Die Schatzjäger des Kaisers
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Die Schatzjäger des Kaisers

Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient

Jürgen Gottschlich, Dilek Zaptcioglu-Gottschlich

  1. 336 Seiten
  2. German
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Die Schatzjäger des Kaisers

Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient

Jürgen Gottschlich, Dilek Zaptcioglu-Gottschlich

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Über dieses Buch

Der Pergamonaltar, das Markttor von Milet, die Löwen von Babylon, die Büste der Nofretete - das alles sind Schätze, die wir heute in deutschen Museen bewundern. Woher stammen diese Werke? Wann und unter welchen Umständen sind sie nach Deutschland gekommen? Sind wir eigentlich die rechtmäßigen Besitzer dieser weltberühmten Kulturgüter? Jürgen Gottschlich und Dilek Zaptcioglu-Gottschlich unterziehen die Geschichte archäologischer Ausgrabungen und ihres Abtransports ins Deutsche Kaiserreich einer eingehenden Prüfung. Im Mittelpunkt stehen die Expeditionen berühmter Ausgräber wie Carl Humann, Theodor Wiegand und Robert Koldewey einerseits und die überwiegend nationalistischen Motive ihrer Beutezüge im Dienst des Kaisers andererseits. Ging es in der Raubkunst-Debatte bislang eher um Kunstwerke aus afrikanischen und asiatischen Kolonien, wird hier erstmals ein Buch zu archäologischen Funden im ehemaligen Osmanischen Reich vorgelegt. Genauso wichtig wie die Forderung nach Restitution ist dabei die Frage: Wie machen wir das Weltkulturerbe möglichst vielen Menschen zugänglich?

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783862845019
Auflage
1
Thema
History

1 ANTIKE KUNST ALS SYMBOL DEUTSCHER MACHT

Der deutsche Bauingenieur Carl Humann findet den Pergamonaltar und will ihn im Deutschen Kaiserreich wieder aufbauen
Die türkische Ägäisküste, im 19. Jahrhundert nannte man sie noch die Westküste Kleinasiens, gleicht über 2000 Kilometer Küstenlinie einem Freilichtmuseum, das weltweit seinesgleichen sucht. »Wer die griechische Antike besichtigen will«, sagt der türkische Archäologe Rüstem Aslan, »findet hier eine weit dichtere Abfolge grandioser antiker Stätten als in Griechenland selbst.« Rüstem Aslan ist seit 2013 der Grabungsleiter an einem der legendärsten Plätze aus der Bronzezeit: in Troja. Mit Homers »Ilias« über den Krieg um Troja beginnt die abendländische Literatur. Der blinde Dichter schrieb sein Werk vermutlich 800 Jahre v. u. Z., und er lebte wahrscheinlich in Smyrna, der heutigen Millionenstadt Izmir. Mit dem »Krieg um Troja«, der Stadt ganz im Nordosten der Ägäis, etwa auf der Höhe von Thessaloniki, die die Meerenge der Dardanellen bewachte, begann, noch im Reich der Mythen und Legenden, der Zusammenprall griechischer Eroberer und einheimischer Bewohner.
Der Krieg, über den Homer schrieb, fand wohl um 1180 v. u. Z. statt und endete zwar mit der Zerstörung Trojas, doch zu einer griechischen Besiedlung der kleinasiatischen Küste reichte es damals noch nicht. Die fand erst gut 300 Jahre später statt, mit ersten Kolonisten weiter im Süden, bei Ephesos und Milet, etwa auf der Höhe von Athen. Viele andere Siedler aus den griechischen Stadtstaaten folgten. In der Phase von 800 bis 100 v.u.Z. wurden Hunderte griechische Siedlungen an der kleinasiatischen Küste gegründet, die wie Milet, Ephesus und Foca ihre Mutterstädte bald überstrahlten. Folgt man der Küste von Troja aus nach Süden, gelangt man, an mehreren kleineren griechischen Tempeln und Weihestätten vorbei, zunächst nach Assos, einer antiken Stadt gegenüber der griechischen Insel Lesbos, in der zeitweilig Aristoteles gelehrt haben soll. Etwas entfernt von der Küste folgt dann Pergamon, rund 100 Kilometer südlich kommt Izmir.
Ab Izmir stolpert man dann fast alle 20 oder 30 Kilometer über griechische antike Stätten. Nach Kolophon und Klaros kommt das berühmte Ephesus, dann Magnesia, Aphrodisias, Priene, Milet, Didyma, Euromos, Milas und Halikarnassos, um nur die wichtigsten zu nennen. Bevor die Küste dann nach Osten ins Mittelmeer abbiegt, findet sich noch das wunderschöne Knidos, ganz an der Spitze einer fast 200 Kilometer langen Halbinsel. Alle diese antiken Stätten sind im 18., 19. und 20. Jahrhundert von europäischen Forschungsreisenden »entdeckt«, teilweise ausgegraben und erforscht worden.
Das blieb nicht ohne Folgen. Diese Stätten wurden regelrecht geplündert. Viele der spektakulärsten Kunstwerke und Monumente, die griechische und später auch römische Architekten, Bildhauer und Maler geschaffen haben, finden sich heute in europäischen Museen. Nach Darstellung antiker Quellen rühmten sich die ehemaligen Zentren hellenistischer Kultur in Kleinasien mindestens dreier Weltwunder: des Zeusaltars auf dem Burgberg in Pergamon, des Artemis-Tempels in Ephesus und des Grabmals von König Mausollos in Halikarnassos.
Von diesen drei Weltwundern ist heute vor Ort praktisch nichts mehr zu sehen. Das Mausoleum von Mausollos, das zum Namensgeber für prächtige Begräbnisstätten überhaupt wurde, zerstörten im 15. Jahrhundert die Johanniter-Kreuzritter, um mit dem Material eine Burg zu bauen. Besonders gut erhaltene Marmorfriese, die die Ritter komplett in ihre Burgmauer eingesetzt hatten, ließ der englische Botschafter in Konstantinopel Sir Stratford Canning zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus der Mauer herausbrechen und nach London verschiffen. Die letzten Säulen des Artemis-Tempels verschwanden ebenfalls nach Europa, vor allem nach England, und der Zeusaltar von Pergamon ist heute die Hauptattraktion des Pergamonmuseums in Berlin.

Das griechische Pergamon

Der Eindruck, den Besucher heute von der antiken Stätte in Pergamon bekommen, wenn sie aus der Seilbahn steigen, die den 400 Meter hohen Burgberg hinauffährt, täuscht. Denn der eindrucksvolle Tempel, den sie als Erstes auf dem höchsten Plateau des Berges sehen, ist dem römischen Kaiser Trajan gewidmet; er hat mit dem hellenistischen Pergamon des Pergamonaltars nichts zu tun. Die in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts von deutschen und türkischen Archäologen rekonstruierten Tempelfragmente stammen aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeit, als Rom bereits die Macht in Kleinasien übernommen hatte.
Zeitlich näher kommt man dem berühmten griechischhellenistischen Pergamon erst, wenn man die Kellergewölbe des Trajan-Tempels durchquert hat und plötzlich vor einem steil abfallenden Theater am westlichen Hang des Burgberges steht. Die Grundkonstruktion des Theaters stammt aus der hellenistischen Blütezeit im dritten und zweiten Jahrhundert v. u. Z. Mit der Theaterbühne und dem Dionysos-Tempel am Ende der unteren Theaterterrasse ist man dann in der Zeit der Attaliden angekommen, dem griechischen Herrscherhaus, das den berühmten Altar, der heute das Kernstück des Pergamonmuseums in Berlin ist, in Auftrag gegeben hatte.
Image
Sockel des Zeusaltars, wie er heute in Pergamon zu sehen ist
Von diesem antiken Weltwunder, dem Pergamon seinen Ruhm verdankt, ist dagegen für den Besucher der antiken Stätte kaum mehr als eine Andeutung zu erkennen. Etwa 50 Meter unterhalb der Akropolis, auf einer Bergterrasse, von der aus man weit ins Tal schauen kann, befindet sich ein rechteckiger Erdhügel, teilweise noch von ein paar Steinquadern eingefasst, der von einer großen schönen Pinie beschattet wird. Lediglich eine Infotafel macht den Besucher darauf aufmerksam, dass hier einmal der berühmte Zeusaltar gestanden hat.
Auf einer erhöhten Plattform, die von dem berühmten, über zwei Meter hohen Fries in einem Rechteck umgeben war, opferten die Bürger von Pergamon ihren Göttern. Von diesen Marmorfriesen, die den Kampf der Götter gegen die Giganten in so eindrucksvoller, vollendeter Form zeigen, dass Pergamon heute noch als ein Höhepunkt griechischer antiker Kunst gilt, ist vor Ort nichts geblieben, nicht einmal eine Kopie oder große Fotos.
Gebaut wurde der Altar in den Jahren zwischen 180 und 170 v. u. Z. im Auftrag des berühmtesten pergamenischen Königs Eumenes II. Der Altar, so der Pergamon-Ausgräber Wolfgang Radt, war eine Weihung an die siegverleihende Stadtgöttin Athena.1 Vermutlich hatte Eumenes II. die Kultstätte nach einem Sieg über die Galater errichten lassen, einer ursprünglich germanischen Volksgruppe, die aus dem Norden eingewandert war und die Gegend verunsicherte.
In der Spätantike, den letzten zwei Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung, war der Altar in der gesamten griechisch-römischen Welt bekannt als Kunstwerk, das nicht seinesgleichen hat. Doch als im vierten Jahrhundert u. Z. durch Kaiser Konstantin den Großen das Christentum zur vorherrschenden Religion im Römischen Reich wurde, geriet der Pergamonaltar wie viele andere Heiligtümer der alten Religionen in Verruf. Du sollst keinen Gott haben neben mir, dieser kategorische Imperativ aus dem Alten Testament führte vielerorts dazu, dass die heidnischen Tempel zerstört wurden. So auch in Pergamon. Unter der Herrschaft byzantinischer Kaiser wurde der Altar im 5. Jahrhundert u. Z. zerstört. Doch weil große Marmorplatten für andere, neue Bauten vorzüglich verwendet werden konnten, wurde ein großer Teil der kostbaren Friesplatten in eine Stützmauer integriert, mit deren Hilfe am Hang ein Plateau geschaffen wurde, auf dem die Byzantiner dann selbst neu bauen konnten.
Die Friesplatten, die nicht für den Mauerbau benutzt wurden, fanden sich später umgestoßen und teilweise zerbrochen im Gelände verstreut wieder. Zeus und Athena waren das Gesicht abgeschlagen worden. Im 19. Jahrhundert waren sie von meterhohen Erd- und Schuttschichten bedeckt.
»Mancher mag es bedauern, dass der Pergamonaltar heute nicht an seinem alten Ort wiederaufgestellt zu besichtigen ist, sondern, ohne die Beleuchtung durch das südliche Licht, ohne die erhabene Atmosphäre des Burgberges, in einem Museumssaal steht«, schreibt Wolfgang Radt, Grabungsleiter von 1972 bis 2005, unter dessen Ägide die Teilrekonstruktion des Trajan-Tempels stattfand. Er bedauert es wohl auch, hält aber noch in seinem 1988 erschienenen Buch an der Behauptung fest, dass nur durch den Abtransport das antike Monument »vor dem sicheren Untergang gerettet« werden konnte.2

Der erste Besuch des Schicksalsberges

Der deutsche Bauingenieur Carl Humann sah 1865, als er das erste Mal seinem Schicksalsberg begegnete, nur noch eine unter Schutt und Staub verborgene Trümmerlandschaft. Humann, der für die osmanische Regierung bereits mehrere Straßenbauprojekte vorbereitet hatte, war im Winter 1864 /65 im Auftrag von Großwesir Fuad Pascha auf einer topografischen Erkundungstour an der nördlichen Ägäisküste, gegenüber von Lesbos. Von Dikili aus, einem kleinen Fischerdorf, war es in den Worten von Humann »nur ein Ritt von fünf Stunden« bis zum antiken Pergamon. Humann, der während seines Studiums an der Bauakademie in Berlin viele Stunden mit »dem Zeichnen von Antiken« verbracht hatte, kannte die Geschichten über das sagenhafte pergamenische Reich der Attaliden, einem Herrschergeschlecht aus den Reihen der Diadochen, den Nachfolgern Alexanders des Großen.
Deshalb wollte er die Gelegenheit, Pergamon zu sehen, »trotz strömenden Regens« nicht verpassen. »Dikili, gegenüber von Mytilene [Lesbos] ist der gewöhnliche Landungsort, um nach Bergama [der Stadt am Fuße des Burgberges] zu reiten«, schrieb er später über seinen ersten Pergamon-Besuch. »Die vom Kaikosfluss durchströmte Ebene ist an die zwei Stunden breit. Ich fand sie aber damals fast unbebaut. Immer unmittelbar am südlichen Fuße des Gebirges ging es diese Ebene hinauf, bis endlich, an einer Wendung des Weges, eine Stunde bevor man die Stadt erreicht, plötzlich die hohe Akropolis von Pergamon in der Ferne breit und majestätisch vor mir lag.«3
Nachdem er die Stadt erreicht hatte, machte er sich gleich zu Fuß an den Aufstieg zur Burg. »Dem flüchtigen Besucher erschien sie als ein einziges Schuttfeld, von Rasen und niederem Buschwerk bedeckt, durchsetzt von Mauerzügen, die aus den verschiedensten Zeiten herrühren und deren Zusammenhang auf den ersten Blick nicht klar wird. Auch auf der obersten Fläche ragte nach allen Seiten hin massives Fundament, oft sich kreuzend aus dem Boden hervor. Namentlich aber stehen noch, im Osten wie im Westen den Abhang begrenzend, die hohen Stützmauern der Attalidenzeit. Keinen Quaderstein von ihnen haben die Jahrhunderte zu verschieben gemocht. Oberhalb der westlichen Stützmauern betrat ich den Trümmerhügel, den man den Tempel der Athena Polias hat nennen wollen [später als Trajan-Tempel identifiziert]. Traurig stand ich da und sah die herrlichen, fast mannshohen korinthischen Kapitelle, die reichen Basen und andere Bauglieder, alles um- und überwuchert von Gestrüpp und wilden Feigen. Daneben rauchte der Kalkofen, in den jeder Marmorblock, welcher dem schweren Hammer nachgab, zerkleinert wanderte. Einige tiefe, frisch gezogene Gräben zeigten, welche Fülle von Trümmern unter der öden Bodenfläche lagerte; je kleiner zersplittert, desto angenehmer waren sie den Arbeitern. Das also war übrig geblieben von dem stolzen, uneinnehmbaren Herrschersitz der Attaliden! Barg der Boden noch Reste von all den Kunstschätzen, welche diese Medicis der Diadochenzeit hier zusammengetragen und errichtet hatten? In weiten Zickzacklinien verließ ich, immer über Bauschutt hinabsteigend, die Burg; über tausend Rätseln sinnend gelangte ich mißmutig wieder zum Meere.«
Humann deutet in dieser allersten Begegnung mit Pergamon bereits an, was später als eine der Begründungen für die Plünderung der antiken Stätte herhalten musste. Die Kunstwerke mussten gerettet werden vor den Barbaren, die die Reste, die sie fanden, zu Kalk verbrannten. Humann ist nicht der einzige Europäer, der seine Schatzsuche später als Rettungsaktion verbrämte. Fast alle Ausgräber des 19. Jahrhunderts, die im Osmanischen Reich nach Kunstschätzen aus der Frühgeschichte und der Antike fahndeten, sahen sich als Retter und nicht als Räuber. Humann jedenfalls hat nach eigenen Angaben zunächst einmal seine Kontakte zum Großwesir genutzt, um die Kalkbrennerei auf dem Pergamonberg verbieten zu lassen.

Eine Karriere als Straßenbauingenieur

Der mehr oder weniger mittellos ins Osmanische Reich eingewanderte Carl Humann hatte dort in wenigen Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Geboren worden war er am 4. Januar 1839 in Essen an der Ruhr als einer von vier Söhnen und zwei Töchtern des Gastwirtes Franz Wilhelm Humann. Vater Humann betrieb am Rande von Essen ein großes Gasthaus und Ausflugslokal und konnte es sich leisten, seinen Söhnen höhere Bildung zukommen zu lassen. Carl machte in Essen sein Abitur, bei dem er besonders in Mathematik, Latein und Griechisch brillierte, und ging dann zum Studium an die renommierte Bauakademie in Berlin. Seine Freizeit verbrachte er nach eigenen Angaben oft im 1830 eröffneten Alten Museum am Lustgarten, wo er antike Skulpturen und andere Objekte zeichnete. Doch ein schweres Lungenleiden unterbrach seine Ausbildung, und die Ärzte rieten ihm, sich für sein zukünftiges Leben ein milderes Klima als das kalte Berlin auszusuchen. Da traf es sich gut, dass sein älterer Bruder Franz, ebenfalls Ingenieur, bereits in den Orient ausgewandert war und auf der Ägäisinsel Samos, die damals zum Osmanischen Reich gehörte, eine gute Stellung im Dienste des türkischen Statthalters innehatte. Franz lud seinen Bruder ein, in Samos weiter die »Bauwerke der Alten« zu studieren, und machte Carl den Umzug unter anderem damit schmackhaft, dass er in Samos an der Erforschung des berühmten Hera-Tempels mitarbeiten könnte.
Im November 1861 traf Carl Humann im Orient ein, wo er dann auch den Rest seines Lebens verbringen sollte. Nach einer kurzen Zeit auf Samos ging er, nach einem Zwischenaufenthalt in Smyrna, weiter ins Zentrum des Reiches, nach Konstantinopel. Erneut durch Vermittlung seines Bruders lernte er den damaligen englischen Botschafter Sir Henry Bulwer kennen, der ihn damit betraute, ein Landhaus auf einer kleinen Insel im Marmarameer zu bauen. Da Bulwer mit seinem Sommerhaus zufrieden war, stellte er Carl Humann dem damaligen Großwesir Fuad Pascha vor, dem nach dem Sultan wichtigsten Mann im Reich. Diese Begegnung ebnete den weiteren Weg für Humanns Leben im Osmanischen Reich. Er bekam jetzt Aufträge vom Hof, vor allem als Vermessungsingenieur für Straßenbauprojekte. Für Fuad Pascha ging Humann nach Palästina, nach Ägypten und später nach Bulgarien. Er wurde auch beauftragt, topografische Karten der südlichen Marmaraküste und der nördlichen Ägäis zu erstellen. Im Verlauf dieser Tätigkeiten kam er mehrfach nach Pergamon.

Von der Pleite zu neuem Aufbruch

Bruder Franz hatte dann die Idee, ins Straßenbaugeschäft einzusteigen und sich dafür die Vorarbeiten des Bruders zunutzezumachen. Er beantragte eine Lizenz beim Sultan und erhielt tatsächlich im April 1867 einen Ferman, der die Brüder Humann berechtigte, mehrere Straßen im Gebiet zwischen Konstantinopel und Smyrna zu bauen und später in eigener Konzession zu betreiben. Der Straßenbau wurde zu einem Großunternehmen, in dem »schwindelerregende Summen« bewegt wurden, wie der Vater meinte, als er einmal auf Besuch in Konstantinopel war.4
Doch die schwindelerregenden Summen, die man in dem Geschäft verdienen konnte, brachten auch das Risiko eines schwindelerregenden Absturzes mit sich. Das seit Mitte des 19. Jahrhunderts permanent von einer Staatspleite bedrohte Osmanische Reich war 1873 wieder einmal zahlungsunfähig. Die Brüder Humann bekamen die vertraglich zugesicherten Gelder aus Konstantinopel nicht mehr und gingen mit ihrer Firma in die Insolvenz. Carl Humann hatte aber offenbar noch genug Geld beiseitegelegt, um sich in Smyrna, wohin er nun seinen Lebensmittelpunkt verlegte, ein Haus zu kaufen. In der Heimat suchte und fand er dann eine Frau, die ihn heiratete und ihm in den folgenden Jahren sein Haus in Smyrna führte. Das Ehepaar hatte zwei Söhne und zwei Töchter, doch zum großen Leid der Eltern starb eine Tochter bereits kurz nach der Geburt und der jüngere Sohn, als er sieben Jahre alt war. Die verbliebenen Kinder, Tochter Maria und Sohn Hans, spielten später wichtige Rollen in den deutschtürkischen Beziehungen vor und während des Ersten Weltkrieges. Mit mäßigem Erfolg stieg Carl Humann in das Import-Export-Geschäft mit Waren aus dem Landesinnern ein, die über den großen Hafen von Smyrna nach Europa verschifft wurden.
Nach seiner ersten Begegnung mit Pergamon ließ ihn diese antike Stätte nicht mehr los. Humann war fasziniert von dem Gedanken an die antiken Schätze, die sich unter dem Schutt der Jahrhunderte verbergen könnten. Noch während der Straßenbauarbeiten hatte er zeitweise sein Hauptquartier nach Pergamon verlegt und jede freie Stunde genutzt, um den Burgberg weiter zu erforschen. Dabei fand er einige interessante Antiken, darunter auch zwei große Marmorplatten, die Kampfszenen darstellten und von denen er bereits damals vermutete, dass sie zu einem größeren Ensemble gehören müssten.
Humann hoffte, für seine Funde Interesse bei den zuständigen Stellen in Berlin wecken zu können. Bei einem seiner regelmäßigen Aufenthalte in Konstantinopel machte er eine erste Bekanntschaft mit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Halbtitel
  3. Titelseite
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. 1 Antike Kunst als Symbol Deutscher Macht
  8. 2 »Wir Müssen Alle Zum Altar Gehörigen Dinge Bekommen.«
  9. Exkurs: Anmerkungen zu Heinrich Schliemann
  10. 3 Das Längste Jahrhundert der Osmanen
  11. 4 Osman Hamdi Bey – der Begründer der Türkischen Archäologie
  12. 5 Theodor Wiegand – der Archäologe des Kaisers
  13. 6 Vom Schlucken Grosser Brocken
  14. 7 Die Löwen von Babylon
  15. 8 Die Assur-Akte
  16. 9 Der Streit um die Königin Nofretete
  17. 10 Archäologen im Ersten Weltkrieg
  18. 11 Das Pergamonmuseum
  19. 12 Verantwortung Für das Weltkulturerbe
  20. Anhang
Zitierstile für Die Schatzjäger des Kaisers

APA 6 Citation

Gottschlich, J., & Zaptcioglu-Gottschlich, D. (2021). Die Schatzjäger des Kaisers (1st ed.). Ch. Links Verlag. Retrieved from https://www.perlego.com/book/3469988/die-schatzjger-des-kaisers-deutsche-archologen-auf-beutezug-im-orient-pdf (Original work published 2021)

Chicago Citation

Gottschlich, Jürgen, and Dilek Zaptcioglu-Gottschlich. (2021) 2021. Die Schatzjäger Des Kaisers. 1st ed. Ch. Links Verlag. https://www.perlego.com/book/3469988/die-schatzjger-des-kaisers-deutsche-archologen-auf-beutezug-im-orient-pdf.

Harvard Citation

Gottschlich, J. and Zaptcioglu-Gottschlich, D. (2021) Die Schatzjäger des Kaisers. 1st edn. Ch. Links Verlag. Available at: https://www.perlego.com/book/3469988/die-schatzjger-des-kaisers-deutsche-archologen-auf-beutezug-im-orient-pdf (Accessed: 15 October 2022).

MLA 7 Citation

Gottschlich, Jürgen, and Dilek Zaptcioglu-Gottschlich. Die Schatzjäger Des Kaisers. 1st ed. Ch. Links Verlag, 2021. Web. 15 Oct. 2022.