Die Westukraine
»Ostgalizische Erde ist verschwenderisch und reich. Sie hat fettes Ăl, gelben Tabak, bleischweres Getreide, alte vertrĂ€umte WĂ€lder und FlĂŒsse und Seen und vor allem schöne, gesunde Menschen: Ukrainer, Polen und Juden.«
Alexander Granach,
Da geht ein Mensch
Die Regionen der Westukraine
Die Bezeichnung Westukraine ist kein geographisch festgefĂŒgter Begriff, sondern fasst die ukrainischen Gebiete, die bis 1918 zu Ăsterreich-Ungarn gehörten, zusammen. In einem etwas weiteren Sinne bezeichnet man auch alle Gebiete westlich des Dnepr als Westukraine. AuĂerdem existieren geographische Namen wie Polessje und Podolien, die sich auf bestimmte Landschaften beziehen und nur zum Teil mit den Verwaltungsgebieten zusammenfallen.
Polessje (russ. Polesâe) ist das an âșWĂ€ldern reicheâč Tiefland an der weiĂrussischen Grenze ganz im Norden der Ukraine. Die Landschaft ist von SĂŒmpfen, Seen, Wiesen, WĂ€ldern und den Flussgebieten des Prypâjatâ und der Desna geprĂ€gt. Es haben sich nur wenige StĂ€dte und kaum Industriestandorte herausbilden können.
Podolien ist von den Karpaten ein ganzes StĂŒck entfernt, heiĂt aber âșLand am FuĂe des Gebirgesâč. Eingegrenzt wird es vom Dnister und dem SĂŒdlichen Bug. Die Landschaft wird durch eine etwa 300 bis 500 Meter hohe Platte mit tief eingeschnittenen TĂ€lern geformt.
Galizien ist ein historischer Begriff und bezeichnet ein Gebiet von rund 80 000 Quadratkilometern, das von Schlesien im Westen bis zum Fluss Pruth im Osten und zu den Karpaten im SĂŒden reichte. Als Kronland Galizien und Lodomerien gehörte es lange zu Polen und spĂ€ter zum Habsburger Reich.
Die Bukowina, deutsch Buchenland, liegt in den nordöstlichen Karpaten und deren Vorland an der heutigen rumĂ€nisch-ukrainischen Grenze. Die Region lag lange im Einflussbereich des rumĂ€nischen FĂŒrstentums Moldau.
Haus in den Karpaten
Das historische Galizien
»Ostgalizische Erde ist verschwenderisch und reich. Sie hat fettes Ăl, gelben Tabak, bleischweres Getreide, alte vertrĂ€umte WĂ€lder und FlĂŒsse und Seen und vor allem schöne, gesunde Menschen: Ukrainer, Polen, Juden. Alle drei sehen sich Ă€hnlich, trotz verschiedener Sitten und GebrĂ€uche. Der ostgalizische Mensch ist schwerfĂ€llig, gutmĂŒtig, ein biĂchen faul und fruchtbar wie seine Erde.« So beschreibt der Schauspieler Alexander Granach seine Heimat Galizien in seinem autobiographischen Roman âșDa geht ein Menschâč.
Das nach seiner ersten Hauptstadt HalyÄ benannte FĂŒrstentum Galizien (HalyÄyna) war nur im 11. Jahrhundert fĂŒr kurze Zeit selbstĂ€ndig. Danach gehörte es zuerst zu Ungarn, spĂ€ter zu Polen. Bei der Teilung Polens 1772 kam das Gebiet an die österreichische Krone. Nun wurde die Bezeichnung Galizien allerdings fĂŒr alle Gebiete verwendet, die 1772 an Ăsterreich fielen. Galizien erstreckte sich damals von Krakau bis nach Ivano-Frankivsâk (damals Stanislau), im SĂŒden bis zu den Karpaten und etwa bis 100 Kilometer nördlich von Lâviv.
Galizien war nicht nur am weitesten von Wien entfernt, es stand auch in zivilisatorischer Hinsicht weit hinter der Hauptstadt und den anderen Landesteilen zurĂŒck. Im Kronland Galizien und Lodomerien (österreichische Bezeichnung fĂŒr Wolhynien) konnte sich eine ganz eigene AtmosphĂ€re herausbilden, die vor allem durch die Verschiedenheit der Kulturen der dort lebenden Völkerschaften geprĂ€gt war. Diese lebten zwar weitgehend friedlich zusammen, aber es gab eine ausgeprĂ€gte Hierarchie. Die herrschende Schicht bildeten Polen und spĂ€ter Deutsche. Ukrainer und Juden wurden zum Teil stark benachteiligt.
Bereits seit Anfang des 13. Jahrhunderts gab es eine deutsche Minderheit, die allerdings im Laufe der Zeit polonisiert wurde. Unter österreichischer Herrschaft kam es zu mehreren planmĂ€Ăigen Ansiedlungen von Bauern aus dem sĂŒddeutschen Raum. Der jĂŒdische Bevölkerungsanteil lag zum Teil ĂŒber zehn Prozent. Die rechtliche und wirtschaftliche Lage der Juden war aber eher schlecht. Die Verarmung nahm mit der beginnenden Industrialisierung ungeahnte AusmaĂe an.
WĂ€hrend der österreichischen Herrschaft wurden die Ukrainer als Ruthenen bezeichnet. Da hier keine antiukrainische Zensur herrschte, konnten ukrainische Schriften verlegt und BrĂ€uche gepflegt werden. Das ukrainische Nationalbewusstsein und der Nationalstolz entwickelten sich auch dank einer kleinen Schicht ukrainischer BĂŒrger und KĂŒnstler. Hervorzuheben ist auch die Rolle der unierten Kirche bei der Herausbildung der ukrainischen Intellektuellen im 18. und 19. Jahrhundert.
In HalyÄ: Denkmal fĂŒr den FĂŒrsten Danylo, der als GrĂŒnder Galiziens gilt
Die Lemberger Oper stammt aus der Habsburger Zeit
Die Industrie war in Galizien immer sehr schwach entwickelt, kleinere Gewerbe- und Handwerksbetriebe bildeten neben der Landwirtschaft die typischen Erwerbsmöglichkeiten. Auch zu Zeiten der Habsburger Monarchie blieb Galizien ein rĂŒckstĂ€ndiger Landesteil, obwohl Bildungswesen, Kultur und Wissenschaft einen gewissen Aufschwung nahmen. Offiziell hörte nach dem Zerfall der Monarchie auch Galizien auf, zu bestehen.
Die Westukrainische Volksrepublik wurde ausgrufen, Zentrum war Ivano-Frankivsâk, im Januar 1919 kam es zur Vereinigung mit der Ukrainischen Volksrepublik. Polen erhob Anspruch auf diese Gebiete und entsandte Truppen â es wurden fĂŒr beide Seiten verlustreiche KĂ€mpfe. SchlieĂlich wurden die Grenzen neu festgelegt und Ostgalizien und ein Teil von Podolien kamen zu Polen.
Bis 1939 existierte Galizien de facto mit seiner MultinationalitĂ€t im polnischen Staat weiter. Nach dem geheimen Zusatzabkommen des Hitler-Stalin Paktes nahm die Sowjetunion Ostgalizien in Besitz. Viele Andersdenkende wurden verhaftet, verschleppt und ermordet. Zu den Opfern zĂ€hlten vor allem polnische Intellektuelle und Juden. 1941 erfolgte der Einmarsch der deutschen Wehrmacht. In den folgenden Kriegs- und Nachkriegsjahren wurde das alte Galizien endgĂŒltig zerstört. Mit der Vernichtung der Juden in Galizien und der Zerstörung der meisten Synagogen wurde der ostjĂŒdischen Kultur der Garaus gemacht.
Mit der Aussiedlung der Deutschen verschwand ein weiterer Bevölkerungsteil nahezu vollstĂ€ndig. Nach dem Krieg kam es zur heutigen Grenzziehung. Damit gingen weitere Bevölkerungsaussiedlungen einher. Viele Polen zogen gezwungenermaĂen von Ost nach West ĂŒber die Grenze. Aus dem polnischen Teil wurden Ukrainer in der âșAktion Weichselâč in den Nordwesten Polens umgesiedelt, sie sollten nicht als eigenstĂ€ndige Minderheit in Polen erhalten bleiben.
Im sowjetischen Teil Galiziens wurden in den Nachkriegsjahren viele Menschen neu angesiedelt, meist Ukrainer aus der Ostukraine und Russen, die aus der ganzen Sowjetunion kamen. Wer Galizien sucht, muss sich auf Spurensuche begeben, nur manches ist erhalten, vieles wurde ĂŒberdeckt und blieb lange unbeachtet. In vielen literarischen Zeugnissen lebt das alte Galizien bis heute fort, ...