Über Musik
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Über Musik

Mozart und die Werkzeuge des Affen

Nikolaus Harnoncourt, Alice Harnoncourt, Alice Harnoncourt

  1. 174 pages
  2. German
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Über Musik

Mozart und die Werkzeuge des Affen

Nikolaus Harnoncourt, Alice Harnoncourt, Alice Harnoncourt

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Gedanken des großen Meisters ĂŒber das Hören und Musik-Verstehen.Die Grundprinzipien von Nikolaus Harnoncourts musikalischer Praxis machten ihn in der gesamten Musikwelt berĂŒhmt. Er hat mit seinem Ensemble Concentus Musicus alte Traditionen gebrochen und die Interpretation Alter Musik neu zugĂ€nglich gemacht. Das war nicht nur das Ergebnis seiner intensiven BeschĂ€ftigung mit dem Klang der Originalinstrumente, sondern vor allem einer Infragestellung der ĂŒblichen Hörgewohnheiten: Was ist Musik ĂŒberhaupt, wie wirkt sie und wie ist sie von ihren Schöpfern gemeint? Harnoncourts Texte ĂŒber AuffĂŒhrungspraxis, Barockmusik oder Instrumente wie das Cembalo lesen sich wie beredtes Musizieren. Eine wundersame Reise durch die Musikgeschichte!

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Informations

Éditeur
Residenz Verlag
Année
2020
ISBN
9783701746378

Zeitgeist, Mode und Wahrheit

Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, Juli 1995

Wir sind gut trainiert im Eigenlob. JubilĂ€en sind meist Jubelveranstaltungen. Weiter bringt uns das nicht. – Kritische Überlegungen können weniger festlich sein, sie können aber mehr bewirken.
75 Jahre, 50 Jahre, da gibt es einiges zu bejubeln, zu bedenken, zu fragen. Die Bedeutung und Rolle der Kunst – ihre Verquickung mit Politik –, ihre mögliche Wirksamkeit. Wem dient sie? Gibt es eine die Zeiten ĂŒberdauernde kĂŒnstlerische Wahrheit? Was ist Wahrheit?
Die Kunst ist eine andere Sprache, immer jenseits des Praktischen, vielfach jenseits des Logischen; eine ihrer Denkgrundlagen ist die Phantasie, vielleicht das »Denken des Herzens«, wie es Pascal der Logik, dem »arithmetischen Denken« gegenĂŒberstellt. Zwei Denkweisen, die in unserer Kultur frĂŒher selbstverstĂ€ndlich nebeneinander existierten, ineinandergriffen, einander belebten. Die Kunst war frĂŒher eine selbstverstĂ€ndliche, notwendige und natĂŒrliche Äußerung. Heute könnte man sich fragen, ob etwas so UnnatĂŒrliches, UnnĂŒtzliches wie die Kunst in unserer von der siegreichen Logik dominierten Welt ĂŒberhaupt noch einen Platz hat. Man kann nicht erklĂ€ren oder verstehen, warum es so etwas geben muß; warum wir das Wunderbare brauchen, das Transzendentale – das die Begriffe Übersteigende.
Ja oder nein, 1 oder 0, die radikale Sprache der Logik scheint nun zu unserer Denkgrundlage zu werden. In einem jahrhundertelangen Prozeß, der zu immer »klareren«, »unmißverstĂ€ndlichen« Formulierungen gefĂŒhrt hat, wird unserer Sprache der Zweifel ausgetrieben. Alles, was wir sagen, ist nun entweder richtig oder falsch, gut oder schlecht. – Das GesprĂ€ch, die alte Form der suchenden Einkreisung von Gedanken und Ideen, und mit ihm der Reichtum der Sprache, verschwindet nach und nach.
Es ist unnötig geworden. DafĂŒr gibt es auf der einen Seite das juristisch-bĂŒrokratische Argumentieren, das klar und amoralisch zum Ja oder Nein fĂŒhren muß; oder, auf der anderen Seite, das Brabbeln aus allen Medien, den »Small talk«, die nichtssagende Unterhaltung.
Wie froh mĂŒssen wir sein, solange man uns die magischen Sprachen, die ohne Worte, nicht nehmen kann: die Musik, die Architektur, die bildende Kunst – und natĂŒrlich auch die Dichtung. – Hier lebt noch das Phantastische, hier gibt es noch Zweifel, Vielschichtiges, Vieldeutiges.
Der KĂŒnstler ist seit jeher eine Art Seismograph der geistigen Situation seiner Zeit; seine Werke nehmen Stellung zum Allgemeinen, sie sind kaum von seinen persönlichen LebensumstĂ€nden diktiert. – Ein KĂŒnstler, der uns in seinen Werken seine private Autobiographie aufdrĂ€ngt, verrĂ€t die Kunst; es ist Teil seiner ProfessionalitĂ€t, das kĂŒnstlerische Schaffen vom Privatleben zu trennen. Mozart schreibt auch in persönlich sehr traurigen Situationen, etwa nach dem Tod seiner Mutter oder dem seines Vaters, ohne weiteres heitere Musik, andererseits spiegeln auch traurige Werke, wie etwa das Todesquartett im Idomeneo (Nr. 21, AndrĂČ ramingo e solo), absolut keine traurige Lebenssituation. – Oder: Die persönliche ReligiositĂ€t eines KĂŒnstlers ist auch an den grĂ¶ĂŸten Werken religiöser Kunst nicht ablesbar – sie können durchaus von areligiösen KĂŒnstlern geschaffen werden, denn kein KĂŒnstler kann mit seiner Kunst aus seiner Zeit heraustreten, er spiegelt stets ihre Situation und ihr Klima – die geistige Situation der Zeit ist es, die bewußt oder unbewußt dargestellt wird.
Dies mag einer der GrĂŒnde sein, warum etwa deutsche oder italienische Bauten der dreißiger und vierziger, aber auch noch der fĂŒnfziger Jahre – leider auch hier in Salzburg – eine so beklemmende Ausstrahlung haben; selbst dann, wenn sie von antifaschistischen Architekten errichtet wurden. Sie demonstrieren die damals herrschende Gesinnung, und sie erinnern uns hart an diese Zeit.
Ist der KĂŒnstler also einerseits untrennbar dem Zeitgeist verpflichtet, so ist er doch – scheinbar im Widerspruch zum eben Gesagten – in seiner kĂŒnstlerischen Aussage stets souverĂ€n. Weder sein Auftraggeber noch sein MĂ€zen kann, ĂŒber das Äußerliche hinaus, Einfluß auf das Werk nehmen. Die großen Auftraggeber aller Zeiten haben das offenbar verstanden und gewollt oder wenigstens toleriert. – Die Kunst kann ihre Aufgabe, den geistigen Zustand ihrer Zeit zu spiegeln und dabei stets Opposition und Widerpart zum Status quo zu sein, prinzipiell nicht verraten, denn kaum versucht ein KĂŒnstler dem Auftraggeber auf Kosten seines inneren Auftrages zu willfahren, hört sein Schaffen auf, Kunst zu sein. Kunst ist unbestechlich, sie lĂ€ĂŸt sich nicht korrumpieren.
Es ist ein merkwĂŒrdiges PhĂ€nomen, daß die MĂ€chtigen aller Zeiten die KĂŒnstler förderten und ihr Wirken anregten, obwohl sie gefĂ€hrliche Kritiker waren. Es scheint eben ein unbewußtes EinverstĂ€ndnis darĂŒber zu geben, daß eine Idee erst in der Durchleuchtung auch der Gegenposition vollstĂ€ndig ist. Kunst war in unserer Kultur ja immer Auftragskunst, und dennoch ist der wahre KĂŒnstler niemals kĂ€uflich. – Betrachten wir die Werke der Komponisten, Maler, Dichter, die im Dienste der geistlichen oder weltlichen Macht arbeiteten: etwa die Fresken Michelangelos, die Bilder Goyas, die Symphonien Haydns, die Opern Mozarts, die TheaterstĂŒcke MoliĂšres und Shakespeares. Da die Aussage von Kunstwerken subversiv, also nur selten greifbar ist, ist sie besonders wirksam. – Das ohnmĂ€chtige und lĂ€cherliche Wirken von Zensur konnte die Kunst niemals wirklich ersticken. Dort, wo Machthaber tatsĂ€chlich KĂŒnstler zu MitlĂ€ufern deformieren konnten, wurde auch deren Kunst deformiert: etwa in Hitlers oder Stalins Machtbereich. Sie hat in ihrem bedingungslosen Zustimmungs-, ja Propagandacharakter ihr Profil verloren. Sie hat sich selbst aufgelöst, indem sie zur Staatskunst wurde. – Es ist bezeichnend, daß derartige totalitĂ€re Systeme die oppositionelle Kunst stets verteufeln und die KĂŒnstler unterdrĂŒcken. – Die Diktatur muß sich ja der Kunst bemĂ€chtigen, denn diese spricht eine unangreifbare Sprache, gegen die man nicht argumentieren kann, sie dringt ein durch die Augen, die Ohren, das GemĂŒt; unbekĂ€mpfbar und gefĂ€hrlich.
Kehren wir zur fĂŒnfundsiebzigjĂ€hrigen Geschichte dieser glanzvollen Festspiele zurĂŒck, sie ist ja zugleich mahnende Geschichte der Bedeutung und der versuchten Benutzung der Kunst in diesem Jahrhundert. – Die ersten vierzehn Jahre waren geprĂ€gt von den GrĂŒndern Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller, Franz Schalk, spĂ€ter Bruno Walter und Arturo Toscanini – großen schöpferischen Persönlichkeiten, die die Festspiele zu einem einzigartigen und durchaus kreativ-konfliktreichen Ort der kĂŒnstlerischen Auseinandersetzung und Begegnung machten. Doch wurde schon ab 1933 von Deutschland aus versucht, sie politisch zu benutzen und zu beeinflussen: die Nazis boykottierten sie und verspotteten deren »jĂŒdisch kosmopolitische Fratze«. An den Festspielen teilzunehmen, sagte man in Deutschland, »lĂ€uft der Politik des FĂŒhrers Österreich gegenĂŒber zuwider«. Vielen von den Nazis kontrollierten und auch irgendwie abhĂ€ngigen KĂŒnstlern wurde die Teilnahme verboten, FurtwĂ€ngler und Richard Strauss sagten »  im politischen Interesse« ab, bitter bemerkte man in Salzburg, Strauss »  habe seinem eigenen Kind nicht die Treue gehalten«. Pfitzner sagte ab, weil Salzburg, wie er schrieb, »  gegen das erwachende Deutschtum, zu dem ich mich voll und ganz bekenne«, vorgehe. Dann 1938, nach dem sogenannten »AnschluĂŸÂ« Österreichs, Ă€nderte sich das Bild schlagartig: Die jĂŒdischen KĂŒnstler und diejenigen, die aus ethischen GrĂŒnden nicht mitmachten, mußten ersetzt werden. Das Reichspropagandaministerium ĂŒbernahm die Verantwortung fĂŒr die Festspiele und brĂŒstete sich, man habe seit Ende MĂ€rz »  ein völlig verjudetes Programm auf den Kopf stellen mĂŒssen  « Statt Max Reinhardt, Bruno Walter, Arturo Toscanini, Fritz Busch, Otto Klemperer, Herbert Graf, Bernhard Paumgartner, Lotte Lehmann und anderen ist nun eine neue Interpretengruppe am Werk. Die Festspiele sollten die kulturelle Kompetenz der Nazi-Herrschaft vor der Welt demonstrieren, deshalb wolle man, »  bei aller Betonung des Deutschen, entscheidenden Wert auf deren internationalen Charakter  « legen. Die deutsche Presse sollte »  eine Art Trommelfeuer fĂŒr Salzburg unternehmen und das gesamte deutsche Volk aufrufen, â€șdie Sache Salzburgsâ€č zu seiner eigenen Sache zu machen«.
Es ist möglicherweise unzulĂ€ssig, das Verhalten der damals auftretenden KĂŒnstler aus heutiger Sicht zu kritisieren, wir mĂŒssen aber erkennen, daß die Nazis das internationale Ansehen der ihnen gehorchenden KĂŒnstler schamlos benutzten: Wo so Musik gemacht wird, wo solche Schauspieler die Klassiker spielen, da mĂŒssen wohl auch die ethischen Standards die höchsten sein. – Das Land Bachs, Hölderlins, Goethes und Mozarts verbarg seine barbarischen PlĂ€ne hinter dem Glanz seiner Kultur. Das wirkliche Antlitz der Diktatur wurde dadurch verborgen und verschleiert, daß die weltberĂŒhmten deutschen und österreichischen Musiker hier Beethoven und Brahms zelebrierten (natĂŒrlich nicht Mendelssohn und auch keine Moderne). Viele der besten KĂŒnstler haben mitgemacht – sie erkannten offenbar nicht, wie sehr sie damit zum internationalen Ansehen des Nazismus beitrugen. Das Mitmachen zahlreicher GeistesgrĂ¶ĂŸen hat sicherlich viel zur StĂ€rkung des Regimes und zur SchwĂ€chung des Widerstandsgeistes beigetragen.
Jetzt, im nachhinein, vielleicht als eine Lehre aus dem Geschehen, mĂŒssen wir sagen: Ebenso, wie kein schaffender KĂŒnstler sich mißbrauchen lĂ€ĂŸt, ohne dadurch seine Kunst zu verraten, hĂ€tten wohl auch alle nachschaffenden KĂŒnstler – Musiker und Theaterleute – verstummen mĂŒssen oder weggehen, und nicht, wie viele unter ihnen, kriecherische und begeisterte Ergebenheitsadressen verfassen. – Je grĂ¶ĂŸer der Name, desto grĂ¶ĂŸer die Verantwortung. – Kunst und KĂŒnstler können dem Totalitarismus zu Ansehen verhelfen, das wissen wir jetzt. Nur ganz wenige wußten das damals schon; einer der grĂ¶ĂŸten von ihnen war Toscanini, der sich weigerte, im faschistischen Italien Musik zu machen – der zwischen 1934 und 1937 einer der prĂ€genden Gestalter der Salzburger Festspiele war, der sich aber noch vor dem Einzug der Nazis bedingungslos zurĂŒckzog, als der österreichische Bundeskanzler mit Hitler verhandelte.
In den Jahren der Nazizeit ĂŒberlebten die Salzburger Festspiele nicht sehr ruhmreich als Megaphon des Propagandaministers. Es fĂ€llt auf, daß Beethovens Fidelio und seine Neunte Symphonie damals immer wieder gespielt wurden. Fast diabolisch feinfĂŒhlig erkannte man das Agitatorische in der Musik Beethovens, das sich so vielfĂ€ltig umdeuten lĂ€ĂŸt. – Diese beiden Werke konnte und kann man ja auch bei vielen anderen Gelegenheiten mißbraucht hören: zum Anschluß Österreichs, zum Kriegsbeginn, zur Kriegsbegeisterung, zum Kriegsende, zu jedem Umsturz, zu jeder Wende in jeder denkbaren BedeutungsverfĂ€lschung. VerfĂ€lschte »Wahrheit« – die Neunte Symphonie ist eben kein vordergrĂŒndiger Triumphgesang, sondern stellt eine schmerzhafte Wegsuche aus Chaos und Ratlosigkeit dar. – Fidelio ist kein Befreiungs- oder UnterdrĂŒckungsdrama, sondern ein Hohelied auf die alles ĂŒberwindende Liebe.
Ich habe vor ungefĂ€hr vierundfĂŒnfzig Jahren hier ein Konzert im Festspielhaus erlebt und erinnere mich an herrliche Musik – im Saal, der vom »ReichsbĂŒhnenbildner« Benno von Arent auf weißes »Mozart-Rokoko« verkitscht war, saßen vorwiegend Menschen in Uniformen: verwundete Soldaten, Rotkreuzschwestern, goldbraune Parteibonzen, SS-MĂ€nner, MĂ€nner der Organisation Todt, des Reichsarbeitsdienstes, dann RĂŒstungsarbeiter und die Leute, die von der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« herangekarrt worden waren. Im ganzen eine beklemmende Erinnerung: Festspiele im Dienste des Krieges, zur Förderung des Genesungswillens, des Arbeitswillens, einer vordergrĂŒndigen Lebensfreude, die vom Grauen und vom Verbrechen ablenken sollte. Ich weiß nicht mehr, was gespielt wurde, aber wenn ich die damaligen Programme durchsehe, vermute ich, daß es sogenannte heitere Musik der Strauß-Familie war. Da diese Musik fĂŒr den Aufbau einer positiven Stimmung unbedingt gebraucht wurde, unterschlug man sogar die jĂŒdische Herkunft von Strauß. – Hitler hatte angeordnet, daß in Salzburg die heitere, unbeschwerte Kunst dominieren sollte. – LehĂĄr dirigierte hier eigene Werke, die ExlbĂŒhne aus Innsbruck spielte BauernschwĂ€nke – Mozart mußte auf einen Rokoko-Apoll umgedeutet werden – so zierte er auch das Plakat der Festspiele –, laut Anordnung mußte »das DĂŒstere  «, nĂ€mlich die dunkle Holzverkleidung im Festspielhaus, einer »Grundstimmung beschwingter Freude, graziösen Humors und Heiterkeit« weichen. Der ReichsbĂŒhnenbildner hatte mit weißem Gips und Stuck Pseudobarock herzustellen. Es ist bezeichnend, daß das Propagandaministerium den urigen Stil des damaligen Festspielhauses, wie er den Nazis fĂŒr andere Zwecke durchaus vertraut und willkommen war, fĂŒr ihre tĂ€nzelnd-heiter verharmlosende Mozart-Auffassung nicht akzeptierte. Hier in Salzburg sollte man vergessen und genießen.
Nach dem Krieg errichtete man dieses große Haus hier, die glĂ€nzende SpielstĂ€tten fĂŒr das Auftrumpfen und Vergessen der Nachkriegszeit – auf der Strecke blieb das so wichtige, bescheidene Haus fĂŒr Mozart, auf das wir hier noch immer warten.
Wir mĂŒssen versuchen, diese Jahre vor dem Vergessen zu bewahren – eine geradezu unmögliche Aufgabe, denn der Mensch hat eine unbegreifliche Eigenschaft hinsichtlich seiner Vergangenheit und Zukunft: Er kann nicht aus der Geschichte lernen. Er glaubt nicht wirklich, was er nicht am eigenen Leib erfahren hat. – Das ist es, was uns im Umgang mit unserer Vergangenheit Angst machen muß. Ebenso geht es uns auch hinsichtlich der Zukunft: Fundierte Warnungen vor drohendem Unheil hören wir, finden sie auch beachtenswert, aber wir ziehen keine Konsequenzen. – Die Zukunft gibt es fĂŒr uns erst, wenn sie da ist, die Katastrophe trifft uns immer unvorbereitet – auch wenn wir sie lange vorher hĂ€tten erkennen können.
Von dieser pessimistischen Zeitbetrachtung möchte ich auf ein anderes ZeitphĂ€nomen kommen, den Zeitgeist, einen nahen Verwandten der Mode. Er scheint eine vage, im Prinzip nicht existente Erscheinung von großer Macht zu sein. Er zwingt uns, heute so, morgen anders zu denken; das, was wir gestern schön und richtig fanden, heute lĂ€cherlich und falsch zu finden. Man könnte diesem Zeitgeist durchaus auf die Spur kommen, Sinn und GesetzmĂ€ĂŸigkeit in seinem Schwanken finden – aber das will man gar nicht, man will immer wieder kollektiv auf ihn hineinfallen, wie in der Mode – ja, man kann ihn geradezu mit der Mode vergleichen. Wir könnten beispielsweise an irgendeinem Kunstwerk das Wirken des Zeitgeistes durch die Jahrhunderte verfolgen: wie es zuerst berĂŒhmt und hochgeschĂ€tzt, dann wieder verworfen wird, um spĂ€ter in höchste Höhen aufzusteigen. – So könnten wir etwa auch das Auf und Ab in der WertschĂ€tzung von Mozarts CosĂŹ fan tutte verfolgen: Diese Oper, heute ein Inbegriff der Vollkommenheit, wurde schon kurz nach ihrer Entstehung, als in jeder Hinsicht mißglĂŒckt, abgelehnt. SpĂ€ter versuchte man, wenigstens ihre Musik zu retten, indem man eine neue Handlung darĂŒberstĂŒlpte – eingreifende Bearbeitungen (vom Zeitgeist diktiert) verĂ€nderten das StĂŒck mehrmals. Noch vor dreißig Jahren rĂŒhmten sich Musiker, sie hĂ€tten das Werk fĂŒr unsere Zeit gerettet, indem sie es durch KĂŒrzungen ertrĂ€glich machten. Wo also liegt die Wahrheit? Welche Zeit hatte den SchlĂŒssel?
Verstehen wir etwa heute mehr von Kunst als die Menschen frĂŒher? Woher kommen all die Fehlurteile: ĂŒber Bachs frivole Opernhaftigkeit, Mozarts unertrĂ€glichen Überschwang, Beethovens bizarre Modulationen etc. etc.? Bedenken wir, daß noch vor neunzig Jahren ein Maler wie El Greco nicht einmal erwĂ€hnenswert war (Meyers Lexikon), daß van Goghs Bilder keine Interessenten fanden!
All die so verschiedenartigen Werturteile wurden ja von interessierten Menschen gefĂ€llt, die es durchaus nicht verdienen, ausgerechnet von uns verlacht und verachtet zu werden. – Man meint eben immer wieder, trotz aller RĂŒckschlĂ€ge unbelehrbar, unsere Beurteilung von Kunstwerken gelte fĂŒr alle Zeiten. In Wahrheit ist das große Kunstwerk ein vieldeutiges, kom...

Table des matiĂšres

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Liebe Sophie
  7. AuffĂŒhrungspraxis
  8. PhĂ€nomene des Musiklebens – Über das Musikhören
  9. Über AuthentizitĂ€t und Werktreue
  10. Warum immer Vibrato?
  11. Von den Wurzeln der abendlÀndischen Musik zur Revolution um 1600
  12. Der 5. Oberton
  13. Von der »Mitteltönigkeit« zur »Wohltemperierten Stimmung«
  14. Zur KlangĂ€sthetik Monteverdis: Ist hĂ€ĂŸlich schön?
  15. Barockmusik in Europa – das Barockorchester
  16. Die vielen Arten von Cembalo
  17. Wolfgang Amadeus Mozart, der rÀtselhafte Genius
  18. Mozart und die Werkzeuge des Affen
  19. Zeitgeist, Mode und Wahrheit
  20. Ein Griffel in der Hand Gottes
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APA 6 Citation

Harnoncourt, N. (2020). Über Musik ([edition unavailable]). Residenz Verlag. Retrieved from https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf (Original work published 2020)

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Harnoncourt, Nikolaus. (2020) 2020. Über Musik. [Edition unavailable]. Residenz Verlag. https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf.

Harvard Citation

Harnoncourt, N. (2020) Über Musik. [edition unavailable]. Residenz Verlag. Available at: https://www.perlego.com/book/1781363/ber-musik-mozart-und-die-werkzeuge-des-affen-pdf (Accessed: 15 October 2022).

MLA 7 Citation

Harnoncourt, Nikolaus. Über Musik. [edition unavailable]. Residenz Verlag, 2020. Web. 15 Oct. 2022.