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"Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben
Historische Einsichten - ethische Sondierungen
Hermann Schoenauer, Hermann Schoenauer
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"Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben
Historische Einsichten - ethische Sondierungen
Hermann Schoenauer, Hermann Schoenauer
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Im September 1940 erfolgten die ersten Verlegungen von Menschen mit Behinderung im Rahmen der sogenannten Aktion "Gnadentod" aus den Einrichtungen der Diakonissenanstalt Neuendettelsau. Weitere Verlegungen von ĂŒber 1200 Menschen folgten, ĂŒber 900 von ihnen wurden in staatlichen Heil- und Pflegeanstalten und in der Anstalt Hartheim bei Linz ermordet. Diesem Teil ihrer Geschichte gegenĂŒber weiĂ sich die Diakonie Neuendettelsau in besonderer Verantwortung, nicht nur in der historischen Aufarbeitung, sondern auch in den gegenwĂ€rtigen Herausforderungen zum Thema "Euthanasie". Die hier virulenten ethischen Fragestellungen in Medizin und Pflege nehmen weiter an Bedeutung zu.
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Information
Jochen-Christoph Kaiser
Innere Mission und âEuthanasieâ
Die Aktion T4 in den Diakonischen Einrichtungen
Schon bald tauchte im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur VerhĂŒtung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 die Frage auf, ob sich Sterbehilfe und âEuthanasieâ im Sinne Binding-Hoches und anderer jetzt nicht ebenfalls gesetzlich regeln lieĂen.4 Doch hat es einen vergleichbaren legislativen Akt wĂ€hrend des Dritten Reiches nicht gegeben, â im Gegenteil, die spĂ€teren Krankenmorde fĂŒhrte man unter mehr oder weniger strenger Geheimhaltung durch, weil die zu befĂŒrchtende Beunruhigung der Bevölkerung, besonders wenn diese im kirchlichen Milieu verankert war, vermieden werden sollte. Dessen ungeachtet hat es seit 1933 einige â dann scheiternde â Versuche gegeben, auch die Tötung Unheilbarer rechtlich zu fixieren. Es begann 1933 mit einer Denkschrift des kurzzeitigen preuĂischen Justizministers Hanns Kerrl, besser bekannt als Reichskirchenminister ab 1935, ĂŒber die Reform des nationalsozialistischen Strafrechts. Die veröffentlichte Vorlage enthielt auch einen Passus ĂŒber Sterbehilfe als âTötung auf Verlangenâ und die â so wörtlich â âsog. âVernichtung lebensunwerten Lebensââ und löste in der damals noch nicht völlig gleichgeschalteten Ăffentlichkeit eine so heftige Kontroverse aus, dass man den Entwurf herunterspielte und wieder in der Versenkung verschwinden lieĂ. Ăber die âTötung auf Verlangenâ fĂŒhrte der Entwurf aus, sie sei kĂŒnftig zulĂ€ssig, wenn das Krankheitsbild dies rechtfertige und ein âUnrechtsausschlieĂungsgrundâ durch das Gutachten wenigstens zweier beamteter Ărzte geschaffen worden sei. Auch der die Tötung AusfĂŒhrende mĂŒsse ein Arzt sein. Und zur âEuthanasieâ bei geistig Behinderten hieĂ es:
âDagegen erĂŒbrigt sich die Schaffung eines UnrechtsausschlieĂungsgrundes bei der sog. âVernichtung lebensunwerten Lebensâ. Sollte der Staat etwa bei unheilbar Geisteskranken ihre Ausschaltung aus dem Leben durch amtliche Organe gesetzmĂ€Ăig anordnen, so liegt in der AusfĂŒhrung solcher MaĂnahmen nur die DurchfĂŒhrung einer staatlichen Anordnung. Ob diese Anordnung geboten ist, steht hier nicht zur Erörterung. Wohl bleibt zu betonen, dass die Vernichtung lebensunwerten Lebens durch eine nichtamtliche Person stets eine strafbare Handlung darstellt.â5
Nach diesem VorstoĂ des preuĂischen Justizministers wurde das Thema zunĂ€chst zu den Akten gelegt; erst im Umfeld der Ende 1938 einsetzenden systematischen Ermordung missgebildeter Kinder in den sogenannten Kinderfachabteilungen ausgewĂ€hlter psychiatrischer Einrichtungen scheint man im âReichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leidenâ die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung erörtert zu haben. Dieser Reichsausschuss, ursprĂŒnglich eine Schlichtungsstelle zur KlĂ€rung strittiger Probleme der Sterilisation und Schwangerschaftsunterbrechung, wurde 1938/39 zur eigentlichen Schaltzentrale der Kinder- âEuthanasieâ, mit der die Krankentötungen begannen. Es ist deshalb kein Wunder, dass die hier tĂ€tigen Ărzte, Ministerialbeamten und FunktionĂ€re der zustĂ€ndigen NSDAP-Untergliederungen groĂes Interesse an rechtlichen Regelungen bekundeten, um nicht in einer Grauzone handeln zu mĂŒssen, die vom Gesetzgeber nicht abgedeckt war. Es wĂŒrde zu weit fĂŒhren, den komplizierten legislativen Prozess hier nachzuzeichnen, dem ohnehin kein Erfolg beschieden war, so dass die âEuthanasieâ de lege lata, zu Deutsch: nach der geltenden Gesetzeslage, bis 1945 formal strafbar blieb. Der Grund dafĂŒr ist einmal in den schon erwĂ€hnten psychologischen RĂŒcksichten auf die Bevölkerung zu suchen, doch gibt es noch andere Aspekte, die mit den polykratischen Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches und dem zĂ€hen Kampf zwischen Partei und Staatsapparat zu tun haben: Der faschistische âMaĂnahmestaatâ wollte sich in seinem tödlichen Zugriff auf die ausgegrenzten Minderheiten und Randgruppen der Gesellschaft nicht durch den âNormen-â, resp. Rechtsstaat binden oder BeschrĂ€nkungen auferlegen lassen.
Hinsichtlich der sogenannten âEuthanasieâ, die gleich mit Beginn des Krieges anlief, scheint die Frage, ob langfristig geplant oder eher spontan im Schatten des Krieges in die schaurige RealitĂ€t umgesetzt, von geringerer Bedeutung: Einmal hatte die Konkretion des Vernichtungsgedankens im Hinblick auf geisteskranke Anstaltspatienten schon lange in den Köpfen des engsten NS-FĂŒhrungszirkels einen festen Platz. Und dann gab es â anders als in der Bevölkerung und ihren Sprechern in den Kirchen â eine breite Akzeptanz gegenĂŒber einer â wenn man so sagen darf â âsauberen Euthanasieâ innerhalb der deutschen Psychiatrie, ohne deren bereitwillige Mitwirkung die Krankenmordaktionen nicht hĂ€tten realisiert werden können. Denn jene Rassenhygiene, die auch die Möglichkeit aktiver Sterbehilfe einschloss und deren politische Umsetzung sich in dem GzVeN spiegelte, besaĂ in der wissenschaftlich-medizinischen Welt hohe AttraktivitĂ€t: Schien es doch durch die Nutzanwendung modernster wissenschaftlicher Erkenntnisse endlich möglich, das Heer der psychisch Behinderten und mit ihnen der erbkranken Alkoholiker, Prostituierten und âAsozialenâ auf Dauer erfolgreich zu verkleinern und dadurch Volksgesundheit wie Staatsfinanzen einen Dienst zu leisten. Gedanklich war es von der Unterbindung der FortpflanzungsfĂ€higkeit bis hin zur aktiven oder passiven âEuthanasieâ fĂŒr viele Nationalsozialisten nur ein Schritt, wie zeitgenössische Stellungnahmen aus Ărztekreisen belegen. Freilich, und das muss gleich ergĂ€nzend hinzugefĂŒgt werden, gab es auch jene, die ein unbedingtes Ja zu den Sterilisierungen des Erbgesundheitsgesetzes sagten, jedoch Sterbehilfe in jeder Form ablehnten, â z.B. die Resolutionen des Central-Ausschusses fĂŒr Innere Mission aus den Jahren 1931 und 1934.6
Doch nun zu den einzelnen Phasen der DurchfĂŒhrung der Krankenmorde7:
Es begann mit der schon genannten Kindereuthanasie, die der Reichsausschuss seit Ende 1938 organisierte. Zielgruppe waren weniger missgebildete Kinder, die sich schon in entsprechenden Fachkliniken befanden, sondern Babies und Kleinkinder, die in ihren Familien aufgezogen oder besser: betreut wurden. Zu ihrer Erfassung erlieĂ das Reichsministerium des Innern am 18. August 1939 eine geheime Verordnung, die fĂŒr leitende Ărzte geburtshilflicher Einrichtungen und Hebammen eine Meldepflicht an die örtlichen GesundheitsĂ€mter vorsah. Diese galt z.B. fĂŒr Mongolismus (Down-Syndrom), Mikrozephalie, Hydrozephalus, schwere sonstige Missbildungen und spastische LĂ€hmungserscheinungen. Ausgangspunkt dieses Erlasses war der sog. Fall Knauer, in dem die Eltern eines geistig und körperlich behinderten Kindes auf Anraten des Direktors der Leipziger UniversitĂ€tskinderklinik, Prof. Dr. Werner Catel, eine Eingabe an die Kanzlei des FĂŒhrers richteten mit dem Ziel, die Genehmigung fĂŒr die an sich ja strafbare Tötung des Kindes zu erwirken. Dem Gesuch wurde auf persönliche Weisung Hitlers stattgegeben. Die Parteikanzlei nahm den Fall dann zum Anlass, im Verein mit dem âReichsausschussâ eine Meldepflicht-Verordnung vorzubereiten und die Kinder- âEuthanasieâ in den Kinderfachabteilungen durchzufĂŒhren, von denen bis Kriegsende 21 errichtet wurden. Die Tötung selbst erfolgte durch Tabletteneingabe und Injektionen, deren Dosierung oft so gering war, dass der Tod erst nach einigen Tagen oder Wochen eintrat, um widerstrebenden Eltern gegenĂŒber den Anschein des natĂŒrlichen Ablebens zu wahren. In einigen Fachabteilungen, so in Eglfing-Haar bei MĂŒnchen (Dr. Hermann PfannmĂŒller), erreichte man dieses Ziel auch durch kontinuierlich verringerte Nahrungszufuhr, m.a.W., man lieĂ diese Kinder systematisch verhungern. Die Gesamtzahl der Opfer der Kindereuthanasie wird auf 5000 geschĂ€tzt.
Eine weitere, bislang weniger bekannte âGeneralprobeâ fĂŒr die Erwachsenen- âEuthanasieâ im Reich hat erstmals der Frankfurter Journalist Ernst Klee ausfĂŒhrlich dokumentiert8: Es handelt sich um die von der SS vorgenommenen, nicht von der Kanzlei des FĂŒhrers koordinierten MassenerschieĂungen Geisteskranker in Pommern, OstpreuĂen und dann im Wartheland, die auf Veranlassung der dortigen Gauleiter Franz Schwede-Coburg, Arthur Greiser und Erich Koch erfolgten. Das Motiv lag in der Platzbeschaffung fĂŒr KasernengebĂ€ude und in offenkundigen SparmaĂnahmen aus kriegswirtschaftlichen GrĂŒnden. Hierbei setzte man erstmals auch Gaswagen mit der Tarnaufschrift âKaisers-Kaffee-GeschĂ€ftâ ein, bei denen mit Kohlenmonoxyd gefĂŒllte Gasflaschen, spĂ€ter auch die Dieselabgase der Motorfahrzeuge in die hermetisch abschlieĂbaren KofferanhĂ€nger geleitet wurden. Der Einsatz von Gas bildet im Ăbrigen eines der Verbindungsglieder zwischen Krankenmorden und Holocaust, da die ersten Vernichtungslager fĂŒr Juden im Osten ebenfalls mit solchen Tötungsmaschinen operierten. Genaue Gesamtzahlen sind nicht bekannt; es steht aber fest, dass die Liquidierung von Geisteskranken auch nach Beginn des Russlandfeldzuges von den Einsatzgruppen hinter der Front fortgesetzt wurde und ihr zahlreiche Menschen, deren Zahl nicht exakt bestimmbar ist, zum Opfer fielen.
Intentional war es von der stillen Legalisierung der Kinder- âEuthanasieâ nicht weit bis hin zur Einbeziehung von erwachsenen Patienten in die Mordaktion. Der AnstoĂ dazu scheint von Leonardo Conti, StaatssekretĂ€r im Reichsministerium des Innern und dort zustĂ€ndig fĂŒr die Krankenanstalten im Reich, ausgegangen zu sein. Ganz typisch fĂŒr das polykratische Herrschaftssystem des NS und das Eindringen der NSDAP in den Staatsapparat ist es jedoch, dass der VorstoĂ Contis, der selbst die Verantwortung fĂŒr Organisation und DurchfĂŒhrung der Erwachsenen- âEuthanasieâ ĂŒbernehmen wollte, von der FĂŒhrerkanzlei unter den ParteifunktionĂ€ren Philipp Bouhler und Viktor Brack abgewehrt wurde. Erstaunlich ist auch das Engagement Hitlers selbst: Er lieĂ sich dazu bewegen, im Oktober 1939 ein auf den 1. September zurĂŒckdatiertes SchriftstĂŒck zu unterzeichnen, in dem Bouhler als Chef der FĂŒhrerkanzlei und Hitlers Begleitarzt Dr. Karl Brandt ermĂ€chtigt wurden âdie Befugnisse namentlich zu bestimmender Ărzte so zu erweitern, daĂ nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewĂ€hrt werden kannâ.9
Bemerkenswert ist diese ErmĂ€chtigung insofern, als ein vergleichbarer schriftlicher Befehl fĂŒr den mit dem Russlandfeldzug einsetzenden und dann im SpĂ€therbst 1941 endgĂŒltig beschlossenen Massenmord an Juden und anderen sogenannten Fremdrassigen offensichtlich nicht existiert.
Von daher kann man auch auf die â immer im Denken der NS-Machthaber! â andersartige QualitĂ€t dieser Tötungen schlieĂen: Denn bei den âEuthanasieâ-Opfern handelte es sich um zwar in der Sprache des Regimes âdefekteâ und âwertloseâ Volksgenossen, die gleichwohl durch ihre gesunden Angehörigen unbestreitbar Teil der deutschen Volksgemeinschaft blieben. Die Verantwortung fĂŒr ihre Tötung trugen nicht ein kriegerischer, dem âFĂŒhrerâ bedingungslos ergebener und durch keine ethischen RĂŒcksichten traditioneller Art mehr gebundener Kampfverband wie die SS, sondern akademisch ausgebildete Ărzte mit bĂŒrgerlichem Selbst- und RechtsverstĂ€ndnis, die sich ihren Standesgesetzen verbunden fĂŒhlten und ohne eine solche ErmĂ€chtigung wohl kaum zur Mitarbeit an den Krankenmorden bereit gewesen wĂ€ren. Die Frage, ob eine FĂŒhrerermĂ€chtigung geltendes Recht auĂer Kraft setzen konnte und ob die Tötung Schwerstkranker mit dem Eid des Hippokrates zu vereinbaren war, berĂŒhrt zwei Problemkreise, die wir hier ausklammern mĂŒssen.
Mit Hilfe der von ihnen gegrĂŒndeten und nach ihrem Sitz in der Berliner TiergartenstraĂe so bezeichneten Organisation T 4 unterstellten Bouhler und Brack den neuen Tötungsapparat also der Regie der Partei. Medizinische Fachberatung und Auswahl der dem zynisch so genannten Gnadentod zuzufĂŒhrenden Menschen leistete eine Dienststelle mit dem harmlos klingenden Namen âReichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstaltenâ, von der die berĂŒchtigten Fragebogen an die betreffenden Einrichtungen in öffentlicher und privater TrĂ€gerschaft verschickt wurden, mit denen die Todeskandidatinnen und âkandidaten verwaltungstechnisch erfasst werden sollten. Die Tötung selbst wurde unter technischer Beratung, schlieĂlich Leitung des Stuttgarter Kriminalbeamten Christian Wirth in am Ende sechs dazu eigens ausgebauten Einrichtungen vorgenommen, deren Patienten man zuvor verlegt hatte: Dies waren die Anstalten Schloss Grafeneck in WĂŒrttemberg, Brandenburg a.d. Havel, Sonnenstein bei Pirna, Hartheim bei Linz in Ăsterreich, Hadamar bei Limburg und Bernburg in Sachsen-Anhalt. Die Tötung erfolgte nach einer Versuchsphase auf Anraten des von Beginn an hinzugezogenen Kriminaltechnischen Instituts des Reichskriminalpolizeiamtes durch Kohlenmonoxydgas (CO), nachdem sich die Verabreichung von Spritzen mit dem Gift Morphium-Skopolamin angesichts der hohen Zahl der zum Kreis der Betroffenen zĂ€hlenden Menschen als zu langsam und damit nicht effektiv erwiesen hatte. Jeder Anstalt war ein Krematorium angeschlossenen, in dem die Leichen nach Vornahme bestimmter medizinischer Untersuchungen verbrannt wurden. Die Angehörigen erhielten dann die aus TarnungsgrĂŒnden oft in hauseigenen StandesĂ€mtern ausgestellten Totenscheine zusammen mit einem so genannten Trostbrief, in dem neben der heuchlerischen Beileidsbekundung der Anstalt noch eine fiktive Todesursache angegeben war. AuĂerdem wurde darin angefragt, ob die Hinterbliebenen â gegen Erstattung der Kosten â auf die Zusendung der Urne Wert legten.
Obwohl die Organisation T 4 ihre Mitarbeiter streng vergatterte, um ihre Beteiligung an der âEuthanasieâ geheim zu halten, drangen immer mehr Nachrichten darĂŒber an die Ăffentlichkeit. Nicht zuletzt den Verantwortlichen der in kirchlicher TrĂ€gerschaft stehenden Einrichtungen war dies zu verdanken, aber auch einer Reihe von Protesten betroffener Angehöriger, die solche Informationen verbreiteten. Genannt seien hier nur die Eingaben des wĂŒrttembergischen Landesbischofs Theophil Wurm, die groĂe âEuthanasieâ-Denkschrift des Lobetaler Pfarrers und VizeprĂ€sidenten des Central-Ausschusses der Inneren Mission, Paul-Gerhard Braune, vom Juli 1940 und schlieĂlich die Predigten des MĂŒnsterschen katholischen Bischofs Graf von Galen im August 1941.10 Es bleibt allerdings unsicher, ob es tatsĂ€chlich diese Proteste waren, die Hitler zur Einstellung der halboffiziellen âEuthanasieâ bewegten, die in öffentlich weniger auffĂ€lligen, anderen Formen und als âwilde Euthanasieâ bis Kriegsende weiterging. Tatsache ist allerdings, dass die Beunruhigung der Bevölkerung offenbar ein derartiges MaĂ erreichte, welches es dem Regime angesichts des alle KrĂ€fte benötigenden totalen Krieges geraten sein lieĂ, die Mordaktion wenigstens nach auĂen hin einzustellen. Ganz anders als beim Holocaust, bei dem man solche RĂŒcksichten nicht zu nehmen hatte, zwangen die GerĂŒchte, auch andere unheilbar Kranke und sogar hirnverletzte Soldaten wĂŒrden zwangsweise getötet, zu diesem Schritt. M.a.W.: Die mit hohem propagandistischen Aufwand verbreitete Fiktion der einen unteilbaren Volksgemeinschaft, in der alle nicht als rassisch fremd stigmatisierten Deutschen solidarisch zueinander standen, zeigte hier ihre Kehrseite und Bremswirkung gegenĂŒber den radikalen Optionen der nur an Verwertungskategorien orientierten NS-Ideologie. â Noch immer steht die Zahl der Opfer nicht genau fest, da mit einer groĂen Dunkelziffer gerechnet werden muss; es ist aber davon auszugehen, dass bis zur offiziellen, nicht tatsĂ€chlichen Einstellung der Aktion am 24.
August 1941 mehr als 70 000 Patienten in den genannten sechs Anstalten den Tod fanden.11
Wegen angeblicher bestehender Gefahren der âRassenschandeâ, â einem Vergehen, das nach den NĂŒrnberger Gesetzen mit drakonischen Strafen fĂŒr die daran Beteiligten verbunden war, hatte das Reichsministerium des Innern bereits 1938 die Verlegung von jĂŒdischen geisteskranken Patienten aus den öffentlichen und privaten, d.h. konfessionellen Einrichtungen angeordnet, ein Erlass, der freilich durch zahlreiche Ausnahmegenehmigungen â etwa beim Nachweis isolierter Unterbringung der ânichtarischenâ Pfleglinge â bei Kriegsbeginn noch nicht ĂŒberall durchgefĂŒhrt worden war. Am 15. April nun erfolgte eine zweite Anweisung, die jetzt mit Hilfe der OberprĂ€sidenten ohne RĂŒckstellungsmöglichkeiten fĂŒr die Betroffenen befolgt werden musste. Man verlegte diese Patienten in Sammelanstalten, von wo aus sie mit unbekanntem Ziel, wahrscheinlich nach Pole...
Table of contents
- Deckblatt
- Titelseite
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit
- Rassenhygiene, Eugenik, âEuthanasieâ â die historischen Grundlagen und Entwicklungen
- Innere Mission und âEuthanasieâ Die Aktion T4 in den Diakonischen Einrichtungen
- âEuthanasieâ â Gedenkarbeit aus kĂŒnstlerischer Sicht
- Die Diakonie Neuendettelsau und die âEuthanasieâ-Ereignisse der Jahre 1940/45 Darstellung und Aufarbeitung
- Guter Tod? Euthanasie aus medizinrechtlicher und ethischer Sicht
- Komm sĂŒĂer Tod? Zur theologischen Akzeptanz von assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe
- Bildnachweis
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[author missing]. (2013). âEuthanasieâ - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben (1st ed.). Kohlhammer. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf (Original work published 2013)
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[author missing]. (2013) 2013. âEuthanasieâ - Zum Umgang Mit Vergehendem Menschlichen Leben. 1st ed. Kohlhammer. https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf.
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[author missing] (2013) âEuthanasieâ - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben. 1st edn. Kohlhammer. Available at: https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf (Accessed: 14 October 2022).
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[author missing]. âEuthanasieâ - Zum Umgang Mit Vergehendem Menschlichen Leben. 1st ed. Kohlhammer, 2013. Web. 14 Oct. 2022.