IV.
DER BEFREIUNG AFRIKAS
ENTGEGEN
1.TÀuschungen und Illusionen des französischen Kolonialismus15
Seit zwanzig Jahren bringen die Kolonialvölker die auslĂ€ndische Herrschaft aus dem Gleichgewicht und betreten nach und nach die internationale Arena. Die alten Metropolen ziehen sich eine nach der anderen aus ihren Besitzungen zurĂŒck unter Anwendung verschiedener Methoden. Wenn auch die Kolonialexpeditionen einem gegebenen und bekannten Schema gehorchten â der Notwendigkeit, bei den Barbaren Ordnung herrschen zu lassen, Schutz der Konzessionen und der Interessen der europĂ€ischen LĂ€nder, die groĂzĂŒgige Ăberbringung der westlichen Zivilisation â, hat man doch nicht genĂŒgend stereotype der durch die Metropolen angewandten Mittel, um sich in ihren Kolonien festzusetzen, aufgezeigt.
Der französisch-algerische Krieg, durch sein AusmaĂ und seine HĂ€rte erlaubt es, im Groben die Versuche zu ĂŒberschauen, auch wenn sie nacheinander scheiterten, die von Frankreich unternommen wurden, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten.
Die unmögliche Kollaboration
Die erste Taktik der kolonialistischen LĂ€nder besteht darin, sich auf die offiziellen Kollaborateure und die Feudalherren zu stĂŒtzen. Die Algerier, die sich hinreichend kompromittiert haben und daher besonders gut geeignet sind, werden umgruppiert und gebeten, öffentlich »diese aufrĂŒhrerische Bewegung, die den Frieden des Gemeinwesens stört« zu verurteilen. 1954 und im Verlauf der ersten Monate von 1955 ging Frankreich an die ZĂ€hlung und die Mobilisierung seiner Getreuen und ergebenen Diener. Deklarationen, Verurteilungen, Appelle an die Vernunft werden redigiert, veröffentlicht oder im Radio verlesen.
Die kolonialistischen Behörden erwarten mit Zuversicht, dann mit Angst, schlieĂlich mit Hoffnung die Ergebnisse dieser Botschaften. Die Diener werden erneut um den Gefallen gebeten, nehmen aber eine bisher unbekannte Haltung ein, indem sie Einladungen absagen, die offiziellen Schaustellungen meiden und hĂ€ufig ein neuartiges Vokabular gebrauchen.
Und zwar deshalb, weil sich das revolutionÀre Engagement als immer totaler erweist und die Kollaborateure sich des gigantischen Erwachens eines Volkes unter Waffen bewusst werden.
Das ökonomische Argument
Angesichts des Abfalls der MÀnner, die gleichwohl in den Augen des algerischen Volkes gezeichnet und entehrt wurden und angesichts der aktiven Feindseligkeit der Elite, starten die französischen Behörden die zweite Operation.
Sie besteht im Grunde darin, die sogenannte »gesunde« Bevölkerung von der revolutionÀren Bevölkerung zu trennen.
UnfĂ€hig, die wirkliche Bedeutung des Befreiungskampfes zu begreifen, erkennt Frankreich anfangs nur die Existenz eines Problemes an, dessen Wesen als ökonomisch und sozial bezeichnet wird. In der Hoffnung, die Stimme der nationalen WĂŒrde zum Schweigen zu bringen, »macht es sich feierlich daran, das Elend zu bekĂ€mpfen und das Wohnungsproblem zu lösen«. Die Löhne werden symbolisch erhöht und Investitionsprogramme werden verkĂŒndet. Diese Gleichsetzung einer nationalen politischen Forderung mit einem Pöbelaufstand und sozialer Unzufriedenheit ist Ergebnis einer doppelten Mystifikation: Es gibt kein nationales algerisches Bewusstsein und die Versprechen zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung mĂŒssen hinreichen, um Ordnung und Frieden wiederherzustellen.
Aber die französischen Behörden und ihre Spitzel, die immer seltener und kostspieliger werden, stellen mit einer gewissen Verwirrung fest, dass die Bewegung solide ist, in den Massen verwurzelt und von ihnen getragen wird.
Unmenschliche und zynische Methoden gegen die vereinigte Front
In einer zweiten Stufe organisiert die französische Administration die Operationen Mozabites, die Operation Kabylen, die Operation Juden, die Operation Harkas, die sich immer gleichen. Das, was konkret erreicht werden soll, ist innere widersprĂŒchliche, also konterrevolutionĂ€re Strömungen inmitten der Bevölkerung zu erzeugen. Das Ausschlachten gewisser lokaler Feindseligkeiten, die vom Kolonialismus geschaffen wurden, das Am-Leben-erhalten und bewusste SchĂŒren von kulturellen Differenzen, die zu KĂ€mpfen zwischen Klans und zuweilen zwischen Rassen ausarten, charakterisieren diese Operationen.
Melouza und Wagram treiben die Grausamkeit der Methoden auf das ĂuĂerste, wo Notzucht, Massaker, die sichtbar mit FLN gezeichnet werden, das EinĂ€schern ganzer douars, all dies nur das eine zum Ziel hat, bei der Bevölkerung eine Revolte zu provozieren sowie die Verurteilung der revolutionĂ€ren Bewegung durch die Bevölkerung. Der alle diesen verschiedenen Manövern gemeinsame Irrtum liegt in der Tatsache, dass die französischen Behörden eigenartigerweise vergessen, dass die FLN mit dem algerischen Volk identisch ist. Die MĂ€nner der vergewaltigten Frauen befanden sich in der lokalen Gruppe der FLN. Abends kamen sie von ihren Operationsabschnitten herab, um ihre Kinder zu umarmen. Und die HĂ€user des zerstörten douars waren von den Moudjahidins erbaut worden, die das umliegende Gebirge halten.
Der Generalstab, Opfer einer ĂŒberholten Politik und einer Unkenntnis der Struktur der FLN, hat die Vorstellung, dass in den Bergen alles möglich ist.
Nun, es geschieht nichts, was nicht geplant und beschlossen wurde. Die Verlegungen der Gruppen geschehen nach einem strategischen Plan, der vom Generalstab der ALN festgelegt wird. Jede Einheit hat einen bestimmten Abschnitt und ein PC, der sie koordiniert.
Es gibt nicht eine Einheit der FLN, die etwa hier und dort morden könnte. Wenn eine Kompanie oder ein Bataillon den Sektor oder die Region verlassen, dann nur auf Befehl des Generalstabes des Wilaya. Die Verbindung wird zuvor ĂŒber die verschiedenen regionalen und lokalen PC hergestellt und die Bewegung wird durch örtliche Einheiten gedeckt.
Weil die französischen Behörden dies nicht wissen, lassen sie ihre Soldaten und ihre Harkas auf die algerische Bevölkerung los.
Aber jedes Mal wird der Wille zur UnabhÀngigkeit unwiderruflicher.
Die Operation Mozabites dauerte nur wenige Tage. Diese Algerier, zum gröĂten Teil HĂ€ndler, erhielten wiederholt Drohbriefe. Auf ihre LĂ€den wurden ĂberfĂ€lle unternommen. Es wurde eine ausgesprochen rassistische AtmosphĂ€re geschaffen. Dieser schmĂ€hliche Versuch wurde schnell durch eine Stellungnahme der FLN zum Scheitern verurteilt.
Die Operation Juden hatte gleichfalls eine rassistische Perspektive. Sie wurde in einem berĂŒhmten Brief der FLN an die jĂŒdische Gemeinde Algeriens entlarvt.
Die Trumpfkarte jedoch des Kolonialismus stellte die MNA dar. Die Messalisten existierten nicht auf nationalem Territorium, sondern genossen in Frankreich die bedingungslose UnterstĂŒtzung des Feindes. Die Franzosen haben zu wiederholten Malen den Transport von Hunderten von Messalisten begĂŒnstigt und haben sie mit Waffen versehen. Bei ihrer Ankunft auf nationalem Territorium wurden sie schnell vom Geheimdienst der FLN identifiziert, traten entweder in unsere Reihen ein oder wurden zum Tode verurteilt wegen Verrat an der nationalen Sache und Kollaboration mit dem Feind und wurden hingerichtet.
Eine klassische ErklÀrung
Frankreich blieb nur noch eine dritte und letzte Operation durchzufĂŒhren ĂŒbrig. Diese barg zwei Momente, die ziemlich nahe beieinander liegen: die Entdeckung, dass die nationale Befreiungsbewegung vom Ausland gelenkt wird und besonders von den Kommunisten.
Die erste, spektakulĂ€re Phase illustriert zur GenĂŒge den Grad der Bewusstlosigkeit, den die französische Regierung erreicht hat. Die Suez-Expedition hatte zum Ziel, die algerische Revolution auf ihrem Höhepunkt zu zerschlagen. Ăgypten, das beschuldigt wurde, den Kampf des algerischen Volkes zu fĂŒhren, wurde auf kriminelle Weise bombardiert. Der internationale Friede, der auf dem Spiel stand, konnte durch die nachdrĂŒckliche und unzweideutige Haltung der UNO gerettet werden.
Und zur gleichen Zeit verstĂ€rkten sich die militĂ€rischen Operationen in Algerien. Die FLN ergreift an allen Ecken und Enden des Territoriums die Initiative. Der groĂe achttĂ€gige Streik bekrĂ€ftigt die nationale Einheit im Kampf und das Festhalten an den Zielen.
Die zweite Phase, begonnen, eingestellt und wiederaufgenommen, wurde niemals bis zum Ende gefĂŒhrt. Das kommunistische Schreckgespenst wurde wenig ausgeschlachtet. Die französischen Kolonialisten, in Konfusion, ahnten die Zusammenhanglosigkeit. Sie waren von dieser These nicht ĂŒberzeugt.
Drei politische Operationen zerbrachen, ebenso wie die gleichzeitigen militÀrischen Operationen, an den nationalen algerischen StreitkrÀften. Alle bekannten Methoden, alle gewöhnlichen Manöver erwiesen sich als unwirksam, unzureichend, nutzlos. Gewiss wird die eine oder andere dieser Operationen wiederholt werden. Aber die Schwungkraft ist gebrochen.
Sinnlose TrÀume
Angesichts des algerischen Volkes verstehen die französischen Strategen nichts mehr. Ihre klassischen und altbewÀhrten Schemen sind von nun an unbrauchbar. Auch kann man beobachten, wie Frankreich immer hÀufiger zu Spekulationen greift. Die ErklÀrungen von Politikern nehmen hÀufig prophetischen Charakter an.
Die Differenzen in der FĂŒhrung der FLN wĂŒrden von einem Augenblick auf den anderen aufbrechen. Die MilitĂ€rs versuchten, die FĂŒhrung der Bewegung zu ĂŒbernehmen. Ein sehr harter interner Kampf wĂŒrde zwischen Extremisten und GemĂ€Ăigten vor sich gehen. Die Kabylen wĂŒrden in absehbarer Zeit einen Coup durchfĂŒhren. Kurz und gut, ein Kampf der Obersten um die Macht steht unmittelbar bevor.
Nachdem Frankreich aufgehört hat zu handeln und realistischen Entscheidungen aus dem Wege geht, bleibt ihm in Algerien nur noch zu hoffen, zu wĂŒnschen und zu prophezeien.
Auf dem nationalen Territorium isoliert, ohne jeden Kontakt mit dem algerischen Volk, nimmt Frankreich immer vagere und illusorischere Positionen ein.
Normalerweise, meinen die französischen Regierungen, mĂŒssten die Algerier anfangen mĂŒde zu werden.
WĂŒnsche werden formuliert, Hypothesen werden aufgestellt und in wohlbekannter Weise werden sie in Elemente der Wirklichkeit verwandelt: Die Mitglieder des Nationalrates der algerischen Revolution sind uneinig und die bösartigen MilitĂ€rs terrorisieren die ParteigĂ€nger von Verhandlungen. Und manchmal, wenn die Franzosen von der Wirkungslosigkeit ihrer WĂŒnsche enttĂ€uscht sind, schmollen sie.
Der FLN wirft man ihren monolithischen Charakter vor, das Fehlen von ZerwĂŒrfnissen, und dem algerischen Volk wirft man vor, sich fĂŒr einen Toten zu schlagen.
Nun, an die Wirklichkeit muss ganz anders herangegangen werden. Die französischen Behörden mĂŒssen sich ein fĂŒr alle Mal darĂŒber im Klaren werden, dass man den Tatsachen nicht ausweichen kann. Die Flucht in die Welt der WĂŒnsche, in nutzlose ZornesausbrĂŒche stellt keine Lösung des französisch-algerischen Krieges dar.
Ja, seit drei Jahren ist das algerische Volk monolithisch. Und das, weil die Losungen von ungewohnter Klarheit und Einfachheit sind. Nationale UnabhĂ€ngigkeit durch den bewaffneten Kampf, Ziele, Grenzen, Methoden und Mittel des Kampfes sind ein fĂŒr alle Mal festgelegt.
Das Trugbild von möglichen ZerwĂŒrfnissen offenbart den völligen Mangel eines kritischen Sinnes, zumal die Wirklichkeit sich diesen Visionen oder WĂŒnschen nicht angleichen zu wollen scheint.
Die FLN ist keine Bewegung von standespolitischem Charakter und jeder Kuhhandel ist undenkbar.
Die CNRA stellt nicht eine Interessengruppe dar, sondern den politisch-militÀrischen Generalstab einer Nation im Kampf um ihre UnabhÀngigkeit.
Ohne Bezug auf die Wirklichkeit, unfĂ€hig oder nicht willens, den algerischen nationalen Willen anzuerkennen und die sich aufzwingenden logischen Schlussfolgerungen zu ziehen, ergehen sich die französischen Behörden heute in WĂŒnschen oder Prophezeiungen.
2.Algerien und die französischen Folterknechte16
Die algerische Revolution, beseelt von zutiefst menschlichen BeweggrĂŒnden und dem leidenschaftlichen Glauben an die Freiheit, macht sich seit drei Jahren methodisch an die Zerstörung einer ganzen Reihe von Mystifikationen.
Gewiss, die algerische Revolution verleiht der nationalen Existenz wieder einen Sinn. Gewiss, sie zeugt vom Willen des Volkes. Aber die eigentliche Bedeutung unserer Revolution liegt in der Botschaft, die sie vermittelt.
Die wahrhaft monströsen Praktiken, die seit dem 1. November 1954 in Erscheinung traten, erstaunen vor allem durch ihr Allgemeinwerden ⊠In Wahrheit ist das Verhalten der französischen Truppen in Algerien in der Struktur der Polizeiherrschaft begrĂŒndet, in einem systematischen Rassismus, in einer Entmenschlic...