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Die Lage der Welt
In diesem Kapitel erfahren Sie Folgendes:
was Nachhaltigkeit im Rahmen dieses Buchs bedeutet, wie der World Wildlife Fund (WWF) anhand einer ĂŒbersichtlichen Grafik die fehlende Nachhaltigkeit der Vor-Corona-Wirtschaftslogik aufzeigt, welche Vision 29 multinationale Konzerne bereits vor mehr als zehn Jahren fĂŒr das Jahr 2050 formuliert haben, was mit der UN-Agenda 2030 erreicht werden soll, welche Rolle Corona fĂŒr die Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften spielen könnte. 1.1 Was bedeutet Nachhaltigkeit
in diesem Buch?
Der Begriff Nachhaltigkeit wurde 1713 von Hans Carl von Carlowitz geprĂ€gt. Er begrĂŒndete damit in einer Zeit der Energiekrise durch âHolznotâ die Forstwirtschaft. Sowohl der Bergbau des Erzgebirges als auch der mit der wachsenden Bevölkerung verbundene StĂ€dtebau verbrauchten viel Holz. In den WĂ€ldern wurde auf kurzfristigen Gewinn ausgelegter Raubbau betrieben. Daher forderte von Carlowitz, nachhaltig, das heiĂt respektvoll und âpfleglichâ, mit der Natur und ihren Rohstoffen umzugehen. Zweieinhalb Jahrhunderte spĂ€ter warnte der Club of Rome im Jahr 1972 in seiner Studie âGrenzen des Wachstumsâ: âWenn die gegenwĂ€rtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natĂŒrlichen Rohstoffen unverĂ€ndert anhĂ€lt, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nĂ€chsten hundert Jahre erreicht.â Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit bescherte den LĂ€ndern des Westens Aufschwung und Wohlstand. Die EntwicklungslĂ€nder konnten jedoch mit dem Fortschritt der Demokratien mit Marktwirtschaften nicht mithalten. Es entstand das, was wir heute Nord-SĂŒd-GefĂ€lle nennen. Dieses war und ist mit hohem Konflikt- und Kriegspotenzial verbunden. Daher wurden Mitte der 1980er-Jahre die Vereinten Nationen (UN) aktiv. Die ehemalige norwegische MinisterprĂ€sidentin Gro Harlem Brundtland leitete ab 1983 einen SachverstĂ€ndigenrat, der Perspektiven fĂŒr eine langfristig angelegte umwelt- und sozialvertrĂ€gliche globale Entwicklung der Menschheit erarbeiten sollte. Die Ergebnisse dieser Kommission wurden 1987 im Brundtland-Report unter dem Titel âOur Common Futureâ â Unsere Gemeinsame Zukunft â veröffentlicht. Dort wurde der Begriff ânachhaltige Entwicklungâ in seiner heutigen Bedeutung geprĂ€gt.
Definitionen1
âNachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die BedĂŒrfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass kĂŒnftige Generationen ihre eigenen BedĂŒrfnisse nicht befriedigen können.â (Fokus: Generationengerechtigkeit) âIm Wesentlichen ist nachhaltige Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und kĂŒnftige Potenzial vergröĂern, menschliche BedĂŒrfnisse und WĂŒnsche zu erfĂŒllen.â (Fokus: ganzheitliche VerhaltensĂ€nderung) 1.2 Die Welt in einer Grafik
Im Jahr 2006 hat der World Wildlife Fund (WWF) erstmalig in seinem âLiving Planet Reportâ eine Grafik veröffentlicht, mit deren Hilfe die fehlende Nachhaltigkeit der Vor-Corona-Fortschrittslogik mit einem Bild erklĂ€rbar wird. Sie wird regelmĂ€Ăig aktualisiert und hat sich in den letzten Jahren qualitativ kaum verĂ€ndert.
Abbildung 1.1: Nachhaltigkeitsdefizite der letzten Jahrzehnte
In der Grafik gibt es zwei Achsen. Auf der horizontalen Achse ist der Index der menschlichen Entwicklung aufgetragen; auf der vertikalen der ökologische FuĂabdruck. Nachhaltigkeit ist erreicht, wenn alle Menschen ein gutes Leben fĂŒhren können, ohne die ökologischen Ressourcen zu zerstören. In der Grafik ist dies das graue Feld rechts unten.
Alle LĂ€nder sind durch jeweils einen Punkt gekennzeichnet. Die GröĂe der Punkte korrespondiert mit der Bevölkerungszahl. LĂ€nder mit mehr als einer Milliarde Einwohnern werden durch Kreise dargestellt. Der Kreis links stellt Indien dar, der rechte China. Nur einige wenige mittelamerikanische LĂ€nder kommen demnach nachhaltigem Leben nahe. Kuba war 2006 das einzige Land im Zielfeld. Mittlerweile â nach den Lockerungen des Embargos 2014 â hat auch der mittelamerikanische Inselstaat den Bereich der Nachhaltigkeit verlassen.
Definitionen
Der âIndex fĂŒr menschliche Entwicklungâ (engl. Human Development Index â HDI) ist ein von den UN genutztes MaĂ fĂŒr die nachhaltige Entwicklung einer Nation. Er berĂŒcksichtigt neben dem Bruttosozialprodukt pro Kopf auch die mittlere Lebenserwartung als GesundheitsmaĂ sowie das Ausbildungsniveau der BĂŒrger. Der HDI wird auf die Zahl 1 normiert. Alle Menschen der Welt sollten die Möglichkeit haben, ein hohes Entwicklungsniveau zu erreichen, das heiĂt bei einem HDI von 0,8 oder mehr zu leben. Der âökologische FuĂabdruckâ ist ein MaĂ fĂŒr den Ressourcenverbrauch. Entworfen wurde es 1994 von dem Schweizer Stadtentwickler Mathis Wackernagel und dem kanadischen Ăkologen William Rees. Er ermöglicht eine Buchhaltung fĂŒr ökologische Ressourcen, vergleichbar mit der Finanzbuchhaltung in der Wirtschaft. Der ökologische FuĂabdruck misst den Verbrauch natĂŒrlicher Ressourcen in Global-Hektar (gha) pro Person und Jahr. BerĂŒcksichtigt werden u. a. Energie, Nahrung, Kleidung, Entsorgung von AbfĂ€llen, das Binden von Kohlendioxid. Er erfasst auch, wie viel Natur = ökologisches Kapital in einem Land pro Kopf (noch) zur Erzeugung des zum Leben Notwendigen zur VerfĂŒgung steht. Anregung
Bestimmen Sie Ihren persönlichen Ressourcenverbrauch mithilfe des FuĂabdruck-Kalkulators von Mathis Wackernagels Organisation Global Footprint Network:
https://www.footprintcalculator.org
In der Vor-Corona-Zeit boten die Industrienationen (Europa, Nordamerika, Australien sowie einige asiatische LĂ€nder) ihren BĂŒrgern ein Leben auf einem hohen HDI, jedoch auf Kosten eines zu hohen Ressourcenverbrauchs. Die sogenannten EntwicklungslĂ€nder in Afrika und Asien wirtschaften zwar innerhalb der planetaren Grenzen, bieten ihren BĂŒrgern jedoch keine guten Lebensbedingungen. Dies bedeutet, dass alle LĂ€nder andere Gestaltungsaufgaben haben, wenn sie sich nachhaltig entwickeln wollen. Nachhaltige Entwicklung ist stark kontextabhĂ€ngig: Sie muss das politische, klimatische, soziale Umfeld berĂŒcksichtigen.
Anregung
Auf der Website von The Natural Step Deutschland finden Sie eine Animation der Entwicklung von 1990 bis 2012: https://www.thenaturalstep.de/de/situation/human-development-index/
1.3 Ursachen...