ADHS und komorbide Erkrankungen
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ADHS und komorbide Erkrankungen

Neurobiologische Grundlagen und diagnostisch-therapeutische Praxis bei Kindern und Erwachsenen

Christine M. Freitag, Wolfgang Retz, Christine M. Freitag, Wolfgang Retz

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ADHS und komorbide Erkrankungen

Neurobiologische Grundlagen und diagnostisch-therapeutische Praxis bei Kindern und Erwachsenen

Christine M. Freitag, Wolfgang Retz, Christine M. Freitag, Wolfgang Retz

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Mit BeitrĂ€gen von Christine M. Freitag, Alexander von Gontard, Sabine C. Herpertz, Wolfgang Retz, Aribert Rothenberger, Andreas Warnke u.a.Die Aufmerksamkeitsdefizit-/HyperaktivitĂ€tsstörung (ADHS) ist eine der hĂ€ufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen. Auch im Erwachsenenalter leiden noch bis zu 50 Prozent der Betroffenen unter dem charakteristischen Symptomkomplex aus Unaufmerksamkeit, motorischer Unruhe und ImpulsivitĂ€t. Die differentialdiagnostische AbklĂ€rung des Krankheitsbildes ist wegen der geringen SpezifitĂ€t der einzelnen Symptome und der hohen KomorbiditĂ€t mit weiteren psychiatrischen Leiden oftmals schwierig.In diesem Buch nehmen namhafte Fachleute zu wichtigen Differentialdiagnosen und Begleiterkrankungen bei ADHS Stellung. Der enge Bezug von Diagnostik und Therapie macht das Werk zu einem wertvollen Hilfsmittel fĂŒr alle Berufsgruppen, die an der Behandlung von ADHS-Patienten jeden Alters beteiligt sind.

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Information

Publisher
Kohlhammer
Year
2007
ISBN
9783170273221
Edition
1

II ADHS und Entwicklungsstörungen

4 ADHS und Ausscheidungsstörungen

Alexander von Gontard
Einleitung
4.1 Kinder mit ADHS/HKS
4.2 Kinder mit Enuresis
4.3 Mögliche ZusammenhÀnge
Zusammenfassung
Literatur

Einleitung

Ausscheidungsstörungen gehören zu den hĂ€ufigsten Störungen des Kindesalters. 7-jĂ€hrige Kinder nĂ€ssen zu 10 % nachts und 2–3 % tags ein, weitere 2–3 % koten ein (ĂŒberwiegend tags). Die PrĂ€valenzraten fĂŒr eine Hyperkinetische Störung (HKS) liegen nach den strengeren ICD-10 Kriterien bei 1–2 %, fĂŒr ein ADHS nach den weicheren Vorgaben der DSM-IV bei 5–10 %. Selbst unter Annahme der maximalen HĂ€ufigkeiten mĂŒsste das gleichzeitige, zufĂ€llige Zusammentreffen der beiden Störungen bei 1,5 % liegen (15 % Ausscheidungsstörungen x 10 % ADHS = 1,5 % fĂŒr beide). TatsĂ€chlich liegt die KomorbiditĂ€t sehr viel, d. h. ĂŒberzufĂ€llig höher. Es scheint eine spezifische Assoziation, möglicherweise aufgrund gemeinsamer neurobiologischer Faktoren, vorzuliegen.
Dieses Kapitel wird auf die KomorbiditÀt von nÀchtlichem EinnÀssen (Enuresis nocturna) und ADHS/HKS fokussieren, obwohl auch tags einnÀssende Kinder betroffen sind. Die Assoziationen wurden seltener bei Kindern mit ADHS untersucht. Die meisten Studien stammen aus der Enuresisforschung, die getrennt dargestellt werden sollen. Zuletzt sollen mögliche gemeinsame Pathomechanismen diskutiert werden.

4.1 Kinder mit ADHS/HKS

In aktuellen LehrbĂŒchern der Kinder- und Jugendpsychiatrie werden als wichtige komorbide Störungen des ADHS genannt: Störungen des Sozialverhaltens, affektive, Angst-, Tic- und Teilleistungsstörungen. Dagegen wird die hĂ€ufige komorbide Assoziation zwischen ADHS und Enuresis ignoriert (Lehmkuhl und Döpfner 2003; Schachar und Tannock 2002). Zwei wichtige Untersuchungen zu Kindern mit ADHS sollen deshalb nĂ€her besprochen werden.
Biederman et al. (1995) verglichen 140 6-bis 17-jĂ€hrige Jungen mit ADHS und 120 Kontrollen (ohne ADHS). Signifikant mehr Kinder mit ADHS hatten Enuresis (32 %) als Kontrollen (14 %). In beiden Gruppen nĂ€ssten der ĂŒberwiegende Teil nachts ein – 78 % (bei ADHS) bzw. 77 % (bei den Kontrollen). Wie zu erwarten, waren psychosoziale Risiken hĂ€ufiger bei Kindern mit ADHS als bei den Kontrollen, dagegen waren sie nicht erhöht bei Kindern mit Enuresis im Vergleich zu nicht-einnĂ€ssenden Kindern. Interessant ist der Effekt von weiteren KomorbiditĂ€ten, auf die das EinnĂ€ssen (unabhĂ€ngig ob mit oder ohne ADHS) keinen Einfluss zu haben scheint (s. Tab. 4.1). In anderen Worten, Enuresis steigert nicht das allgemeine Risiko fĂŒr weitere psychopathologischen AuffĂ€lligkeiten.
Tab. 4.1: KomorbiditÀten bei vier Gruppen von Kindern jeweils mit/ohne ADHS und Enuresis (nach Biederman et al. 1995)
ADHS (n = 140)
Kontrollen (n = 120)
Enuresis
Keine Enuresis
Enuresis
Keine Enuresis
Jede KomorbiditÀt
56 %
50 %
6 %
8 %
Angststörungen
36 %
24 %
0
5 %
Depressive Störungen
29 %
28 %
6 %
1 %
Störungen des Sozialverhaltens
18 %
23 %
0
4 %
Tab. 4.2: Odds-ratio fĂŒr Enuresis nocturna und fĂŒr EinnĂ€ssen tags (nach Robson et al. 1997)
Kinder mit ADHS (n = 153)
Kontrollen (n = 152)
Odds-ratio
Im Alter von 6 Jahren
Enuresis nocturna
20,9 %
7,8 %
2,7
EinnÀssen tags
6,5 %
2,1 %
4,5
Aktuelles Alter
Enuresis nocturna
3,9 %
2,9 %
2,6
EinnÀssen tags
13,1 %
1,4 %
11,7
In der zweiten, retrospektiven Studie verglichen Robson et al. (1997) 153 6- bis 14-jĂ€hrige Patienten mit ADHS und 152 Kontrollen. Wie in der nĂ€chsten Tab. 4.2 ersichtlich, war die Wahrscheinlichkeit (odds-ratio) fĂŒr eine Enuresis um 2,6- bis 2,7-fach erhöht, wenn die Kinder ein ADHS aufwiesen. Sehr viel deutlicher war der Unterschied fĂŒr ein EinnĂ€ssen tagsĂŒber – bezogen auf das Alter von 6 Jahren, aber vor allem, wenn das aktuelle Alter berĂŒcksichtigt wurde (11,2 Jahre bei ADHS, 10,2 Jahre bei Kontrollen).

4.2 Kinder mit Enuresis

Die meisten Untersuchungen gehen von einnĂ€ssenden Kindern aus. Die Ergebnisse der eigenen Studie finden sich in Tab. 4.3. Es wurden prospektiv 167 konsekutiv vorgestellte Kinder im Alter von 5–11 Jahren mit EinnĂ€ssen untersucht (von Gontard et al. 1999). Insgesamt erfĂŒllten 9,6 % die Kriterien fĂŒr ein HKS nach ICD-10. Erstaunlicherweise unterschieden sich die einzelnen Subgruppen des EinnĂ€ssens nicht bezĂŒglich der HĂ€ufigkeit eines gleichzeitigen HKS. Es fanden sich keine Unterschiede zwischen Kindern mit Enuresis nocturna und EinnĂ€ssen tags. Kinder mit einer sekundĂ€ren Enuresis nocturna (d. h. mit einem RĂŒckfall nach > 6 Monaten Trockenheit) und Kinder mit einer Harninkontinenz bei Miktionsaufschub (tags einnĂ€ssende Kinder, die selten auf die Toilette gehen und die Miktion zurĂŒckhalten) hatten die höchsten Raten von HKS – allerdings waren die Differenzen nicht signifikant. Zudem sind es auch die beiden EinnĂ€ssformen, die allgemein das höchste Risiko fĂŒr eine begleitende psychische Störung tragen (von Gontard et al. 1999).
Tab. 4.3: KomorbiditÀt von HKS bei verschiedenen Formen des EinnÀssens (nach von Gontard et al. 1999)
EinnÀssform (n)
HĂ€ufigkeit von HKS (ICD-10)
Gesamt (167)
9,6 %
Enuresis nocturna (110)
9,1 %
PrimÀre EN (82)
6,1 %
SekundÀre EN (28)
17,9 %
EinnÀssen tags (57)
10,5 %
Dranginkontinenz (22)
4,5 %
Miktionsaufschub (28)
14,3 %
Zusammengefasst ist das Risiko fĂŒr ein HKS nicht spezifisch fĂŒr die Enuresis nocturna, sondern scheint global fĂŒr alle einnĂ€ssenden Kinder erhöht zu sein – besonders bei den Störungen, bei denen psychische Faktoren besonders beteiligt sind.
GegenĂŒber nicht einnĂ€ssenden Kindern sind diese KomorbiditĂ€tsraten eindeutig erhöht. In einer neuen eigenen Studie wurden 37 Kinder mit Enuresis nocturna und 40 Kontrollen im Alter von 8–13 Jahren verglichen. Die Raten fĂŒr ein HKS oder ein ADHS waren gleich: 13,5 % (5) der einnĂ€ssenden Kinder, aber nur 2,5 % (1) der Kontrollen waren betroffen (Freitag et al. 2006).
Die besten und umfassendsten Arbeiten zur KomorbiditĂ€t von Enuresis nocturna und ADHS stammen von der belgischen Arbeitsgruppe um Baeyens (2005), die mehrere, z. T. noch nicht publizierte Studien durchfĂŒhrten.
Bei 120 Kindern (6–12 Jahre) mit Enuresis nocturna, die an einer UniversitĂ€tskinderklinik vorgestellt wurden, fand sich eine hohe ADHS-Gesamtrate von 40 % (n = 48). 22,5 % hatten den unaufmerksamen, 15 % den kombinierten und 2,5 % den hyperaktiven Subtyp. Diese KomorbiditĂ€tsrate ist abhĂ€ngig von Selektionseffekten wie Baeyens (2005) in einer zweiten Studie an 80 Kindern mit Enuresis nocturna zeigen konnte, die ĂŒber Anzeigen rekrutiert wurden: Insgesamt hatten 29 % ein ADHS – 14 % den unaufmerksamen, 9 % den hyperaktiven und 6 % den kombinierten Subtyp.
In einer 2-Jahres-Katamnese konnten 86 (von 120) Kinder der ersten Studie nachuntersucht werden. Die ADHS-Diagnose zeigte eine hohe StabilitÀt und konnte bei 72,5 % (n = 29) wieder bestÀtigt werden. Kinder mit ADHS nÀssten zum Katamnese-Zeitpunkt wesentlich hÀufiger ein (65 %) als Kontrollen (37 %) (odds-ratio 3.17; Baeyens 2005).
Ohne Zweifel haben Kinder mit der Kombination von Enuresis und ADHS schlechtere Behandlungsergebnisse und nĂ€ssen lĂ€nger und hĂ€ufiger ein. Crimmins et al. (2003) untersuchten retrospektiv 192 einnĂ€ssende Kinder mit ADHS und einnĂ€ssende Kontrollen ohne ADHS. Die wichtigsten Ergebnisse sind Tab. 4.4 zusammengefasst. FĂŒr die Enuresis nocturna ist die apparative Verhaltenstherapie (AVT) mit einem KlingelgerĂ€t Mittel der ersten Wahl – korrekt durchgefĂŒhrt, werden 70 % der Kinder trocken (Houts et al. 1994). Die AVT erfordert allerdings eine aktive Mitarbeit von den Kindern. Wie man sehen kann, ist die Erfolgsrate nach sechs und nach zwölf Monaten bei Kindern mit einem ADHS sehr viel ungĂŒnstiger – aufgrund der fehlenden Compliance, die sehr viel schlechter ist als bei Kindern ohne ADHS. Medikamente sind Mittel der zweiten Wahl. Sowohl Desmopressin wie auch Imipramin haben eindeutige antienuretische Effekte – allerdings sind sie bei den meisten Kindern nicht kurativ, da sie nach dem Absetzen einen RĂŒckfall erleiden (Houts et al. 1994; von Gontard und Neveus 2006). Da sie keine aktive Kooperation erfordern – sprechen Kinder mit und ohne ADHS Ă€hnlich an – solange sie unter Medikation stehen.
Tab. 4.4: Therapieerfolg und Compliance bei einnÀssenden Kindern mit und ohne ADHS (nach Crimmins et al. 2003)
EinnÀssen + ADHS
EinnÀssen
p
Enuresis nocturna
Therapieerfolg
AVT* (6 Monate)
43 %
69 %
< 0.01
AVT* (12 Monate)
19 %
66 %
< 0.01
Desmopressin (unter Medikation – 12 Monate)
63 %
66 %
n. s.
Imipramin (unter Medikation – 12 Monate)
40 %
32 %
n. s.
Non-Compliance
38 %
22 %
< 0.05
EinnÀssen tags
Therapieerfolg
Therapie insgesamt
68 %
91 %
< 0.01
Non-Compliance
48 %
14 %
< 0.01
* AVT: Apparative Verhaltenstherapie (KlingelgerÀt)
Auch tags einnÀssende Kinder haben eine schlechtere Therapieprognose. Bis auf die Dranginkontinenz, bei der zusÀtzlich Anticholinergika indiziert sein können, sind verschiedene Trainingsprogramme Mittel der ersten Wahl (von Gontard und Neveus 2006). Diese erfordern wiederum Mitarbeit und Compliance, die viele Kinder mit ADHS nicht leisten.

4.3 Mögliche ZusammenhÀnge

Das EinnĂ€ssen tags (funktionelle Harninkontinenz) ist eine heterogene Gruppe von Störungen, die sich bezĂŒglich Ätiologie und Pathoge...

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