"Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben
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"Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben

Historische Einsichten - ethische Sondierungen

Hermann Schoenauer, Hermann Schoenauer

  1. 128 páginas
  2. German
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"Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben

Historische Einsichten - ethische Sondierungen

Hermann Schoenauer, Hermann Schoenauer

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Im September 1940 erfolgten die ersten Verlegungen von Menschen mit Behinderung im Rahmen der sogenannten Aktion "Gnadentod" aus den Einrichtungen der Diakonissenanstalt Neuendettelsau. Weitere Verlegungen von über 1200 Menschen folgten, über 900 von ihnen wurden in staatlichen Heil- und Pflegeanstalten und in der Anstalt Hartheim bei Linz ermordet. Diesem Teil ihrer Geschichte gegenüber weiß sich die Diakonie Neuendettelsau in besonderer Verantwortung, nicht nur in der historischen Aufarbeitung, sondern auch in den gegenwärtigen Herausforderungen zum Thema "Euthanasie". Die hier virulenten ethischen Fragestellungen in Medizin und Pflege nehmen weiter an Bedeutung zu.

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Información

Editorial
Kohlhammer
Año
2013
ISBN
9783170271289
Edición
1
Jochen-Christoph Kaiser

Innere Mission und ‚Euthanasie‘

Die Aktion T4 in den Diakonischen Einrichtungen
Schon bald tauchte im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) vom 14. Juli 1933 die Frage auf, ob sich Sterbehilfe und ‚Euthanasie‘ im Sinne Binding-Hoches und anderer jetzt nicht ebenfalls gesetzlich regeln ließen.4 Doch hat es einen vergleichbaren legislativen Akt während des Dritten Reiches nicht gegeben, – im Gegenteil, die späteren Krankenmorde führte man unter mehr oder weniger strenger Geheimhaltung durch, weil die zu befürchtende Beunruhigung der Bevölkerung, besonders wenn diese im kirchlichen Milieu verankert war, vermieden werden sollte. Dessen ungeachtet hat es seit 1933 einige – dann scheiternde – Versuche gegeben, auch die Tötung Unheilbarer rechtlich zu fixieren. Es begann 1933 mit einer Denkschrift des kurzzeitigen preußischen Justizministers Hanns Kerrl, besser bekannt als Reichskirchenminister ab 1935, über die Reform des nationalsozialistischen Strafrechts. Die veröffentlichte Vorlage enthielt auch einen Passus über Sterbehilfe als ‚Tötung auf Verlangen‘ und die – so wörtlich – „sog. ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘“ und löste in der damals noch nicht völlig gleichgeschalteten Öffentlichkeit eine so heftige Kontroverse aus, dass man den Entwurf herunterspielte und wieder in der Versenkung verschwinden ließ. Über die ‚Tötung auf Verlangen‘ führte der Entwurf aus, sie sei künftig zulässig, wenn das Krankheitsbild dies rechtfertige und ein „Unrechtsausschließungsgrund“ durch das Gutachten wenigstens zweier beamteter Ärzte geschaffen worden sei. Auch der die Tötung Ausführende müsse ein Arzt sein. Und zur ‚Euthanasie‘ bei geistig Behinderten hieß es:
„Dagegen erübrigt sich die Schaffung eines Unrechtsausschließungsgrundes bei der sog. ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘. Sollte der Staat etwa bei unheilbar Geisteskranken ihre Ausschaltung aus dem Leben durch amtliche Organe gesetzmäßig anordnen, so liegt in der Ausführung solcher Maßnahmen nur die Durchführung einer staatlichen Anordnung. Ob diese Anordnung geboten ist, steht hier nicht zur Erörterung. Wohl bleibt zu betonen, dass die Vernichtung lebensunwerten Lebens durch eine nichtamtliche Person stets eine strafbare Handlung darstellt.“5
Nach diesem Vorstoß des preußischen Justizministers wurde das Thema zunächst zu den Akten gelegt; erst im Umfeld der Ende 1938 einsetzenden systematischen Ermordung missgebildeter Kinder in den sogenannten Kinderfachabteilungen ausgewählter psychiatrischer Einrichtungen scheint man im ‚Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden‘ die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung erörtert zu haben. Dieser Reichsausschuss, ursprünglich eine Schlichtungsstelle zur Klärung strittiger Probleme der Sterilisation und Schwangerschaftsunterbrechung, wurde 1938/39 zur eigentlichen Schaltzentrale der Kinder- ‚Euthanasie‘, mit der die Krankentötungen begannen. Es ist deshalb kein Wunder, dass die hier tätigen Ärzte, Ministerialbeamten und Funktionäre der zuständigen NSDAP-Untergliederungen großes Interesse an rechtlichen Regelungen bekundeten, um nicht in einer Grauzone handeln zu müssen, die vom Gesetzgeber nicht abgedeckt war. Es würde zu weit führen, den komplizierten legislativen Prozess hier nachzuzeichnen, dem ohnehin kein Erfolg beschieden war, so dass die ‚Euthanasie‘ de lege lata, zu Deutsch: nach der geltenden Gesetzeslage, bis 1945 formal strafbar blieb. Der Grund dafür ist einmal in den schon erwähnten psychologischen Rücksichten auf die Bevölkerung zu suchen, doch gibt es noch andere Aspekte, die mit den polykratischen Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches und dem zähen Kampf zwischen Partei und Staatsapparat zu tun haben: Der faschistische ‚Maßnahmestaat‘ wollte sich in seinem tödlichen Zugriff auf die ausgegrenzten Minderheiten und Randgruppen der Gesellschaft nicht durch den ‚Normen-‘, resp. Rechtsstaat binden oder Beschränkungen auferlegen lassen.
Hinsichtlich der sogenannten ‚Euthanasie‘, die gleich mit Beginn des Krieges anlief, scheint die Frage, ob langfristig geplant oder eher spontan im Schatten des Krieges in die schaurige Realität umgesetzt, von geringerer Bedeutung: Einmal hatte die Konkretion des Vernichtungsgedankens im Hinblick auf geisteskranke Anstaltspatienten schon lange in den Köpfen des engsten NS-Führungszirkels einen festen Platz. Und dann gab es – anders als in der Bevölkerung und ihren Sprechern in den Kirchen – eine breite Akzeptanz gegenüber einer – wenn man so sagen darf – ‚sauberen Euthanasie‘ innerhalb der deutschen Psychiatrie, ohne deren bereitwillige Mitwirkung die Krankenmordaktionen nicht hätten realisiert werden können. Denn jene Rassenhygiene, die auch die Möglichkeit aktiver Sterbehilfe einschloss und deren politische Umsetzung sich in dem GzVeN spiegelte, besaß in der wissenschaftlich-medizinischen Welt hohe Attraktivität: Schien es doch durch die Nutzanwendung modernster wissenschaftlicher Erkenntnisse endlich möglich, das Heer der psychisch Behinderten und mit ihnen der erbkranken Alkoholiker, Prostituierten und ‚Asozialen‘ auf Dauer erfolgreich zu verkleinern und dadurch Volksgesundheit wie Staatsfinanzen einen Dienst zu leisten. Gedanklich war es von der Unterbindung der Fortpflanzungsfähigkeit bis hin zur aktiven oder passiven ‚Euthanasie‘ für viele Nationalsozialisten nur ein Schritt, wie zeitgenössische Stellungnahmen aus Ärztekreisen belegen. Freilich, und das muss gleich ergänzend hinzugefügt werden, gab es auch jene, die ein unbedingtes Ja zu den Sterilisierungen des Erbgesundheitsgesetzes sagten, jedoch Sterbehilfe in jeder Form ablehnten, – z.B. die Resolutionen des Central-Ausschusses für Innere Mission aus den Jahren 1931 und 1934.6
Doch nun zu den einzelnen Phasen der Durchführung der Krankenmorde7:
Es begann mit der schon genannten Kindereuthanasie, die der Reichsausschuss seit Ende 1938 organisierte. Zielgruppe waren weniger missgebildete Kinder, die sich schon in entsprechenden Fachkliniken befanden, sondern Babies und Kleinkinder, die in ihren Familien aufgezogen oder besser: betreut wurden. Zu ihrer Erfassung erließ das Reichsministerium des Innern am 18. August 1939 eine geheime Verordnung, die für leitende Ärzte geburtshilflicher Einrichtungen und Hebammen eine Meldepflicht an die örtlichen Gesundheitsämter vorsah. Diese galt z.B. für Mongolismus (Down-Syndrom), Mikrozephalie, Hydrozephalus, schwere sonstige Missbildungen und spastische Lähmungserscheinungen. Ausgangspunkt dieses Erlasses war der sog. Fall Knauer, in dem die Eltern eines geistig und körperlich behinderten Kindes auf Anraten des Direktors der Leipziger Universitätskinderklinik, Prof. Dr. Werner Catel, eine Eingabe an die Kanzlei des Führers richteten mit dem Ziel, die Genehmigung für die an sich ja strafbare Tötung des Kindes zu erwirken. Dem Gesuch wurde auf persönliche Weisung Hitlers stattgegeben. Die Parteikanzlei nahm den Fall dann zum Anlass, im Verein mit dem ‚Reichsausschuss‘ eine Meldepflicht-Verordnung vorzubereiten und die Kinder- „Euthanasie“ in den Kinderfachabteilungen durchzuführen, von denen bis Kriegsende 21 errichtet wurden. Die Tötung selbst erfolgte durch Tabletteneingabe und Injektionen, deren Dosierung oft so gering war, dass der Tod erst nach einigen Tagen oder Wochen eintrat, um widerstrebenden Eltern gegenüber den Anschein des natürlichen Ablebens zu wahren. In einigen Fachabteilungen, so in Eglfing-Haar bei München (Dr. Hermann Pfannmüller), erreichte man dieses Ziel auch durch kontinuierlich verringerte Nahrungszufuhr, m.a.W., man ließ diese Kinder systematisch verhungern. Die Gesamtzahl der Opfer der Kindereuthanasie wird auf 5000 geschätzt.
Eine weitere, bislang weniger bekannte ‚Generalprobe‘ für die Erwachsenen- ‚Euthanasie‘ im Reich hat erstmals der Frankfurter Journalist Ernst Klee ausführlich dokumentiert8: Es handelt sich um die von der SS vorgenommenen, nicht von der Kanzlei des Führers koordinierten Massenerschießungen Geisteskranker in Pommern, Ostpreußen und dann im Wartheland, die auf Veranlassung der dortigen Gauleiter Franz Schwede-Coburg, Arthur Greiser und Erich Koch erfolgten. Das Motiv lag in der Platzbeschaffung für Kasernengebäude und in offenkundigen Sparmaßnahmen aus kriegswirtschaftlichen Gründen. Hierbei setzte man erstmals auch Gaswagen mit der Tarnaufschrift ‚Kaisers-Kaffee-Geschäft‘ ein, bei denen mit Kohlenmonoxyd gefüllte Gasflaschen, später auch die Dieselabgase der Motorfahrzeuge in die hermetisch abschließbaren Kofferanhänger geleitet wurden. Der Einsatz von Gas bildet im Übrigen eines der Verbindungsglieder zwischen Krankenmorden und Holocaust, da die ersten Vernichtungslager für Juden im Osten ebenfalls mit solchen Tötungsmaschinen operierten. Genaue Gesamtzahlen sind nicht bekannt; es steht aber fest, dass die Liquidierung von Geisteskranken auch nach Beginn des Russlandfeldzuges von den Einsatzgruppen hinter der Front fortgesetzt wurde und ihr zahlreiche Menschen, deren Zahl nicht exakt bestimmbar ist, zum Opfer fielen.
Intentional war es von der stillen Legalisierung der Kinder- ‚Euthanasie‘ nicht weit bis hin zur Einbeziehung von erwachsenen Patienten in die Mordaktion. Der Anstoß dazu scheint von Leonardo Conti, Staatssekretär im Reichsministerium des Innern und dort zuständig für die Krankenanstalten im Reich, ausgegangen zu sein. Ganz typisch für das polykratische Herrschaftssystem des NS und das Eindringen der NSDAP in den Staatsapparat ist es jedoch, dass der Vorstoß Contis, der selbst die Verantwortung für Organisation und Durchführung der Erwachsenen- ‚Euthanasie‘ übernehmen wollte, von der Führerkanzlei unter den Parteifunktionären Philipp Bouhler und Viktor Brack abgewehrt wurde. Erstaunlich ist auch das Engagement Hitlers selbst: Er ließ sich dazu bewegen, im Oktober 1939 ein auf den 1. September zurückdatiertes Schriftstück zu unterzeichnen, in dem Bouhler als Chef der Führerkanzlei und Hitlers Begleitarzt Dr. Karl Brandt ermächtigt wurden „die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“.9
Bemerkenswert ist diese Ermächtigung insofern, als ein vergleichbarer schriftlicher Befehl für den mit dem Russlandfeldzug einsetzenden und dann im Spätherbst 1941 endgültig beschlossenen Massenmord an Juden und anderen sogenannten Fremdrassigen offensichtlich nicht existiert.
Von daher kann man auch auf die – immer im Denken der NS-Machthaber! – andersartige Qualität dieser Tötungen schließen: Denn bei den ‚Euthanasie‘-Opfern handelte es sich um zwar in der Sprache des Regimes ‚defekte‘ und ‚wertlose‘ Volksgenossen, die gleichwohl durch ihre gesunden Angehörigen unbestreitbar Teil der deutschen Volksgemeinschaft blieben. Die Verantwortung für ihre Tötung trugen nicht ein kriegerischer, dem ‚Führer‘ bedingungslos ergebener und durch keine ethischen Rücksichten traditioneller Art mehr gebundener Kampfverband wie die SS, sondern akademisch ausgebildete Ärzte mit bürgerlichem Selbst- und Rechtsverständnis, die sich ihren Standesgesetzen verbunden fühlten und ohne eine solche Ermächtigung wohl kaum zur Mitarbeit an den Krankenmorden bereit gewesen wären. Die Frage, ob eine Führerermächtigung geltendes Recht außer Kraft setzen konnte und ob die Tötung Schwerstkranker mit dem Eid des Hippokrates zu vereinbaren war, berührt zwei Problemkreise, die wir hier ausklammern müssen.
Mit Hilfe der von ihnen gegründeten und nach ihrem Sitz in der Berliner Tiergartenstraße so bezeichneten Organisation T 4 unterstellten Bouhler und Brack den neuen Tötungsapparat also der Regie der Partei. Medizinische Fachberatung und Auswahl der dem zynisch so genannten Gnadentod zuzuführenden Menschen leistete eine Dienststelle mit dem harmlos klingenden Namen ‚Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten‘, von der die berüchtigten Fragebogen an die betreffenden Einrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft verschickt wurden, mit denen die Todeskandidatinnen und –kandidaten verwaltungstechnisch erfasst werden sollten. Die Tötung selbst wurde unter technischer Beratung, schließlich Leitung des Stuttgarter Kriminalbeamten Christian Wirth in am Ende sechs dazu eigens ausgebauten Einrichtungen vorgenommen, deren Patienten man zuvor verlegt hatte: Dies waren die Anstalten Schloss Grafeneck in Württemberg, Brandenburg a.d. Havel, Sonnenstein bei Pirna, Hartheim bei Linz in Österreich, Hadamar bei Limburg und Bernburg in Sachsen-Anhalt. Die Tötung erfolgte nach einer Versuchsphase auf Anraten des von Beginn an hinzugezogenen Kriminaltechnischen Instituts des Reichskriminalpolizeiamtes durch Kohlenmonoxydgas (CO), nachdem sich die Verabreichung von Spritzen mit dem Gift Morphium-Skopolamin angesichts der hohen Zahl der zum Kreis der Betroffenen zählenden Menschen als zu langsam und damit nicht effektiv erwiesen hatte. Jeder Anstalt war ein Krematorium angeschlossenen, in dem die Leichen nach Vornahme bestimmter medizinischer Untersuchungen verbrannt wurden. Die Angehörigen erhielten dann die aus Tarnungsgründen oft in hauseigenen Standesämtern ausgestellten Totenscheine zusammen mit einem so genannten Trostbrief, in dem neben der heuchlerischen Beileidsbekundung der Anstalt noch eine fiktive Todesursache angegeben war. Außerdem wurde darin angefragt, ob die Hinterbliebenen – gegen Erstattung der Kosten – auf die Zusendung der Urne Wert legten.
Obwohl die Organisation T 4 ihre Mitarbeiter streng vergatterte, um ihre Beteiligung an der ‚Euthanasie‘ geheim zu halten, drangen immer mehr Nachrichten darüber an die Öffentlichkeit. Nicht zuletzt den Verantwortlichen der in kirchlicher Trägerschaft stehenden Einrichtungen war dies zu verdanken, aber auch einer Reihe von Protesten betroffener Angehöriger, die solche Informationen verbreiteten. Genannt seien hier nur die Eingaben des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm, die große ‚Euthanasie‘-Denkschrift des Lobetaler Pfarrers und Vizepräsidenten des Central-Ausschusses der Inneren Mission, Paul-Gerhard Braune, vom Juli 1940 und schließlich die Predigten des Münsterschen katholischen Bischofs Graf von Galen im August 1941.10 Es bleibt allerdings unsicher, ob es tatsächlich diese Proteste waren, die Hitler zur Einstellung der halboffiziellen ‚Euthanasie‘ bewegten, die in öffentlich weniger auffälligen, anderen Formen und als ‚wilde Euthanasie‘ bis Kriegsende weiterging. Tatsache ist allerdings, dass die Beunruhigung der Bevölkerung offenbar ein derartiges Maß erreichte, welches es dem Regime angesichts des alle Kräfte benötigenden totalen Krieges geraten sein ließ, die Mordaktion wenigstens nach außen hin einzustellen. Ganz anders als beim Holocaust, bei dem man solche Rücksichten nicht zu nehmen hatte, zwangen die Gerüchte, auch andere unheilbar Kranke und sogar hirnverletzte Soldaten würden zwangsweise getötet, zu diesem Schritt. M.a.W.: Die mit hohem propagandistischen Aufwand verbreitete Fiktion der einen unteilbaren Volksgemeinschaft, in der alle nicht als rassisch fremd stigmatisierten Deutschen solidarisch zueinander standen, zeigte hier ihre Kehrseite und Bremswirkung gegenüber den radikalen Optionen der nur an Verwertungskategorien orientierten NS-Ideologie. – Noch immer steht die Zahl der Opfer nicht genau fest, da mit einer großen Dunkelziffer gerechnet werden muss; es ist aber davon auszugehen, dass bis zur offiziellen, nicht tatsächlichen Einstellung der Aktion am 24.
August 1941 mehr als 70 000 Patienten in den genannten sechs Anstalten den Tod fanden.11
Wegen angeblicher bestehender Gefahren der ‚Rassenschande‘, – einem Vergehen, das nach den Nürnberger Gesetzen mit drakonischen Strafen für die daran Beteiligten verbunden war, hatte das Reichsministerium des Innern bereits 1938 die Verlegung von jüdischen geisteskranken Patienten aus den öffentlichen und privaten, d.h. konfessionellen Einrichtungen angeordnet, ein Erlass, der freilich durch zahlreiche Ausnahmegenehmigungen – etwa beim Nachweis isolierter Unterbringung der ‚nichtarischen‘ Pfleglinge – bei Kriegsbeginn noch nicht überall durchgeführt worden war. Am 15. April nun erfolgte eine zweite Anweisung, die jetzt mit Hilfe der Oberpräsidenten ohne Rückstellungsmöglichkeiten für die Betroffenen befolgt werden musste. Man verlegte diese Patienten in Sammelanstalten, von wo aus sie mit unbekanntem Ziel, wahrscheinlich nach Pole...

Índice

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Zum Geleit
  6. Rassenhygiene, Eugenik, „Euthanasie“ – die historischen Grundlagen und Entwicklungen
  7. Innere Mission und ‚Euthanasie‘ Die Aktion T4 in den Diakonischen Einrichtungen
  8. „Euthanasie“ – Gedenkarbeit aus künstlerischer Sicht
  9. Die Diakonie Neuendettelsau und die „Euthanasie“-Ereignisse der Jahre 1940/45 Darstellung und Aufarbeitung
  10. Guter Tod? Euthanasie aus medizinrechtlicher und ethischer Sicht
  11. Komm süßer Tod? Zur theologischen Akzeptanz von assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe
  12. Bildnachweis
Estilos de citas para "Euthanasie" - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben

APA 6 Citation

[author missing]. (2013). “Euthanasie” - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben (1st ed.). Kohlhammer. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf (Original work published 2013)

Chicago Citation

[author missing]. (2013) 2013. “Euthanasie” - Zum Umgang Mit Vergehendem Menschlichen Leben. 1st ed. Kohlhammer. https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf.

Harvard Citation

[author missing] (2013) ‘Euthanasie’ - zum Umgang mit vergehendem menschlichen Leben. 1st edn. Kohlhammer. Available at: https://www.perlego.com/book/1073935/euthanasie-zum-umgang-mit-vergehendem-menschlichen-leben-historische-einsichten-ethische-sondierungen-pdf (Accessed: 14 October 2022).

MLA 7 Citation

[author missing]. “Euthanasie” - Zum Umgang Mit Vergehendem Menschlichen Leben. 1st ed. Kohlhammer, 2013. Web. 14 Oct. 2022.