutet, dass sich die Beziehung zwischen Männern, Frauen und anderen, die weder das eine noch das andere oder beides sind, in Aborigine-Gesellschaften anders gestaltet. Ich behaupte nicht, dass diese Beziehung rein und unverdorben wäre; die Angelegenheiten von Männern und die von Frauen sind in der heutigen Aborigine-Welt hart umkämpft, da wir uns überall in unseren Gemeinschaften zunehmend, wenn auch in unterschiedlichen Maßen, domestiziert sehen. Ich habe bereits versucht, darüber zu schreiben, bin aber elend gescheitert, gehemmt von der Gewalt der Wut und der Verleugnung, durch die die meisten gegenwärtigen Dialoge über Geschlechterfragen gekennzeichnet sind. Auch wenn diese Gewalt unvermeidbar ist, wollte ich nicht, dass sie in diesem Buch ungleich verteilt ist, also beschloss ich, meinen Yarn mit einer schwarzen Frau zu führen, die mich, falls sie es für nötig hielte, grün und blau schlagen könnte.
Mehrere wären dafür infrage gekommen. Aber die Frau, die sich auf diesen Yarn mit mir einließ, ist auch in der Lage, mich intellektuell fertigzumachen, was, wie sie versichert, als Aggression weit verheerender ist als körperliche Prügel. Kelly Menzel ist eine Aborigine-Frau aus den Adelaide Hills und eine Hüterin indigenen Ahnenwissens. Sie ist Krankenschwester von Beruf und eine Heilerin aus Berufung, und zurzeit promoviert sie und arbeitet als Universitätsdozentin.
Für diesen Yarn habe ich einen Coolamon geschnitzt, eine Rindenschüssel, in der für gewöhnlich Babys, aber auch Lebensmittel getragen werden. Ich habe ihn für meine Frau als Trage für unseren neugeborenen Sohn hergestellt. So wie Rindenschilde werden auch Coolamons in der richtigen Jahreszeit geschnitten und, bevor sie glatt geschmirgelt werden, über dem Feuer geformt und gehärtet. Dem Baum muss schon etwas Gewalt zugefügt werden, aber wir verschmieren die offene Wunde am Stamm wie mit einer Salbe mit Schlamm, um dem Baum bei der Heilung zu helfen. Coolamons werden traditionell von Frauen und Männern hergestellt, aber oft schneiden die Männer die Rinde und übergeben sie den Frauen zur Weiterverarbeitung, doch letzten Endes ist ein Coolamon vor allem ein Frauengegenstand. Wir fertigen ihn vielleicht zusammen an, aber ihnen gehört er.
Das war der Ansatz, den ich für das Schreiben dieses Yarn gewählt habe. Kelly entschied, was noch mit hineingenommen werden und was ungesagt bleiben sollte, während wir in dem Coolamon wühlten und aussuchten, was ins Schriftliche überführt werden sollte. Kelly füllte ihn zudem mit eigenen Ideen. Sie entdeckte einige grobe Schnitzer, Stellen, an denen ich gegen die Faser gearbeitet hatte. Zum Beispiel hatte ich betont, dass Frauen von Natur aus körperlich sehr stark seien, dass sie aber durch die Domestizierung in zivilisierten Gesellschaften geschwächt würden. Gegen diese Schlussfolgerung hatte sie nichts einzuwenden, lediglich, dass ich sie aufgrund einer sehr engen Betrachtungsweise mit wenigen, auf ungeprüften Annahmen beruhenden Variablen getroffen hätte. Knurrend hielt sie mir mein allzu bequemes Denken vor.
Du setzt Schwäche mit körperlicher Schwäche gleich. Bei einer Frau verhält es sich aber um einiges komplizierter. Besitzt sie etwa auch eine scharfe Zunge und Witz und einen scharfen Verstand? Nimmt sie ihre Umgebung wahr? Wird sie nur aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten respektiert, oder ist es viel mehr als das? Die weibliche Macht und Emanzipation sind weitaus komplexer. Müssen wir, um uns sicher zu fühlen, anderen körperlich überlegen sein? Vor der Invasion und der Kolonisation waren Frauen und Männer unabhängig und voneinander abhängig. Durch das Gesetz kannten die Frauen und Männer die Folgen guten wie schlechten Verhaltens. Am meisten wurde auf die Zusammenarbeit und das Geben und Nehmen zwischen Männern und Frauen Wert gelegt. Wenn du den Unterschied zwischen den Angelegenheiten der Männer und derjenigen der Frauen diskutieren willst, musst du diesen Konzepten schon etwas Hintergrund verleihen.
Wir beginnen also unseren Yarn mit einer Erläuterung der nach Geschlechtern aufgeteilten kulturellen Aktivitäten in Aborigine-Gesellschaften. Während die gelebte Alltagskultur und sogar die Zeremonien meistenteils von der ganzen Gemeinschaft geteilt und erlebt werden, gibt es auch viele Bereiche, die getrennt gehalten werden. Fast alles, was mit der Verarbeitung von Pflanzenfasern zu tun hat, wird von Frauen erledigt, und fast alles mit Steinen und Holz von Männern. In vielen Gebieten gibt es Tätigkeiten, die nur ein Geschlecht ausführen darf. So war zum Beispiel Schwimmen und Tauchen in Tasmanien immer den Frauen vorbehalten. Es gibt zudem etliche geschlechtsspezifische Zeremonien, die dem anderen Geschlecht bei Todesstrafe sogar zu sehen verboten waren.
Für diese Trennung gibt es Gründe.
In der Kultur der Aborigines unterscheiden sich die männliche und die weibliche Energie. Die männliche Energie wird häufig als »sauer« beschrieben und kann in vielen Situationen Frauen Bauchschmerzen bereiten. (Aus diesem Grund fressen Krokodile auch lieber Frauen als Männer!) An vielen Orten ist es die Aufgabe des Mannes, Essen zuzubereiten, aber er muss sich abwenden, wenn eine Frau essen möchte, damit seine Bauchenergie nicht das Essen verdirbt und die Frau krank macht. (Und wie allein dieses Kulturmosaiksteinchen zeigt, waren Männer stets mit profanen Tätigkeiten wie der Essenszubereitung befasst und nicht nur mit den aufregenderen Aufgaben der Jagd und des Kampfs.) Bei Männerangelegenheiten, bei denen männliche Bauchenergie frei wird, etwa bei der Zeremonienausübung oder allen Tätigkeiten, bei denen die Reibung zwischen den Händen gefordert ist, müssen die Frauen vor dieser Energie geschützt werden. Gleichzeitig vermag die weibliche Bauchenergie Männer krank zu machen, ihr gilt es um jeden Preis aus dem Weg zu gehen. Es gibt bestimmte Umstände, an denen diese beiden Energien zusammengebracht werden, sie sind den Schöpfungsakten vorbehalten, die die zeugenden Feuer des Universums am Brennen halten.
Aber es gibt auch Variation und Fluidität in und zwischen den Geschlechtern. In manchen Zeremonien spielen die Männer symbolisch die Rolle der Gebärenden, während in anderen Frauen sich für bestimmte Tänze mächtige hölzerne Penisse umschnallen. Das weit fortgeschrittene Alter bringt einen Austausch zwischen den Männer- und Frauenangelegenheiten mit sich, wenn den Männern im Alter Brüste wachsen und den Frauen Bärte. Die alten Leute haben denn auch ihre eigenen Zeremonien, in die der Rest von uns nicht eingeweiht ist.
Natürlich werden etliche Menschen mit einer Veranlagung geboren, die tendenziell ihrem biologischen Geschlecht entgegengesetzt ist, und etliche leben entlang eines Kontinuums zwischen dem einen und dem anderen Pol, das sich im Laufe ihres Lebens verschiebt. Manche Menschen werden mit männlicher und mit weiblicher Energie in ihrem Bauch geboren und sind deshalb in der Lage, sich mit Dingen nützlich zu machen, die andere nicht tun können, ohne krank zu werden.
Viel von diesem Wissensgut hat nicht überlebt, nachdem entsetzte Missionare und frühe Siedler das meiste davon zusammen mit den Zeremonialdildos und den Bestattungsplattformen verbannt haben. Ein paar faszinierende Einblicke in die besonderen sozialen Rollen jedoch, die zum Beispiel homosexuellen Männern zukamen, blieben erhalten; diesen Männern wurden spezielle Kräfte nachgesagt, wenn es darum ging, verwirrte Kinder zu beruhigen oder in Streitfällen zu vermitteln. Aus der Tiwi-Gesellschaft ist bekannt, dass Transgender-Menschen die Träger wichtigen kulturellen Wissens waren und ihre spezifischen Zeremonien hatten, die weder zu den Männer- noch den Frauenangelegenheiten gehörten, sondern etwas ganz Eigenes darstellten.
Mit einem Gamilaraay-Freund namens Luke, einem schwulen Kerl mit einer ungestümen Leidenschaft für seine Kultur, alberte ich einmal in einem öffentlichen Park herum und machte Jagd auf Enten. Ich schnappte mir eine, und eine Siedlerfrau rief uns zu: »Hey, wisst ihr nicht, dass Enten lebenslang mit ihrem Partner zusammenbleiben? Wenn ihr eine umbringt, wird die andere sie für immer betrauern!« Woraufhin Luke herumfuhr und sie anschnauzte: »Lass meine Kultur mit deinen heteronormativen Kolonialideen in Frieden!«, und ich musste so sehr lachen, dass ich hintenüberfiel. Die Frau lachte auch – die Ente entwischte, und alle waren glücklich, außer Luke.
Ein älterer Aborigine meinte mir gegenüber einmal: »Wirklich schade, das mit Luke. Er ist ein guter Kerl, aber es ist eine Schande, so wie er ist. Früher hätte man ihn gleich bei der Geburt erwürgt.« Das ergab in meinen Augen keinen Sinn – einmal abgesehen von allem anderen, wie ließe sich denn die Sexualität eines neugeborenen Babys bestimmen? –, und ich habe allen Respekt für diesen Mann verloren, der sich die alte Kultur so hinbiegt, dass sie seinen kolonialisierten Vorurteilen zupasskommt.
Allerdings tun wir das alle, selektiv manches betonen und anderes herunterspielen, um es in unsere Weltsicht einzupassen. Ich tue es auch, das weiß ich. Das ist so ziemlich genau das, was ich in diesem Yarn die ganze Zeit getan habe: mir einen Reim auf die wichtigsten Beziehungen in meinem Leben machen, welches ich an den Rändern einer Gesellschaft führen muss, die Sex und Gender gefahrvoll und kompliziert macht. Es wird weniger kompliziert in den Momenten, an denen man ganz in das Gesetz der Aborigines eintaucht. Da überliefert ein alter Mann eine Goanna-Geschichte, in der das alte und unabdingbare Gesetz bestätigt wird, dass Vergewaltigung ein Kapitalvergehen ist. In einer anderen Geschichte erfährst du, dass siegreiche Aborigine-Krieger einst für die erste Hilfe und Heilung ihrer unterlegenen Gegner verantwortlich waren. Deine Mutter stirbt, und du und dein Vater dürfen sich weder Haare noch Bärte schneiden, bis euch nach einem Jahr die Schwägerinnen die Erlaubnis dazu geben. Oder du machst vielleicht bloß ein paar thum pup und hörst den alten Fellas zu, die dir die fürsorgliche Rolle des Ehemanns erklären. Es ist vielleicht etwas voreingenommen, dem Gesetz mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der jüngsten Flut von Gesetzesbrechern, aber wir suchen in diesem Buch nach langfristigen Trends und Mustern und wollen uns nicht an kurzfristigen, aus kolonialem Missbrauch entstehenden Krankheitsbildern weiden.
Unsere Verwandtschaftssysteme bauen auf Paarungen auf – Onkel-Neffe, Großmutter-Enkelin und so weiter. Wissen wird bewahrt und weitergegeben in diesen mit Totems verknüpften und mit dem Land und spezifischen Orten verbundenen Paarungen. Eine Mutter besitzt vielleicht ein Sperber-Totem, was aber auch bedeutet, dass sie ein Buschfeuer-Totem besitzt, da der Sperber die Feuerstäbe trägt und in der kalten Jahreszeit das Feuer verbreitet. Mit diesen Beziehungen und diesem Wissen sind Geschichtsorte verbunden, und die Mutter gibt dies alles entlang der richtigen Verwandtschaftspaare an die geeigneten Verwandten weiter.
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Der Punkt in der Mitte dieses Symbols ist das Kind, der Kreis drum herum die Mutter. Dieses Verwandtschaftspaar bildet das Zentrum unserer Gesellschaft. Das Kreissymbol ist eines der ältesten Symbole der menschlichen Geschichte und ist überall auf der Welt auf Felsen gemalt oder geritzt zu finden. Der Zweck einer nachhaltigen Gesellschaft besteht darin, diese wichtigste aller Beziehungen zu schützen und zu pflegen. Das ist die vordringlichste Rolle von Männern als Brüdern, Onkeln, Vätern, Vettern und Großvätern.
Das Dreieck ist der Mann, der die Frau in seinem Leben unterstützt. Aber er kann diese Treuhandschaft nicht missbrauchen. Denn um jede einzelne Frau befinden sich drei Generationen von Frauen: die Schwägerinnen des Mannes, die die Frau beschützen und die Macht über Leben und Tod ihres Ehemanns besitzen. Es handelt sich um ihre Schwestern/Kusinen, Mütter/ Tanten und Großmütter, die in dem Symbol durch die drei die Seiten des Dreiecks umschließenden Cs dargestellt sind. In manchen Gegenden ist es einem Mann, der um seine Frau oder seine Mutter trauert, verboten, sich die Haare zu schneiden, bis diese Frauen ihm verkünden, dass es nun an der Zeit sei. Andernfalls wird er bestraft. Er darf noch nicht einmal direkt mit seiner Schwiegermutter sprechen, sondern muss sie respektvoll meiden. Diese drei Generationen bilden die nachhaltige Verwandtschaftsstruktur, die mit ihren Kontrollmechanismen für Gleichheit sorgt und dem Missbrauch vorbeugt.
Es stimmt, dass vonseiten der frühen Siedler von Missbrauch in den Aborigine-Gesellschaften berichtet wurde, doch diese frühen Beobachtungen erfolgten nach der katastrophalen Ausbreitung europäischer Krankheiten auf dem Kontinent, die unsere Bevölkerung dezimierte und vor allem einen Großteil der Älteren dahinraffte. So fanden die meisten Erstkontakte bereits mit fragmentierten Gesellschaften statt, deren Kontrollstrukturen gravierend gestört worden waren.
Es ist auch richtig, dass unsere Beziehungsdynamiken heute in vielen Fällen korrumpiert sind, und es gibt Leute, die aus den daraus resultierenden Fehlfunktionen ableiten, dass die traditionelle Kultur primitiv und gewalttätig sei. Aber so ist es nicht immer gewesen, und selbst heute ist es nicht überall der Fall. Man hat mir gegenüber schon Beispiele schlecht funktionierender Gemeinschaften als Beleg dafür angeführt, dass die intellektuellen Traditionen der Aborigines gar nicht existieren könnten. Ich sehe zwischen diesen beiden Themen keinen Zusammenhang, außer dem Wunsch, (durch gewaltige logische Sprünge) eine Kultur herabzuwürdigen, die für die Entwicklungsagenda und die Rohstoffgewinnung auf Aborigine-Land unbequem ist. Die entsetzliche Gewalt vonseiten der okkupierenden Zivilisation wird außer Acht gelassen, während unsere dysfunktionalen Reaktionen auf deren Exzesse verurteilt werden.
Viele Australier scheinen darin übereinzustimmen, dass der Aborigine-Mann gewalttätig sei, die Kultur misogyn und die traditionellen Männerangelegenheiten eine Art Vergewaltigungskult darstellten, der zerstört gehöre. Natürlich gibt es Missbrauchsvorfälle – es gibt sie in jedem Winkel der heutigen Gesellschaft –, es ist nur so, dass jedwedes Vergehen der Aborigines von den Medien in allen schmutzigen Einzelheiten ausgewalzt wird. Kelly sagt, die Statistiken sprächen eine klare und erschreckende Sprache, aber man dürfe dies nicht durch die grobe Linse einer sensationslüsternen Medienberichterstattung betrachten.
Sie erklärt, dass indigene Frauen fünfmal eher einem Mord zum Opfer fielen als nicht-indigene Frauen und dass sie aufgrund partnerschaftlicher Gewalt fünfunddreißigmal häufiger ins Krankenhaus eingeliefert würden. Das sei eine höhere Rate als die für indigene Männer, die aufgrund dessen nur zwanzigmal häufiger ins Krankenhaus kämen als ihre nicht-indigenen Geschlechtsgenossen. (Allerdings lassen wir uns bei Verletzungen auch weniger häufig behandeln.) Oberflächlich betrachtet, könnte man in diesen Zahlen ziemlich brutale Gewaltmuster in der Aborigine-Kultur erkennen, aber die Sache ist nuancierter. Bevor man aus Statistiken zur häuslichen Gewalt ethnisch begründete Verallgemeinerungen ableite, meint Kelly, müsse man erst einmal anerkennen, dass heute über fünfzig Prozent der Aborigine-Frauen Partner ohne Aborigine-Hintergrund hätten.
»Unsere statistischen Daten zur häuslichen Gewalt liegen nicht deshalb höher, weil wir von unserer Anlage her oder kulturell gesehen gewalttätiger sind, sondern weil wir gezwungen sind, in einem System zu leben, das Gewalt perpetuiert und ein generationenübergreifendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit hervorruft.« Sie fügt hinzu, dass es verschiedene Arten der Gewalt gebe, sowohl positive als auch negative Gewalt. Sie sagt, in unserer Kultur herrsche ein großer Unterschied zwischen kontrollierter öffentlicher Gewalt und unkontrollierter privater Gewalt. Letztere sei in unseren Gemeinschaften eine relativ neue Entwicklung, und sie sei der Grund für die entsetzlichen Statistiken der häuslichen Gewaltvorfälle.
In unserer Kultur soll nur ein sehr kleiner Teil des Lebens privat bleiben. Schon alleine wegzugehen gilt als überaus zwielichtiges Verhalten. Gewaltsame Konflikte im Geheimen auszutragen ist verboten, so etwas machen nur böse Menschen und Zauberer oder Zauberinnen. Unsere Kontrollsysteme sind dezentral und werden kollektiv überwacht. Wenn es einen Disput gibt, sind alle daran beteiligt, und wenn Gewalt eingesetzt wird, dann in einer stark ritualisierten Form, und alle sind Zeugen. Hier e...

Indice dei contenuti

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Das Stachelschwein, das Paläo-Denken und der Große Entwurf
  5. Albinojunge
  6. Erstes Gesetz
  7. Die Grenzen des »Für immer«
  8. Linien im Sand
  9. Von Geist und Geistern
  10. Hoch entwickelt und hellhäutig
  11. Steinzeit-Romantik
  12. Falsche Apostrophe
  13. Limo gegen Kopfschmerzen
  14. Entenjagd geht jeden etwas an!
  15. Unerschütterlich trifft auf Unwiderstehlich
  16. Sei wie dein Land!
  17. Wohin des Wegs
  18. Danksagungen
  19. Glossar
  20. Impressum