1. Kapitel â Grundlagen
âWelch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an FĂ€higkeiten! In Gestalt und Bewegung, wie bedeutend und menschenwĂŒrdig! Im Handeln wie Ă€hnlich einem Engel! Im Begreifen wie Ă€hnlich einem Gott! Die Zierde der Welt! Das Vorbild der Lebendigen.â
Hamlet
Shakespeare
1Die Entstehung und der Inhalt des Urheberrechts sind nur zu verstehen, wenn es zusammen mit den ökonomischen, kulturellen und politischen VerhĂ€ltnissen in einer historischen Epoche betrachtet wird.1 Denn das Urheberrecht â wie das Recht insgesamt â kann nicht weiter sein als die ökonomische, politische und kulturelle Entwicklung eines Landes. In einer Warenproduktion, die weltweit vernetzt ist und in der unterschiedliche MarktteilnehmerMarktteilnehmer handeln, bleibt es nicht aus, dass InteressenwidersprĂŒche zwischen den Marktteilnehmern auftreten. Das Urheberrecht ist davon auch betroffen. Denn als Marktteilnehmer stehen sich hier Kreative, Verwerter und Verbraucher als Nutzer mit unterschiedlichen Interessen gegenĂŒber.2 Erst der wirtschaftliche und kulturelle Wert der geistigen Produktion sowie deren Werke und kĂŒnstlerischen Leistungen hat das Urheberrecht mit Beginn des 20. Jahrhunderts in den Fokus nationaler, europĂ€ischer und internationaler politischer Entscheidungen rĂŒcken lassen. Das Urheberrecht hatte bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein stiefmĂŒtterliches Dasein gefristet. Im System des PrivatrechtsSystem des Privatrechts hat es sich aufgrund der technischen und technologischen Entwicklung mittlerweile zu einem ernst zu nehmenden Rechtsgebiet gemausert. Neue rechtspolitische und dogmatische Probleme der Verwertung und Vermarktung kreativer Ergebnisse der geistigen Produktion stehen vor der TĂŒr. Das materielle Urheberrechtmaterielles Urheberrecht unterliegt einer stĂ€ndigen ReformReform.3 Die geistige Produktion und deren Ergebnisse in Form von urheberrechtlich geschĂŒtzten oder gemeinfrei gewordenen Werken und kĂŒnstlerischen Leistungen haben eine wirtschaftliche Bedeutung erreicht, die die industrielle Produktion teilweise in den Schatten stellt. Im 21. Jahrhundert wird der Kampf um die materiellen und geistigen Ressourcen im globalen Marktgeschehen fortgesetzt. Dazu gehört auch die Verwertung des intellektuellen Kapitals, dessen ökonomische und kulturelle Dimensionen noch nicht abzusehen sind. Die ökonomische Analyse des Urheberrechts kann aber nicht die alleinige Methode sein, um den Schutz, den Anreiz, die Motivation oder sonstige Faktoren der geistigen Produktion und der Verbreitung der Werke der Urheber und der Leistungen der ausĂŒbenden KĂŒnstler im digitalen Zeitalter zu bestimmen.4 Das Internet und die technologische Revolution im globalen MaĂstab lassen einen virtuellen neben den traditionellen Markt treten.5 Damit entstehen auch GeschĂ€ftsmodelleGeschĂ€ftsmodelle, wie z. B. Tauschbörsen, Sharehoster oder Streamingdienste, die ein massenhaftes illegales Angebot von urheberrechtlich geschĂŒtzten Werken und kĂŒnstlerischen Leistungen im Netz ermöglichen.6
2Das deutsche Urheberrecht, das zunehmend in die europĂ€ische Urheberrechtsentwicklung eingebunden ist, hat durch den Lissabonner Vertrag, der am 1.12.2009 in Kraft getreten ist, neue Impulse fĂŒr die Gesetzgebung zu erwarten. Sowohl der Vertrag ĂŒber die EuropĂ€ische Union (EUVEUV) als auch der Vertrag ĂŒber die Arbeitsweise der EuropĂ€ischen Union (AEUVAEUV), einschlieĂlich die Charta der GrundrechteCharta der Grundrechte der EuropĂ€ischen Union bieten genĂŒgend Spielraum fĂŒr die Entwicklung eines europĂ€ischen Urheberrechts.7 Die Herausbildung eines europĂ€ischen Urheberrechts ist erklĂ€rtes Anliegen der EU.8 Eines der Kernelemente ist die Anpassung des europĂ€ischen Urheberrechts an die Anforderungen des digitalen Zeitalters. Am 14.9.2016 sind verschiedene EntwĂŒrfe von Richtlinien und Verordnungen von der EuropĂ€ischen Kommission veröffentlicht worden. Dabei spielte insbesondere der Entwurf der RL ĂŒber das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt eine erhebliche Rolle.9 Der Entwurf war Gegenstand heftiger Diskussionen im EU Parlament. Die Richtlinie 2019/790/EU ĂŒber das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Ănderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG9 von 2019 ist ein Meilenstein zur Harmonisierung des europĂ€ischen Urheberrechts. Sie enthĂ€lt einige GrundsĂ€tze, die mit dem deutschen Urheberrecht ĂŒbereinstimmen. Es sind aber auch innerhalb der Umsetzungsfrist neue Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, weil neue TatbestĂ€nde fĂŒr das europĂ€ische und nationale Urheberrecht geschaffen worden sind.10 Dazu gehört auch die Richtlinie 2019/789/EU v 17.4.2019 ĂŒber die AusĂŒbung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online-Ăbertragungen von Sendeunternehmen und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen.10b Die Idee eines einheitlichen europĂ€ischen Urheberrechts setzt sich immer mehr durch, wobei auch die UrheberpersönlichkeitsrechteUrheberpersönlichkeitsrechte und VerwertungsrechteVerwertungsrechte Beachtung finden sollten.11 Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien fĂŒhren notwendigerweise zu neuen Herausforderungen fĂŒr das geistige Eigentumgeistiges Eigentum und damit auch das Urheberrecht.12 Eine internationale Dimension erhĂ€lt das Urheberrecht ebenso durch das Ăbereinkommen der UNESCOUNESCO ĂŒber den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005. Es ist 2007 von Deutschland ratifiziert worden und sollte auch fĂŒr kĂŒnftige Gesetzgebungsvorhaben BerĂŒcksichtigung finden.13 Die Informations- und Kommunikationstechnologien bergen neue Risiken im Hinblick auf Urheberrechtsverletzungen, wie z. B. das Internetangebot kino.to gezeigt hat.14 Aber auch die kĂŒnstliche Intelligenz15 und der 3D-Druck3D-Druck ist eine Herausforderung des Rechtsschutzes nicht nur unter dem Aspekt des Urheberrechts.16 Die Produktpiraterie kann durch den 3D-Druck erheblich erleichtert werden.17 Die Plattformwirtschaft fordert durch die neuen GeschĂ€ftsmodelle die Haftungskonzepte im Urheberrecht heraus. Die Störerhaftung und die TĂ€terhaftung stehen im Fokus (s. 8. Kap. Rn. 31 ff.).
3In der Legislaturperiode 2013 bis 2017 wurde das Urheberrecht teilweise reformiert. Ăberlegungen und ĂnderungsvorschlĂ€ge im Koalitionsvertrag 2013 betrafen z. B. die Bildungs- und WissenschaftsschrankenWissenschaftsschrankeWissenschaftsschranke,18 das UrhebervertragsrechtUrhebervertragsrecht19 und die VerwertungsgesellschaftenVerwertungsgesellschaft. Alle drei Reformen wurden umgesetzt. FĂŒr die Legislaturperiode 2017 bis 2021 wurden im Koalitionsvertrag ebenfalls Ănderungen des Urheberrechts vereinbart. Bereits 2018 wurde die Richtlinie 2017/1563/EU ĂŒber bestimmte zulĂ€ssige Formen der Nutzung bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschĂŒtzte Werke und sonstige SchutzgegenstĂ€nde zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen vom 13. September 2017 umgesetzt. Die Richtlinie ist eine Folge des Vertrages von Marrakesch aus dem Jahr 2013,20 dessen Vertragspartei die EuropĂ€ische Union wurde. Die Erlaubnis fĂŒr den Zugang von Menschen mit Behinderung nach § 45a UrhG wird durch die neuen §§ 45b bis 45d UrhG ergĂ€nzt.21 Die GesetzesĂ€nderung ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Dies bedeutet eine Erweiterung der Schrankenregelungen (s. 5. Kap. Rn. 22). Gleichzeitig gilt die VO 2017/1563/EU vom 13. September 2017 ĂŒber den grenzĂŒberschreitenden Austausch von VervielfĂ€ltigungsstĂŒcken bestimmter urheberrechtlich oder durch verwandte Schutzrechte geschĂŒtzte Werke und sonstiger SchutzgegenstĂ€nde in einem barrierefreien Format zwischen der Union und DrittlĂ€ndern zugunsten blinder, sehbehinderter oder anderweitig lesebehinderter Personen. Die VO ist auch am 1.1.2019 in Kraft getreten. Hervorzuheben ist...