![Ăber Musik](https://img.perlego.com/book-covers/1781363/9783701746378_300_450.webp)
eBook - ePub
Ăber Musik
Mozart und die Werkzeuge des Affen
Nikolaus Harnoncourt, Alice Harnoncourt, Alice Harnoncourt
This is a test
- 174 pages
- German
- ePUB (adapté aux mobiles)
- Disponible sur iOS et Android
eBook - ePub
Ăber Musik
Mozart und die Werkzeuge des Affen
Nikolaus Harnoncourt, Alice Harnoncourt, Alice Harnoncourt
DĂ©tails du livre
Aperçu du livre
Table des matiĂšres
Citations
Ă propos de ce livre
Gedanken des groĂen Meisters ĂŒber das Hören und Musik-Verstehen.Die Grundprinzipien von Nikolaus Harnoncourts musikalischer Praxis machten ihn in der gesamten Musikwelt berĂŒhmt. Er hat mit seinem Ensemble Concentus Musicus alte Traditionen gebrochen und die Interpretation Alter Musik neu zugĂ€nglich gemacht. Das war nicht nur das Ergebnis seiner intensiven BeschĂ€ftigung mit dem Klang der Originalinstrumente, sondern vor allem einer Infragestellung der ĂŒblichen Hörgewohnheiten: Was ist Musik ĂŒberhaupt, wie wirkt sie und wie ist sie von ihren Schöpfern gemeint? Harnoncourts Texte ĂŒber AuffĂŒhrungspraxis, Barockmusik oder Instrumente wie das Cembalo lesen sich wie beredtes Musizieren. Eine wundersame Reise durch die Musikgeschichte!
Foire aux questions
Comment puis-je résilier mon abonnement ?
Il vous suffit de vous rendre dans la section compte dans paramĂštres et de cliquer sur « RĂ©silier lâabonnement ». Câest aussi simple que cela ! Une fois que vous aurez rĂ©siliĂ© votre abonnement, il restera actif pour le reste de la pĂ©riode pour laquelle vous avez payĂ©. DĂ©couvrez-en plus ici.
Puis-je / comment puis-je télécharger des livres ?
Pour le moment, tous nos livres en format ePub adaptĂ©s aux mobiles peuvent ĂȘtre tĂ©lĂ©chargĂ©s via lâapplication. La plupart de nos PDF sont Ă©galement disponibles en tĂ©lĂ©chargement et les autres seront tĂ©lĂ©chargeables trĂšs prochainement. DĂ©couvrez-en plus ici.
Quelle est la différence entre les formules tarifaires ?
Les deux abonnements vous donnent un accĂšs complet Ă la bibliothĂšque et Ă toutes les fonctionnalitĂ©s de Perlego. Les seules diffĂ©rences sont les tarifs ainsi que la pĂ©riode dâabonnement : avec lâabonnement annuel, vous Ă©conomiserez environ 30 % par rapport Ă 12 mois dâabonnement mensuel.
Quâest-ce que Perlego ?
Nous sommes un service dâabonnement Ă des ouvrages universitaires en ligne, oĂč vous pouvez accĂ©der Ă toute une bibliothĂšque pour un prix infĂ©rieur Ă celui dâun seul livre par mois. Avec plus dâun million de livres sur plus de 1 000 sujets, nous avons ce quâil vous faut ! DĂ©couvrez-en plus ici.
Prenez-vous en charge la synthÚse vocale ?
Recherchez le symbole Ăcouter sur votre prochain livre pour voir si vous pouvez lâĂ©couter. Lâoutil Ăcouter lit le texte Ă haute voix pour vous, en surlignant le passage qui est en cours de lecture. Vous pouvez le mettre sur pause, lâaccĂ©lĂ©rer ou le ralentir. DĂ©couvrez-en plus ici.
Est-ce que Ăber Musik est un PDF/ePUB en ligne ?
Oui, vous pouvez accĂ©der Ă Ăber Musik par Nikolaus Harnoncourt, Alice Harnoncourt, Alice Harnoncourt en format PDF et/ou ePUB ainsi quâĂ dâautres livres populaires dans Media & Performing Arts et Music History & Criticism. Nous disposons de plus dâun million dâouvrages Ă dĂ©couvrir dans notre catalogue.
Informations
Sous-sujet
Music History & CriticismZeitgeist, Mode und Wahrheit
Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, Juli 1995
Wir sind gut trainiert im Eigenlob. JubilĂ€en sind meist Jubelveranstaltungen. Weiter bringt uns das nicht. â Kritische Ăberlegungen können weniger festlich sein, sie können aber mehr bewirken.
75 Jahre, 50 Jahre, da gibt es einiges zu bejubeln, zu bedenken, zu fragen. Die Bedeutung und Rolle der Kunst â ihre Verquickung mit Politik â, ihre mögliche Wirksamkeit. Wem dient sie? Gibt es eine die Zeiten ĂŒberdauernde kĂŒnstlerische Wahrheit? Was ist Wahrheit?
Die Kunst ist eine andere Sprache, immer jenseits des Praktischen, vielfach jenseits des Logischen; eine ihrer Denkgrundlagen ist die Phantasie, vielleicht das »Denken des Herzens«, wie es Pascal der Logik, dem »arithmetischen Denken« gegenĂŒberstellt. Zwei Denkweisen, die in unserer Kultur frĂŒher selbstverstĂ€ndlich nebeneinander existierten, ineinandergriffen, einander belebten. Die Kunst war frĂŒher eine selbstverstĂ€ndliche, notwendige und natĂŒrliche ĂuĂerung. Heute könnte man sich fragen, ob etwas so UnnatĂŒrliches, UnnĂŒtzliches wie die Kunst in unserer von der siegreichen Logik dominierten Welt ĂŒberhaupt noch einen Platz hat. Man kann nicht erklĂ€ren oder verstehen, warum es so etwas geben muĂ; warum wir das Wunderbare brauchen, das Transzendentale â das die Begriffe Ăbersteigende.
Ja oder nein, 1 oder 0, die radikale Sprache der Logik scheint nun zu unserer Denkgrundlage zu werden. In einem jahrhundertelangen ProzeĂ, der zu immer »klareren«, »unmiĂverstĂ€ndlichen« Formulierungen gefĂŒhrt hat, wird unserer Sprache der Zweifel ausgetrieben. Alles, was wir sagen, ist nun entweder richtig oder falsch, gut oder schlecht. â Das GesprĂ€ch, die alte Form der suchenden Einkreisung von Gedanken und Ideen, und mit ihm der Reichtum der Sprache, verschwindet nach und nach.
Es ist unnötig geworden. DafĂŒr gibt es auf der einen Seite das juristisch-bĂŒrokratische Argumentieren, das klar und amoralisch zum Ja oder Nein fĂŒhren muĂ; oder, auf der anderen Seite, das Brabbeln aus allen Medien, den »Small talk«, die nichtssagende Unterhaltung.
Wie froh mĂŒssen wir sein, solange man uns die magischen Sprachen, die ohne Worte, nicht nehmen kann: die Musik, die Architektur, die bildende Kunst â und natĂŒrlich auch die Dichtung. â Hier lebt noch das Phantastische, hier gibt es noch Zweifel, Vielschichtiges, Vieldeutiges.
Der KĂŒnstler ist seit jeher eine Art Seismograph der geistigen Situation seiner Zeit; seine Werke nehmen Stellung zum Allgemeinen, sie sind kaum von seinen persönlichen LebensumstĂ€nden diktiert. â Ein KĂŒnstler, der uns in seinen Werken seine private Autobiographie aufdrĂ€ngt, verrĂ€t die Kunst; es ist Teil seiner ProfessionalitĂ€t, das kĂŒnstlerische Schaffen vom Privatleben zu trennen. Mozart schreibt auch in persönlich sehr traurigen Situationen, etwa nach dem Tod seiner Mutter oder dem seines Vaters, ohne weiteres heitere Musik, andererseits spiegeln auch traurige Werke, wie etwa das Todesquartett im Idomeneo (Nr. 21, AndrĂČ ramingo e solo), absolut keine traurige Lebenssituation. â Oder: Die persönliche ReligiositĂ€t eines KĂŒnstlers ist auch an den gröĂten Werken religiöser Kunst nicht ablesbar â sie können durchaus von areligiösen KĂŒnstlern geschaffen werden, denn kein KĂŒnstler kann mit seiner Kunst aus seiner Zeit heraustreten, er spiegelt stets ihre Situation und ihr Klima â die geistige Situation der Zeit ist es, die bewuĂt oder unbewuĂt dargestellt wird.
Dies mag einer der GrĂŒnde sein, warum etwa deutsche oder italienische Bauten der dreiĂiger und vierziger, aber auch noch der fĂŒnfziger Jahre â leider auch hier in Salzburg â eine so beklemmende Ausstrahlung haben; selbst dann, wenn sie von antifaschistischen Architekten errichtet wurden. Sie demonstrieren die damals herrschende Gesinnung, und sie erinnern uns hart an diese Zeit.
Ist der KĂŒnstler also einerseits untrennbar dem Zeitgeist verpflichtet, so ist er doch â scheinbar im Widerspruch zum eben Gesagten â in seiner kĂŒnstlerischen Aussage stets souverĂ€n. Weder sein Auftraggeber noch sein MĂ€zen kann, ĂŒber das ĂuĂerliche hinaus, EinfluĂ auf das Werk nehmen. Die groĂen Auftraggeber aller Zeiten haben das offenbar verstanden und gewollt oder wenigstens toleriert. â Die Kunst kann ihre Aufgabe, den geistigen Zustand ihrer Zeit zu spiegeln und dabei stets Opposition und Widerpart zum Status quo zu sein, prinzipiell nicht verraten, denn kaum versucht ein KĂŒnstler dem Auftraggeber auf Kosten seines inneren Auftrages zu willfahren, hört sein Schaffen auf, Kunst zu sein. Kunst ist unbestechlich, sie lĂ€Ăt sich nicht korrumpieren.
Es ist ein merkwĂŒrdiges PhĂ€nomen, daĂ die MĂ€chtigen aller Zeiten die KĂŒnstler förderten und ihr Wirken anregten, obwohl sie gefĂ€hrliche Kritiker waren. Es scheint eben ein unbewuĂtes EinverstĂ€ndnis darĂŒber zu geben, daĂ eine Idee erst in der Durchleuchtung auch der Gegenposition vollstĂ€ndig ist. Kunst war in unserer Kultur ja immer Auftragskunst, und dennoch ist der wahre KĂŒnstler niemals kĂ€uflich. â Betrachten wir die Werke der Komponisten, Maler, Dichter, die im Dienste der geistlichen oder weltlichen Macht arbeiteten: etwa die Fresken Michelangelos, die Bilder Goyas, die Symphonien Haydns, die Opern Mozarts, die TheaterstĂŒcke MoliĂšres und Shakespeares. Da die Aussage von Kunstwerken subversiv, also nur selten greifbar ist, ist sie besonders wirksam. â Das ohnmĂ€chtige und lĂ€cherliche Wirken von Zensur konnte die Kunst niemals wirklich ersticken. Dort, wo Machthaber tatsĂ€chlich KĂŒnstler zu MitlĂ€ufern deformieren konnten, wurde auch deren Kunst deformiert: etwa in Hitlers oder Stalins Machtbereich. Sie hat in ihrem bedingungslosen Zustimmungs-, ja Propagandacharakter ihr Profil verloren. Sie hat sich selbst aufgelöst, indem sie zur Staatskunst wurde. â Es ist bezeichnend, daĂ derartige totalitĂ€re Systeme die oppositionelle Kunst stets verteufeln und die KĂŒnstler unterdrĂŒcken. â Die Diktatur muĂ sich ja der Kunst bemĂ€chtigen, denn diese spricht eine unangreifbare Sprache, gegen die man nicht argumentieren kann, sie dringt ein durch die Augen, die Ohren, das GemĂŒt; unbekĂ€mpfbar und gefĂ€hrlich.
Kehren wir zur fĂŒnfundsiebzigjĂ€hrigen Geschichte dieser glanzvollen Festspiele zurĂŒck, sie ist ja zugleich mahnende Geschichte der Bedeutung und der versuchten Benutzung der Kunst in diesem Jahrhundert. â Die ersten vierzehn Jahre waren geprĂ€gt von den GrĂŒndern Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller, Franz Schalk, spĂ€ter Bruno Walter und Arturo Toscanini â groĂen schöpferischen Persönlichkeiten, die die Festspiele zu einem einzigartigen und durchaus kreativ-konfliktreichen Ort der kĂŒnstlerischen Auseinandersetzung und Begegnung machten. Doch wurde schon ab 1933 von Deutschland aus versucht, sie politisch zu benutzen und zu beeinflussen: die Nazis boykottierten sie und verspotteten deren »jĂŒdisch kosmopolitische Fratze«. An den Festspielen teilzunehmen, sagte man in Deutschland, »lĂ€uft der Politik des FĂŒhrers Ăsterreich gegenĂŒber zuwider«. Vielen von den Nazis kontrollierten und auch irgendwie abhĂ€ngigen KĂŒnstlern wurde die Teilnahme verboten, FurtwĂ€ngler und Richard Strauss sagten »⊠im politischen Interesse« ab, bitter bemerkte man in Salzburg, Strauss »⊠habe seinem eigenen Kind nicht die Treue gehalten«. Pfitzner sagte ab, weil Salzburg, wie er schrieb, »⊠gegen das erwachende Deutschtum, zu dem ich mich voll und ganz bekenne«, vorgehe. Dann 1938, nach dem sogenannten »AnschluĂ« Ăsterreichs, Ă€nderte sich das Bild schlagartig: Die jĂŒdischen KĂŒnstler und diejenigen, die aus ethischen GrĂŒnden nicht mitmachten, muĂten ersetzt werden. Das Reichspropagandaministerium ĂŒbernahm die Verantwortung fĂŒr die Festspiele und brĂŒstete sich, man habe seit Ende MĂ€rz »⊠ein völlig verjudetes Programm auf den Kopf stellen mĂŒssen âŠÂ« Statt Max Reinhardt, Bruno Walter, Arturo Toscanini, Fritz Busch, Otto Klemperer, Herbert Graf, Bernhard Paumgartner, Lotte Lehmann und anderen ist nun eine neue Interpretengruppe am Werk. Die Festspiele sollten die kulturelle Kompetenz der Nazi-Herrschaft vor der Welt demonstrieren, deshalb wolle man, »⊠bei aller Betonung des Deutschen, entscheidenden Wert auf deren internationalen Charakter âŠÂ« legen. Die deutsche Presse sollte »⊠eine Art Trommelfeuer fĂŒr Salzburg unternehmen und das gesamte deutsche Volk aufrufen, âșdie Sache Salzburgsâč zu seiner eigenen Sache zu machen«.
Es ist möglicherweise unzulĂ€ssig, das Verhalten der damals auftretenden KĂŒnstler aus heutiger Sicht zu kritisieren, wir mĂŒssen aber erkennen, daĂ die Nazis das internationale Ansehen der ihnen gehorchenden KĂŒnstler schamlos benutzten: Wo so Musik gemacht wird, wo solche Schauspieler die Klassiker spielen, da mĂŒssen wohl auch die ethischen Standards die höchsten sein. â Das Land Bachs, Hölderlins, Goethes und Mozarts verbarg seine barbarischen PlĂ€ne hinter dem Glanz seiner Kultur. Das wirkliche Antlitz der Diktatur wurde dadurch verborgen und verschleiert, daĂ die weltberĂŒhmten deutschen und österreichischen Musiker hier Beethoven und Brahms zelebrierten (natĂŒrlich nicht Mendelssohn und auch keine Moderne). Viele der besten KĂŒnstler haben mitgemacht â sie erkannten offenbar nicht, wie sehr sie damit zum internationalen Ansehen des Nazismus beitrugen. Das Mitmachen zahlreicher GeistesgröĂen hat sicherlich viel zur StĂ€rkung des Regimes und zur SchwĂ€chung des Widerstandsgeistes beigetragen.
Jetzt, im nachhinein, vielleicht als eine Lehre aus dem Geschehen, mĂŒssen wir sagen: Ebenso, wie kein schaffender KĂŒnstler sich miĂbrauchen lĂ€Ăt, ohne dadurch seine Kunst zu verraten, hĂ€tten wohl auch alle nachschaffenden KĂŒnstler â Musiker und Theaterleute â verstummen mĂŒssen oder weggehen, und nicht, wie viele unter ihnen, kriecherische und begeisterte Ergebenheitsadressen verfassen. â Je gröĂer der Name, desto gröĂer die Verantwortung. â Kunst und KĂŒnstler können dem Totalitarismus zu Ansehen verhelfen, das wissen wir jetzt. Nur ganz wenige wuĂten das damals schon; einer der gröĂten von ihnen war Toscanini, der sich weigerte, im faschistischen Italien Musik zu machen â der zwischen 1934 und 1937 einer der prĂ€genden Gestalter der Salzburger Festspiele war, der sich aber noch vor dem Einzug der Nazis bedingungslos zurĂŒckzog, als der österreichische Bundeskanzler mit Hitler verhandelte.
In den Jahren der Nazizeit ĂŒberlebten die Salzburger Festspiele nicht sehr ruhmreich als Megaphon des Propagandaministers. Es fĂ€llt auf, daĂ Beethovens Fidelio und seine Neunte Symphonie damals immer wieder gespielt wurden. Fast diabolisch feinfĂŒhlig erkannte man das Agitatorische in der Musik Beethovens, das sich so vielfĂ€ltig umdeuten lĂ€Ăt. â Diese beiden Werke konnte und kann man ja auch bei vielen anderen Gelegenheiten miĂbraucht hören: zum AnschluĂ Ăsterreichs, zum Kriegsbeginn, zur Kriegsbegeisterung, zum Kriegsende, zu jedem Umsturz, zu jeder Wende in jeder denkbaren BedeutungsverfĂ€lschung. VerfĂ€lschte »Wahrheit« â die Neunte Symphonie ist eben kein vordergrĂŒndiger Triumphgesang, sondern stellt eine schmerzhafte Wegsuche aus Chaos und Ratlosigkeit dar. â Fidelio ist kein Befreiungs- oder UnterdrĂŒckungsdrama, sondern ein Hohelied auf die alles ĂŒberwindende Liebe.
Ich habe vor ungefĂ€hr vierundfĂŒnfzig Jahren hier ein Konzert im Festspielhaus erlebt und erinnere mich an herrliche Musik â im Saal, der vom »ReichsbĂŒhnenbildner« Benno von Arent auf weiĂes »Mozart-Rokoko« verkitscht war, saĂen vorwiegend Menschen in Uniformen: verwundete Soldaten, Rotkreuzschwestern, goldbraune Parteibonzen, SS-MĂ€nner, MĂ€nner der Organisation Todt, des Reichsarbeitsdienstes, dann RĂŒstungsarbeiter und die Leute, die von der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« herangekarrt worden waren. Im ganzen eine beklemmende Erinnerung: Festspiele im Dienste des Krieges, zur Förderung des Genesungswillens, des Arbeitswillens, einer vordergrĂŒndigen Lebensfreude, die vom Grauen und vom Verbrechen ablenken sollte. Ich weiĂ nicht mehr, was gespielt wurde, aber wenn ich die damaligen Programme durchsehe, vermute ich, daĂ es sogenannte heitere Musik der StrauĂ-Familie war. Da diese Musik fĂŒr den Aufbau einer positiven Stimmung unbedingt gebraucht wurde, unterschlug man sogar die jĂŒdische Herkunft von StrauĂ. â Hitler hatte angeordnet, daĂ in Salzburg die heitere, unbeschwerte Kunst dominieren sollte. â LehĂĄr dirigierte hier eigene Werke, die ExlbĂŒhne aus Innsbruck spielte BauernschwĂ€nke â Mozart muĂte auf einen Rokoko-Apoll umgedeutet werden â so zierte er auch das Plakat der Festspiele â, laut Anordnung muĂte »das DĂŒstere âŠÂ«, nĂ€mlich die dunkle Holzverkleidung im Festspielhaus, einer »Grundstimmung beschwingter Freude, graziösen Humors und Heiterkeit« weichen. Der ReichsbĂŒhnenbildner hatte mit weiĂem Gips und Stuck Pseudobarock herzustellen. Es ist bezeichnend, daĂ das Propagandaministerium den urigen Stil des damaligen Festspielhauses, wie er den Nazis fĂŒr andere Zwecke durchaus vertraut und willkommen war, fĂŒr ihre tĂ€nzelnd-heiter verharmlosende Mozart-Auffassung nicht akzeptierte. Hier in Salzburg sollte man vergessen und genieĂen.
Nach dem Krieg errichtete man dieses groĂe Haus hier, die glĂ€nzende SpielstĂ€tten fĂŒr das Auftrumpfen und Vergessen der Nachkriegszeit â auf der Strecke blieb das so wichtige, bescheidene Haus fĂŒr Mozart, auf das wir hier noch immer warten.
Wir mĂŒssen versuchen, diese Jahre vor dem Vergessen zu bewahren â eine geradezu unmögliche Aufgabe, denn der Mensch hat eine unbegreifliche Eigenschaft hinsichtlich seiner Vergangenheit und Zukunft: Er kann nicht aus der Geschichte lernen. Er glaubt nicht wirklich, was er nicht am eigenen Leib erfahren hat. â Das ist es, was uns im Umgang mit unserer Vergangenheit Angst machen muĂ. Ebenso geht es uns auch hinsichtlich der Zukunft: Fundierte Warnungen vor drohendem Unheil hören wir, finden sie auch beachtenswert, aber wir ziehen keine Konsequenzen. â Die Zukunft gibt es fĂŒr uns erst, wenn sie da ist, die Katastrophe trifft uns immer unvorbereitet â auch wenn wir sie lange vorher hĂ€tten erkennen können.
Von dieser pessimistischen Zeitbetrachtung möchte ich auf ein anderes ZeitphĂ€nomen kommen, den Zeitgeist, einen nahen Verwandten der Mode. Er scheint eine vage, im Prinzip nicht existente Erscheinung von groĂer Macht zu sein. Er zwingt uns, heute so, morgen anders zu denken; das, was wir gestern schön und richtig fanden, heute lĂ€cherlich und falsch zu finden. Man könnte diesem Zeitgeist durchaus auf die Spur kommen, Sinn und GesetzmĂ€Ăigkeit in seinem Schwanken finden â aber das will man gar nicht, man will immer wieder kollektiv auf ihn hineinfallen, wie in der Mode â ja, man kann ihn geradezu mit der Mode vergleichen. Wir könnten beispielsweise an irgendeinem Kunstwerk das Wirken des Zeitgeistes durch die Jahrhunderte verfolgen: wie es zuerst berĂŒhmt und hochgeschĂ€tzt, dann wieder verworfen wird, um spĂ€ter in höchste Höhen aufzusteigen. â So könnten wir etwa auch das Auf und Ab in der WertschĂ€tzung von Mozarts CosĂŹ fan tutte verfolgen: Diese Oper, heute ein Inbegriff der Vollkommenheit, wurde schon kurz nach ihrer Entstehung, als in jeder Hinsicht miĂglĂŒckt, abgelehnt. SpĂ€ter versuchte man, wenigstens ihre Musik zu retten, indem man eine neue Handlung darĂŒberstĂŒlpte â eingreifende Bearbeitungen (vom Zeitgeist diktiert) verĂ€nderten das StĂŒck mehrmals. Noch vor dreiĂig Jahren rĂŒhmten sich Musiker, sie hĂ€tten das Werk fĂŒr unsere Zeit gerettet, indem sie es durch KĂŒrzungen ertrĂ€glich machten. Wo also liegt die Wahrheit? Welche Zeit hatte den SchlĂŒssel?
Verstehen wir etwa heute mehr von Kunst als die Menschen frĂŒher? Woher kommen all die Fehlurteile: ĂŒber Bachs frivole Opernhaftigkeit, Mozarts unertrĂ€glichen Ăberschwang, Beethovens bizarre Modulationen etc. etc.? Bedenken wir, daĂ noch vor neunzig Jahren ein Maler wie El Greco nicht einmal erwĂ€hnenswert war (Meyers Lexikon), daĂ van Goghs Bilder keine Interessenten fanden!
All die so verschiedenartigen Werturteile wurden ja von interessierten Menschen gefĂ€llt, die es durchaus nicht verdienen, ausgerechnet von uns verlacht und verachtet zu werden. â Man meint eben immer wieder, trotz aller RĂŒckschlĂ€ge unbelehrbar, unsere Beurteilung von Kunstwerken gelte fĂŒr alle Zeiten. In Wahrheit ist das groĂe Kunstwerk ein vieldeutiges, kom...
Table des matiĂšres
- Cover
- Titel
- Impressum
- Inhalt
- Vorwort
- Liebe Sophie
- AuffĂŒhrungspraxis
- PhĂ€nomene des Musiklebens â Ăber das Musikhören
- Ăber AuthentizitĂ€t und Werktreue
- Warum immer Vibrato?
- Von den Wurzeln der abendlÀndischen Musik zur Revolution um 1600
- Der 5. Oberton
- Von der »Mitteltönigkeit« zur »Wohltemperierten Stimmung«
- Zur KlangĂ€sthetik Monteverdis: Ist hĂ€Ălich schön?
- Barockmusik in Europa â das Barockorchester
- Die vielen Arten von Cembalo
- Wolfgang Amadeus Mozart, der rÀtselhafte Genius
- Mozart und die Werkzeuge des Affen
- Zeitgeist, Mode und Wahrheit
- Ein Griffel in der Hand Gottes
Normes de citation pour Ăber Musik
APA 6 Citation
Harnoncourt, N. (2020). Ăber Musik ([edition unavailable]). Residenz Verlag. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf (Original work published 2020)
Chicago Citation
Harnoncourt, Nikolaus. (2020) 2020. Ăber Musik. [Edition unavailable]. Residenz Verlag. https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf.
Harvard Citation
Harnoncourt, N. (2020) Ăber Musik. [edition unavailable]. Residenz Verlag. Available at: https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf (Accessed: 15 October 2022).
MLA 7 Citation
Harnoncourt, Nikolaus. Ăber Musik. [edition unavailable]. Residenz Verlag, 2020. Web. 15 Oct. 2022.